Unterhaltungsblatt des'Vorwärts Nr. 164. Sonnabend, den 23. August. 1913 M] Sin JVIann* Von Camille Lemonnier . Also, was soll's dann?" Ach, ich wollte blosz sagen, daß man beim Wiederschen viel mehr Freude empfindet, wenn man sich nicht täglich trifft. Man verzehrt sich dann in Sehnsucht und Ungeduld." Er hörte ihr schweigend, kummervoll, mit wachsender Betrübnis zu. Nach einer Weile begann er endlich: In Dir steckt viel mehr von einem Manne als in mir. Ich kann von mir nur so viel sagen, daß ich, je öfter ich Dich sehe, mich desto mehr nach Dir sehne." Nun senkte sich düstere Trauer wie dumpfe Grabesstille über das Geinach. Jenseits der Mauern brauste der Wind durch die heftig geschiittelten Bäume. Dann begann er wieder: Willst Du also, daß ich für eine Weile verschwinde?" In seiner Stimme tvar ein Beben. Angstvoll forschend sah sie ihm in die Augen: sie wagte nicht zu bejahen, seiner scheinbaren Ruhe nicht trauend. Plötzlich lachte sie aber ge- zwungen:Biellecht wär's besser, Schatz I" Er neigte den Kopf. Wenn es ihm auch schmerzlich tvar, so beglückte es ihn andererseits doch, ihr einen Wunsch zu er- süllen, selbst um den Preis eines großen Opfers für ihn. Drei Tage sahen sie sich nicht. Nach Ablauf dieser Frist überkam sie plötzlich die Sehnsucht nach ihm. Da erkannte sie mit freudigem Staunen, wie innig sie ihn liebte. Sie lief zur Cougnole. Er war trotz aller Abrede die ganze Zeit im Walde auf der Lauer nach ihr gelegen: seine hageren, abgezehrten Wan- gen, seine verstörten Züge trugen deutliche Spuren des ver- gebsichen Harrens. Ich komme wieder, siehst Du's wohl?" rief sie ihm von weitem zu: eine aufrichtige Freude durchbebte ihr ganzes Wesen. Sie entdeckte an ihm ganz neue Schönheiten: die Tren- nung ließ ihn ihr verändert erscheinen, verlieh ihm etwas von einem vollständig neuartigen Menschen. Sie bewunderte ihn, verliebt wie in früheren Tagen. Er aber weinte: große, heiße Tränen liefen über seine gebräunten Wangen und tropften auf Germainens Hand her- nieder. Du darfst das nicht oft wiederholen I" Er erzählte ihr, wie tiefunglücklich er gewesen sei. Ihm seien ganz törichte Gedanken gekomnien, er habe ernstlich daran gedacht, sich im Hofe ihres Hauses unizubringen. Sie antwortete nur leichthin: Du Narrl Jetzt bin ich doch dal" Er entgegnete: Ach, Du hast ja recht! Jetzt Hab' ich Dich wieder." Sie gestand ihm, daß sie anfangs die Trennung wie ein Ausruhen noch einer mühseligen Bergbesteigung empfunden habe; dann aber war es, als ob sie in ihrem Innersten eine klaffende Lücke verspürte, als ob man ihr den Magen heraus- gerissen hätte. Sie würde ihn überall gesucht haben, wcnn's nötig gewesen wäre, selbst mitten im tiefsten Walde. Wie sehr aber liebte sie ihn jetzt dafür! Er lauschte ihr entzückt, mit dürstender Seele die Worte von ihren Lippen trinkend. Das wurden nun ein paar glückliche Tage! v 22. Eines schönen Tages erschien der Pächter H a y o t auf dem Hofe. Er besaß einen großen Meierhof zwei Meilen von Hulottes Gute und war allgemein als pfiffiger Fuchs be- kannt. Er war klein, untersetzt, die Schlauheit leuchtete ihm aus den Augen. Er stieg von seinem Wägelchen herab, zog das Pferd bis zur Einfahrt und befestigte die Zügel an einem in der Mauer eingerammten Ring. Da es regnete, hielt er ein indigoblaues Parapluie mit kupfernem Grisfe aufgespannt. Scharf hoben sich seine mächtigen, ziegelroten, wohlrasicrten Wangen mit zwei grauen an den Schläfen klebenden Locken von dem leuch- tenden Stoffe des Schirmes ab. Er betrat den Hof und schritt, den Düngerhaufen, die Wagen im Schuppen, den gan- zen Anstrich von Wohlhabenheit des Hauses mit einem ein- zigen Blicke überfliegend, bis zu den Ställen vor. Caiotte, die Stallmagd, melkte gerade