Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 153.

13]

Ein Mann.

Freitag, den 8. August.

Bon Camille Lemonnier . Nunmehr war das ganze Dorf auf der Straße, Rudel­weise zogen die Mädchen herbei, die ganze Breite der Straße ausfüllend. Ihre blauen, grünen , roten und weißen Kleider mit schwarzen oder roten Tupfen leuchteten grell in dem blendenden Sonnengefunfel. In ihren pomadisierten Haaren spielten metallisch glänzende Lichter, um ihre braunen Hälse fälteten sich runde Spißenkrausen. Die Blöderen schlugen die Augen nieder, verwirrt von ihrer eigenen Toilettenpracht, während die anderen, die Verwegenen, mit ihren roten Lippen den Burschen zulächelten, die sich beim Vorüberziehen mit den Ellenbogen anstießen.

12.

1913

Mittlerweile trippelte Germaine mit kleinen Schlender. schritten nach dem Dorfe. Die Pächterstochter vom Weiden­hof" Celina Malouin hatte sie mit ihrer Mutter nach dem Mittagessen abgeholt, und es war beschlossen worden, den Weg zu Fuß zurückzulegen. den Weg zu Fuß zurückzulegen.

drei in einer Reihe, bald eine hinter der anderen, je nach der Gemächlich schlendernd, wanderten sie fürbaẞ. bald alle Breite des Weges. Bisweilen beschleunigten die Mädchen ihre Schritte, um sich im Flüstertone Geheimnisse anzuver­

trauen.

Célina war zwanzig Jahre alt, klein, ohne Saltung, ihr Auge braun, fast häßlich zu nennen; doch die Jahre machten fie verliebt, und sie träumte von nichts anderem als vom Hei­raten und von einem Gatten, der sich nicht einfinden wollte. Ein Malouin aus der Vetternfchaft war in der Stadt Drogist. Er war ein schöner Mann, dreißig Jahre alt, Sunggeselle, und sein Geschäft hatte einen ausgedehnten Kundenkreis. Vor Gie bildete sich ein, daß er sie nicht ganz gleichgültig ange zwei Monaten war er nach dem Weidenhofe" gekommen.

