Die beiden kamen in den Schleifsaal. Früher hatte Harrison oft eine Weile bei Bob Aillarney ge« standen und fich gefreut, wie dieser braune, blankäugige Jrländer mit muskelfesten Armen feine Kachelstapel griff und dem Staub und zer« malmenden Lärm der Arbeit zu widerstehen schien. Heute saß Bob mit glanzlosen Augen, den Kopf tiefer gebückt, und während der Hammer niederfuhr und die Glasursplitter flogen, schienen die Hände schon nach neuem Material zu greifen. Er erwiderte den Gruß des Fabrikherrn nicht, schien ihn überhaupt nicht zu hören. Um ihn rasselten Stöße von Kacheln, die bald hoch aufschwollen, bald zu wenigen zusammensanken. Unermüdlich, mit schmerzhaft genauen Schlägen, riß Bobs Hammer die Kanten entlang. Harrison wandte sich wie in einem unangenehmen Gefühl ab. Am Abend stand er am Fenster seines Bureaus, als die Feierstunde pfiff. Langsam, einzeln tropften die ersten Arbeiter aus dem Tor, dann folgte mit einem Scbwall der ganze Strom, und hunderte wanderten dahin, mit gesenkten Köpfen, die Schultern nach vorn ge- zogen, stumm und schwer, eine müde Menge, aus der kein lautes Wort, kein fröhlicher Zuruf klang.-- Am nächsten Tage gab cS einen kleinen Zwischenfall. An einer Fliesentreppc war ein Mann zusammengebrochen. Die anderen, die früher so schnell bei der Hand waren, hatten, wie in dumpfer Er- starrung festgekettet, sich nur langsam ausgerafft; und endlich lag der Kranke auf dem Bett in der Ambulanz, wo der Fabrikant köpf- schüttelnd um den Bewußtlosen herumging. Ich weiß nicht", sagte er zu de», Werkführer,krank ist er nicht, wenigstens körperlich nicht! Scheint mir mehr ein nervöser Zusammenbruch zu sein, eine totale Erschöpfung, so'ne Art Gchirnklaps!" Und er schüttelte wieder den Kopf. In den folgenden Wochen brachen hier und da kräftige Männer zusammen, stürzten lautlos vor ihren Maschinen nieder oder zer- störten wie in einem JrrstnnSanfall mit rasenden klirrenden Schlägen ihre ganze Arbeit. Die andern sckicnen vor diesen Ausbrüchen zu erschrecken, ihre Köpfe neigten fich tiefer, die Hände arbeiteten rascher und automatisch klapperten die Werkzeuge. Mit harten kalten Augen, aufrecht und unbewegt, ging Brockwith durch die Räume. Eines Morgens stand er vor dem Schleifrad, ai, dem Bob Killarney arbeitete. Brockwith sah eine Weile zu, dann nahm er die Uhr aus der Tasche und rührte den Arbeiter an die Schulter. Bob Killarney blickte zum ersten Male auf, aus seinen stumpfen Augen zuckte etwas, er hob gerade den Hammer. Und als der Ingenieur sich zu ihm beugte, schwang Bobs rechter Arm weit aus, und die Faust mit dem stählernen Hammer fuhr krachend auf den Schädel des Ingenieurs. Ein Schrei gellte, alles Zischen der Scheiben und Heulen der Ventilatoren übertönend, und Brockwith stürzte schwer zu Boden. *« Vor der Schranke des Schwurgerichts in Tampa stand der beste Advokat der Stadt, ein schmales, graubärtiges Gelehrtengesicht, in dem dunkle, kluge Augen von tiefem Verständnis und Weltwiffen zeugten. Bor ihm saß, ganz zusammengesunken, Bob Killarney zwuchen zwei Sheriffs. Auf der andern Seite standen ein paar Männer, eine weinende Frau, und dahinter Kopf an Kopf fast die ganze Ein- Wohnerschaft von Tampa . Ter Advokat setzte sich das Barett auf und begann zu sprechen: Die Anklage behauptet, Bob Killarney habe den Mr. Brock« with, Ingenieur der Firma Harrison, vorsätzlich getötet. Meine Herren, ich will mich kurz fassen. Eines Tages kam Mr. Brockwith undtaylorte" die Arbeiter des Mr. Harrison. Wie