Tniertcs Schauspiel. Aber er war kein gewöhnlicher Galerie-zuschauer' er spielte selbst mit; freilich bloß als ein sehruntergeordneter Statist— aber dennoch! Der Börsenjargonstörte ihn nicht mehr. Du lieber Gott— es war ja genaudasselbe wie vor vielen Jahren daheim im Skeppsbroviertelin Stockholm bei dem alten Jammerlappen, dem Görlitz, undwas ihm damals so imponiert hatte. Es waren bloß einpaar andere Ausdrücke gewesen, ein bißchen feiner, wenn manso sagen wollte, weil sie französisch waren. Er konnte nochheute die Alkoholstimme des Neffen hören, wenn er von jenerParodie von einer Börse am Stortorg kam, wie er etwasvon Hansse und Baisse hervornäselte, und wie ihm, Helge,das immer so mystisch und feierlich vorgekommen war. Etwas,das dem Freimaurertum der Geschäftswelt angehörte undwas sich nicht lernen ließ. Die buchstäbliche Bedeutung kannteer ja; aber es blieb trotzdem gleich wunderbar, und sein Leb-tag hätte er sich nicht gedacht, daß„Stier" und„Bär" das-selbe bedeutete wie diese Worte. Da hatte der alte Görlitz dagehockt und sein ganzes Geschäft an Schufte auf der Ham-burger Börse verspekuliert, ohne daß er selbst die Fäden zusehen vermochte, hatte einfach im Verlaß auf seinen altmodischveranlagten Geschäftskopf vierundzwanzig Stunden alte Kurs-berichte gelesen und alles für bare Münze genommen, was... Droben am Washington Square, oder in der Aka-demie...— Bendel! He, BendellHelge fuhr mit verwirrten Augen auf.— Ja. Herr.lForUetzung folgt.).Leipzig.i.Vor Leipzig erhebt sich roh und plump das Lotteriedenkmalder Völkerschlacht. Wie ein riesiger Briefbeschlverer, ein steinernesRekfameplakat. Der phantasielos gefügte Steinhaufen wirkt inder llrgestalt nicht größer, als auf den Ansichtskarten. Obwohlman den Koloß, um ihn hoch zu heben, über dem Abfall und Schuttvon ganz Leipzig errichtet hat, scheint er immer wieder in dieErde zu sinken und die einzelnen Teile sich übereinander zuschieben. Nichts bezeugt die innere Leere dieser ganzen patrioti-ichen Geschäftigkeit, wie das jämmerliche Versagen, einen künstleri-che» Ausdruck zu finden. Wo kein wahres Gefühl, vermögen auchdie ungeheuersten Steinblöcke und das Aufgebot eines ganzen Re-giments von gleichartigen Henkersknechten, die die trutzigen Rolandedes nationalen Schutzes vorstellen sollen, keine Größe zu gewinnen.Nicht weit von diesem Steinhaufen glänzt in den Himmeldie goldene Kuppel einer russischen Kirche. Man möchte sie ausder Ferne für eine Ntrappe halten aus dem Vergnügungspark derbenachbarten Baufach-Ausstellung, wenn man nicht wüßte, daß eseine wirkliche russische Kirche ist, die in diesen Tagen der Jahr-Hundertfeier geweiht werden soll. Russische Großfürsten und Ko-saken erscheinen leibhaftig, um gemeinsam mit deutschen Fürsten,deutschen Soldaten, Gendarmen, uniformierten und zivilen Schutz-leuten die Tage zu feiern, da vor hundert Jahren die Freiheiterkämpft sein soll.II.Was feiert man?Bevor Napoleon I8t3 Paris verläßt, gibt sein Minister MitteFebruar in der gesetzgebenden Versammlung eine Uebersicht überdie kulturellen Errungenschaften unter dem Kaiserreich. Frank-reich hat trotz eines zwanzigjährigen wütenden Krieges seine Be-völkerung um ein Zehntel vermehrt. Das Einkommen aus denErzeugnissen des Ackerbaues hat ö Milliarden erreicht. Die Ver-Wertung der Rohstoffe durch Handarbeiten und Fabrikation trägt1300 Millionen. 