Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 174.
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Ein Mann.
Sonnabend, den 6. September.
Wie sollte Germaine sich einem solch harten Geschicke unterwerfen. Sollte sie wirklich untätig den Niedergang ihrer heißen Jugend erwarten? Sie dachte an andere Mädchen, die nach der Stadt gegangen waren, die einen, um dort rechtschaffen ihr Brot zu verdienen, die andern, um sich dem Laster in die Arme zu werfen. In Brüssel lebten Berwandte von ihr, in Paris war ein Better ihres Vaters Portier; und sie entsann sich der abenteuerlichen Geschichten, die ihre Mutter von dessen flotter Eristenz erzählte. Ja, fie wollte nach Paris reisen und ihren Better aufsuchen. Vielleicht hatte dieser auch Söhne vielleicht ließe sich ihr Leben, das hier vernichtet worden, dort wieder neu aufbauen. Und dann verlor sie sich in fruchtlose Träumereien, die sie inmitten einer begonnenen Arbeit schlaff und träge werden ließen.
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Die Natur rings um sie her schien ebenso ermattet wie sie selbst. Es kamen Augenblicke, da es war, als starrten die Fluren in dem Banne eines Zauberschlafes. Scharf zeichneten fich die reglosen Konturen der aufragenden Wipfel vom Himmel ab, der fähl war wie geschmolzenes Blei. Dann lastete die Sonne mit bleiernem Druck auf der Erde. Die Düngerhaufen, von Gärung schwer, brodelten im Hofe, und dies gedämpfte Schwirren war der einzige Laut, der in die Stille des Tages tönte.
Die Fluren prangten in herrlichstem Blumenflor; schon weithin leuchteten die Esparsetten mit ihren rosigen Köpfchen; gelbgolden loderten die üppigen Felder des Raps, bis sie in dem filbrigen Rand des Horizontes untertauchten. Und des Getreides goldiges Meer wogte in mächtigen, schlummertrunkenen Wellen. Die bauschige Nundung von Busch und Strauch war mit schillernden Dolden behängt, an den rasigen Ufern der Wässerlein sprühte Stegenbogengefunkel. So manchen Wiesenrain färbte der leuchtende Mohn mit seinem purpurnen Blute; Blau , Gelb und Scharlachrot durchwirkte die saftgrünen Teppiche.
Ueber den Blumen wogte ein Strom würziger Aromen; wie eine Auferstehung war's von Farben, Licht und Wohl. gerüchen. Bei jedem Hauche des säufelnden Windes quollen Stöße von Düften empor, wie Wolfen über den Fluren schwebend und sich hernieder senkend. Dicht überm Boden gaufelten große Schmetterlinge mit buntgeäugten Schwingen; volltrunkene Hummeln streiften mit ihrem taumelnden Flug die schwanken Blumenblätter. In Nestern und Bienenstöcken furrte es in frohem Freudengejubel. Im Didicht der Bäume schwirrte es von Freischendem Vogelgezwitscher; jedes Zweig Tein hatte sein Vögelein, jedes Blättchen sein Insekt; und in den Beeten, den Gärten und Heden summte es und sang es aus tausend schmetternden Rehlen.
1913
Weiden , halbfaulende Obstbäume, Ulmen, mit Knorren und Auswüchsen über und über bedeckt, alles sproßte und grünte und trieb aufs neu'! Alte Gemäuer entfalteten unter dem frausen Lockengewirr des goldigen Weins die strahlende Pracht leuchtender Königsgewänder. In den Radspuren grünte es, die Rinnsteine schmückten sich mit wehenden Federfronen. Aus den Rizen baufälliger Giebel quoll üppiger Blumenflor. Ein zarter Flaum rosiger Blütchen lagerte sogar über den Düngerhaufen, die ebenfalls feimten und sproßten und teilnahmen am allgemeinen Hochzeitstaumel. und über alledem sprühte der Sonnenbrand, wogte der Wind, rieselten die Düfte und fäuselten die Blätter, wie Fächer gewiegt.
Und inmitten all dieser Aufgewühltheit der Natur wurde Germaine von trüben Erinnerungen gequält.
Was er jetzt wohl machte? Zweifellos schleppte er sich mit seinem Groll unter den hohen Buchen dahin, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, da er die Ursache ihres Fernbleibens nicht ahnte. Sie versuchte sich seinen Schmerz und seine Verzweiflung ob seiner Verlassenheit auszumalen. sa, dieser Landstreicher, der liebte sie wahrhaft, liebte sie mit einer Liebe, die nicht ihresgleichen fand. Sie hingegen war ernüchtert; ihre Gluten waren in einem gewissen Ueberdruß erstickt wie die Kerzenflamme im Wind, während der arme Wicht noch lichterloh wie ein dürrer Dornbusch brannte. Das nagte an ihr. Eine Art demütiger Dankbarkeit brachte sie ihm wieder näher. Nie würde jemand sie wieder so innig lieben, wie er! Und sie zürnte sich ob ihrer eigenen Wankelmütigkeit.
