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den großen, blanken Spiegelscheiben blühte ein Garten von Aber das wußte Fräulein Julie besser. Ablegen, einen Hüten und Hauben, quollen aus halb geöffneten Kartons solchen Charakter? Als ob man das könnte! Niel D, Di Bäche von Spiken, Ströme von Gaze und Seidenstoffen sie hatte die Gnade, den Herrn Rittmeister zu kennen, hatte so hervor. viel von ihm gehört. O, und wer nicht? Und einige ihrer So wenig Dietrich Brand sich auch um die Berühmtheiten Verwandten hatten die Gnade gehabt, unter ihm zu dienen. der Damenmodenwelt kümmerte, der Name Amélie Vernon war bis zu ihm gedrungen. Seine Cousinen sagten in einem Tone: Madame Vernon! Ja, Madame Vernon!" der so viel hieß wie: Erhaben über alle Kritik.

Eine solche Großmacht schickt ihre Waren gewiß nicht durch Kinder aus. Was hatten die armen beiden hier zu holen oder hierher zu bringen?

Er wollte es wissen und entschloß sich, auf ihre Rück­fehr zu warten. Nach einer Viertelstunde erschien klein Annerl wieder und trug ein Weißbrot in der einen und einen Apfel in der anderen Hand. Blaß und müde kam ihr Bruder nach. Brand hielt ihn an und fragte auf gut Glück in geschäfts­mäßigem Tone, ob Madame Vernon zu Hause sei? Ja wohl, die Kinder kamen von ihr, hatten sie eben gesprochen.

,, Und das hat sie mir geschenkt," sagte Annerl, und hob ihr Weißbrot und ihren Apfel triumphierend in die Höhe. Und das darfst Du auch annehmen, die Mutter erlaubt es Dir, Annerl?"

Ja, das erlaubt die Mutter, und auch Georg er­

Iaubt's.

, Georg," wiederholte Brand.

" Dein Bruder, nicht

Und nun wollte sie die Gnade haben, ihn der gnädigen Frau zu melden. Einen solchen Besuch werde sie sicherlich emp­fangen, wenn auch sonst keinen anderen, denn die gnädige Frau sei heute nervös.

Sie enteilte, und Brand ließ ein mißbilligendes: Hm, hm, nervös" vernehmen, worauf ihn einige der Magazins­Damen verstohlen anguckten. Andere kicherten vor sich hin, und ein lustiges Ding von einer Modistin, das eben einer ältlichen Rundin einen sehr jugendlichen Hut anprobierte, rang mit einem achkrampfe.

Nach kurzer Zeit war Fräulein Julie wieder da und ersuchte den Heren Rittmeister, die Gnade zu haben, ihr zu Madame Vernon zu folgen. Sie geleitete ihn durch eine Reihe von Ateliers und Salons und verabschiedete sich mit einem wundervollen Knir, in den sie ihre ganze Seele legte, an der Tür des Boudoirs der Gebieterin. ( Forthegung folgt.)

wahr? Er legte die Hand auf den kleinen, blauen Capuchon Romeo und Julia auf dem Dorfe .

und sagte ziemlich unüberlegt: Ich wäre froh, wenn ich Dir auch etwas schenken dürfte, Annerl."

,, Nein, nein, dank, wir danken," stieß Georg rasch hervor. Er war bei den Worten Dietrichs rot geworden über das ganze Gesicht bis unter die Haare, und seine Augen leuch­teten plötzlich auf.

Jezt wußte Brand, an wen ihn das Kind vom ersten Moment an erinnert hatte. Vergessene Unvergessene arme Sophie! Dieses Erröten, dieses Aufleuchten im Blicke hatten oft sein stilles Entzücken ausgemacht. Die ganze Reinheit, aller Stolz des Mädchens, das er liebte, sprach aus ihnen. Was ihr das Blut in die Wangen und in die Stirne trieb, war nicht Verwirrung, nicht Beschämung, es war ein schmerzliches Staunen, eine leidvolle Entrüstung: Sch er röte, ja, aber für Euch!" Brand sah sie vor sich, wie da­mals in der peinlichen Stunde, in der der Riß zwischen ihnen entstanden war.

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Du heißest Georg Müller, mein lieber Junge," sagte er zu dem Knaben.

Der erschrak und sah ihn voll Mißtrauen an. Wie kam der fremde Mann dazu, nach seinem Namen zu fragen? Er suchte seine Angst hinter einer trotzig abwehrenden Miene zu verbergen, ergriff die Land seiner Schwester und hastete

mit ihr davon.

3]

Seldwyler Geschichte von Gottfried Keller .

