Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 156.

16]

Ein Mann.

Mittwoch, den 13. August.

Von Camille Lemonnier .

14.

Dieser Kirmestag bedeutete eine ernste rise in Ger­mainens Leben. Eine rätselhafte Bangigkeit blieb ihr davon, zurück. Cachaprès erster Ruß hatte ihr ohnedies schon schwaches Fleisch in wilden Aufruhr verfeßt. Wie die Pflug­schar in die Scholle dringt, so hatte sie seinen Ruß in sich ein­dringen gefühlt, schrecklich und wonnevoll zugleich. Der nächste Morgen verging mit beängstigenden Träumereien. Mitten in ihren häuslichen Beschäftigungen wurde sie von einer weichen Versonnenheit übermannt. Die Erinnerung an die Vorfälle des gestrigen Abends wirkte wie lähmend auf fie. Nur mechanisch belegten sich ihre Hände, während ihre Ge­danken weitab irrten.

Zu Mittag brachten die Pferde einen Wagen frischge­schnittenen Klee nach Hause. Die stroßende Fülle feiner Blätter zwängte sich durch die großen Leitern, und aus dem dunkelgrünen Gewirr leuchteten vereinzelte grellrote Mohn­blüten. Nachdem die Pferde abgeschirrt worden waren, blieb der Leiterwagen unter der Toreinfahrt stehen. Hier war's angenehm schattig und frisch, während überall sonst die Sonne brannte. Wie ein weiches, fühles Lager lockte der üppige, grüne Klee zu erquickendem Schlummer.

In der Küche waren Näpfe, Blechlöffel, Messer und Gabeln auf dem langen Eßtisch vorbereitet. Ein Duft von Specksuppe und Schweinefett zog sich durchs Haus. Es war Essenszeit.

Nun erscholl das Geflapper hölzerner Schuhe auf den steinernen Fliesen, sich in der Nichtung des Süchentisches ber­lierend. Die Knechte und Mägde tamen vom Felde heim; sie setzten sich auf niedrige Holzschemel um den Tisch herum und begannen wacker zu schmausen. Ihr mächtiger Hunger hielt die klappernden Bestecke in unausgesetter Bewegung, ge­räuschvoll wurde manch kräftiger Schluck durch die Kehle ge­jagt. Die rauhe, rissige Haut über den Badenknochen glänzte, als funfelte noch etwas von dem Feuer der Sonne in ihr. Vom Garten her drangen gelbliche Sonnenflecke durch die ge­öffneten Fenster, zitterten auf den weißgetünchten Wänden und vergoldeten die gebückten Nacken der Schmausenden. Als das Mahl seinem Ende entgegenging, ermatteten allmählich die Kaugeräusche. Schlaftrunken schlich sich einer nach dem anderen in den Schatten der Hecken oder Scheunen, um ein wenig zu nicken.

Germaine, sonst eine rüstige Arbeiterin, pflegte nach dem Mittagmahl den Spülmagden beim Waschen des Geschirrs behilflich zu sein; und wenn das Gesinde erwachte, standen die Teller längst wieder spiegelblank auf dem Bord. Doch heute hatte die Müdigkeit auch sie übermannt; träge gähnend, refelte und dehnte sie sich, und dachte, wie angenehm es sein müsse, sich ein wenig niederzulegen wie die anderen.

Just unter der Einfahrt wölbte der fleebeladene Wagen sein kühles Blätterlager. Einen Fuß aufs Rad stübend, schwang sie sich hinauf und ließ sich mit einem Rud auf die Blätter fallen, in denen ihr Körper allsogleich verfank.

1913

fein Freier melden wollte, würde sie einfach einen Liebhaber nehmen. Ihn gerade so gut wie einen anderen.

Nun begann sich in ihrem ohnedies bereits schlaffer ge­wordenen Gewissen ein arger Rampf zu entspinnen. Das war schlecht, grundschlecht, sich solchen Gedanken hinzugeben! Wer war denn Cachaprès? Ein Vagabund, einer, den man verleugnen mußte. Und ein leises Bedauern regte sich in ihr, daß es kein anderer sein konnte: ein Bächtersohn, selbst nur ein Förster. Den hätte sie nach Herzenslust geliebt, später dann geheiratet, und alles wäre in bester Ordnung gewesen. Heiraten! Was kümmerte sie das! Sie wollte nichts anderes als einen Mann ihrer Wahl, einen fraftvollen Bur­schen, wie zum Beispiel diesen. Sie haßte alles, was nicht robust, tapfer und verwegen war und sich in der Welt zu be­haupten vermochte. Robust war auch sie: und wieder mußte fie an jenen jungen Izard denken, diefen armseligen Aften­menschen, der nicht einmal genügend Kraft besaß, um mit ihr zu tanzen! Während er dagegen! Run führten sie ihre Ge­danken wieder zu jenem Augenblicke zurück, da er sie durch die zurückweichenden Wassen mit sich gerissen hatte. Wie er sie, einer Feder gleich, mit seinen starken Armen emporgehoben, dem ganzen Saale zum Trok! Das war ein Mann! Und sie hörte das Flüstern feiner Stimme: Willst Du, daß ich sie alle niederschlage?" Schade, daß sie nicht ja gefagtt Das wäre drollig gewesen!

