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Fertigen Bildes hängt erheblich von Vorgängen ab, auf die der Künstler selbst dann keinen Einfluß gehabt hätte, wenn er den Stein für jede einzelne Farbe selber bearbeitet haben würde. ( Was er wohl in nur seltenen Fällen tun wird.) Wie dem aber auch fei; das eine ist gewiß: um die Wirkung solch einer bunten Steinzeichnung zu erkennen, muß der Künstler zuvor das fertige Bilo in Aquarell- oder Delfarben hergestellt haben. Es bleibt also in der Tat eine gewisse Kluft zwischen dem ersten künstlerischen Erlebnis und seiner Niederschrift und zwischen dem fertiggestellten, burch die Maschine gegangenen Blatt. Es kann dies MaschinenBild den Eigentümlichkeiten einer Reproduktion niemals böllig entgeben, Ganz anders verhält es sich mit solch einer schwarz- weißen Graphit. Sie wurde von dem Künstler direkt auf den Stein gezeichnet. Nicht ein Atom von den Absichten des Künstlers ging berloren; er brauchte weit weniger auf technische Hemmungen Südsicht zu nehmen, er konnte restlos das gestalten, wozu es ihn trieb. Und ganz gewiß hat keine fremde, wenn auch noch so tüchtige Hand sich zwischen des Künstlers Steinzeichnung und den papiernen Abzug eingeschaltet. Wohl kann durch die Art, wie das Papier über den Stein gezogen wird, auch durch die Struktur bes Bapiers eine gewisse Veränderung des letzten endgültigen Ergebnisses herbeigeführt werden; doch sind solche Nuancen zu gering, am irgendetwas an der Tatsache zu ändern, daß jeder dieser Abzüge unverkennbar die Handschrift des Künstlers zeigt. Die fchwarz- weiße Graphik bietet uns Originale; das ist das Zweite,
twas wir an ihr zu loben haben.
Solche Graphik werden die Mitglieder der beiden Voltsbühnen fünftigbin als Wandschmuck fich in das Zimmer hängen können. Es ist gelungen, bedeutende Künstler dafür zu gewinnen, schwarz- weiße Litho= graphien in einem entsprechenden Format zu zeichnen. In der Größe von vierzig zu fünfzig Zentimetern, feft und würdig mit Braun gebeiztem Eichenholz gerahmt, kosten diese Blätter 2,85 Mt. Das ist außerordentlich billig. Die Herren Bankiers sind gezwungen, für derartige Originallithographien hundert Mark. und mehr zu zahlen. Es wird sie schwer ärgern, daß das tunstfreudige Proletariat jich für einen schlecht gewogenen Taler jebt das gleiche Teisten tann. Dies Ergebnis ist die Folge einer Abkehr von der bisher üblichen Unfitte, die lithographischen Steine nach wenigen Abzügen zu zerstören, um so den Preis für die nunmehr seltenen Blätter fünstlich in die Höhe zu treiben. Den Vorständen der beiden Bühnen ist es gemeinsam mit dem Kunstverlag Baul Cassirer gelungen, eine Revolutionierung dieser bisHerigen kapitalistischen Händler- und Sammlergewöhnung durchzusehen.
Als crites Blatt ist von Käthe Kollwib Der 18. März" bereits erschienen. Es werden Blätter von Max Liebermann , Slevogt , Barlach und Beckmann noch während dieses Winters folgen.
Das Blatt der Kollwik zeigt uns eine dichtgedrängte Menge, die an den Gräbern der Märzgefallenen vorbeizieht. Männer und Frauen, Schicksalbeladene, stehen als eine lebendige Mauer; zu thren Füßen liegen in stummer Klage die Kränze, deren rote Schleifen wie ein Auftauchen der Sonne sind. Dies Not ändert nicht das geringste an dem Schwarz- weiß- Charakter der Lithographie; es ist fein Verfuch, ein Delbild vorzuzaubern, es ist nur ein Ausdrucksflang innerhalb der start komprimierten Zeichnung. Alle Vorzüge der schwarz- weißen Graphik eignen diesem Blatt ber Stollwig: die Heftigkeit der ersten Empfindung, die Innigkeit bes seelischen Erlebnisses und die Monumentalität in der knappen Gestaltung.
