Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 155. Dienstag, den 12. August. 1913 ivz Sin 1>?ann. Von Camille Lemonnier . Aufgeregt näherte Cachapr�s sich ihr und nahm sie beim Arme:Germaine 1" Sie sah ihn an. Er schlug sich mit der geballten staust aufs Herz, in seinen Augen perlte ein feuchter Schimmer. Seit heute morgen leb' ich kaum mehr." keuchte er. »Jeht, seit ich dich seh, leb' ich wieder auf." Dieser Aufschrei aus gequältem Herzen rührte sie. Er trug das feine Wams, von dem er ihr erzählt hatte: es war aus braunem, geripptem Samt, ebenso wie Hose und Weste. Ueber seinen grünseidenen Schlips fiel ein blendend weißer Hemdkragen. Der mächtige Brustkorb wölbte sich unter dem prallanliegenden Stoffe. Er trug seine Kleider mit dem natürlichen Anstand aller an körperliche Tätigkeit gewohnten Menschen. Germaine konnte sich abermals des Gedankens nicht er- wehren, wie kläglich ihr der andere Mann im Vergleich mit diesem erschien. Ihre Blicke glitten mechanisch über die ge- krümmten Rücken, schiefen Schultern, die schlottrigen Röcke der übrigen. Auf seinem schwarzen Haar saß ein weicher Filzhut, herausfordernd in den Nacken gerückt. Die Massen waren jetzt so dicht ineinandergekeilt, daß sie sich nicht vom Flecke riihren konnten. Da gab's ein Gewoge von wackelnden Köpfen, schwankenden Schultern, und der Boden dröhnte unter den stampfenden Füßen. Jetzt kommen wir dranl" rief er. Blitzschnell hatte er ihre Hand gefaßt, seine Rechte um ihre Taille gelegt und sie mit sich fortgezogen. Sie dachte nicht einen Moment daran, sich zu wehren. Sie fühlte sich von dem mächtigen Strom seiner Kraft getragen, im Nu war der Raum rings um sie her frei. Langsam drehte sich Cacha- pr�s im Kreise, auf seine starken Beine gestemmt, als rüstete er sich zu einem Ausfall. Seine Fersen bohrten sich in den Boden, als wären sie festgewachsen. Er spreizte die Ellen- bogen, straffte seine Schultern da entstand eine Bresche. Die arg bedrängten Massen gerieten ins Wanken und be- gannen zurückzuweichen. Rufe wurden laut wie:Hedal Achtung I Aufgepaßt, Bursche! Cachapräs, mach' keine Dummheiten!" Er hörte nicht, drang nur immer weiter vor, mit Hüften, Rücken und Schultern kämpfend und das Mäd- chen mit seinem Leibe deckend. Da erhob sich lauter Protest. Einer ließ ein grobes Wort fallen. Cachaprds maß ihn mit einem finsteren Blick und antwortete: Du, hüte dich, daß ich dich nicht erwisch'!" Nachdem die Bahn also freigemacht war. begannen andere Paare hinter ihnen zu tanzen. In die Starrheit der gestauten Massen kam wieder Bewegung. Als Germaine so eng an der Brust ihres Tänzer? lag, überkam sie ein won- niger Schwindel. Plötzlich stand er still inmitten der Wirbeln- den Paare. Seine Knie schoben sich zwischen die ihren, seine Hand streifte leise über ihrem Rücken. Mit einem strahlenden Lächeln sah er ihr tief in die Augen und raunte ihr zärtliche Worte zu. Germaine, sa�e, soll ich sie durchprügeln? Sag', wie- viel? Zehn, zwanzig? Soll ist sie alle niederhauen? Sag', was du wünschest?" Da mußte sie wieder an Jzard, ihren früheren Kavalier, denken und die gemessene Stärke des Burschen bewundern. Wollüstig wiegte sie die Milsik in seinem Arm: das Gz> wühle, der Tabakrauch, die verdorbene Atmosphäre des Saales begannen sie nach und nach zu betäuben, so daß sie sich dem Umsinken nahe fühlte. In dem Saale , wo sich die schwitzenden Leiber drängten, begann jetzt eine derbe Lüstern heit aufzuflammen. Mit herausforderndem Gelächter lohnten die Weiber den frechen Blicken der Bursche, die sie ansahen, als wollten sie ihre Kleider durchdringen. Auch Germainens Schamhaftigkeit begann in der schwülen Atmosphäre