Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 162.

22]

Ein Mann.

Donnerstag, den 21. August.

Von Camille Lemonnier .

Die Cougnole war ein eigentümliches Geschöpf. Die Leute, die behaupteten, ihr verstorbener Gatte habe nicht eben alle Glückseligkeiten der Ehe genossen, mochten nicht so ganz unrecht haben. Ja, es war sogar eine häßliche Geschichte über sie im Umlauf gewesen. Nachdem ihr Mann sehr plöblich verstorben war, begann man sich gewisser Aussprüche der Alten zu er­innern. Diese hatte sich oftmals beklagt, wieviel sie die Erhaltung des Mannes fostete, der leidend und arbeitsun fähig war und wochenlang im Herdwinkel zusammengekauert nidte. Aber angesichts des grenzenlosen Schmerzes, den sie bei seinem Tode zur Schau trug, mußten alle Gerüchte ver­stummen. Zwei Tage lang war sie nicht von dem Leichnam gewichen, mit gellenden Schreien und heftigen Gebärden alle Nahrung zurückweisend. Auf der Schwelle spielte sich dann eine furchtbare Szene ab, als sie, mit gen Himmel empor­gehobenen Händen, den Sarg, der die sterblichen Neste ihres Gatten barg, an sich vorbeitragen sah: sie warf sich der ganzen Länge nach über die Bahre, begehrte durchaus, ihn wieder­zusehen und bedrohte die Träger mit ihren Fäusten. Aber in dem Maße, als das Gras auf der Grube in die Höhe wuchs, schwanden die Zeichen der Trauer bei der Frau, und auch die Gerüchte wurden eingefargt. Nur daß die Cougnole jetzt ein bißchen reichlicher speiste.

Bor Zeiten hatte sie namentlich gewisse Gewerbe sehr eifrig betrieben. Sie hielt bei den falbenden Kühen Wacht und half ihnen bei der Geburt. Und dank der großen Er­fahrung, die sie sich bei den Tieren erworben. mit allen ge­burtshilflichen Angelegenheiten wohl vertraut, brachte sie es allmählich auch dahin, den Menschen beizustehen. Auch jetzt noch beriefen sie die Weiber der Bauern zu sich. Doch da der Gendarm sie scharf im Auge hatte, arbeitete sie nur mehr ganz insgeheim, wenn die Frauen in Kindesnöten weit ab­seits wohnten.

Dann aber bekam die Behörde Wind von einer bestimm­ten Sache. Man hatte ein zwanzigjähriges Mädchen aus einem drei Meilen entfernten Dorfe im Verdacht gehabt, in anderen Umständen zu sein. Und mit einem Male hatte sie ganz unvermittelt ihre frühere Schlankheit zurückerlangt, doch nicht für lange: denn nach fünf Tagen war sie tot. Die Cougnole wurde beschuldigt, nicht ganz unbeteiligt an dieser Affäre zu sein. Doch da sich ihr nichts Positives nachweisen ließ und das Mädchen sein Geheimnis mit sich ins Grab ge­nommen, war das Gerede allmählich verstummt, wie denn auch das junge Geschöpf entschlummert war.

Immerhin konnte kein Zweifel bestehen, daß die Coug­nole nicht ganz makellos war. Dem etwas zweideutigen Ge­werbe einer weisen Frau hatte sie noch andere hinzugefügt: Zusammenbringen von Ehen und auch Vermittelungsdienste zwischen Burschen und Mädchen, ohne daß eben von Heirat die Rede wäre. Außerdem hielt sie lange Zeit hindurch einen Biegenbock, dem alle Ziegen der Umgebung zugeführt wur­den, und der ihr Häuschen beständig mit den tierischen Ge­rüchen verpestete. So lebte sie, mit den Dingen der Natur eine Art Schacher betreibend, gleichermaßen von der Geil­heit der Menschen wie der Tiere.

Eines Tages mußte der Bock verkauft werden: auch hatte sie aufgehört sich mit den Wöchnerinnen zu blagen und be­schränkte sich darauf, alle Sonnabend mit dem Bettelsack unterm Arm von Hof zu Hof zu wandern: die Ausbeute eines Tages mußte ihr für eine ganze Woche zur Nahrung dienen. Die Dörfler neckten sie wohl ein wenig mit ihrem früheren Gewerbe. Doch sie antwortete mit einem Scherz und 30g unangefochten ihres Weges.

Es war allmählich zu einem Brauch geworden, die Alte mit Almosen zu unterstüßen. Aechzend, gebeugt, mit nach schleppendem Fuß, doch stets sehr sauber gekleidet, humpelte sie mühsam an einem Krüdstock über die Chaussee. Niemand vermochte mit Bestimmtheit zu behaupten, ob sie wirklich so bettelarm sei; dennoch spendete man ihr milde Gaben. Mitten im Walde, wenn niemand mehr sie beobachten konnte, richtete

1913

sich ihre gebückte Gestalt wieder empor, ihre Beine streckten sich, und fählings verjüngt, eilte sie gewandt nach Hause.