Robert Breuer.
Kleines feuilleton.
Kunstgeschichtliches.
mein Herr Christoffel von Hattstatt im März auf den ersten Tag. Darob ich sonderlich erschraf. Es war zu sehen grausam genug: Bier Ohren und acht Füß sie trug, ein Kopf, darin zwei Rachen stehn, aus einem Hals zwei Zungen gehn. Dies Sau vereint war oben so als eine allein, doch unten zwo. Dann nach dem Herzen teilt sie sich, das Hinterteil zwei Säuen glich."
Das Tier, das freilich nur noch eine Nacht lebte, wurde von
dem Zeichner des Holzschnittes auf dem Flugblatt nach dem Leben abgebildet. Dahinter erscheint das Schloß von Landser, dessen Topographie, wie sich noch aus der Lage des heutigen Dorfes Landser im Kreise Mülhausen feststellen läßt, gut beobachtet war. Auf Dürers Kupferstich ist die Burg unzweifelhaft nach dieser Vorlage, wenn auch in einer viel meisterlicheren Form, dargestellt. Die Wunderiau aber hat eine so veränderte Stellung, daß man annehmen möchte, Dürer habe nicht nur nach dem Fluoblatt gearbeitet, sondern noch eine andere Beichnung des Doppelschweines aus Basel nach Nürnberg geschickt erbalten. Dies kann nur durch Sebastian Brant geschehen sein, von deſſen Beziehungen zu Dürer in jüngster Zeit einiges bekannt geBeweis dafür, daß die beiden größten Vertreter der Dichtung und worden ist. Der Kupferstich der Wundersan wäre also ein neuer bildenden Kunst ihrer Epoche miteinander in Verbindung standen.
Lebensblätter.
Robespierre als Rechtsanwalt. Soeben ist der erste Band der kritischen Ausgabe von Robespierres Werken, die nach Dokumenten aus den Archiven von Calais gearbeitet sind, erschienen. Dieser Band umfaßt die juristischen Arbeiten Robespierres. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die Rechtsanwaltstätigkeit des großen Revolutionärs gelenkt. Der Rechtsanwalt Maria Maximilian Ifidor von Robespierre hat sich der Ausarbeitung seiner Prozesse mit einent Feuereifer und einem ganz hervorragenden Pflichtgefühl gewidmet. Der erste Prozeß, den er vor den Schranken des Gerichts verfochten hat, enthüllte fofort die ungeheure rhetorische Begabung des jungen Advokaten. Er hatte einen Kollegen wegen eines sonderbaren Vergehens zu verteidigen. Vissery de Bois- Valé, wie dieser hieß, war im Jahre 1780 angeflagt worden, weil er es gewagt hatte, auf dem Dache seines Hauses einen Blizableiter aufzustellen. Die Nachbarn saben sich durch dieses gefährliche Instrument bedroht und ver langten die Entfernung des Blizableiters innerhalb 24 Stunden. Bois- Való weigerte sich und so wurde das Gericht angerufen, vor dem Robespierre als Verteidiger erschien. Anstatt sich auf die Ausführung zu beschränken, daß der Blizableiter feine Gefahr für die Nachbarn habe, öffnete der zukünftige Volfstribun alle Schleusen seiner Beredsamkeit und begann mit einem Dithyrambus über die Philosophie und die Wissenschaft Franklins:„ Ein Mann ist in unseren Zeiten erschienen und hat es gewagt, die Menschen gegen das Feuer des Himmels in Schutz zu nehmen. Er hat zum Blizz gesagt:" So mußt du geben; du mußt dich von den friedfertigen Wohnungen der Bürger entfernen; diefer Draht wird dich unter die Grde leiten, wo du, ohne weiteren Schaden anzurichten, rumoren fannst." Deshalb sei es also zu verwundern, daß Bois- Való, ein begeisterter Berehrer von Franklin, deffen Erfindung auf dem Dache seines Hauses angebracht habe. Auch andere bedeutende Menschen jener Zeit hätten sich begeistert für den Blizableiter ausgesprochen. Sogar das Beispiel von Königen rief der Redner an: Katharina von Rußland , die unsterbliche Semiramis des Nordens", Maria Theresia und Josef II. , der Schmud eines Herrscherthrones". Robespierres Beredsamkeit trug den Sieg davon. Der Blizableiter Bois- Valés wurde wieder in seine Dachrechte eingefegt.
