nachblickt und nun springt das Instrument in ein flottere? Tempo, übet neckend und übermütig klingt es vom Wasser her: »Darum, darum, Mädel, tveine nicht, 'n Stiebel woll'n wir trinken, Aber heiraten nicht.---" Der Dampfer versinkt in der Dunkelheit, die Kähne entschwinden aber auf den Gesichtern der beiden Liebenden liegt noch immer jene? innig-zärtliche Leuchten.--- »Hast Du'? Deinem Meister schon gesagt, daß Du Sonnabend frei haben willst?' Er nickt und preßt die zarte Gestalt fest an sich. Ihre Lippen öffnen sich wieder, beinahe wie im Traume spricht sie weiter: »Am Sonntag sind wir schon in unserem eigenen Heim--* Ja. am Sonntagmorgen wachen wir schon in unserer neuen Häuslichkeit auf." Müller? schenken uns eine Küchenlampe und eine Kaffeedecke, Mutter sagt es wenigstens." Können»vir gut gebrauchen." O ja, wir werden übrigen? noch manche? kaufen müssen. Na, immer«ins nach dem andern. Wen» wir erst mit'n Möbeln fertig sind, können wir ja auch wieder etwas leichter atmen. Drei Mark die Woche, meinste, daß wir'S abstoßen können?" Zagend blickt sie zu ihm auf. Er lächelt zuversichtlich. Bis Weihnachten habe ich bestimmt Arbeit, na, und nachher wird sich wieder was finden." Die Stube ist ganz fein, was Fritz? Für 12 Mark ist nicht viel Befferes zu finden. Auf Küchenmöbel verzichten wir zu Anfang, und Platz haben wir zu zu dreien vorerst auch genug." Zu dreien" er blickt schmunzelnd an ihr hinab. Na ja", sie lächelt ebenfalls.Mutter will übrigens, solange wie ich liegen muß, nach dem rechten sehen. Dann kriegste auch Dein Essen und hast Deine Ordnung, und wir brauchen leine Pflegerin." Die Wolken sind starrer geworden und grauer, ganz miesepetrig sieht der Nachthimmel aus. Die ersten Negentropfeu fallen ins Wasser, und kleine winzige Bläschen steigen auf. Fritz, es regnet, wir wollen umkehren." Drüben, über der Wellstadt liegt ein Gluthauch wie waberndes Lichtmeer. Im Hintergrunde, nach der Peripherie hin, heben sich die Konturen der Mietsbauten schärfer hervor. An den kahlen, hohen Mauern blitzen die Lichter auf, wie riesige schwarze Lind« ivürmer mit tausend brennenden Augen, zieht sich die Häuserflucht in endloser Reihenfolge dahin. Eng umschlungen schlendern die beiden Liebenden nach der Stadt zu. In einem der finsteren Schächte, die wie gähnende Rachen lauern, wollen sie ihr Glück finden, ihr kärgliches und in seiner Schlichtheit und Zartheit-doch so wunderbares Glück. kleines Feuilleton. Kunst. Haider, Franck und Pech st ein. Bei Schulte(Unter den Linden 75/7S) hängen Bilder des kürzlich verstorbenen Karl Haider . Wir begegnen dem Werk eines Künstlers, der von vielen Größeren lernte, der aber doch durch den Pantheismus, mit dem er alles Erworbene und Ersehene zu einer zarten Musik zu verweben wußte, wohltuend wirkt. Ein deutscher Maler, halb Schulmeister und Pedant, halb Träumer. So zeigt ihn sein Selbstporträt: in zugeknöpfter Joppe, langweilig schlvarz gegen blindbraunen oder erdgrünen Hintergrund steht da eine Art von Turnlehrer; der Kopf hat elloas Fanatisches, eine harte grollende Stirn, bohrende, stechende Augen, scharfe senkrechte Stirnfalten, einen grauen, ner- vös zuckenden Spitzbart. Keine Spur vom Weltmann und nichts vom Aesthcten waren in diesem Maler. Er war ein Handwerker und ein Wandersmann. Er hatte von Leibi die tonige Manier und eine Liebe für gebrochene