5« Festaasts hatte sich über die Straße verbreitet und den Ball jenseits des Tores ausgedehnt. Hie und da sah man einen halb berauschten Burschen schwanken: den brachte man dann an irgendeiner Straßenecke in Sicherheit, und seine Partnerin tanzte mit einem anderen weiter. Gegen Ende d«S Festes breitete sich über das ganze Dorf ein Rausch. Von überall stieg das Schluchzen Betrunkener auf. Hinter dem Gasthofe dehnte sich das heckenmnsäumtc Ackerland in sanftbergiger Steigung. Da die Hitze im Saale Germaine den Atem raubte, führte sie Cachaprös in die frische Kühle der friedlichen Natur. Er hatte sie bei der Hand gefaßt und wandelte Schulter an Schulter mit ihr unter den Schatten der Büsche. Der Flieder hauchte seine starken, süßen Düfte in das taufeuchte Gelände. Sie gingen den Feldern entlang. Halb willenlos ließ sie sich von ihm führen: er hatte sie mit einem Ann umschlungen und drückte sie ab und zu innig au sich. Eine seltsame Schlaff- heit hielt sie umfangen und lieferte sie wehrlos seinen Kühn- beiten aus: ihre wogende Brust an seine starke Schulter ge- schmiegt, stützte sie sich schwer auf ihn. Sie war aller Ge- danken, allen Bewußtseins beraubt. Wie durch Traumgefilde wanderte sie durch den bleichen Mondenglast, und wie ver- loren irrten ihre Blicke an den nebelumwallten Konturen der Bäume hin. Die Schauer der brünstigen Erde drangen ihr bis ins innerste Mark, mit Feuerbränden von Sinnlichkeit ihre Adern durchströmend. Von unten drang der Lärm der Musik und das Stim- mengewirr der Menge nur gedämpft an ihr Ohr. Bei einer Wegbiegung gewahrten sie einen bleichen Schimmer, zwei aufeinandergepreßte Gesichter, und Cackwvrös brach in rohes Gelächter aus. Da mußte Germaine plötzlich an ihre Mutter denken. Blitzschnell zogen an ihr die ruhigen Jahre ihrer Kindheit vorbei, die Zeiten, da sie noch nichts vom Manne wußte, ihr Herz noch im tiefsten Frieden schlummerte. Und dies alles sollte nun dahin führen, sich von diesem Vaga- bunden lieben zu lassen, wie ein Tier unterm nächtlichen Sternenhimmel? Plötzlich drückte er seine heißen Lippen heftig auf ihren Mund. Sie schloß die Augen, eine Sekunde lang dem Genuß dieses Augenblickes hingegeben, der ihrem Leben eine tiefe Wunde riß: dann aber entwand sie sich ihm mit einem Schrei, bebend vor Verachtung und Zorn, und schickte sich an, den steilen Abhang hinunterzulaufen. Da gab's eine nächtliche Jagd. Er erreichte sie und warf sie dabei fast zu Boden. Sie beschwor ihn: nicht in dieser Nacht I Morgen! Sie klammerte sich an ihn. suchte seine Hände mit ihren Fäusten abzuwehren. Das Stäben von Stim- men bewog ihn, von ihr zu lassen. Sie entfloh. Man hatte sie bereits überall gesucht. Sie mußte alle erdenklichen Ausflüchte gebrauchen: sie lxibe Bekannte getroffen, man habe sie sogar mitten im Felde zu tanzen auf- gefordert. Dies erklärte auch ein wenig die Unordnung ihrer Toilette. Uebrigens waren auch C6lina und Zoü von den Armen ihrer Tänzer recht übel zugerichtet. iTas Feuer, das auf Germainens Wangen brannte, fand auf den glühroten Backen der beiden anderen seinen Widerschein. Etwas vom Manne lvar auch aus ihren zerknüllten Kleidern zu lesen, ebenso wie aus Germainens zerrissenem Staat. �Fortsetzung folgt.) Ticrr