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noch mehr als alle audere Schmach. Und zu dieſer Gemütsverfassung gesellte sich noch die fürchterliche Bangigkeit vor dem kommenden Morgen, die Ungewißheit, wie sie sich ihrem Vater und ihren Brüdern gegenüber verhalten solle.
Sie hörte einen nach dem anderen aufstehen. Nun mußte sie wohl ebenfalls hinuntergehen und in der Küche den Kaffee fochen, was seit jeher ihr Amt war. Baghaft, zitternd fam sie hinab und wagte kaum die Augen vom Boden zu heben: aber plötzlich wandelte sich ihre Angst in helle Freude. Sie ahnten nichts; man hatte sie in ihrem Bette schlafend geglaubt und dann die Tore geschlossen.
19.
Bei der Cougnole trafen sie sich jetzt des öfteren. Mitten im Tage überkam Germaine zuweilen der Wunsch, ihn wiederzusehen. Dann erfann sie einen Vorwand, um sich in die Hütte der Alten zu stehlen, in deren nächster Nähe er sich stets aufhielt. Sein Leben verlief nun sehr eintönig; ganze Tage lang verbrachte er untätia im Walde, bald sich ins weiche Moos werfend, bald mit großen Schritten planlos vor sich hin wandernd. Bisweilen tötete er die langen Stunden, indem er für die Cougnole Holz spaltete, oder abgestorbene Bäume mit der Wurzel ausriß. Es war mehr als ein Monat verflossen, seitdem er zuletzt gewildert hatte. Im Gehölz hatten sie ihre bestimmten Pfade. Wie oft geschah's, daß sie ihn unter einer Buche, der Länge nach auf den kühlenden Gräsern ausgestreckt, schlafend fand. Dann rief sie halblaut seinen Namen, und verzückt schlug er die Augen auf. Eben hatte er noch von ihr geträumt, und nun berfüßte sie sein Erwachen mit ihrer Anwesenheit. Wie trunfen und liebender Dankbarkeit voll streckten feine zärtlichen Hände sich ihr entgegen; und ein gutes Weilchen berauschten sie sich an ihren Liebkosungen.
Ein andermal wieder stürzte er ihr entgegen, faum ihm das Rascheln des Laubes ihr Nahen verkündete: und sie sah schon von weitem seine Gestalt zwischen den Stämmen auftauchen. Einander um die Mitte fassend, verschwanden sie dann in zärtlicher Unischlingung in den schattigen Büschen. Die Liebe war ihnen wie ein Rausch zu Kopfe gestiegen, und schweigend lauschten sie dem brausenden Lebensstrome in ihrem Inneren.
Traf Germaine ihn nicht unterwegs, so erwartete sie ihn bei der Cougnole. Es dauerte nie lange, bis er fam, und solange sie nur konnten, verweilten sie in der Verschwiegenheit der Hütte, wo nichts ihre Einsamkeit störte. Frau Cougnole hatte verschiedene Mittel, um ihre Heimkehr anzukündigen; mit derlei Dingen vertraut, hustete sie, murmelte halblaut vor sich hin, schlürfte mit ihren Holzschuhen über die Schwelle oder pochte an die Türe. Ihre friecherische Bereitwilligkeit wuchs, je unentbehrlicher sie ihnen wurde.
( Fortseßung folgt.)
Ein fangtag.
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Ja, es war kein Zweifel möglich. Es zog ein Nordweststurm herauf..
Sande spielten. Anders, ein fiebenjähriger Knirps, der den Namen Und ohne Zögern ging er zur Türe, vor der die Kinder im des Großvaters trug, faß auf dem Stein und buchstabierte laut in feinem neuen Lesebuch. Wollt Ihr wohl' n bißchen wegrücken, liebe Kinder!" sagte er und ging schnell zwischen ihnen durch.
Im Gang nahm er seinen Stock und steckte den Kopf durch die Stubentür.
„ Bodil Mari!" rief er.„ Kannst Dich jetzt auf den Weg zum Strand machen!"
Bodil Mari kam mit einem einjährigen Kinde auf dem Arm aus der Küche.
Sie war eine junge Frau mit starken Gliedern und der schlanken Gesichtsform der Dünenbewohner; das braune Haar war mit Wasser zurückgefämmt und glattgescheitelt. Sind sie da?" fragte sie.
"
Das weiß ich nicht", erwiderte er.„ Aber es ballt sich in Nordwest zusammen."
Und er stolperte weiter.
und" reichte das würmchen der alten Inger, die draußen in der Stiche am Herd saß.„ Es zieht sich in Nordwest zusammen!"
Du mußt das Kind nehmen, Großmutter", sagte die Frau
" Ja, Vater hat's schon den ganzen Tag in seinem Bein gespürt, das Kind, während Bodil Mari einen wollenen Schal um Kopf und daß es umschlagen würde", gab die Alte zur Antwort und nahm Schultern band und die Röcke aufschürzte, damit sie ungehindert wandern konnte.
"
Liebkosend strich sie über die Wangen des Kindes, bevor sie ging. Du fannst mitgehn, Anders, und dem Vater helfen", rief sie dem Bürschchen draußen zu. Sie holte ihn mit seinem Buch herein, nahm seine Hand und machte sich mit ihm auf den Weg. Der alte Anders war schon in die Dünen gelangt, wo der Weg aus dem Fischerdorf endigte.