65 Millionen bringen die Verwertungen der neuenchemischen Entdeckungen. Alles in allem erzeugt Frankreich 7 Mil-liarden Frank an Produkten des Ackerbaues, der Handarbeit undIndustrie, vielleicht sogar 16 Milliarden jährlich. Der HandelFrankreichs schließt mit 126 Millionen Ueberschuß der Ausfuhrüber die Einfuhr, obwohl das Meer geschlossen ist. Der Kaiserhat 36 Millionen für Brücken, 54 Millionen für Kanäle, 267 Mil-lioncn für Straßen, 166 Millionen für Sicherung und Ausbau derSeehäfen aufgewendet, 166 Millionen wurden zur Verschönerungvon Paris verausgabt, 12 Millionen für Waisenhäuser und Zu-fluchtsstätten für den Bettel. Geht man hinüber über die engerenGrenzen Frankreichs, so ist eine Milliarde zu öffentlichen Arbeitengeweiht worden.„Diese unermeßlichen Ausgaben ersetzen denVölkern mit Wucher die von ihnen bezahlten Tribute und belebendas neue wie das alte Frankreich, Rom und Holland wie Paris."Jetzt wenige Monate später, wird diese ganze Kraft nur derZerstörung hingegeben. Fünf mal hunderttausend Menschen rasenvom 16. bis 19. Oktober im Mordwahnsinn: 177 666 Franzosengegen 336 666 Preußen, Russen, Oesterreicher und Schweden. Un-ablässig brüllen die Kanonen, 226 666 Geschosse speien sie in diesenTagen aus, 95 666 allein am 13. Oktober. Die Granaten fliegenbis in die innere ummauerte Stadt. Ringsum brennen dieDörfer, 45 666 Tote und Verwundete läßt Napoleon zurück, 86 666die Verbündeten. Am 16. Oktober ist Napoleon Sieger, am 18.,als die Nacht den blutigen Greueln eine Ruhepause erzwingt, istNapoleon nicht besiegt; die Franzosen haben fast alle Stellungenbehauptet, obwohl mitten in der Schlacht die Sachsen meutertenund zu den Verbündeten übergingen. Am 19. tritt trotzdem Na-poleon den Rückzug an. Gegen diese ungeheure Uebermacht halfkein Heldenmut und auch kein strategisches Genie. Die Elster-brücke fliegt vorzeitig in die Luft, die auf der Brücke stürzen inden Strom, die noch nicht hinüberkonnten, werden jetzt von denVerbündeten niedergemacht oder gefangen.Die Tore Leipzigs werden gesprengt, im Siegesrausch ziehendie Verbündeten ein. Leipzig ist eine Stadt von wenig mehr als36 666 Einwohnern. Die Bevölkerung verdoppelt sich in diesenTagen: durch Kranke, Verwundete, Sterbende, Gefangene. Es gibtkein Brot mehr in der Stadt. In den engen Straßen kämpft diekleine französische Besatzung mit einer Tapferkeit, in der derWahnsinn grinst. Die Luft ist verpestet von dem Unrat und denfaulenden Kadavern der Pferde. Die gefangenen Franzosen halbverhungert, irren umher und verschlingen, was sie in den Kehrichthaufen finden, sie sättigen sich an dem faulenden Fleisch und selbstvor menschlichen Leichnamen schreckt ihr Fieber nicht zurück. DieThomaskirche ist das Lazarett der Franzosen. In einer Seiten-kapelle entsteht eine Explosion. Die Kranken treibt panisches Eni-setzen von ihren Lumpen. Ein(franzosenfeindlicher) Augenzeugeschildert den gräßlichen Anblick, wie die elenden, kaum Lebendenähnlichen Kranken, gleich Haufen von Gewürme, einer über denanderen herauskrochen, weil sie nicht wußten, was vorgehe. Siemußten mit Gewalt zurückgetrieben werden; es war der greuel-volle Gedanke über sie gekonimcn, man wolle die Kirche mit in dieLuft sprengen, um sie nicht länger nähren