Bah! so war es doch viel besser! Mit der Zeit würde seine Leidenschaft infolge der anhaltenden Trennung erfalten. und in einem unvermittelten Uebergang von Rührung zu Gleichgültigkeit freute sie sich fast, unter Klausur zu sein. Im Laufe des Tages aber kamen ihr andere Gedanken: fannte sie doch seine Heftigkeit! Die ließ fie einen Gewaltstreich befürchten. Bei dem geringsten Geräusch von Schritten fuhr sie erschredt auf und eilte erbleichend ans Fenster. Was sollte sie ihm sagen, wenn er fäme? Dann erfaßte sie eine panische Furcht, ihr ahnten die fürchterlichsten Katastrophen. Er hatte eines Tages die Aeußerung gemacht, daß er sich nicht lange befinnen würde, ihr eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn sie ihn verließe. Auch der Messerspitze ge dachte sie, die ihre Haut gestreift, und der sie nur dank ihrer Schlauheit entkommen war.
Aber er fehrte nimmer wieder. Verwundert und be unruhigt spähte sie nach ihm im Garten, Wald und Feld. Daß Cachaprès fich tot stellte, erschien ihr weit schlimmer als alles andere.
30.
Eines schönen Sonntags verließen Warnant und Mathieu. zeitlich morgens den Pachthof. Grigol, der Knecht, begleitete Sie hatten einen bestimmten Plan.
Ungefähr eine Stunde wanderten sie selbdritt auf der Chauffee, wo Cachaprès den jungen Hayot verhauen hatte. Sie wanderten in bedächtigem Schritt, sonder alle Eile, Mathieu schweigsam wie immer, der andere leise pfeifend,
Je weiter die Tage vorrückten, je höher schwoll die Froh- fie. Just der Erde und artete mählich zu üppigen Orgien aus. Eine stroßende Fülle drängte in allen Dingen der Natur, ein Säfterausch machte die Eichen trunken. Auf den Rinden der Bäume sammelten sich dicke, harzige Tropfen, wie Eiter aus aufbrechenden Schwären, an den Aesten erschlossen sich Grigol zuweilen ein lautloses Lächeln niederzwingend, als Klaffende Wunden wie feuchte, schaumige Lippen.
Duft, Farbe, Licht, clles artete in Erzesse aus: die Stengel , die sich streckten, die Aeste, die sich dehnten, die Blumen, die sich erschlossen. Stroßend vor Wohlbehagen schwelgten die Rinder in den frischen Futterfräutern. Wald, Wiesen und Feld wurden von wilden Heßjagden zerwühlt. Aufgeregt feuchend, freischend, wie toll gatteten sich Hühner, Sperlinge, Wildtauben, Schafe und Rinder. Rauhe Schreie wilder Brunst zitterten in den Winden. Unter der Sonne, die ihre glühenden Pfeile in Mark und Adern bohrte, fam es zu einem wilden Zusammenprall der Geschlechter. Und Licht und Schatten liebten, herzten, jagten, verfolgten einand in einem Taumel unersättlicher Zärtlichkeit. Auch über die Quellen schien das zuckende Leben gekommen zu sein, das die aufgewühlte Natur branfend durchströmte; unfäglich wol listig, vor Liebe jeufzend, geheimnisvoll schluchzend, plätscherten sie murmeind dahin. Der Tod selbst, der uralte Tod mit Fäulnis und Verwesung, hatte sich verjüngt; wurmstichige
freute er sich darauf, jemandem einen Bossen zu spielen. Bei einer Wegbiegung wurden ein paar Dächer sichtbar.
Jetzt geh Du allein vorarus," sprach Warnant zum Knecht, und tu', was ich Dir sagte. In der Kirche treffen wir uns wieder, sobald die Messe beginnt."
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Sehr wohl!" entgegnete der Knecht augenzwinkernd, ich war nicht umsonst Soldat."
Er verlängerte seine Schritte und hatte sie bald weit überholt. Sie sahen ihm nach, bis er sich in den Fernen der Straße verlor. Bald langte er bei den ersten Häusern an, ging einer Hede entlang und verschwand endlich unter einem großen Torbogen. Sie segten ihren Weg in demselben gemessenen Tempo fort.
Kurz vor den Häusern bog ein Fußweg ab, der sich zwischen dichten Gebüschen hindurchzwängte. Diesen Pfad betraten sie und gelangten von da auf einen Fahrweg. Erst vereinzelt, später immer dichter zogen sich niedrige Häuser mit Schindeldächern längs der Straße dahin bis zu einem