jfarho Czarindku Von Friedrich Werner von Oest-ren. Als Herr Jurko Czarinski von der kleinen Bodenerhebung, auf der sein Schlößchen mit allen Wirtschaftsgebäuden stand, deni ein- zigen Hügelchen auf weilenweite Entfernung, hinabfuhr, grüßte ihn am Westrande des Horizontes ein greller Feuerstreif: Herr Furko nickte ihm zu und lächelte. Die Sonne hatte brav am Him- inclszclte auSgehalten und ihr Licht gespendet, bis die ganze große Arbeit vollendet, die letzte Garbe in die Scheune gebracht worden war. Nun mochte sie ruhen gehen, nun mochte Dämmer herein- brechen! Er brauchte kein Licht mehr. Brave Sonne!- Herr Jurko lehnte sich wohlig in die Polster des Wagens zurück und reckte die Arme, so weit er vermochte. Ah! Welch ein Herr- lichcs Gefühl, nach schwerer Arbeit in Muße seine Müdigkeit, iii- allen Knochen zu versi liren und— und seinem Glück entgegenzu- fahren! Bei Gott, eS lohnte sich zu leben. Der Wagen war längst am Fuße der kleinen Anhöhe angelangt und fuhr auf der bolprigen schmalen Straße zwischen Feldern da- hin. Ebene, so weit das Auge in schwindender Tagesheilc. reichte-, weit und breit das stumpfe Braun des Ackerbodens unter dem töd- liehen Gelb der Stoppeln. Der Gutsherr auf Lischkolo blickte zufrieden um sich. Und plötzlich lachte er laut.„Jan," rief er den Kutscher an, der die zwei starken goldbraunen Rosse lenkte. Der Gerufene wagte nicht, das Gespann aus den Blicken zu lassen. Zumal das Sattelpferd riß verteufelt an den Strängen und machte immer wieder Versuche, sich der Gewalt des Zügels zu entziehen. Ohne das Haupt zu wenden, fragte Jan:„Der Herr befiehlt?" „Hau dem Hund eins mit der Peitsche!" schrie Jurko.„Er galoppiert immer." Und als seinem Befehl Folge geleistet war, und das widerspenstige Roß, wieder bezwungen, dahintrabte, lachte Herr Czarinski abermals.„Zehn Kronen, Jan, ganze zehn Kronen schenk ich Dir für jede Garbe, die Du noch auf einem Lischkowcr Feld entdeckst." Jan nickte.„Ich weiß, Herr, da werd' ich nichts verdienen." Sein Herr war aber in Geberlaune.„Doch Jan," sagte er. Sollst heute auch etwas verdienen»nd Dir morgen einen guten Tag machen. Dann trink auf mein Wohl, hörst Du, und denk, daß Dein Herr sich auch einen guten Tag macht!" „Ich küsse die Hände, ich falle zu Füßen," beteuerte Jan auf seinem Kutschbock und seine Augen leuchteten in Vorfreude. Aber Herr Jurko hörte nicht mehr, was Jan sagte; kaum hatte er gesprochen, war er in die Polster zurückgesunken und hatte, eng in eine Ecke geschmiegt, mit offenen Augen zu träumen begonnen. Seine eigenen Worte und ein Blick, der den kleinen Koffer oben auf dem Kutschbock gestreift hatte, wiegten ihn in wache Träume und zauberten ihm ein Bild des morgigen Tages vor, de? Glückes, dem er entgegenfuhr. So verrann eine Stunde, und noch eine halbe verstrich. Dort, wo die Stoppelfelder aufhörten, nahm auch der Besitz des Herrn Jurko sein Ende, und es währte eine volle Stunde, bis diese Grenze erreicht war. Dann fuhr der Wagen an Wiesen vorüber und wieder an Feldern, die sich endlos zu dehnen schienen, und auf denen die schlanken Halme standen mit den schwergebeugten Häuptern. Im Dämmerdunkel, das den roten Feuerstreif am Himmel verlöscht und die Erde in dunkles Grau gehüllt