zu müssen....Hundert Jahre später jubelt man lärmend, in glitzerndemPomp!III.Wer feiert? Der König von Sachsen lud die Fürsten nachLeipzig ein: Der Nachkomme des Mannes, der von Napoleon dieKönigskrone empfing, der— als einziger der deutschen Fürsten—dem Kaiser auch nach Leipzig die Treue bewahrte, der nach derSchlacht kriegsgefangen von den Verbündeten nach Berlin geschlepptwurde. Der ist jetzt der Gastgeber. Und die Siegesfeier lärmt inder zweiten Hauptstadt des Landes, dessen Zerstörung und Aus-lieferung an Preußen der Siegespreis war, um dessentwillen derpreußische König sich zum Kriege bewegen ließ. Preußen mußtesich dann mit der Hälfte Sachsens begnügen; die Rivalität Oester-reichs ließ den ganzen Raub nicht zu. Dieses Sachsen feiertheute den Tag seiner Zerstückelung! Zusammen mit denen, die ihmden Untergang geschworen und den Raub nahmen. Die Welt-geschichte spaßt verwegen!Es feiern all die Nachkommen der Rheinbundfürsten, die ihreLänder und ihre Kronen Napoleon verdanken und 1813 an seinerSeite kämpften.Einer aber feiert mit geschichtlichem Recht: der Kosak. Ausdem Untergang Napoleons wucherte die Vorherrschast des Zarismusim Osten Europas.Es feiern endlich die Patrioten, die Alldeutschen, dieselben, dieheute jeden Tag den Krieg gegen England verkünden, obwohl dochsofern überhaupt Leipzig die Entscheidung gebracht haben sollte—in Wahrheit brachte sie nicht Leipzig, sondern der Abfall des französischen Volkes von Napoleon—, der wirkliche Sieger dieses Eng-land geblieben ist, dessen Weltherrschaft durch den Sturz Napoleonszur Höhe stieg. Gerade dieser eigentliche Sieger aber fehlt beider Feier. Dort regiert gegenwärtig die Demokratie und man willnicht gern an die Zeiten erinnert lverden, da England die HeereEuropas gegen die Revolution und Napoleon zusammenkaufte, umdie wirtschaftliche und politische EntWickelung des europäischen Fest-landes zu hemmen.Genau einen Monat nach der Schlacht bei Leipzig aber er-stattete im britischen Parlament Lord Casllereagh diesen Rechen-schaftsbericht:„Ich habe Rechenschaft von der Verwendung derSummen gegeben, die das Parlament zu Ende der letzten Sitzungmit solcher Freigebigkeit der Regierung anvertraut hat. Man hatder spanischen Nation an Geld- und Kriegsmunitionen 2 MillionenPfund Sterling gegeben. Portugal hat ebensoviel empfangen; Si-zilien 466 666 Pfund; Schweden 1 Million. Man hatte einen Kreditvon 5 Millionen votiert, und es freut mich ausnehmend, sagen zukönnen, daß diese Summe zur Deckung aller Ausgaben hinreicht,zu denen sich Großbritannien zur Unterstützung der gemeinschaft-lichen Sache verpflichtet hat; ich bemerke hier nur, daß 466 666Säbel und ebensoviele Flinten, außer dem, was nach Spanien ge-schickt wurde, nach dem Kontinente abgegangen find. Ich habenun noch die künftigen Bedürfnisse des Kontinents anzuzeigen.Wahrscheinlich wird für Schweden noch 1 Million nötig sein. Ichmuß nun die Aufmerksamkeit des Parlaments auf Preußen undRußland lenken, zwei Mächte, die von unserer Seite die größtenAnstrengungen erheischen. Man hat ihnen 5 Millionen Pfund be-willigt."Ein trockener und gar nicht feierlicher Bericht. Ein Völker-Händler, der mit ruhigem Behagen feststellt, daß das Blutgeld, daser ins Geschäft gesteckt hat, sich den Absichten und Erwartungengemäß rentiert hat.