Völkerkunde.
Albrecht Dürer und die Wundersau. Auf einem frühen Stupferstiche Dürers ist„ Die Mißgeburt eines Schweines" bargestellt, und man hatte bisher für dieses interessante Dokument des univerfalen Interesses, das der große Meister für alle Dinge der Die Giftfestigkeit der Australier. Es wird hervorNatur besaß, eine Stelle aus einer handschriftlichen Nürnberger gehoben, daß in Australien trotz der großen Häufigkeit von GiftChronit angeführt, in der es heißt: m 1496. Jahr ward ein schlangen faum 10 Menschen im Jahre durch Bisse zugrunde svunderlich Sau im Dorfe Landser geboren mit ein Haupt, vier gehen, während in Indien jährlich 20 000 dadurch ums Leben Dhren, zwei Leib, acht Füß, auf den 6 stund sie, mit den andern kommen. Als eine Erklärung dafür wird hauptsächlich der große atvei war fie umfangen um den Leib und hatte zwei Zungen." In Mut der Australier angeführt. Es ist für einen Jungen in Australien . ein neues interessantes geschichtliches Licht rückt nun diesen angeblich kein ungewöhnliches Erlebnis, daß er die Hand, die er in Dürerschen Stich E. Major in einem Auffazze der Monatshefte für Kunstwissenschaft, indem er den Zusammenhang zwischen der Arbeit des Nürnberger Meisters und einem Baseler Holzschnitt nach weist, der ein hei Bergmann von Olpe 1496 gedrucktes Flugblatt bon Sebastian Brant ziert. Das Flugblatt, das bald nach der Geburt des Schweines, die am 1. März 1496 erfolgte, heraus gegeben worden ist, beruht auf eigener Betrachtung des Wundertieres durch Brant , dem der österreichische Amtmann der Burg Landser im Sundgau Christoph von Hattstatt die Sau zugeschickt hatte. Der Dichter des Narrenschiffes erzählt davon in den deutschen Versen bes Flugblattes, von denen wir einige etwas modernisiert wieder geben:
,, Dies gibt dies Sau anzeigen mir, das wahrlich ist ein Wundertier,
so mir aus Landser gesendet hat
der Suche nach einem Kaninchen in ein Erdloch gesteckt hat, mit einer daran hängenden Giftschlange wieder herauszieht. Er greift aber fofort zu heldenhaften Maßregeln, um sein Leben zu retten, indem er gewöhnlich das fleine Beil, das er bei der Kaninchenjagd immer mit sich führt, dazu benußt, den gebissenen Finger sofort abzuhauen, oder er bittet einen seiner Gefährten um diesen Liebesdienst. Geht das aus irgend einem Grunde nicht an, so schneidet er mit einem Messer so tief in den Finger, daß der reichliche Blutfluß das Gift mit fortnimmt und bindet sich dann ein Tuch dicht um den Finger und den ganzen Arm, um die Verbreitung des etwa zurückgebliebenen Gifts in den Störper zu verhindern. Damit handelt er nur nach den Vorschriften, die von der Regierung des Staates Viktoria für solche Fälle erlassen und in jeder Staatsschule und auf jeder Eisenbahnstation durch Aushang bekannt gemacht worden sind.
Berantw. Rebatteur: Alfred Wielepp, Neukölln, Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.
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