hatte, sahen sie gespenstig hoch aus; und wenn der leichte Abendwind liebkosend über sie hlnstrick, nickten die vollen Behren dem Wagen zu und grüßten den Herrn Czarinski. Und der Gruß gebührte ihm; denn was an goldverheitzendem Gelb auf den Fel- der« stand, war Eigentum des Herrn Jasiek auf Krawiec, dcS ältesten Bruders des Herrn Jurko. Aber dieser sah und merkte nichts; er träumte, träumte vom Morgen und ward sich deS Heute erst bewußt, als die Räder jäh aufhörten sich zu drehen. Da stand der Wagen vor dem Tore des Schlosses Krawiec. Ge» finde lief dienstbeflissen herbei, eine der großen Doggen de ? Herrn Jasiek sprang sreudewinselnd in den Wagen hinein, die andere tollte bellend um die Pferde, daß der Jan Mühe hatte, diese zu halten und die Peitsche zur Abwehr knallend schwingen mußte. Herr Jurko lächelte freundlich, reckte sich und stand auf. Ein derber Schlag der Liebkosung traf den Hund; dann packte ihn der Lischkowcr, hob ihn auf wie ein kleines Kind und hielt ihn fest, während er dem Wagen entstieg. Und als er dann auf der Erde stand neben dem Gesinde des Bruders, erschien dieses zwergenhaft und krüppelgleich neben seiner hohen, breiten Gestalt. Ein schöner Mann war der Herr Jurko und dazu stark und jung. „Ausspannen, Jan," befahl er. Du und die Pferde sollen fressen»nd saufen. Schlag elf aber— bei Gottes Donner— Schlag elf fahren wir dann weiter. Eine Minute zu spät»nd ich erschlag Dich." Der Kutscher, der seinen Herrn wohl kannte, merkte dem Stimmklange an, daß die Drohung nicht etwa eine Redensart war, sondern sehr ernst genommen werden mußte. Der Herr Czarinski auf Lischkow war fähig, ein fremdes Kind aus einem Jeuermeer zu retten oder einen Wolf mit der bloßen Faust zu erwürgen; das wußte man. Jan nickte.„Schlag elf, Herr." Herr Jurko hatte die Dogge aus. den Armen gelassen und stieg, von ihr umschmeichelt, die Stiege empor. „Nichts Neues bei Euch auf Krawiec?" fragte er den alten Diener, der ihm stumm folgte. „Nichts. Unserem Herrn geht es immer gleich," entgegnete dieser. Der Lischkowcr zuckte die Achseln.„Wird auch beim gleichen bleiben," meinte er. Wie ein Sohn liebte er den um zwanzig Jahre älteren Halbbruder; aber daß dieser bis an sein Lebensende an den Rollstnhl gebannt und der Bcwegungsfähigkeit beraubt war, wußte er und hatte sich als an Unabwendbares daran gewöhnt wie der Bruder sell'st. „Du hast mich doch erwartet, Jasiek?" fragte Jurko nach der ersten Begrüßung. „Hab ich," entgegnete der ältere CzarinSki.„Aber—?" Er schüttelte den kahlen Kopf, daß die abwärt» hängenden Spitzen de» langen grauen Schnurrbarte» schaukelten, und blickte dem anderen fragend in die Augen. Der jüngere CzarinSki lächelte und ließ sich, dem Bruder. gegenüber, in einen Sitz fallen.„Verstanden hast Du meinen Brief wohl nicht ganz?" fragte er. Herr Jasiek nickte.„Hab ich nicht." Der breiten Brust JurkoS entstieg ein fröhliches Gelächter, und in den blanen Augen züngelten Schlänglein schelmischer Freude. „Das-ivmidert mich nicht weiter, Jasiek, versicherte er.„Als ich Dir gestern früh den Brief sandte, war ich in einem so verteufelten
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30 (12.8.1913) 155
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