Nachdruck verboten. schlimmsten Hände von Tausendkünstlern, welche ihre verdorbene Da sie eine faule Sache hatten, so gerieten beide in die aller­Phantasie aufbliesen zu ungeheuren Blasen, die mit den nichts­nubigsten Dingen angefüllt wurden. Vorzüglich waren es die Spetulanten aus der Stadt Seldwyla, welchen dieser Handel ein gefundenes Essen war, und bald hatte jeder der Streitenden einen Anhang von Unterhändlern, Buträgern und Ratgebern hinter sich, welche alles bare Geld auf hundert Wegen abzuziehen wußten. Denn das Fleckchen Erde mit dem Steinhaufen darüber, auf wel­chem bereits wieder ein Wald von Nesseln und Disteln blühte, war nur noch der erste Keim oder der Grundstein einer verworrenen Geschichte und Lebensweise, in welcher die zwei Fünfzigjährigen noch andere Gewohnheiten und Sitten, Grundsäße und Hoffnungen annahmen, als sie bisher geübt. Je mehr Geld sie verloren, desto sehnsüchtiger wünschten sie, welches zu haben, und je weniger sie hatten, desto hartnäckiger dachten sie reich zu werden und es dem und setzten auch jahraus, jahrein in alle deutschen Lotterien, andern zuvorzutun. Sie ließen sich zu jedem Schwindel verleiten deren Lose massenhaft in Seldwyla zirkulierten. Aber nie bekamen fie einen Taler Gewinst zu Gesicht, sondern hörten nur immer bom Gewinnen anderer Leute, und wie sie selbst beinahe gewonnen hätten, indessen diese Leidenschaft ein regelmäßiger Geldabfluß für Bauern, ohne ihr Wissen, am gleichen Lose teilnehmen zu lassen, so sie war. Bismeilen machten sich die Seldwyler den Spaß, beide daß beide die Hoffnung auf Unterdrückung und Vernichtung des Brand bickte ihnen nach: Ihre Kinder! ja gewiß auch anderen auf ein und dasselbe Los septen. Sie brachten die Hälfte das Mädchen hatte Aehnlichkeit mit ihr in den Bewegungen, ihrer Zeit in der Stadt zu, wo jeder in einer Spelunte sein Haupt­dem Gang, in der Art und Weise, den Kopf zu tragen. Im quartier hatte, sich den Kopf aufblasen und zu den lächerlichsten Forteilen noch wendete Annerl sich mehrmals um und lächelte Ausgaben und einem elenden und ungeschickten Schlemmen ver­den ernsten, alten Herrn an, vor dem davonzulaufen ihr leiten ließ, bei welchem ihm heimlich doch selber das Herz blutete, Bruder fie zwang, und der ihr gar keine Furcht einflößte, also daß beide, welche eigentlich nur in diesem Hader lebten, um für keine Dummköpfe zu gelten, nun solche von der besten Sorte o nein, nicht die mindeste! darstellten und von jedermann dafür angesehen wurden. Die andere Hälfte der Zeit lagen sie verdrossen zu Hause oder gingen ihrer Arbeit nach, wobei sie dann durch ein tolles, böses Ueberhaften und Antreiben das Versäumte einzuholen suchten und damit jeden ordentlichen und zuverlässigen Arbeiter verscheuchten. So ging es gewaltig rüdwärts mit ihnen, und ehe zehn Jahre vorüber, stedten fie beide von Grund aus in Schulden, und standen wie die Störche auf einem Beine auf der Schwelle ihrer Besißtümer, von der jeder Lufthauch sie herunterwehte. Aber wie es ihnen auch erging, der Haß zwischen ihnen wurde täglich größer, da jeder den andern als den Urheber seines Unsterns betrachtete, als seinen Erbfeind und ganz unvernünftigen Widersacher, den der Teufel absichtlich in die sich nur von weitem sahen, kein Glied ihres Hauses durfte mit Welt gesetzt habe, um ihn zu verderben. Sie spien aus, wenn sie Frau, Kind oder Gesinde des anderen ein Wort sprechen, bei Ver­meidung der gröbsten Mißhandlung. Ihre Weiber verhielten sich verschieden bei dieser Verarmung und Verschlechterung des ganzen Wesens. Die Frau des Marti, welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, härmte sich ab und starb, ehe ihre Tochter vier­zehn Jahre alt war. Die Frau des Manz hingegen bequemte sich der veränderten Lebensweise, und um sich als eine schlechte Genossin zu entfalten, hatte sie nichts zu tun, als einigen weiblichen Fehlern, die ihr von jeher angehaftet, den Zügel schießen zu lassen und die­selben zu Lastern auszubilden. Ihre Naschhaftigkeit wurde zu und verlogenen Schmeichel- und Verleumdungswesen, mit welchem

Ihre Kinder das waren sie, so hatte er sie gefunden. Die Wirklichkeit übertraf seine traurigsten Befürchtungen. Das scheue Wesen des Knaben, seine Beschäftigung, die Klei­dung, das Aussehen der Kleinen. Alles, alles an ihnen er zählte von Dürftigkeit, von Entbehrung, von einem harten Kampfe um das tägliche Brot.

Dietrich blieb noch eine Weile unter dem Tore stehen. Mit mächtiger Selbstüberwindung rang er die tiefe Gemüts­bewegung nieder, die ihn ergriffen hatte; kein äußeres Zeichen durfte verraten, was in ihm vorging.

Als ein sehr gelassener, fast übertrieben höflicher Mann betrat er den Modesalon und wurde von Fräulein Julie, einer gut erhaltenen Schönheit comme il faut" bis an die Spigen ihrer langen, lanzenförmig zugeschnittenen Nägel, würdevoll empfangen. Sie schien befremdet, als er sie bat, fragen zu wollen, ob er die Ehre haben könne, mit Madame Vernon selbst und zwar privatim zu sprechen. Das Fräulein übernahm seine Karte, warf einen Blick darauf und war elektrifiert.

Dietrich Brand! Herr Rittmeister Brand

Nein, mein Fräulein, Brand kurzweg; ich habe meinen wilder Begehrlichkeit, ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalschen Militärcharakter abgelegt."