.bei welcher die Chemie und die Medizin fich zum Heil leidender und unglücklicher Menschen vereinigt haben". Literarisches. LiterarischeLegenden. Seit den literarischen Erfolgen Maxim G o r k i s, der brlanntlich aus den niedrigsten Volkskreisen und „ach einer auf der Landstrade im größten Elend verbrachten Jugend zur Höhe emporgestiegen ist, ist selbst uuter literarisch nicht ganz un- gebildeten Leuten vielfach die Ansicht verbreitet, daß jeder russische Schriftsteller von einiger Bedeutung aus der Hefe des Volkes hervor« gegangen sei und mit Kummer und Not zu kämpfen gehabt habe, ehe er sich zu Anerkennung und zu einigem Wohlstand durchringen konnte. Solche Fabeln wurden vor kurzem wieder einmal über Leonid Andrejew , über Anton Tschechow und über Alexander Herzen verbreitet. Ihnen tritt nun sehr energisch die russische Schriftstellerin Olga Kobylinska im.Marzocco" entgegen. ES ist nicht wahr, schreibt sie, daß Andrejew in seiner Jugend unter den Aermsten der Armen auf der Erde schlafen, sich in Nachtasylen herumdrucken und hungern mußte. Andrejew hat die Rechte studiert, dann in einem Anwaltsbureau gearbeitet und seit 1838, weil er seine Mutter und seine Geschwister unterstützen mußte, für Zeitungen geschrieben; als dann im September 1301 der erste Band seiner Novellen erschien, war er mit einem Schlage berühmt und auch gut bezahlt. Schlechter als irgendeinem anderen Menschen, der sich durch Arbeit Geld verdienen muß, ist es ihm also nie ge- gangen. Auch Anton Tschechow , der von Berus Arzt war, ge« langte mit seinen Erzählungen, die in verschiedenen Tageszeitungen erschienen, rasch zu Anerkennung und Geld. Was endlich die jüngst von der„Morning Post' aufgestellte Behauptung angeht, daß Alexander Herzen , der politische Schrift« steller, halb verhungerten Zuhörern das sozialistische Evange- lium gepredigt habe, so ist das einfach Unsinn, und jeder, der die politische und wirtschaftliche Geschichte Ruß- lands zur Zeit des Zaren Nikolaus' l. kennt, weiß, daß es Unsinn ist: in jenen Tagen der Knechtschaft konnte man Hegelsche Ideen nicht öffentlich„vor halb verhungerten Zuhörern" vortragen, sondern kaum in intimsten privaten Klubs erörtern. Im übrigen habe Herzen niemals Beziehungen zu proletarischen Masten. Er war der natürliche Sohn eines sehr reichen Moskauer Edel» mannes und wurde erzogen wie die.goldene Jugend" überall er- zogen zu werden pflegt. Im Alter von 22 Jahren wurde Herzen wegen einer politischen Schmähschrift, die er im heitere» Freundeskreise vorgelesen hatte, in die Verbannung geschickt: aber selbst in der Verbannung lebte er auf Wunsch seines VaterS wie ein großer Herr mit Kammerdienern, Kutschwagen und Pferden. Er wurde denn auch von den Behörden sehr rücksichtsvoll behandelt und alß Schreiber in der Regierungskanzlei beschäftigt; hier mußte er, wie er in seinen Lebenserinnerungen sehr ergötzlich erzählt, eigenhändig die periodischen Berichte über das Be- tragen und die Deniungsart des.Gefangenen Herzen" schreiben und an den Minister des Innern befördern. Nach seiner Freilastung verließ er die Heimat, bereiste Westeuropa und von London au? er- hob er nach dem Krimkriege jene furchtbaren Anklagen gegen das zaristische Rußland , die sein Organ.Kolokol"— die Glocke— zur geschichtlichen Berühmtheit erhoben haben. Naturkunde. Eine sonderbare Fabel. Wer seinen Nächsten mit dem ausdrucksvollen Namen des.ungelcckten Bären" tituliert, wird sich wohl kaum klar darüber sein, warum er seinen schon an sich wenig schmeichelhaften Vergleich mit einem Bären noch