wahr? dieser Besuch gilt nicht; haben Sie die Großmut, ihn zu vergessen." Sie reichte ihm die HandlGut denn, Sie waren Nicht da." Und wenn ich komme, dann sagen Sie wieder: Ich habe Sie erwartet." 12. Bei seinem nächsten Besuche fand er sie allein. Sie hatte die Dienerin mit den Kindern ausgeschickt und gönnte sich nach den Anstrengungen der letzten Tage einige Stunden Ruhe. Sie lud ihn ein, am offenen Fenster Platz zu nehmen, und machte ihn aufmerksam auf die Schönheit eines jungen Kastanienbaumes, der über und über mit Blüten bedeckt war. An dem Garten hatte sie ihre Freude, und nur sie und ihre Kinder durften ihn den Sommer über benützen, mit Er- laubnis des Hausherrn, der sich jetzt auf dem Lande befand. Der Garten wurde vortrefflich gehalten von guten und Höf- lichen Leuten, und nian konnte sich in ihm so frei bewegen wie im Zimmer, denn er war nur von Feuermauern um- geben. Das alles erzählte sie ihm ein bißchen unsicher und hastig, wie jemand, der sich fragt, während er zu einem anderen spricht: Interessiert es dich auch? Und er wieder war froh, daß sie es übernommen hatte, die Konversation einzuleiten: er hätte nicht gewußt, wie das anfangen. Sophie fuhr fort:Sehen Sie, daran, daß ich so dasitzen kann mit den Händen im Schoß und hinaussehen auf dieses kleine Stückchen Ratur, und davon einen Genuß habe, daran erkenne ich das Herannahen des Alters. In meiner Jugend war ich viel zu fleißig und auch viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um mich in niüßige Bewunderung der Außenwelt versenken zu können, und dazu hätte es in unserem schönen, alten Garten doch mehr Gelegenheit gegeben als hier." Brand blickte sie gerührt an, erwiderte einiges herzlich Unbedeutende and fing jeden Satz mit einem so durch- drungenen:Verzeihen Sie" an, daß sie sich eines Lächelns nicht zu erwehren vermochte und endlich mit munterer Ent- schlossenheit sprach: Lieber Herr Rittmeister, Sie haben ein Schuldgefühl gegeu mich, und davon will ich Sie befreien und zugestehen, daß ich Ihnen gegenüber im gleichen Falle bin. Ich habe ein Unrecht gegen Sie begangen." Wirklich!" rief er freudig,wenn ich... wenn Sie... Wie sieht das Unrecht aus?" fFortsetzung folgtj Romeo und jfulia auf dem Dorfe. Seldwylcr Geschichte von Gottfried Keller . 8] Nachdruck verboten Sie hörten die Lerchen singen über sich und suchten diese mit ihren scharfen Augen, und wenn sie glaubten, flüchtig eine in der Sonne ausblitzen zu sehen, gleich einem plötzlich aufleuchtenden oder hinschiehenden Stern am blauen Himmel, so küßten sie sich wieder zur Belohnung und suchten einander zu übervorteilen und zu täuschen, soviel sie konnten.Siehst Du, dort blitzt eine!" flüsterte Sali, und Vrenchen erwiderte ebenso leise:Ich höre sie Wohl, aber ich sehe sie nicht!"Doch, pah nur aus, dort, wo das weihe Wölkchen steht, ein wenig rechts davon!" Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzüglich aufeinandcrzuheften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte:Dies ist also eine ausgemachte Sache, dah jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es Dich nicht so?" Ja," sagte Sali,es scheint mir fast auch!"Wie gefällt Dir denn Dein Schätzchen," sagte Vrenchen,was ist es für ein Ding, was hast Du von ihm zu melden?"Es ist ein gar feines Ding," sagte Sali,es hat zwei braune Augen, einen roten Mund und läuft auf zwei Fühen: aber seinen Sinn kenn' ich weniger, als den Papst zu Rom ! Und was kannst Du von Deinem Schatz bc- richten?"Er hat zwei braune Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme, aber seine Gc- danken sind mir unbekannter, als der türkische Kaiser!"Es ist eigentlich wahr," sagte Sali,daß wir uns weniger kennen, als wenn wir uns nie gesehen hätten, so fremd hat uns die lange Zeit gemacht, seit wir groß geworden sind! Was ist alles vor- gegangen in Deinem Köpfchen, mein liebes Kind?"Ach, nicht viel! Tausend Narrenspossen haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so trübselig ergangen, daß sie nicht aufkommen konn- tent"Du armes Schätzchenl" sagte Sali,ich glaube aber, Du hast es hinter den Ohren, nicht?"Das kannst Du ja nach und nach erfahren, wenn Du mich recht lieb hast!"Wenn Du«inst meine Frau bist?" Vrenchen zitterte leise bei diesem letzten Worte und schmiegte sich tiefer in Salis Arme, ihn von neuein lange und zärtlich küssend. Es traten ihr dabei Tränen in die Augen, und beide wurden auf einmal traurig, da ihnen ihre hoff» nungsarme Zukunft in den Sinn kam und die Feindschaft ihrer Aelteren. Vrenchen seufzte und sagte:Komm, ich mutz nun gehen!" und so erhoben sie sich und gingen Hand in Hand aus dem Kornfeld, als sie Vrenchens Vater spähend vor sich sahen. Mit dem kleinlichen Scharssinn des mützigen Elendes hatte dieser, als er dem Sali begegnet, neugierig gegrübelt, was