das gemacht wird, hat Mr. Harrison selbst zu erklären die Güte gehabt. Aus den Leuten wird alles Denken und Fühlen ausgeschaltet. Brockwith machte Automaten aus ihnen, mit der Uhr in der Hand kontrollierte er Beivegungen, die Gehirne der Arbeiter wurden nicht mehr gebraucht, durften nicht mehr funk- tionieren; nur die Sehnen und Muskeln, Arme und Schultern wurden bewegt und benutzt. Hätte Brockwith ein Mittel gewußt, um den Arbeitern die Köpfe abzuschneiden, ohne sie zu töten, er hätte eS getan. Meine Herren, Sie wissen alle, daß nicht benutzte Organe der- kümmern. Brockwith schaltete systematisch die Gehirne aus, und sie verkümmerten. Frau Killarney hat uns vorhin unter Tränen er- zählt, wie ihr Mann sich verändert hat, seit ergetaylort" wurde, wie sie erschrak, als er von Tag zu Tag stumpfer lvurde, wie aus dem heiteren. liebevollen Gatten, dem sorgenden Vater ein gc- brocheneS Wesen wurde, das nicht mehr lachen und nicht mehr froh sein konnte, das stumpssinnig und schlief und nichts Menschliches mehr hatte. Run, meine Herren, komme ich zum Hauptpunkt meiner Rede. Brockwith hat die Arbeiter entmenscht, er hat Automaten auß ihnen (leinacht, die finnlos und verstandsloS arbeiteten, wie sein Wille, eiir Verstand und feine Idee sie zwang. Sehen Sic, meine Herren Geschworenen , eine Dampfmaschine an! Da fährt auch, wie ein Arm, an sich sinnlos, die Pleuelstange einher, vom Dampf getrieben, und nur in Bahnen gezwungen durch den überlegenen Willen des Technikers. Aber ein Fehler kann im Stahl liegen, tief verborgen, und eines Tages bricht eine Vcr- schraubung, knickt die eiserne, scheinbar so feste Pleuelstange ein, reißt fich aus der erzwungenen Bahn loS Und erschlägt den Techniker,' der ahnungslos in der RS he stand. So war e« auch mit Bob Killarney. Sein Körper war«in« Maschine, sein Arm eine leblose Stange, au« Muskeln statt au« Eisen f und ein tief verborgener Fehler, der im System lag, jenseits allen menschlichen Ermeflens, riß seinen Arm aus der vorgeschriebenen Bahn und brachte solches Unglück über ihn. Das System, das ihn bewegte und zwang, das aus einem denkenden Menschen«ine herzlose Maschine machte, hat Schuld, nicht er. Bob Killarney ist unschuldig, meine Herren, und ich bitte«m seine Freisprechung!"--* Der Advokat hatte unter lautloser Stille geendet. Die Ge- schworcnen, zum großen Teil kleine Bürger von Tainpa, gingen schwerfällig in das Beratungszimmer, und als sie zurückkamen, er» klärte ihr Obmann im Namen der Geschworenen Bob Killarney für unschuldig..._ rjcmszablcn in der Gefebiebte. Bei allen HeereSzügen und Schlachten der Geschichte bis in da« ferne Altertum hinein werden mehr oder weniger genaue Angaben über die stärke der feindlichen Armeen gemacht. Meist sind sie in runden Ziffern gehalten und deuten schon darauf hin, daß sie kein allzu großes Vertrauen verdienen. Noch fragwürdiger sind freilich die Berichte über die Verluste in den einzelnen Schlachten oder bei ganzen kriegerischen Unternehmungen. Professor Hans Delbrück aus Berlin hat am k. und 7. Oltober am Uuiversily College in London zwei Vorträge über die Zahlenangaben in der Geschichte gehalten und die Bedeutung von Heeresziffern besonders hervor- gehoben. Der Gelehrte knüpfte an die Tatsache an, daß Moltke bei Vionville zehn schlagfertige Armeekorps zur Hand hatte, aber von diesen nur zwei wirklich ins Gefecht bringen konnte. Der Rest der 400 000 Mann war nicht mit genügender Schnelligkeit vorzustoßen. Daraus zieht Delbrück