Farben, für zartes Grau und sanftes Schwarz gelernt; von Defregger nahm er das kecke Erfassen der Situation. Böcklin , mit dem er in Italien zusammenlebte, ver- leitete ihn zu phantastischen Szenen; so malte er Dante und Beatrice und unter dem Einfluß derToteninsel" einenCharon ", einen Fuhrmann der Abgeschiedenen. Alle diese Bilder sind aber nicht der eigentliche Haider. Ten treffen wir erst in den großen Landschaften, die hart wirken, aber bei einiger Hingabe sich erfüllt zeigen vom heimlichen Summen des Wachstums und von der heiligen Melodie der Schöpfung. In diesen Wäldern, die herb und harzduftig über die Leinwand marschieren, steckt eine Menschen- seele, die wehmütig in die Welt blickt; eine trockene Lenaustimmung. In flachen Planen in parallelen Schichten überbauen sich grüne Reihen; die Linien der Wipfel schwingen in müden Kurven. Es ist eine große Ruhe in diefen Bildern, die jedermann verständlich sein muß. Gut reproduziert, gäben diese Waldespoesien einen liebenswerten Wandschmuck._ Lerantlv. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Druck u. Verlag: Philipp Franck , der gleichfalls bei Schulte einige Bilder zeigt, hat sich gewandelt; noch vergangenen Jahres war er ein Im- pressionist aus der Gefolgschaft Liebermanns, heute illuminiert er nach dem Vorbild der Jungen. SeineBadenden Knaben", wie er sie oft gemalt hat, waren redliche Wirklichkeitsschilderungcn; jetzt nutzt er Akte, um daran Probleme der Formgestaltung und der Bildaufteilung zu demonstrieren. Das gelingt ihm ganz gut: Parallelismus der Körperachsen, Farbenauftrag nach van Gogh , Kontraste nach Gauguin ; das läßt aber doch eigentlich bedauern, daß Franck, der Professor, den Lockpfeifen der Knaben folgte. Bei einiger Gesetztheit können freche Vocksprünge leicht gefährlich werden. Die Jugend aber reift. Dafür ist Max P e ch st e i n, der jetzt bei Gurlitt lPotsdamer Str. ll3) Zeichnungen, Aquarelle und Plastiken zeigt, wohl das beste Beispiel. Er war in Italien und hat dort die Klarheit jener Natur und die Größe alter Meister in sich aufgenommen. Doch haben ihn weder Tizian noch Tiepolo , haben ihn weder die fanatischen noch die naiven Frühitaliener aus seiner eigenen Art gedrängt; sie haben ihn nur alle miteinander sich besinnen und sich besser finden gemacht. Er ist der alte Feuer- brand geblieben und entwickelt sich doch spürbar zu einem Meisterer der geschlossenen Form. Einige seiner Aquarelle haben die farbige Mystik alter Gobelins und den sinnlichen Zauber frommer Altar- tafeln. Die Plastiken, tanzenden Akte, Porträtköpfe sind selbst seinen Freunden eine große Ueberraschung. Herr Walden vom Sturm" soll sich diese kleinen Figuren einmal ansehen, vielleicht lernt er dann begreifen, daß neue Kunst nicht neues Geschrei, son- dein neues Können ist. Und daß der Erfolg eines neuen Künstlers nicht von der Kritik abhängt, sondern von der Kraft, die er aus- strahlt und der niemand, auch der Kritiker nicht, zu entgehen ver- mag. Pechsteins Plastiken brennen sich uns ein; wir fühlen sie in uns schwingen und sich mächtig regen, sie begleiten uns und mehren unser Formgefühl. R. Br. Kulturgeschichtliches. Die Entstehung des Alphabets. Der Professor der griechischen Sprache an der Universität Oxford , Gilbert Murray , hat eine fesselnde Untersuchung über de» Ursprung des Alphabets ange« stellt, wobei er auf die