mählich zu schmelzen. Als der Tanz zu End« war, wollte er sie wegführen. Wir wollen ein bißchen trinken!" Aber sie wagte eS nicht. Sie sei mit Freundinnen da, was würden die von ihr denken? Doch er entgegnete: Ach was! Dummes Zeug! Komm' nur!" Sie gab nach. Eben wieder begann die Musik eine Polka. C6lina, Zoö und die Müllermädchen tanzten. Sie wurde von niemand beobachtet. Er ließ eine Flasche Champagner entkorken. Als sie ihn erstaunt anblickte, klopfte er sich auf die Westentasche: Fürcht' dich nicht." Er bestellte drei Flaschen auf einen Sitz, auch für seine Kameraden. Das verursachte allgemeines Aufsehen. Eine Menge Hände langten nach den Kelchen, Geschrei, Gelächter, Hurrarufe wurden laut: Hoch Hubert! Auf dein Wohl! Hurra! Hoch!" Sie standen nebeneinander an die Mauer gelehnt, von der Türe halb verborgen. Ab und zu hob sie ihr Glas an die Lippen und nippte. Er hielt die Flasche auf seinen Schenkel gestützt. Ich könnte noch stundenlang trinken. Es gibt wenige, die das Trinken so gut vertragen wie ich." Und voll Verachtung die Achfeln zuckend, wies er mit dem Kopfe nach den anderen Zechern. Das sind gar keine richtigen Männer!" Er goß sich ein Glas voll und fuhr fort: Ich Hab' dich früher mit dem jungen Jzard tanzen ge- sehen. Einmal ist keinmal, dacht' ich mir. Aber wenn sie noch ein zweites Mal mit dem tanzt, dann fpiel' ich ihm übel mit. Germaine, ich bin rasend eifersüchtig." Sie begann zu kichern. Auf wen?" Du weißt ganz gut, auf wen. Auf dich, zum Kuckuck." Sie zuckte die Achseln, und gleichgültig die Stäubchen von ihrem Kleide mit dem Taschentuchc abklopfend, erwiderte sie ein wenig spöttisch: Na, ich, ich bin nicht eifersüchtig." Da wiegte er lächelnd den Kopf und sprach langsam: Wenn du wolltest, so könnten wir gute Kameraden werden!" Sie hörte ihn: zu, ohne etlvas zu erwidern, in ange- strengtes Nachdenken verloren: ihre Brauen bekamen einen krampfhaften Zug. Er wiederholte seine Worte mit unge- mein einschmeichelnder Stimme: Wenn du wolltest, könnten wir gute Kameraden werden." Nun sammelte sie gewaltsam alle ihre Energie. Gehen wir wieder hinein." Der Champagner verwirrte ihre Gedanken. Sie hoffte bei ihren Freundinnen eine Stütze zu finden, allein sie konnte sie bloß von weitem unter den Paaren einer Quadrille sehen. Als sie sich enttäuscht abwandte, entschlüpfte ihm ein furcht- bares, brutales Wort: Bemüh' dich nicht. Einmal mußt du's ja doch durch- machen." Entsetzt sah sie ihn an. Das ihr, der Tochter des Pächters Hulotte ! Ihr Blut empörte sich: da sie ihn aber so unterwürfig lächelnd, wie einen gebändigten Riesen, vor sich sah, als ob er gar nichts geredet hätte, vergaß sie seiner Worte, und es blieb bloß ein instinktives Gefühl der Unterwerfung unter einen stärkeren Willen in ihr zurück. Sie fühlte, wie alles in ihr zu diesem Manne hindrängte. Sein« unverhohlene Zuversicht entlockte ihr jetzt ein Lächeln. Sie. tanzten. Der Abend war gekommen, ein wundervoller, tiesblauer Abend mit funkelndem Sterncngewimmel und lauwarmen Windstößen, die zeitweis« über die Landschaft brausten. An den Wänden des Tanzsaales brannten jetzt Petroleumlampen, doch brütete trotz ihres hellen Lichtes in allen Ecken geheim- nisvolles Dämmerdunkel. Und unermüdlich wogte der Tanz, das ohrenzerreißende Getöse der stampfenden Füße, die den Staub zu Wolken aufpeitschten. Wenn die tanzenden Paare in den Lichtkreis der Lampen gelangten, wurden sie von einer blendenden Helligkeit überströmt: dann tauchten sie wieder in die zerfließenden Schatten unter, und inmitten des Stimmengewirres konnte man das Schmatzen der Küsse der- nehmen. Der Saal war den Massen zu eng geworden: ein Teil