den Schluß, daß manche Heeresziffern aus alter Zeit, sowohl für die Assyrer und Perser, für die Gallier und Germanen und andere Völker aus der Geschichte schlechthin gestrichen lverden müssen. Attila, der Hunnensürst, soll 700 000 Mann von Deutschland über den Rhein nach Frankreich geführt haben. DaS ist ganz undenkbar, wenn ein Moltke io viele Jahrhunderte später 500 000 Mann und mit größter Schwierigkeit auf demselben Wege dirigieren konnte. Delbrück nimmt überhaupt die Geschichte der Heercsbc- wegungen von t870z>im Prüsstei» für die srllherer Zeiten. Die Versorgung der Belagerungsarmee um Metz von 200 000 Mann stellte eine der schwierigsten Aufgaben dar, die während des Krieges zu lösen waren. Wie soll eS dann möglich sein, daß der Perserkönig e r x e S, wie Herodot mit verdächtiger Genauigkeit berichtet hat, S 100 000 Mann nach Griechenland geiiihrt haben sollte? Und doch ist diese Zahl nur selten ernstlich angezweifelt worden. Wenn man den Weg verfolgt, den Terxes niit seinem Heere zurücklegte, meist über ganz enge Gebirgspsade, durch Schluchten, abgesehen von der Ueberwindung solcher Hinder- niste wie des MceresarmeS zwischen Asien und Europa , so kommt man zu dem Schluß, daß von seiner Armee die letzten Leute kaum die perfische Hauptstadt Susa verlassen haben konnten, als die ersten vor den Thermopylen eintrafen. Dies Fünfmillionenheer ist also einfach in die Sage zu verweisen. Delbrück ist sogar der Meinung, daß die Griechen damals an Zahl stärker waren als die Perser. Den Einwand, daß die Griechen diesen Einfall dann doch nicht als eine so große Gefahr bezeichnet hätten, und daß überhauptder König der Könige" sehr wohl eine größere Armee hätte aufstellen und nach Europa hinüber führen können, be» kämpft Delbrück mit einem Vergleich, der die Lage der Schweizer gegen Karl den Kühnen betrifft. Der Burgunderfürst war den Schweizern weniger durch die Zahl als dadurch überlegen, daß seine Soldaten eine Armee von Rittern und berussmäßigen Krregern darstellten, lvährend das Heer der Schweizer nur ein Aufgebot von Bürgern und Bauern war. Dem Volk aber genügte es nicht, den Ruhm des Sieges nur in diesem Nachteil zu suchen, sondern die lieber- lieferuug fälschte die geschichtlichen Tatsachen sehr bald dahin, daß Karl der Kühne auch eine an Zabl gewaltige Uebermacht gehabt hätte. Ganz ebenso wird es auch bei den Griechen gewesen sein. Außerdem ließ sich die griechische Geschichtsschreibung den Widerspruch zuschulden kommen, daß die tapferen Perser, die mutigsten Krieger der damaligen Welt, mit Geißeln zur Schlacht getrieben werden niußten. In der römischen Geschichte werden kaum weniger Korrekturen vorzunehmen sein. Die Neberlegenheit der römischen Heere lag fast immer in der MannSzucht, aber auch sie bestanden aus Bürgern und Bauern und konnten einem militärischen Genie wie Hannibal nicht standhalten. Aber auch Hannibal war an Zahl zu schwach und konnte trotz seiner Siege im offenen Felde nicht daran denken, eine Belagerung der römischen Städte oder gar von Rom selbst mit hinreichender Schnelligkeit erfolgreich durch- zuführen. Dennoch hätte das Ringen weit länger gedauert, wenn sich nicht damals daö römische Heer durch den langen Fclddienst allmählich zu berufsmäßigen Soldaten mit berufsunißigen Offizieren ausgebildet hätte. Wie das zahlemnäßige Verhältnis beider Heere gewesen ist, läßt sich nicht einmal abschätzen und ist auch im Vergleich zu den berührten Tatsachen gleichgültig. Ganz ebenso wertlos sind