die Kühe, auf einem niedrigen Schemelchen sitzend und mit beiden Händen die rosigen Euter bearbeitend, aus denen sich eine schöne, dicke Milch ergoß. Sein Kommen überhörend, verblieb sie in ihrer gebückten Stellung, ihre roten, bis über die Knie nackten Beine in dem fettigen Stallmist vergraben. Auf der Schwelle stehend, ließ Hayot seine Blicke von einer Kuh zur anderen schweifen. Plötzlich aber blieb er mit dem Regenschirme an der Türschnalle hängen. Durch dieses Geräusch aufmerksam geworden, wandte sich Caiotte um und erblickte ihn in der Türe: Ach, der Herr Hayot!" rief sie überrascht und strich sich hastig den Rock über den Beinen zurecht. Er winkte ihr grüßend zu, ohne sich in seiner Betrachtung stören zu lassen. Aus dem dunstigen Dämmerdunkel des Stalles ragten die massigen Gestelle der Rinder, mächtige Licht- und Schattenflächen bildend, mit den hell schimmernden Hörnern empor: braune Rücken und schwarze Rücken drängten sich, scheinbar ineinander übergehend. Mächtig geblähte Riesenleiber kauerten, auf ihren Wammen liegend, im Stroh, oder zeigten, aufrechtstehend, zwischen den wölbigen Knie- kehlen ihre rosigen Zitzen. Und der Pächter musterte mit Kennerblicken die Euter, den Glanz der Felle, die Gesundheit der glotzenden, klaren Augen. Da hast etwas, um Sonntag mit Deinem Schatz eins zu trinken," sagte er, indem er drei Sous aus der Westen- tasche nahm. Uebers ganze Gesicht grinsend, verließ das Mädchen den Dreifuß und kam heran, das Geld in Empfang zu nehmen. Dann befahl er, daß sie die liegenden Kühe zum Aufstehen nötige: sie ging von einer zur anderen und stieß sie, ihre Namen nennend, mit dem Absatz ihres Holzschuhes in die Weichen. Vor einer schwarzen Kuh blieb sie stehen und sagte, indem sie ihr den Hals tätschelte: Die da würd' ich mir aussuchen, wenn ich eine kaufen wollt'." Hayot merkte, daß seine Absicht durchschaut worden sei. Kichernd sah er die Stollmagd von der Seite her an und er- widerte: Ich glaub', Du hast ganz recht." Und er fügte zu den früheren Sous noch zwei hinzu. Schönen Dank, Herr Hayot, schönen Dank." wiederholte Caiotte, bei jedem Danke ihren grinsenden Mund noch ver- breiternd. Nachdem diese Freigebigkeit ihr tvarm ums Herz gemacht hatte, begann sie die Vorzüge der schwarzen Kuh zu rühmen und verschiedene Einzelheiten zu erzählen. Sie würde gewiß sehr bedauern, sich von ihr trennen zu müssen, allein sie wisse Wohl, daß die Kühe bei Herrn Hayot in einemguten Hause"' seien: so würde ihr die Trennung leichter fallen. Er hört« ihr nur zerstreut zu, im Geiste bereits den Preis der Kuh be- rechnend. Er trat ins Wohnhaus und klopfte mit der metallenen Spitze seines Schirmes ein paarmal auf die Fliesen des Flurs. Holla! Pächter!" Hulotte stand in Hemdärmeln über seinen Schreibtisch gebückt, dessen vordere Wand zu einem Pulte herabgelassen werden konnte. Innen, rechts und links von dem mit Pa- Pieren vollgepfropften Mittelfache, befanden sich fünf Schub- laden, die der Aufbewahrung des Geldes dienten. Mit einer mächtigen Brille auf den Augen, war Hulotte in die Rechnun- gen des letzten Monats vertieft. Der obere Teil seiner Ge- stalt verschwand fast gänzlich in den Tiefen des Schreibpults. Vor ihm lag ein offenes, mit unregelmäßigen Schriftzeichen, Tintenklecksen und schmutzigen Fingerabdrücken besätes Heft. Kleine Röllchen eingewickelter Geldmünzen bedeckten den gan- zen Tisch. Er schloß das Pult und kam auf den Gast zu: Der Herr Hayot? meiner Treu, er ist's! So bleiben Sie doch nicht zwischen der offenen Türe stehen!" Bitte, stören Sie sich nicht," erwiderte der andere.Ich kam hier vorüber. Da dacht' ich mir: du mußt doch mal sehen, wie's dem Pächter geht. Und da bin ich eben herein- gekommen, nur so im Vorbeifahren."