durch das Beiwort .ungeleckl" verschönert. Und doch steckt hinter dieser sprachlichen Derbheit eine naturwissenschaftliche Fabel, die bis in die letzten Jahrzehnte hinein in der populärwissenschaftlichen Literatur spukte. Die Fabel, der in den, letzten Hefte aeS.Archivs für die Ge- schichte der Raturwistenschaften" Dr. C. Elze historisch auf den Leib rückt, erzählt, daß die Bärin ihre Jungen als formlose Fleisch- klumpen zur Welt bringt und erst durch fleißiges Belecken mit der Zunge ihnen die richtige Bärengestalt gibt. Die Urquelle der Fabel lüßt sich bestimmt nicht feststellen. Aber schon am Ende des ziveiten Jahrhunderts ist sie recht weit verbreitet. DaS Mittelalter, da« in Sachen der Raturkunde so viel haarsttäubenden Unsinn in Blüte brachte, formte auch die Erzählung von der Bärin, die ihre unförm- lichen Jungen zurechtleckt, zur höchsten Vollendung. Hier ein löst- licheS moralisches Gedicht, verfaßt um 1300: .Uns schriebent die meister, daz der ber Zeimal ein rohez Fleisch gcber: Daz lecket er init siner Zungen, Biz daz er vor im siht din jungen: Din sint von erste unmazen kleine, Swie groz ir Fleisch und ir gebeine Werdent, swenne sie sint volkumen. Swen nu siner sele wölle frumen, Der lege vür sich der sünden knolleit, Von dem sin herze was zeswollen, Und lecke in mit der bihtc zungcn Uuz daz er vor im sehe din jungen Tagende Iverc in andoht leben, __ Dem vor din genade nihi was gegeben._' Nerantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. � Druck u, Verlag: I Die Herrlichkeit wurde Mitte des IS. Jahrhunderts zerstött, wo e» gelang, eine trächtige Bärin zu erlegen und erfahrungsgemäß nachzuweisen, daß der Bärenembryo keineswegs einem Stück rohen Fleisches gleicht. Aber mit der Zähigkeit olles Aberglaubens lebte die Fabel munter fort, und sogar in de» zoologischen Schulbüchern aus dem 13. Jahrhundert wurde sie noch nacherzählt, so z. B. in Martins Illustrierter Naturgeschichte der Tiere, die l882 erschien. Es ist für die Naturgeschichte des menschlichen Geiste? ungemein charakteristisch, daß ein Druck« oder vielmehr Schreibfehler des Aristoteles der Quell war, aus dem die Fabel ihre Kraft zog. An einer Stelle der.Tierkunde" gibt der griechische Denker die Trächtigkeitsdauer bei der Bärin auf 30 Tage(anstatt auf 30 Wochen) an. Auch spricht er(was auch richtig ist) von sehr kleinen Bären- jungen, die fast ungegliedert sind. Die Phantasie seiner Nachfolger und Ausleger hat beide Angaben kombiniert und, ohne sich um Tat» sachenbeobachtung zu kümmern, daraus einen noch heute im Volks« munde lebenden.ungeleckten Bären" gemacht. Astronomisches. Wie groß ist der Durchmesser der Sonne? Der Durchmester der Sonne wurde bisher immer nach AuwerS zu 31 Minuten 53,26 Sekunden, also fast 32 Minuten angegeben, mit dem Zusatz, daß eine Abplattung der Sonne nicht zu erkennen sei, daß also der Aequatorial- und Polardurchtncsser gleich seien. Diese Ergebniste beruhen auf zahllosen langjährigen Messungen mit Heliometern. So wurde in Göttingen durch eine ganze Sonnenflcckenperiode von über 11 Jahren bei gutem Wetter täg- lich der Sonnendurchmesser in beiden Richtungen gemessen, um eine Veränderung feststellen zu können, die sich aber nicht zeigte. Nun verösfentlicht, wie die„Zlahirwissenschaftliche Wochenschrift" mitteilt, die Sternwarte in Zo-se in China die Ausmessungen photographischer Aufnahmen, aus denen erstens eine Verschieden- heit der Durchmesser hervorgeht, in dem Sinne, daß der Polar- durchmesscr der größere ist, aber so, daß der Unterschied beider Durchmester