prächtige», g'hörcn mehr Leut hin als wir zwei, mein Peterl und ich." Brand wußte wohl, wer seiner Meinung nach„hin- gehörte", wen er am liebsten durch die Zimmer schreiten sähe, die ihm so traut belebt wurden durch die Erinnerung an seine Eltern. Er wußte, wem er am liebsten gesagt hätte: Tritt ein, nicht als Gast, nein, als Gebieterin, und verwandle mir mein verödetes Eigent'im in ein trautes Zuhause. Sophie hielt ihn aber viel zu kurz, als daß er eine An- spielung auf einen so kühnen Wunsch wagen durfte. Er getraute sich nicht einnial, von seinen peimgenden sorgen um sie zu sprechen inid sah doch, daß ihre Kräfte in dem- selben Maße sanken, m dem ihr Eifer, die übernommene Auf- gäbe gut zu erfüllen, stieg. Tab diese Aufgabe keine leichte sein werde, darüber hatte sie sich nicht getäuscht, hatte im voraus gewußt, daß sie sich die Stellung, die man ihr gab, erst machen müsse. Es war eben ein Kampfplatz in Miniatur, auf dem sie stand. Sie hatte den passiven Widerstand der alteren Fräulein gegen eine„plötzlich hereingeschneite" Autorität zu erdulden und die Unbotinäßigkeit der jungen Fräulein zu besiegen. „Und— was mir am schwersten fällt," sagte sie,„ich muß mich gelvöhncn, die Arbeit, die ich immer mit Ernst und Sorgfalt getan habe, von anderen mit empörender Nach- lässigkeit tun zu sehen, ohne sie ihnen aus der Hand nehmen lind kurz und gut selbst fertig macheii zu dürfen. Ich werde sür etwas ganz anderes bezahlt; ich soll lehren, leiten, heran- bilden." „Lehren, leiten, heranbilden— unmöglich, wenn man Ihnen keine Macht einräumt," erwiderte Brand nach einigem Nachdenken.„Ich staune nur, daß ein großes Etablissement wie das von Madame Vernon überhaupt bestehen kann ohne militärische Organisation." lLortsetzung solgt.I Romeo uncl Julia auf dem Dorfe « Scldwyler Geschichte von Gottfried Keller . 12; Nachdruck verboten So liefen sie sich wieder hungrig und waren erfreut, von der Höhe eines schatlenreichcn Berges ein glänzendes Dorf vor sich zu sehen, wo sie Mittag halten wollten. Sie stiegen rasch hinunter, betraten dann aber ebenso sittsam diesen Ort, wie sie den vorigen verlassen. Es war niemand um den Weg, der sie erkannt hätte; denn besonders Vrcnchcn War die letzten Jahre hindurch gar nicht unter die Leute und noch weniger in andere Dörfer gekommen. Deshalb stellten sie ein wohlgefälliges, ehrsames Pärchen vor, das irgendeinen angelegentlichen Gang tut. Sie gingen ins erste Wirtshaus des Dorfes, wo Sali ei» erkleckliches Mahl bestellte; «in eigener Tisch wurde ihnen sonntäglich gedeckt, und sie saßen wieder still und bescheiden daran und beguckten die schön getäfelten Wände von gebahntem Nußbaumholz, das ländliche, aber glänzende und wohlhabende Büfett von gleichem Holze und die klaren weißen Fenstcrvorhänge. Tie Wirtin trat zutulich herzu und setzte «in Geschirr voll frischer Blumen auf den Tisch.„Bis die Suppe kommt," sagte sie,„könnt Ihr, wenn es Euch gefällig ist, einst- weilen die Augen sättigen an dem Strauße. Allem Anscheine nach, wenn es erlaubt ist zu fragen, seid Ihr ein junges Braut- paar, das gewiß nach der Stadt geht, um sich morgen kopulieren zu lassen?"— V renchen wurde rot und wagte nicht aufzusehen, Sali sagte auch nichts, und die Wirtin fuhr fort:„Nun, Ihr seid freilich noch wohl jung beide, aber jung geheiratet, lebt lang, sagt man zuweilen, und Ihr seht wenigstens hübsch und brav aus und braucht Euch nicht zu verbergen. Ordentliche Leute können etwas zuwege bringen, wenn sie so jung zusammenkommen und fleißig und treu sind. Aber das muß man freilich sein, denn die Zeit ist kurz und doch lang, und es kommen viele Tage, viele Tage! Je nun, schön genug sind sie und amüsant dazu, wenn man gut Haus hält damit. Nichts für ungut, aber es freut mich. Euch anzusehen, Jo ein schmuckes Pärchen seid Ihr!"— Die Kellnerin brachte die -uppc, und da sie einen Teil dieser Worte noch gehört und lieber selbst geheiratet hätte, so sah sie Brcnchen mit scheelen Augen an, welches nach ihrer Meinung so gedeihliche Wege ging. In der Nebenstube ließ die unliebsame Person ihren Unmut frei und sagte zur Wirtin, welche dort zu schaffen hatte, so laut, daß man es hören konnte:„Das ist wieder ein rechtes Hudclvölkchen, das. wie «s geht und steht, nach der Stadt läuft und sich kopulieren läßt, ohne einen Pfennig, ohne Freunde, ohne Aussteuer und ohne Aus- ficht, als auf Armut und Bettelei! Wo soll das noch hinaus, wenn solche Dinger heiraten, die die Jüppc noch nicht allein anziehen und keine Suppe kochen können? Ach, der hübsche, junge Mensch kann mich nur dauern, der ist schön petschiert mit seiner jungen Gungeline."