Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 172.
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Ein Mann.
Donnerstag, den 4. September.
Ihre ganze Energie zusammenraffend, schrie sie um Hilfe. Doch der Schrei erstarb unterm Schaft seines Messers, das er ihr an die Lippen drückte. Nur mehr ein paar Finger breit war die Waffe von ihrer Kehle entfernt, die leiseste Regung seiner Hand genügte, sie zu vernichten. Sie machte eine verzweifelte Gebärde- als ihre Bluse aufsprang und ihre Brust, aller Hüllen bar, sich seinen Blicken darbot. Da kam ein Ausdruck unsäglicher Weichheit in das Antlitz des Mannes. Die äußerste Verführung trat an ihn heran. Er fühlte sich versucht, den Flaum unter ihren Achselhöhlen zu tüffen; seine bebenden Finger fuhren tastend hin über die holde Wärme ihres entblößten Busens; das Messer fiel ihm aus der Hand. Sie sah, daß ihrer der Sieg war, und in überquellender Freude rief sie ihm zu:
Morgen!"
Dann fanden sich ihre Lippen in einem heißen Stusse. Seinen Hals umklammernd, hängte sie sich mit der ganzen Schwere ihres Leibes an ihn. All ihre Vorsäße, ihre Pläne waren in nichts zerstoben in diesem schauerlichen Augenblicke der Liebe, der dem Tode so eng benachbart gewesen. In dem triumphierenden Stolze ihrer sieghaften Schönheit hatte sie all ihre Absichten vergessen. Und nachdem sie die grauenvolle Sensation erlebt, von der Spiße seines Messers gestreift worden und diesem glücklich entronnen zu sein, brach in ihr jäh die Leidenschaft hervor: sie beugte sich der Herrschaft seiner Gewalt, als dem Einzigen, das über sie Macht haben
konnte.
Er aber, besiegt, erbebte vom Kopfe bis zu den Füßen, und vor seinen Augen balfte sich Gewölk. Flehentliche Bitten um Vergebung, stammelte er, in ihren feuchten Blicken seine blutigen Mordgelüfte verlöschend. Konnte sie überhaupt noch jemand anderen lieben, als ihn? War es denkbar, daß sie für einen anderen noch solche Liebkosungen übrig hatte? Und sie betörte ihn vollends mit ihrer flüsternden
Stimme:
" Du bist mein Einziger, mein liebster Schatz. Ich kenn' niemand andern als Dich."
Er lag ihr zu Füßen, mit seinen Händen, die sich bis zu ihren Schultern emportasteten, sie krampfhaft umklammernd. Auf seinem verzerrten Gesicht mit den geblähten Nüstern malte sich eine grausame Wollust; mit den Augen trank er das Lächeln ein von Germainens Lippen.
Die Cougnole hatte sie, wie immer, allein gelassen. In dem Schweigen der Außenwelt hörten sie die Schläge ihrer Art, mit der sie Holz kleinschlug, und wie zu ihren besten Beiten berauschten sie sich an dem Heimlichen ihrer Waldeinsamkeit.
Zwischen ihre Küsse schlug die Wanduhr die Stunde. Eben begann eine leise Ermüdung über Germaine zu tommen; und mit Wiederkehr ihrer Besinnung bedauerte sie bereits, daß sie sich so weit hatte hinreißen lassen. Er gewahrte den falten Ausdruck in ihren Blicken.
Machst Du Dir schon wieder böse Gedanken?" fragte er mit sanfter Trauer.
Ich muß an den jungen Hayot denken, den Du verprügelt hast. Erzähl' mir, wie das gekommen ist, mein Schatz."
Getreu den ganzen Hergang schildernd, beschrieb er die Bewegungen des bäumenden Pferdes, des stürzenden Mannes, dessen schurkische Miene, als dieser sich erhob, in übersprudelnder Heiterkeit die Gebärden auf die drolligste Weise übertreibend. Sie streichelte ihn.
So gefällst Du mir, mit diesen bösen Augen." Der Kampf hatte so sehr ihr Interesse gefangen genommen, daß sie alles andere vergaß, was nicht die beiden ringenden Männer, deren einer um Gnade gefleht hatte, betraf.
Der Stundenschlag der Uhr ließ sie wieder an ernstere Dinge denken. Weiß Gott , was aus diesem Zweikampf noch werden würde! Und wieder packte sie die Angst.
,, Ach, was liegt daran?" versuchte sie sich dann selbst wieder zu beruhigen. Sie war doch recht töricht, sich derartige Sorgen zu machen, ohne zu wissen, warum.
