Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 158.
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Freitag, den 15. August.
Bremst, soviel ihr wollt!
Weit mehr als von uns hängt der Gang der Entwick lung von dem Verhalten unserer Feinde ab. Deren Tun und Lassen schreibt uns unsere Taktik vor; diese allein haben es in der Hand, ob die Dinge sich friedlich, sozusagen naturgemäß entwickeln, oder ob Katastrophen eintreten. Wer glaubt, den Massen ihre Staatsbürger- und Menschenrechte verweigern oder zu können, der irrt sich gewaltig. Ach, bremst soviel ihr wollt, die weg.
Єin Mann.
Ihr Lächeln verfolgte Germaine mit kriecherischer Unterwürfigkeit, nahezu ebenso flehend wie ihre monotone, langsam schleppende Stimme. Germaine 30g eine Silbermünze aus der Tasche; auch Cachaprès' Hand glitt in die Westentasche und holte ein paar Münzen hervor, die er auf den Tisch warf: Da, Alte, etwas für Schnaps."
Nun überhäufte sie sie mit ihren Danksagungen und wünschte ihrer Liebe ewige Dauer; dann faltete sie die Hände und murmelte ein Gebet, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen gen Himmel gerichtet. Bald bewegten sich ihre Lippen ohne einen Laut, bald schien sie aus den Tiefen ihrer Brust inbrünstige Worte hervorzuholen; zum Schlusse machte sie das Zeichen des Kreuzes.
Dies getan, deutete sie zwinkernd auf ihr Bett, Zimmer und die Stühle.
das Wenn ihr kommt, werd' ich die Türe hinter mir schließen. Ich gehe dann in den Wald."
Eine Nöte flammte auf Germainens Wangen . Hochmütig richtete sie sich auf und sagte zurechtweisend:
Cougnole!"
Für Cachaprès hingegen hatte die Aussicht, mit ihr in dieser einsamen Hütte zusammenzutreffen, wo niemand sie suchen würde, etwas ungemein Lockendes. Da aber Germainens hochmütige Abwehr seine Gedanken durchquerte, erlaubte er sich bloß ein innerliches, schlimmes Lächeln.
Sie hatte sich zur Türe gewandt. Er folgte ihr. Die Frau stand noch immer auf der Schwelle und fandte ihnen ihre Segensprüche nach. Ein paar Momente schritten sie stumm nebeneinander, dann blieb er stehen. Germaine!"
„ Was?"
Sie hatte sich nicht umgewandt. ,, Schau' mich an!"
Diesmal wandte sie sich um und sah ihn kopfschüttelnd und lächelnd nach der Hütte der Alten zurückdeuten. ,, Das ist eine geriebene Person!"
Sie blinzelte eigentümlich mit den Augen und begann in Erinnerung an das seltsame Gebaren der Alten nervös zu lachen.
Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie sachte ins Didicht hinein. Sie lachte noch immer und rief ein um das andere Mal:
,, Diese Cougnole! Nein, diese Cougnole!" Nachdem ihre Nerven wieder ein wenia ruhiger geworden, überlegte sie, daß die Alte vielleicht lediglich einer gutmütigen Eingebung gehorcht habe. Bei diesen alten Leuten fennt man sich gar schwer aus! Die haben oft so wunderliche Ideen!
Und sie kam wieder auf jene Zeiten zu sprechen, da ihre Mutter noch lebte und die Cougnole in den Bachthof fam. Diese wurde immer gerufen, wenn eine Rub kalben sollte. Dank der Erfahrung, die sie sich bei der Pflege der Tiere erworben, brachte sie es allmählich so weit, auch die Menschen als Krankenwärterin zu pflegen. Also zurückgeleitet auf den
1913
Pfad der Vergangenheit, sah sie sich selbst wieder als kleines Mädchen im einsamen Försterhause, wo sie von kalten Schatten umgeben, herangewachsen war; nie war sie bolkommen glücklich gewesen. Es fehlte ihr so mancherlei: fie hätte jung heiraten sollen. Und sie nannte mehrere Namen von Bewerbern, die sie abgelehnt hatte. Man ist so dumm!"