Vor und hinter ihm bewegten sich Leute eilig zum Strande hin. Da vorn das mußte doch wohl der alte Kre Poulsen sein. Wie gut der heute zu Fuß war! Und Anders trabte schneller, um ihn einzuholen.
Der Sturm zog herauf.... Schwere Wolfenbänke zeigten sich über den Dünen und man merkte bereits den Druck des Windes nach dem Lande zu.
Von den Feldern her famen Frauen und Kinder schnellen Schrittes. Nur wo sie einander trafen, schlossen sie sich zu Trupps aujammen, sonst eilte ein jeder für sich vorwärts.
Auch Bodil Mari und der kleine Anders schritten tüchtig aus. Vater war auf dem Meere, und ein Unwetter kam herauf.
Auf die alten Leute achtete niemand. Waren sie nicht voraus, so mußten sie nachkommen. Auf der Signalstange war Sturm ges meldet. Die Männer waren also noch nicht vom Meere zurück. Am Strande scharten sich die Leute, den Blick nach der See hingewandt.
Die Gewitterwolken dehnten sich am Horizont von Süden nach Norden und trieben tief und Schatten werfend über dem Meere hin, das mit jeder Stunde dunkler und drohender wurde.
Wo die Wege endigten, ragten zwei Lagerschuppen auf. Dort stolperte Kre Poulsen am Rande eines Schwarms von Frauen und Kindern umber, die in gespanntem Schweigen die Flucht der Boote zum Lande hin verfolgten.
Er sagte kein Wort, achtete aber genau auf jede Bemerkung, die fiel. Den übrigen Segelbooten ein gutes Ende voran, kamen da zwei Eine Schilderung von der jütländischen Westküste Motorjollen näher und näher. Die eine schien ihm die seines Sohnes
bon Harry Söiberg. 1.
Der alte Anders stand drüben auf der Südseite des Hauses und arbeitete sich mit einer schweren Doppelsäge in furzen Stößen durch ein Stück Holzplanke hindurch. Er hatte das Schneiden von Brennholz für den eigenen Verbrauch und den der jungen Leute über
nommen.
Das und außerdem ein wenig Nezarbeit und Köderanbringen war alles, was er jetzt noch zu leisten vermochte. Aber diese Verrichtungen führte er mit der Halsstarrigen Genauigkeit eines alten Mannes aus. So lange er noch mit einer Säge hantieren und so Kresten, dem Sohne, helfen konnte, war er wenigstens noch nicht ganz hinfällig. Eine gebräunte Pfeife steckte frei awischen seinen Lippen, die sich über den zahnlosen Kiefern strafften. Die runglige Gesichtshaut glänzte von Schweiß, aber er fägte getreulich weiter, obwohl er bei jedem Zug das Reißen und die Gicht in den Schultern und den Knoten am Handgelenk spürte.
Er wendete mühsam das Plankenstück und bewegte sich hin und her, während er mit dem Zeigefinger in dem Pfeifenkopf fühlte, ob Feuer drin sei, und eifrig paffte.
Seine Augen schweiften nach Westen um das Haus herum. Er bemerkte ein paar verstreute Wolfenbüschel, die hoch oben in der klaren Luft vom Meere herangejegelt famen.
Sein gichtkranker Körper hatte ihm eine Mahnung erteilt. In der Bettwärme konnte er jeden Wetterumschlag vorher spüren.
Er ließ die Säge los und stolperte nach dem westlichen Ende des Hauses hin.
zu sein..
Bald darauf trottete der alte Anders herbei. Der Atem pfiff ihm aus den Lungen von dem beschleunigten Gange.
Suchend glitt sein Blick übers Meer. Mit stärkerer und stärkerer Kraft schlug die Brandung an den Strand und auf die innerste Sandband, während dunkle Windstreifen als Vorläufer über die Meeresfläche fegten.
Anders kniff die Brauen zusammen. Doch es war ihm unmöglich zu entscheiden, wo das Boot des Sohnes war. Die beiden Alten begrüßten einander.
" Da hast Du Niels, Kre Poulsen," bemerkte Anders und ver folgte dabei die neumodischen Fahrzeuge mit zugleich feindseligem und bewunderndem Blick. Glaub' auch, daß er's ist," erwiderte Kre Poulsen. Krestens Boot war ein Segelboot, wie noch die meisten am Drt. ch glaube, jetzt bricht es los," sagte eine der Frauen, während Mienen der Wartenden sich vor Spannung strafften.
die
"
Ein Boot nach dem anderen schoß heran. Die Segel blähten sich in dem starken Winde. Wie aufgescheuchte Mäuse eilten die Boote über das Meer hin, von dem drohenden Unwetter gejagt.
Jetzt war auch Bodil Mari mit dem kleinen Anders angelangt. Der Kleine hatte die Hand der Mutter unterm Schal gefunden. " Kannst Du ihn sehen, Großvater?" fragte Bodil Mari. " Ich denke, der am weitesten nördlich ist's." " Das ist möglich."
Kre Poulsen und einige andere gingen hinab.
Die beiden Motorjollen fuhren über die Sandbank... und standen kurz darauf auf dem Strande.