Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 169. Sonnabend, den 30. August. 1918 Sin JVIann. Von Camille Lemonnier . 25. Scl)on seit zwei Tagen hatte er vergebens auf sie ge- wartet. Mit ohnmächtiger Verzweiflung erkannte er, wie rasch ihre große Leidenschaft dahingeschwunden war. Von innerer Unruhe getrieben, war er unablässig zwischen dem Pachthofe und der Hütte der Cougnole hin und her gewan- dert. Und nun war sie plötzlich wie eine Vision an ihm vor- übergezogen! Seine Germaine! Der teure Leib, der sein Eigen! Da zog sie hin. fast Mund �an Mund mit einem anderen Manne! Siel Sie! Betäubt, verwirrt, war er aufgesprungen, alles um sich herum im Kreise sich drehen fühlend, kaum wissend, ob er lebe, ob diese plötzliche Erscheinung nicht teuflischer Spuk ge- Wesen, ob er hätte still bleiben oder dreinhauen sollen. Dann aber stand die Wirklichkeit mit unerbittlicher, vernichtender, niederschmetternder Klarheit vor ihm. Germaine betrog ihn mit diesem Menschen: der davonrollende Wagen barg ihre Zärtlichkeiten: vielleicht gar bebte noch ihr Leib unter den Schauern seiner Küsse! Und er, der Tölpel, der sVe Tag und Nacht erwartete! In grell aufblitzender Erinnerung sah er sich wieder mit ihr in der kleinen Hütte im Walde: die langen, glücklichen Stun- den, die sie anfangs miteinander verlebt, dann die mählich immer kürzer werdenden Zusammenkünfte, zu denen sie ge- langweilt, gähnend, verdrossen kam, während er hingegen sie eine Ewigkeit lang hätte herzen und kiissen mögen. Wut und Schmerz verzerrten seine Züge zu einer wilden Fratze. In seinem Hirn dröhnte es wie von zuckenden, wilden Hammerschlägen. Seine breiten Zähne gruben sich in die Lippen ein. daß das Blut liervorquoll. Er sprang und zappelte auf dem Wege wie ein Besessener. Das Rasseln des Wagens verlor sich, war nur mehr wie ein verworrenes Ge- rausch in den Fernen. Doch seiner Kniekehlen wunderbare Gelenkigkeit verlieh ihm die Elastizität eines der Beute nach- setzenden Raubtieres. Rote Wellen jagten durch seine Adern: sie sehen, sie durch den Straßenstaub schleifen, die Fäuste in ihre Haare eingekrallt! Auf unbeirrbarem Pfade trieb er einer Gewalttat zu, wie das Regenwasser in die Zisterne, wie alle Kreatur dem Tode entgegentreibt. Plötzlich schien der dunkle Punkt, als der das Gefährte in den Tiefen der Nacht erschienen war, stille zu halten. Aus dem abendlichen Gehölze stieg die geräuschvolle Heiterkeit glücklicher Menschen auf und verlor sich in Abschiedsgrüßen. Der Wagen war stehengeblieben: seine feinhörigen Ohren, in denen ein dumpfes Brausen war, vermeinten heiße, zart- liche Worte zu unterscheiden, wie Germaine sie einst für ihn in frohen Stunden gehabt hatte. Dann setzte sich der Wagen wieder in Bewegung und verlor sich in den Fernen der Chaussee: aber in das schwindende Rollen der Räder mengte sich jetzt der rhythmische Galopp von Pferdehufen. Das Getrappel kam näher. Alsbald tauchte aus der schwarzen Nacht eine hohe Gestalt mit einem Feuerpünktchen auf einer glühenden Zigarre. Mit einem Satz fiel Cack>avrds dem Pferd in die Zügel. Fort mit Dir," schrie Hubert Hayot, seine Reitpeitsche schwingend. Hoch auf bäumte sich das Pferd. Maul und Gebiß ge- quetscht von dem eisernen Griffe der Hand, die sich an das Gestänge klammerte. Heftig mit dem Kopfe stoßend, machte es verzweifelte Versuche, sich zu befreien, wobei es in die Rich­tung des Gebüsches zurückwich. Cachapräs folgte seinen Be- wegungen, ohne ihnen Widerstand entgegenzusetzen, seine ganze Aufmerksamkeit nur dem bleichen Antlitz zugewandt, das oberhalb seines Hauptes schwebte. Mit gestrafften Hals- muskeln, geweiteten, ans nächtliche Dunkel gewohnten Pupillen betrachtete er es mit einer