der wohl allein im Dorf« zu suchen ginge, und sich des gestrigen Vorfalles er- innernd, verfiel �er, immer nach der Stadt zu schlendernd, endlich auf die richtige Spur, rein aus Groll und unbeschäftigter Bosheit; und nicht so bald gewann der Verdacht eine bestimmte Gestalt, so kehrte er mitten in den Gassen von Seldwyla um und trollte wieder in das Dorf hinaus, wo er seine Tochter in Haus und Hof und rings in den Hecken vergeblich suchte. Mit wachsender Neugier rannte er auf den Acker hinaus, und als er da Vrenchens Korb liegen sah, in welchem es die Früchte zu holen pflegte, das Mädchen selbst aber nirgends erblickte, spähte er eben am Korne des Nach- bars herum, als die erschrockenen Kinder herauskamen. Sie standen wie versteinert, und Marti stand erst auch da und beschaute sie mit bösen Blicken, bleich wie Blei; dann fing er fürchterlich an zu toben in Gebärden und Schimpsworten und langte zugleich grimmig nach dem jungen Burschen, um ihn zu würgen; Salt wich aus und flog einige Schritte zurück, entsetzt über den wilden Mann, sprang aber sogleich wieder zu, als er sah, datz der Alte statt seiner nun das zitternde Mädchen faßte, ihm eine Ohrfeige gab, daß der rote Kranz herunterflog, und seine Haare um die Hand wickelte, um es mit sich fortzureißen und weiter zu mißhandeln. Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn. Marti taumelte ein wenig und sank dann bewußtlos auf den Steinhaufen nieder und zog das erbärmlich aufschreiende Vrenchen mit. Sali befreit« noch dessen Haare aus der Hand des Bewußtlosen und richtete eS auf; dann stand er da wie eine Bildsäule, ratlos und gedanken- los. Das Mädchen, als es den wie tot daliegenden Vater sah, fuhr sich mit den Händen über das erbleichende Gesicht, schüttelte sich und sagte:Hast Du ihn erschlagen?" Sali nickte lautlos, und Vrenchen schrie:O Gott, Du lieber Gott ! Es ist mein Vater, der arme Mann!" und sinnlos warf es sich über ihn und hob seinen Kopf auf, an weichem indessen kein Blut floß. Es ließ ihn wieder sinken, Sali ließ sich auf der anderen Seite des Mannes nieder, und beide schauten still wie das Grab und mit erlahmten, reglosen Händen in das leblose Gesicht. Um nur etwas anzufangen, sagte endlich Sali:Er wird doch nicht gleich tot sein müssen? Das ist gar nicht ausgemacht!" Vrenchen riß ein Blatt von einer Klatsch- rose ab und legte es auf die erblaßten Lippen, und es bewegte sich schwach.Er atmet noch," rief es,so laufe doch ins Dorf und hole Hilfe!" Als Sali aufsprang und laufen wollte, streckte es ihm die Hand nach und rief ihn zurück:Komm aber nicht mit zurück und sage nichts, wie es zugegangen, ich werde auch schweigen, man soll nichts aus mir herausbringen!" sagte es, und sein Ge- ficht, das es dem armen ratlosen Burschen zuwandte, überfloß von schmerzlichen Tränen.Komm, küß mich noch einmal! Nein, geh, mach Dich fort! Es ist aus, es ist ewig aus, wir können nicht zusammenkommen!" Es stieß ihn fort, und er lief willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete einem Knäbchen, das ihn nicht kannte; diesem trug er auf, die nächsten Leute zu holen, und beschrieb ihm genau, wo die Hilfe nötig sei. Dann machte er sich verzweifelt fort und irrte die ganze Nacht im Gehölz herum. Am Morgen schlich er in die Felder, um zu erspähen, wie es gegangen sei, und hörte von frühen Leuten, welche miteinander sprachen, datz Marti noch lebe, aber nickts von sich wisse, und wie das eine seltsame Sache sei, da kein Mensch wisse, was ihm zugestoßen. Erst jetzt ging er in die Stadt zurück und verbarg sich in dem dunklen Elend des Hauses. Vrenchen hielt ihm Wort: es war nichts aus ihm herauSzu» fragen, als daß eS selbst den Vater so gefunden habe, und da er am andere» Tage sich wieder tüchtig regte und atmete, freilich ohne Bewußtsein, und überdies kein Kläger da war, so nahm man an, er sei betrunken gewesen und auf die Steine gefallen, und ließ die Sache auf sich beruhen. Vrenchen pflegte ihn und ging nicht von seiner Seite, außer, um die Arzneimittel zu holen beim Doktor und etwa für sich selbst eine schlechte Suppe zu kochen; denn es lebte beinahe von nichts, obgleich es Tag und Nacht auf sein mußte und niemand ihm half. Es dauerte beinahe sechs Wochen, bis der Kranke allmählich zu seinem Bewußtsein kam, obgleich er vorher schon wieder atz und in seinem Bette ziemlich munter war. Aber es war nicht das alte Bewußtsein, das er jetzt erlangte, sondern es zeigte sich immer deutlicher, je mehr er sprach, daß er blödsinnig geworden, und zwar auf die wunderlichste Weise. Er erinnerte sich nur dunkel an das Geschehene und wie an etwas sehr Lustiges, was ihn nicht weiter berühre, lachte immer wie ein Narr und war sehr guter Tinge. Noch im Bette liegend, brachte er hundert närrische, sinnlos mutwillige Redensarten und Einfälle