Er war sichtlich ergriffen, und er fragte treuherzig, sie in einer plötzlichen, gerührten Wallung an sich preffend: it's wahr? Du bist nicht glücklich?"
Sie schlug die Augen auf: lächelnd sahen fie fich an, und dann umarmte er sie. Sie ließ ihn ruhig gewähren.
Der Pfad wand sich durch eine Wirrnis von grünem Rantengebüsch. Manches Mal mußte er die Zweige mit den Händen auseinanderteilen, um ihr das Vorwärtsdringen zu erleichtern, und kaum er sie losgelassen, schlossen sie sich wieder mit einem seidigen Rascheln. In Germainens Haaren blieben dürre Reisigzweiglein hängen. Dann und wann langten spike Dornenfinger nach ihrem Rocke. Und vom Dufte der moosigen Erde umweht, von grünlichen Lichtern umspielt, drangen sie langsam vor. Durch die Lücken der Baumkronen lugte der tiefblaue Himmel.
ihre Gedanken und Glieder heranschleichen wie am gestrigen Germaine fühlte auch heute die selfame Erschlaffung an Nachmittage, da sie mit Célina zur Kirmes gewandert war. Die bublerische Bärtlichkeit der Natur ward an ihr zur Verräterin. Doch namentlich war's das große Schweigen im Walde, das so mächtig auf ihre Sinne wirkte: wie eine Aufforderung zu schlafen, lag es darin, sich hinzugeben, eins zu werden mit dem Leben von Baum und Strauch. Zum ersten male erschloß sich ihr die Größe der Natur und des lieben Gottes Güte. Und aus tiefster Brust entrang sich ihr der Ausruf:
Ach, wie herrlich das Leben ist!"
Der Pfad verbreiterte sich gegen sein Ende.
Eine mächtige Lichtwelle nahm sie auf, die Sonne einer Schonung, die sie nun Hand in Hand betraten. Junge funkelte auf ihren gebräunten Wangen. Der Pfad führte zu Schatten wiegten sich auf den hellen Gräsern. Birken und Buchen ragten hier auf, und ihre schwankenden
Sie ließen sich unter einer Buche nieder. Er warf sich neben sie, den Kopf auf die Hände gestüßt, und sah sie unberwandt an. Sie fuhr ihm mit der Hand durch die Haare: ,, Deine Haare sind wie Seide!"
Meine Haut auch." erwiderte er.
Er entblößte den Arm und nötigte sie, mit ihren Fingern über seine feine Haut zu streichen. Dann schob er den Aermel noch höher, um ihr das Spiel seiner mächtigen, kugelrunden Muskeln zu zeigen. Hierauf begann er wieder, fich mit seiner Stärke zu brüsten. Neben ihnen lag ein entwurzelter Baum, daran noch die Erde hing; den brachte er mit einem einzigen Ruck ins Rollen. Um ihr einen Beweis seiner Geschmeidigfeit zu geben, kletterte er gewandt wie ein Eichhörnchen auf einen Baum. Dann führte er ihr einen Faustkampf vor und zeigte ihr seine Finten, um zehn Gegner auf einmal niederzuzwingen. Und mit den Füßen auf den Boden stampfend, mit Kopf und Händen in der Luft herumschlagend, entfaltete er voll Stolz die ganze Pracht seines fraftstrogenden Körpers vor ihr. Die Sonne verklärte sein wunderliches Gebaren mit ihrem Strahlenkranz.
Hingerissen bewunderte sie ihn. Der Anblick seiner allmächtigen Kraft hatte sie neuerdings überwältigt. Und sie erkannte, daß dies der Mann fei, dessen sie bedurfte.
Da sah nun der Wald auf eine toilde Szene. Er fam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, ganz furchtbar anzuschauen. In seinen Augen schwamm ein Glanz, seine Nüstern, seine Rippen verzerrten sich in wilder Ekstase. Sie fühlte mehr sein Nahen, als daß sie es sab, und halbaufgerichtet auf ihrem Size schrie sie auf. Schon aber hatte er sie mit seinen Armen umschlungen.
Ueber ihnen flüsterte der Wald in leisen, gedämpften
Tönen.
17.
Qualvoll ward für Germaine der nächste Tag. Nachdem die Lust verrauscht, betrachtete sie sich mit dem Grauen eines