1918
Die Raserei der zwei Liebesstunden hatte sie in einen leichten Rausch versetzt. Ein wonniger Schmerz war in ihr, wie sie ihn nie zuvor gekannt, und der sie, gebrochen und entzückt, mit einer süßen Befriedigung erfüllte. Sie zauderte und vermochte sich nicht zur Trennung zu entschließen. Eine unbegreifliche Bangigkeit hielt sie bei ihm zurück. Immer wieder bot sie ihm ihre Wange: ,, Küsse mich," sagte sie. Nochmals, noch, immer zu!" Endlich trennten sie sich doch.
bei
Als sie allein war, schalt sie sich selbst.
" Diesmal ist's Schluß, endgültig Schluß," dachte sie sich.
Sie kam nach Hause.
28.
schränkt, wanderte ihr Vater in der Küche auf und ab, ohne Mit großen Schritten, die Arme auf dem Rücken verihren Gruß zu erwidern. Dann und wann blieb er einen Moment stehen, sah sie an, öffnete den Mund und setzte dann feine Wanderung wieder fort, das, was er sagen wollte, hinunterwürgend. ,, Er weiß alles," sagte sie sich.
Da rief er ihr nach: Von plöblicher Bangnis erfaßt, wandte sie sich zur Türe. rief er ihr nach:
Da
,, Germaine!"
senkten Wimpern und der Hand auf der Klinke, ohne zu Sie blieb wie festgewurzelt stehen und wartete mit geebenfalls beklommen, nach Worten ringend, und nahm dann wagen, ihm ins Gesicht zu blicken. Er trat nun auf sie zu, wieder seine unterbrochene Wanderung auf. Endlich sprach er gepreßt, mit einiger Anstrengung:
,, Sag', Germaine, nicht wahr, das alles ist erlogen?" Er hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt und fuhr etwas ruhiger fort:
Nicht wahr, die Leute lügen, und unsere Germaine ist noch immer unser braves Kind, unser sittsames, rechtschaffenes
Mädchen?"
Schluchzen stieg ihr in der Kehle empor. Und er, er betrach Sie fühlte sich versucht, sich ihm in die Arme zu werfen. tete sie milde, ia fast gerührt und sehnte sich nach einer Erklärung, einem Protest, einem Beweis.
Diese Güte lähmte sie: vor einem Zornausbruch hätte sie mehr Mut gefunden; unschlüssig, was sie sagen sollte, eine Lüge nicht wagend, blieb sie mit zuckenden Lidern stehen und brachte nur eine ausweichende, leise Entgegnung hervor, statt jenes spontanen Aufschreies der Empörung, den er erhofft.
Ueber dem Gehöfte lag die Stille des Nachmittages, die fie von allem Leben der Außenwelt abzuschneiden schien und auf ihnen mit bleischwerem Drucke lastete. Starr, beklommen, mit verhaltenem Atem sah er auf sie, immer noch hoffend, daß sie jenem mit den Lippen gehauchten„ Nein" etwas hinzufügen werde. Sie aber schwieg, mit hängendem Kopfe in der Stellung einer Schuldigen verharrend. Und zu dem Wirrsal ihrer Gedanken erscholl das Ticken der Wanduhr, schnarrend, mißtönig, mit einer, sie schier zur Verzweiflung treibenden Monotonie.
Da fühlte sie sich von seiner Hand, die noch immer auf ihrer Schulter ruhte, mit einem heftigen Stoße zurückgeschleudert. Sein Mund, der eben noch mild gelächelt, verzog sich in herber Strenge. Es hatte lange gewährt, ehe der Zorn in ihm zum Ausbruch kam; nun aber packte er den gütigen, nachsichtigen Mann mit aller Gewalt.
So red', ich will alles wissen! It's wahr, daß Du so pflichtvergessen bist und dieser Mensch Dein Geliebter ist? Heb' deine Hand auf, Germaine, und sage, nein", bei der unsterblichen Seele meiner teuren Frau, Deiner seligen Mutter, die jetzt von oben auf Dich herabsieht!"
Sie machte eine Bewegung, als ob sie die Arme ausbreiten wollte; allein sie vermochte diese Gebärde nicht zu vollenden, und, aller guten Vorsäte vergessend, rief sie, in Tränen ausbrechend:
"
Das ist alles erlogen, ich kann nichts anderes sagen." " Du lügst, Du abscheuliches Mädchen, Du!" rief er. Brauchst Dich bloß in den Spiegel zu schauen, die Schande steht Dir auf der Stirn. Ich verleugne Dich; Du bist nicht von meinem Blute. Ich will nichts mehr von Dir wissen".