schauerlichen Ruhe, wäh- rend eine schwache Erinnerung in seinem Gedächtnis aufzu- dämmern begann. Mit einem Male dröhnte auf seinem Schädel ein furcht- barer Schlag mit dem Peitschenknopfe: ein zweiter Hieb brannte in seinen Augen wie glühende Kohle, einen dritten, der ihm die Nase gespalten hätte, konnte er noch rechtzeitig parieren. Das Blut stürzte ihm aus Ohren, Mund unt» Stirn und lief ihm durch die Zähne in die Kehle. Im Steig­bügel aufgerichtet, ließ der Pächter mörderische Hiebe mit der Reitpeitsche auf ihn niedersausen. Mit einem plötzlichen Ruck seiner geschmeidigen Hüften schwang sich Cachaprds aufS Pferd und umklamnierte seinen Nacken. Hubert krallte sich in die Mähne des Hengstes ein. der röchelnd, mit zerfetzten Nüstern, sich im Kreise drehte und zu- sammenbrach. Hubert brüllte: Kanaille! Loslassen oder.. Er konnte nicht zu Ende sprechen: eine Hmw, stark ge­nug, um Felsblöcke zu erschüttern, zermalmte ihm das Kinn, während eine knurrende Stimme zischte: Halt' das Maul!" Nun hatte sich Cachaprds an seine Hüften gehängt und schüttelte ihn so wütend, wie ein Holzfäller einen Baum, den er vor dem Entwurzeln durch Stöße zu lockern sucht. Dann packte er ihn, einer Plötzlichen Eingebung gehorchend, beim Kragen und zog ihn mit seinem ganzen Körpergewichte hin- ab. Gemeinsam kollerten sie in den Staub. Von Sekunde zu Sekunde wuchs der Druck der fürchterlichen, tief ins Fleisch eindringenden Finger: und Hubert, ein Röcheln in der Kehle und den Tod vor den Augen, fühlte, wie er langsam erstickte. Da entrang sich ihm in äußerster Bedrängnis ein flehent- sicher, heiser-krächzender Laut. Durch diesen in höchster Todesnot hervorgestoßenen Schrei ein wenig zur Besinnung gebracht, lockerte Cachaprds mechanisch die Finger. Dann hob er sich langsam auf den Knien enipor. und sein wutver­zerrtes Antlitz über das zerfleischte Gesicht des am Boden Liegenden beugend, war er bemüht, die Züge des von ihm halb erdrosselten Menschen in sich aufzunehmen und seine Er- innerung zu Hilfe zu rufen. Endlich sagte er: Jetzt erkenne ich Dich. Du bist der Sohn des Pächters Hayot." Neuerlich ward es still, nur ihr pfeifender Atem keuchte durch die friedliche Nacht. Dann aber stieg plötzlich ein zischendes Acchzen aus Cachaprds' Brust wie aus einer Esse empor, und auf seinen Lippen brannte eine Frage, die er mit aller Gewalt zurückdrängte, als hinge daran sein Leben. Aber mit einem Male platzte er dennoch los: Du bist ihr Geliebter, nicht wahr?" Huberts Augen weiteten sich: er begriff nicht. Von wem?" röchelte er. Wie Eisenklötze fielen die furchtbaren Hände wieder auf seine Schultern nieder: Von den? großen, braunen Mädel." In größtem Staunen zogen sich seine Brauen hoch: er schwieg, doch begann in seinen verworrenen Gedanken eine schwache Ahnung aufzudämmern, daß Germaine der Ursache dieses Ueberfalles am Ende nicht ganz fernestche. Ungeduldig wiederholte der andere: Also sag'... aber ohne zu lügen... bist Du's oder bist Du's nicht?" Und wieder bohrten sich die Finger in die Nervenstränge seines Nackens ein. Laß' mich los," stöhnte Hubert Sag', bist Du's?" Ein schwachesNein" wurde geflüstert. So schwöre!" befahl Cachaprds. Also ja. ich schwöre." Beiin lieben Gott." ?a! Beim Leben Deines Vaters!" Beim Leben ineines Vater." Bei Deiner Mutter?" Bei meiner Mutter." Nun, wenn dem so ist, dann steh' auf!" Langsam richtete sich Hubert, zuerst auf dem einen, dann auf dem anderen Knie emp-?r, an allen Gliedern wie zer- schlagen, das Genick wie zerbrochen: seine Bewegrmgen ver- rieten eine Art linkischer Scham, die er hinter einer ge- heuchelten Gleichgültigkeit nur schlecht verbarg. Hätte et jetzt ein Messer, eine Heugabel oder was immer für ekne