Und dieser Mann liebte sie. Wenn ein Mann ein Mäd­chen nicht ernstlich liebt, stellt er ihr nicht so bibig nach. Er hatte so zärtliche Worte für sie, wie Liebe allein sie mur findet. und lächelnd wiederholte sie sich alle, die ihr noch in Erinne­rung waren. Schließlich, warum sollte er sie auch nicht lieben? Er liebte sie auf seine Art, gewalttätig und sauft zugleich. So ungefähr hatte auch sie sich die Liebe vorgestellt. Die Tiere lieben nicht anders.

Und vielleicht ließe sich doch eine Möglichkeit finden, ihn zum Geliebten zit haben, ohne daß jemand etwas ahnte. Es hieße nur, schlau sein. Man würde sie darum auch nicht gleich verdammen, bloß weil sie sich noch als Mädchen ein wenig amüsieren wollte. Späterhin wäre für dergleichen keine Zeit. Mit den Jahren verliert man den Geschmack an der Liebe. Oder man heiratet, ohne je die Freuden eines kleinen Aben­teuers erlebt zu haben. Und ist die Liebe dem Menschen nicht von der Natur mit auf die Welt gegeben?

Zu der Lauheit dieser Auffassung kam noch die auf allen Dingen lastende Schwüle. Das sonnendampfende, tiefblaue Firmament hauchte einen vernichtenden Atem aus. Das Brummen der Fliegen schläferte ihre Gedanken ein, und wie aus weiten Fernen vernahm sie das Schnauben der Kühe und das Scharren der Pferde in den Ställen. In den Scheunen fab fie im Stroh die langgestreckten Gestalten der Schläfer, von deren halbgeöffnetem Munde ein deutlich hörbares Schnarchen drang. Im Taubenschlag gurrten die Täubchen. und bisweilen gaderte ein Huhn in die schläfrige Stille des Hauses.

Mitten im Hof lag ein Düngerhaufen in Form eines braunen, viereckigen Blockes, einer undurchdringlichen Mauer. Dort, wo die Exkremente schon in Bersetzung übergingen, hatten sich fleine Hügel und Einbuchtungen gebildet, die an manchen Stellen zu schmelzen begannen. Tiefer unten lag ein fauliger, schwärzlicher Brei von älteren, übelriechenden De­jekten. Darüber häufte sich die frischere Streu, und auf dieser Strohes. Und mitten in all dieser Verwesung regte sich's von drängendem, gärendem Leben. Aus den Tiefen ivallte es seltsam auf, kribbelte und quirlte es von larvigen Lebewesen. Myriaden Embryonen frochen aus; unfaßbare Geräusche bro­delten in seinen finsteren Tiefen; und unter dem äußeren Scheine des Todes pulfte ein neues Leben. Wie für den Garten und fürs Feld, war auch für den Düngerhaufen die Stunde der Liebe gekommen. Die Sonne sandte ihren Strah­lenbrand inmitten all dieses Gequirls. Wie Edweiß rieselte es aus den fettigen, dampfenden, wuchtigen Massen hervor, und heiße Dämpfe stiegen stoßweise empor. Und ein wahrhaft pestilenzialischer Gestant wie Sumpf- und Stallgeruch ent­strömte dem Brei, als wären alle Berivesungsdüfte der Erde bemüht, einander den Vorrang abzulaufen. Auf den Kuh­

Der Pachthof ruhte in tiefstem Frieden: im Hof und auf den Gängen schien alles Leben erstorben. Das in den Scheunen aufgespeicherte Stroh entsendete wahre Backofen- züngelten die rötlich goldenen Halme des noch tropfuaffen gluten. Als auf der Schwelle des Stalles ein Bündel Grün­futter ausgestreut ward, entströmten den fühlen Gräsern tveißliche Dämpfe. Germaine schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Wollüstig fühlte sie auf ihrer Haut die ange­nehme Kühle des Klees. Lässig wühlten ihre Hände in feinen faftigen, dunkelgrünen Blättern. Ihre Taille war leicht ge­öffnet, und eine linde Brise strich liebfosend über ihre Haut. Da mußte sie an Cachaprès' leise Berührung denken, mit der er sie gestern scherzend zwischen Manschette und Handschuh ge­fißelt hatte. Und nun dachte sie wieder an ienen brutalen Kuß, den er ihr auf die Lippen gedrückt.

Eigentlich war sie doch recht föricht, sich so zu zieren. Hatten nicht auch andere Frauen ihres Bekanntenkreises Ber­hältnisse gehabt? Sie war doch nicht mehr so jung; da sich