wechselt, innerhalb der Jahre 1305/1310 zwischen 0,07 und 0,31 Sekunden. Ferner ergibt der mittlere Durchmesser zu 31 Minuten 53,33 Sekunden, also erheblich anders, als der Wert von Auwers. Offenbar steckt ein systematischer Fehler in einer der beiden Reihen, vielleicht auch in beiden. Es ist nur unmöglich, anzugeben wo und in welchem Betrage. Daß die Sonncnmessungen mit dem Heliometer große systematische Fehler aufweisen, ist durch das Ergebnis der Berechnungen der Venus- expedition zur Ermittelung der Sonncnparallaxe einwandfrei nachgewiesen. Der damals errechnete Wert ist ganz unbrauchbar und nie in Anwendung gekommen, da neuere uno bessere Me- thoden stark abweichende Werte ergeben haben. Die Explosion der Welten. Ueber di- Entstehung der Weltkörper und insbesondere des Sonnensystems mit seinen Planeten und Monden ist schon so viel erdacht und gegrübelt worden, daß es schwer ist, noch eine ganz neue Vermutung mit einigermaßen guter Begründung aufzustellen. Dieses Unter- nehmcns hat sich Dr. Jnnes von der Transvaalsternwarte unter- fangen, der vor einem wissenschaftlichen Kongreß eine neue Hypo- these über die Entstehung des Sonnensystems entwickelt hat, die er als Explosionshypothese bezeichnet. Er nimmt an, daß die Materie eine fortgesetzte Zusammenziehung unter einem unbegrenzt zunehmenden Schwcrkraftsdruck auf die Dauer nicht verträgt, sondern daß schließlich eine Zeit kommen muß, in der dieser Druck den atomischcn Aufbau der Materie zerbricht und Explo- sionen verursacht. Infolge solcher Explosionen soll die Sonne die Planeten und sollen die Planeten ihre Monde ausgeschleudert haben. Bei anderen Himmelskörpern hätten ähnliche Vorgänge zur Bildung vielfacher Systeme wie der Doppelsterne oder mehr- facher Sterne geführt. Das Auftreten neuer Sterne wird durch eruptive Ausbrüche in Begleitung derartiger Explosionen erklärt. Sogar die im Weltall so überaus weit verbreitete Erscheinung der veränderlichen Sterne will Dr. Jnnes durch Explosionen in klei- nerem Maßstab und in rhythmischer Wiederholung deuten. Die Astronomie wird diesen Ausführungen wahrscheinlich wenig V:r- trauen entgegenbringen, da ihnen einige grundlegende Tatsachen wiedersprechen, nicht nur mit Rücksicht auf die veränderlichen Sterne, sondern auch auf die Sternteinpcraturen. Verkehrswesen. Untcrrichtsbah n undEisen bahnschule. Die Amerl« kaner haben eine Einrichtung geichasten, die wohl auch für Europa vor« bildlick, werden wird. Wie nämlich das Organ für die Fortschritte deS Eisenbahnwesens mitteilt, hat die Pennsylvaniabahn in ihrer Fcrnsprcch« schule in Bedford eine vollständige zweigleisige Bahn für Unterrichts- zwecke gebaut. Dazu kommen die nötigen Lokomotiven, Seiten« geleise und das sonstige Zubehör. Leiter der Schule sind Bahubeamte, Ünterrichtsgegenstände bilden das Abfertigen der Züge durch, den Telegraph oder Fernsprecher, die Unterweisung in den Pflichten eines Stationsvorstehers, aber auch die Berechnung der Frachtsätze, Ab- fastung von Berichten, Ausfüllen von vorgedruckten Fonnularcn usw. Mit der Schule ist eine Bibliothek von technischen Werken verbunden; als Unterrichtsmaterial dienen nur Formulare, wie sie im praktischen Verkehr benutzt werden. Die Lehrzeit beträgt 6 bis 8 Monate, und die Pennsylvaniabahn gewährt sofort nach dem Ende derselben den Absolventen bezahlte Stellungen mit entsprechender BesörderungS« Möglichkeit._ Zorwärts Buchdruckerei u.Verlag San statt Paul Singer&Eo., Berlin 8 W.
Ausgabe
30 (23.9.1913) 185
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