ältesten Schriftarten, Hieroglyphen, Bilder- schrist und Gebärdensprache zurückgegangen ist. Der Buchstabe A hatte im Altertum einen weitverbreiteten Gebrauch, der sich von dem Griechischen rückwärts zu einigen semitischen Sprachen erstreckte. Wahrscheinlich ist dort auch sein Ursprung zu suchen, der von einem semitischen Zeichen abgeleitet wird, das einen Ochsen bedeutet, und auch durch ein der Gestalt eines Ochsenkopfs ähnliches Zeichen ausgedrückt wurde. Die Geschichte dieics einen Buchstaben si'ihrt bereits in eine Zeit zurück, die sicher wenigstens 10 000 Jahre vor Christi Geburt lag. Die ältesten Beispiele sind schon aus Höhlen von Süd-Frankreich und Spanien bekannt, die von Urmenschen bewohnt wurden. Wahrscheinlich war der Ochse für die Menschen jener Zeit einer der heiligsten Gegenstände auf der Erde, da ihm ja auch Menschenopfer in Menge dargebracht wurden. Man kann also sagen, daß die Geschichte dieses Buchstabens mit Blut geschrieben ist. Der Buchstabe B hängt jedenfalls mit einem Zeichen zusammen, das eine Behausung bedeutet. Da diese zunächst in Zelten bestand, so erhielt er die Umrisse von zwei nebeneinander stehenden Zelten. Der Buchstabe C kam von einem Symbol des Kamels her, während der Buchstabe D ursprünglich eine Tür an- zeigte. In ihrer heutigen Form läßt sich von ihrer Herkunft nicht mehr viel erkennen, obgleich sie wahrscheinlich mit den ältesten Bildern zusammenhängt. Pros. Murray glaubt, Schlüsse auf die Lebensweise der Leute ziehen zu können, die diese Buchstaben und vielleicht noch weitere des Alphabets erfanden. Der Ochse, das Zelt, das Kamel und die Tür müssen besonders wichtige Dinge für sie gewesen sein. Daraus wäre zu folgern, daß die Menschen in oder nahe einer Wüste lebten, in Zelten wohnten und den Ochsen jagten, oder viel- leicht gar schon als Haustier hielten, das Kamel aber als Be- förderungSmittel benutzten. Die Gesamtheil der Vokale A, E, I, O, U und V wurde erst von den Griechen erfunden. Früher wurden an ihrer Stelle Hauchlaute gebraucht, um Unterschiede im Klang hervorzubringen. Man kann sich eine Sprache ohne Vokale nur so vor- stellen, daß dieKonsonanten mir großer Heftigkeit hervorgestoßen werden, und derKlang derRede muß etwas sehr Barbarisches gehabt haben. Wahr- scheinlich aber wurden sie in ihrer Verständlichkeit noch viel mehr als heute durch Gebärden unterstützt, wie denn die Gebärdensprache noch weit älter ist und den Menschen sicherlich von Anbeginn zur Verfügung gestanden hat. ES ist auch nicht zu bezweifeln, daß manche Gebärden unter allen Erdbewohnern die gleiche Bedeutung gehabt haben. Jetzt sind eigentlich nur noch die Gebärden der Be- jahung und Verneinung übrig geblieben. Das merkwürdigste Beispiel einer hochausgebildeten Gebärdensprache bieten die akr?n Völker in Nordamerika . Da sie sich aus vielen eingewanderten Stämmen zusammensetzten, herrschte unter ihnen ein erstaunliches Sprachgemisch, dessen Erforschung der heutigen Wissenschaft immer noch die größten Schwierigkeiten be- reitet. Dennoch konnte ein Indianer den ganzen Erdteil durchreisen und sich überall durch Gebärden verständlich machen. Die Gebärden- spräche wurde dort die Grundlage zur Erfindung einer Schrift genommen, von der noch zahlreiche Beispiele in indianischen Urkunden vorliegen. Vorwärts Buchdruckcrei u. Verlagsanstalt Paul Singer LrCo., Berlin LlV.