Allmählich begann eine große Begehrlichkeit die Mengen zu entflammen. Unaufhörlich schoben und drängten sich dichte Scharen an den Mauern der Häuser entlang, bis sie schließlich ins Freie gelangten, wo sie die Fußpfade überfluteten oder sich hinter den Hecken verteilten. Neben der Kirchenmauer waren Bretterbuden aufgefchlagen, deren stumme Aufforde­rung bewirkte, daß Männer, Weiber und Kinder wie fest- fehen habe, und eines Abends hatte er sie sogar um die Taille gebannt auf ihrem Wege innehielten und mit begehrlichen genommen und dabei ihren Namen recht zärtlich genannt. Blicken die Auslagen musterten. Da gab's auf rot und weiß Monaten, das Herz von füßen Hoffnungen bewegt, die ihr so­Von dieser halben Eroberung zehrte sie nun seit zwei gewürfelten Tischtüchern Bögen aus Mandelbrot, Zucker­fringel, Makronen und Brezeln. An gespannten Striden wohl Kummer wie Freude bereiteten. Immerhin mußte sie baumelten lange Kränze von Würsten herab, mit gelben, zugeben, daß der Vetter mit einer Wiederkehr ein wenig Flebrigen Fettstreifen durchzogen. Wahre Berge von Honig aanderte. Und mit bebender Stimme fragte sie Germaine, fuchen mit eiweißglänzender Rinde türmten sich auf, und auf ob diefe ihr keinen Rat wüßte. Germaine hörte ein wenig verächtlich dem einfältigen Ge den Schüsseln häuften sich vertrocknete Pflaumenkuchen, mit Staub und Buder gepudert. Nicht weit davon batte ein plapper des verliebten Gänschens zu. Von Zeit zu Zeit ant­wortete sie ihr ziemlich einfilbig und ließ im übrigen die Krämer ein Leinenzelt mit Pfeifen, Zigarren, Wachspuppen, Holztrompeten und Flöten errichtet. Mit tüdisch grinsendem andere ruhig weiterreden. Eine weiche Verträumtheit machte Mund bot er den Frauen Ohrringe, Nadeln, Spangen und sie zu jeder schärferen Gedankentätigkeit unfähig. Fort Ringe an, ganze Berge von blechernem Land mit roten, während quälten sie dieselben Ideen; so sehr sie sich auch ihrer grünen und gelben Steinen, denen die Sonne uncubige au erwehren fuchte sie fehrten dennoch wieder. Bald Flammen entlockte. Auf der anderen Seite des Plates hatte würgte ein brennender Schmerz in ihrer Keble, als hätte sie allerlei dunkles Galgengefindel einen Scheibenschießstand er- dort eine Feuerfugel stecken, bald durchlief es sie fiedheik vont Und immer wieder war es richtet. Namentlich dorthin flutete die Menge. Mit aufge- Scheitel bis zur Sohle. rissenem Munde standen die Gaffer, und die Männer Cachaprès verführerische Prachtgestalt, die am Ende foicher warteten Kopf an Kopf, bis die Reihe an fie fäme. Das furze, Strifen vor ihr erschien, und während Célina von ihrer Liebe unaufhörliche Snattern der Schüsse vermischte sich mit dem schwaßte, wollte sie der Gedanke. daß es bloß von ihr abbinge, wüsten Geschrei der Ausrufer, und plöblich tauchte noch eine das berauschende Glück in seiner Fülle fennen zu lernen, faft Drehorgel mitten in dem Chaos auf. Der Leiermann drebte überwältigen. Krampfhaft spannten sich ihre Brauen, un unermüdlich die Kurbel, von dem blendenden Sonnenglanze ruhig liefen ihre Blicke über die Blätter hin, als sie des felt­und dem Trubel betäubt, die starren Blicke ins Leere gerichtet. famen Burschen und seiner prächtigen Reckengestalt, der Und weithin erscholl der helle Klang der großen Drehorgel. Weichheit seiner Worte gedachte. Ob er sie auch wirklich In hellen Haufen strömten die Leute herbei, um der Sie betraten einen schmalen Waldpfad, der den Weg plärrenden, quietschenden, bon trommelnden Bässen be­wesentlich abkürzte. Weiche Mooskissen überzogen die gleiteten Musik näher zu kommen. Wurzeln der Bäume mit ihrem schimmernden Sanit. Bur Rechten und zur Linken spannten die Gebüsche grüne Vor­bänge aus, die sich im Hintergrunde in eine wäfferige Dunft­schicht verloren. Die Zweige über ihren Häuptern schloffeit fich zu einem leichtgewölbten Dache, durch deffen Lücken die warmie Sonne rieselte. Das feuchte Erdreich atmete er­quidende Kühlung. Bisweilen traten die Gebüsche so nahe aufammen, daß fie den Weg zu versperren schienen. Dann mußten sie die Zweige beiseite schieben, und unter ihrer leisen Berührung erschauerte Germaine wie unter einer zarten Liebkosung, die ihrem kochenden Blute Beschwichtigung Um drei Uhr wurde der Wirbel nach dem Gasthause aur brachte und ihrer Haut wie der Hauch linder Maientüftchen Sonne" getrieben. Zur Eingangstüre führten zwei Stufen, schmeichelte. In den hoben Aesten schwirrte und schmetterte die trotz der lauten Protestcufe der gequetschten Mädchen, es aus tausend brünstigen Kehlen, und dazu stieg der Jubel trop der Ellenbogen- und Rippenpiiffe, womit sich die der Erde empor, die die Pracht eines Frühlingsnachmittages Burschen ihren Weg bahnten, von den wogenden, stoßenden schmückte. Wollästiges Begehren schlich durch den Wald; Maffen im Sturme erklettert wurden. Die Wogen brandeten gärender Säfte herber Duft entströmte den grünenden in den Saal, die längs der Wände stehenden Bänke überflutend Gräsern; ein Verlangen nach Umarmung ließ die Zweige fich oder in der Mitte des Tanssaales fich stauend. In einer sehnsüchtig nähern. Und bis in ihr tiefinnerstes Sein er­Nische waren zwei Klarinettisten, ein Trommler, ein Wald- schauernd, waren Germaine und Celina verstuurmt. Bis­horn- und ein rompeterbläse untergebracht, denen der weilen ließ sich von hinten die Stimme de Bächterin hören, Bistonbläser mit rhythmischen Kopfbewegungen den Takt gab. die den Mädchen zurief, auf sie zu warten. Dann verlang Die Heiterkeit, die bisher über das ganze Dorf veritrent ge- famteu fie ein wenig ihre Schritte, ohne etwas zu entgegnen. wesen, schien sich jetzt auf diesen einen großen Saal fon­zentriert zu haben, und unter der Erschütterung der stampfen­den Tritte erzitterte der Bau in allen seinen Fugen.

Alles, was Lärmt, Licht, Schauspiel oder Vorwand zum Lachen und Schreien war. trug zur Erhöhung der heiteren Festesstimmung noch bei. Die Baare begannen sich auf der Stelle im ländlichen Reigen zu drehen. Dann wurde hier aufgeräumt und anderswo aufs neue mit schwerem Geftampfe begonnen in ungeduldiger Erwartung des Augenblickes, da fich die Tore des Tanzfaales in der Sonne " öffnen würden. Unter dem glühenden Mittagshimmel dampften die Rücken der wandernden Tänzerscharen, die Hemden klebten ihnen an der Haut, in Strömen rann ihnen das Wasser über die Schläfen.

liebte?

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Der Pfad mündete auf die Felder aus; in der blauen Bracht der durchsichtigen Luft schwankten die braunen Seiden­flächen ihrer Sonnenschirme über dem schon hochstehenden Ge.