Ihr Einverständnis mit Germaine war auf ganz zwang­lose Art zustande gekommen. Es hatte genügt, daß diese einmal mit Cachaprès vor ihrer Tür zusammengetroffen war. Es regnete ihn Strömen, Germaine war total durch­näßt, und die Alte machte ein Feuerchen an, dabei wie ge­fie plötzlich die Blicke erhob, entdeckte sie jenseits der Fenster­wöhnlich schwabend und sie nach ihm" ausfragend. Und als scheibe seine hohe Gestalt.

Komm', herein, mein Sohn!"

Kamin geschoben und hierauf, ohne ein Wörtlein zu reden, Sie hatte mit dem Fuße eine Ladung Reisig in den die Türe hinter sich geschlossen.

hatte an die Türe gepocht. Ob das arme, liebe Kindchen Erst nach ein paar Stunden war sie zurückgekehrt und endlich trocken sei? Wie gut, daß man hier, statt in dem Bekannte hatte, die man einfach vor die Türe setzen konnte, schlechten Wetter im Walde herumzulaufen, eine gute alte indem man sagte:

Schatz und ich uns füssen wollen!" ,, Geh, dumme Cougnole, troll' Dich fort, solange mein

Er hatte daraufhin die Türe geöffnet, fie jedoch nicht mehr gefunden; sie war wieder im Walde verschwunden. Als sie aber fortgingen, trat sie ganz plöblich hinter einem Baum­das erstemal, und danach folgten viele Wiederholungen. stamme hervor und bettelte um eine kleine Gabe. Dies war stamme hervor und bettelte um eine kleine Gabe. Dies war

wenn die Alte sich zurückzog; die stumme Diensteifrigkeit, wo­Anfangs empfand Germaine eine brennende Scham, mit diese vor ihrem Weggange das Zimmer herrichtete, trieb ihr die Röte bis in die Ohren. Einen Moment lang blieb fie in ihre Gedanken verloren, und in ihren Augen, ihrer Hal­tung stand Neue zu lesen, daß es so weit mit ihr gekom­men war.

Mahnungen des Gewissens zu regen. Wenn er aber dann Die Tugend ihrer Mutter schien sich in diesen heftigen tam und ihr seinen heißen Kuß auf die Lippen preßte, ge­wann das Blut ihrer anderen Ahne wieder die Oberhand in ihr und ihr ganzer Stolz zerfloß in dem Verlangen nach Liebe.

äußern. Nach und nach söhnte sie sich auch mit Frau Coug­Allmählich begann sich die Wirkung der Gewohnheit zu noles heimlichem Verschwinden aus. Nun vermochten ihr die Segenssprüche der Alten, mit denen sie sie verließ, ein Lächeln zu entloden, wie eine unerläßliche Vorbereitung zu ihrem Glück; fie fand alles schön und gut, wenn er nur da war, er mit seiner wilden Liebe und seinen brutalen Zärtlichkeiten, die sie von Kopf bis zu den Füßen erschauern ließen!

Als Lohn für ihre Gefälligkeiten erhielt die Cougnole eine Menge Geschenke. Germaine brachte ihr Kleider und Lebensmittel in Ueberfluß. Um mehr zu erhalten, log fie | daheim, erzählte, daß die Alte leidend sei und ließ sogar durchblicken, daß das Ende ihrer Leiden bald zu erwarten sei. Manchesmal nahm sie selbst ohne zu fragen; eines Tages packte sie die Hemden ihrer Mutter in einen Korb; ein ander­mal ließ sie ein paar Bettücher aus quter, feiner Leinwand hinein verschwinden, in ihrem Eifer, die Alte zu entlohnen, ihre eigenen Vorratsschränke plündernd.

Die Hütte war aber auch wirklich wie geschaffen für ge­heimnisvolle Zusammenkünfte. Nur wenig Menschen betraten die Chaussee, die sich zwischen hohen Baumreihen mit der langweiligen Dede einer alten Heerstraße schier ins Unend­liche dehnte. Sie und da erscholl langsames Pferdegetrappel, das Gepolter übers Straßenpflaster rumpelnder Räder, unter­brochen von Peitschengeknall, und lange Reihen Wagen, mit Rohle, Holz oder Heu beladen, zogen vorbei und verloren sich in den dämpfenden Fernen.

Sie waren buchstäblich ganz allein; sobald die Türe ge­schlossen, der Riegel vorgeschoben war, konnten sie glauben, von der übrigen Welt abgeschnitten zu sein. Die Stille des Waldes schien auf das fleine Gemach übergegangen zu sein, wo bloß die alte Wanduhr ttckte, deren rostiges, raffelndes Räderwert an das Quaken der Frösche im hellen Sonnm­schein gemahnte. Und mit Wonne spannen sie sich in dem Gedanken ein, auf diese Art ihr ganzes Leben zu verbringen.