—„Bscht! willst Du Wohl schweigen, Du hässiges Diltg," sagte die Wirtin,„denen lasse ich nichts geschehen. Das sind gewiß zwei recht ordentliche Leutlein aus den Bergen, wo die Fabriken sind; dürstig sind sie gekleidet, aber sauber, und»enn sie sich nur gern haben und arbeitsam sind, so werden sie weiter kommen, als Du mit Deinem bösen Maul. Du kannst freilich noch lange warten, bis Dich einer abholt, wenn Du nicht freund». licher bist, Du Essighafenl" So genoß Vrenchen alle Wonnen einer Braut, die zur Hoch- zeit reiset: die wohlwollende Ansprache und Aufmunterung einer sehr vernünftigen Frau, den Neid einer heiratslustigen, bösen Person, welche aus Aerger den Gesiebten lobte und bedauerte, und ein leckeres Mittagsmahl an der Seite eben dieses Geliebten. Es glühte im Gesicht wie eine rote Nelke, das Herz klopfte ihm, aber es aß und trank nichtsdestoweniger mit gutem Appetit und Wsir mit der aufwartenden Kellnerin nur um so artiger, konnte aber nicht unterlassen, dabei den Sali zärtlich anzusehen und init ihm zu lispeln, so daß es diesem auch ganz kraus im Gemüt wurde. Sie saßen indessen lange und gemächlich am Tisch, wie wenn sie zögerten und sich scheuten, aus der holden Täuschung herauszu- gehen. Die Wirtin brachte zum Rachtisch süßes Backwerk, und Sali bestellte feineren und stärkeren Wein dazu, welcher Vrenchen feurig durch die Adern rollte, als es ein wenig davon trank; aber es nahm sich in acht, nippte bloß zulveilen, und saß so züchtig und verschämt da, wie eine wirkliche Braut. Halb spielte es aus Schalkheit diese Rolle und aus Lust, zu versuchen, wie es tue, halb war es ihm in der Tat so zumute, und vor Bangigkeit und heißer Liebe wollte ihm das Herz brechen, so daß es ihm zu eng ward innerhalb der vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war, als ob sie sich scheuten, auf dem Wege wieder so abseits und allein zu sein, denn sie gingen unverabredet auf der Hauptstraße weiter, mitten durch die Leute, und sahen weder rechts noch links. Als sie aber aus dem Dorfe waren und auf das nächstgelegene zugingen, wo Kirchweih war, hing sich Vrenchen an Salis Arm und flüsterte mit zitternden Worten:„Sali, warum sollen wir uns nicht haben und glücklich sein?"—„Ich weiß auch nicht, warum," erwiderte er und heftete seine Augen an den milden Herbstsonnenschein, der auf den Auen webte, und er muhte sich bezwingen und das Gesicht ganz sonderbar verziehen. Sie standen still, um sich zu küssen; aber es zeigten sich Leute, und sie unterließen es und zogen weiter. Das große Kirchdorf, in welchem Kirchweih war, lvar schon belebt von der Lust des Volkes; aus dem stattlichen Gasthofe tönte eine pomphafte Tanzmusik, da die jungen Dörfler schon um Mittag den Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem Wirtshause war ein kleiner Markt aufgeschlagen, bestehend aus einigen Tischen mit Süßigkeiten und Backwerk und ein paar Buden mit Flitterstaat, um welche sich die Kinder und dasjenige Volk drängten, welches sich einstweilen mehr mit Zusehen begnügte. Sali und Vrenchen traten auch zu den Herrlichkeiten und liehen ihre Augen darüber fliegen; defrn beide hatten zugleich die Hand in der Tasche, und jedes wünschte dem anderen etwas zu schenken, da sie zum ersten und einzigen Male miteinander zu Markt waren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, welches mit Zuckerguß freundlich gelveißt war, mit einem grünen Dach, auf welchem weihe Tauben saßen, und aus dessen Schornstein ein Amor guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige Leutchen mit winzig kleinen, roten Mündchen, die sich recht eigentlich küßten, da der flüchtige, praktische Maler mit einem Kleckschen gleich zwei Mündchen ge- macht, die so ineinander verflossen. Schwarze Pünktchen stellten muntere Acuglein vor. Auf der rosenroten Haustür aber waren diese Verse zu lesen: Tritt in mein Haus, o Licbstel Doch sei dir»»verhehlt: » Drin wird allein nach Kiiffcn Gerechnet und gezählt. Die Liebste sprach: O Liebster! Mich schrecket nichts zurück! Hab' alles wohl erwogen: In dir nur lebt mein Glück! lind lvcnn ich's recht bedenke, Kam ich destvegen auch! Nun denn, spazier' mit Segen Herein und üb' den Brauch! Ei» Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen komplimentierten sich diese» Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an die Mauer gemalt. Vrenchen schenkt« Sali dagegen ein Herz, auf dessen einer Seite ein Zettel- chen klebte mit den Worten: Ein süßer Mandelkern steckt in dem Herze hier, Doch süßer als der Mandelkern ist meine Lieb' zu dir. Und auf der anderen Seite: Wenn du dies Herz gegessen, vergiß dies Sprüchlein nicht: Viel eh'r als meine Liebe mein braunes Aug« bricht!
Ausgabe
30 (9.10.1913) 197
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