IV.

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Ernst und mit gefchloffenen Lippen steht abseits von der Feier das Volt, die Befreiungskämpfer der Gegenwart. Es weiß, daß, wenn es vor 100 Jahren bei Leipzig   um die Freiheit ging, so gewiß nur um die Zerstörung der Freiheit. Der Niederlage Napoleons  folgte die Schredensherrschaft der Fürsten   gegen die Völker, durch die fie befreit waren.

Als Napoleon   auf St. Helena   starb, wurde er von den deutschen Freiheitskämpfern als der große, verkannte Befreier verherrlicht. Die Zeiten, die nach 1815 tamen, zeichnet ein Brief des jungen Friedrich Engels  , der eben in der Neuen Rundschau veröffentlicht wird. Und wenn man die ganze Wahrheit über Leipzig   und die Wirkungen der Völkerschlacht erfahren will, so genügt es, diesen einen Brief zu lesen:" Derselbe König, der anno 1815, als er die Angst kriegte, seinen Untertanen in einer Kabinettsorder versprach, wenn sie ihn aus der Schwulität riffen, sollten sie eine Konstitution haben, derselbe lumpige, hundsföttische, gottverfluchte König läßt jezt durch Eylert verkündigen, daß niemand eine Konstitution von ihm bekommen werde, denn alle für einen und einer für alle sei Preußens Regierungsprinzip, und niemand flide einen alten Lappen auf ein neues Kleid. Weißt Du, warum Rotteds vierter Band in Preußen verboten ist? Weil darin steht, daß unsere majestätische Roznase von Berlin   1814 die spanische Konstitution bon 1812 anerkannt hat, und doch 1823 die Franzosen nach Spanien  geschickt hat, um diese Konstitution zu vernichten und den Spaniern die edle Gabe der Inquisition und Tortur wiederzubringen. 1826 ist zu Valencia Ripole von Inquifitions wegen verbrannt worden, und dessen Blut und das Blut bon 23 000 edlen Spaniern, die wegen liberaler und tezerischer Ansichten im Gefängnis ver­schmachtet sind, hat Wilhelm III.  , der Gerechte  ", von Preußen auf seinem Gewissen."

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Und Engels schließt: Es gibt keine Zeit, die reicher ist an töniglichen Verbrechen als die von 1816 bis 1830; fast jeder Fürst, der damals regierte, hatte die Todesstrafe verdient. Der fromme Karl X.  , der tüdische Ferdinand VII.   von Spanien  , Franz von Desterreich, diese Maschine, die zu nichts gut war, als Todesurteile zu unterschreiben und von Carbonari   zu träumen, Don Miguel, ber ein größeres Luder ist, als sämtliche Helden der französischen  Revolution zusammengenommen, und den doch Preußen, Rußland  und Defterreich mit Freuden anerkannten, als er im Blute der besten Portugiesen sich badete, und der Vatermörder Alexander von Rußland  , sowie sein würdiger Bruder Nikolaus, über deren scheuß­liche Taten noch ein Wort zu verlieren überflüssig wäre oh, ich fönnte Dir ergößliche Geschichten erzählen, wie lieb die Fürsten  ihre Untertanen haben. ich erwarte bloß von dem Fürsten   etwas Gutes, dem die Ohrfeigen seines Volkes um den Kopf schwirren, und dessen Palaftfenster von den Steinwürfen der Revolution zer­schmettert werden."

Der Invalide im Irrenbaufe.

Leipzig  , Leipzig  ! arger Boden, Schmach für Unbill schaffest du. Freiheit hieß es, borwärts, vorwärts! Trantst mein rotes Blut, wozu? Freiheit! rief ich, vorwärts, vorwärts! Was ein Tor nicht alles glaubt, Und von schwerem Säbelstreiche Ward gespalten mir das Haupt. Und ich lag, und abwärts wälzte Unheilschwanger sich die Schlacht; Ueber mich und über Leichen Sant die falte, finstre Nacht. Aufgewacht zu grausen Schmerzen, Brennt die Wunde mehr und mehr; Und ich liege hier gebunden, Grimm'ge Wächter um mich her. Schrei' ich wütend noch nach Freiheit, Nach dem bluterfauften Glüd, Beitscht der Wächter mit der Peitsche Mich in schnöde Ruh' zurück.

Chamisso.

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feinen Zwang, man neigt sich nicht, man reckt sich nicht, man inter­Man erfährt die Bestätigung essiert sich kaum; man lächelt nur. einer Warheit, die so alt ist, wie die Stunft selber: die Größe wird nicht durch Ziffern, sondern durch Geist geleistet. Größe ist Form. Eine Radierung, die sich von einer Handfläche zudeden läßt, tann unser Gefühl so heftig ergreifen und unsere Vorstellungen so selbst. verständlich ins Unermeßliche reißen, daß wir uns Herren der Erde und Helden der Zeit fühlen. Wie ein einziger Taft musikali­schen Klingens die Massen in Erregung seben kann, wie der Marsch der Bässe in Frieds Erntelied" die Sinne machtvoll ergreift und den Willen zu hohen Zielen steigen läßt, jo fann ein einziger Linienzug den Menschen verwandeln, so wirft eine Zeichnung von Daumier Rebellion. Die Ziffern tun es nicht; die form ist alles. Diese Form aber läßt sich nicht stehlen noch befehlen; sie muß mit natürlicher Gewalt wachsen und muß Echo und Spiegelbild des Das Denkmal für die Völker­entscheidenden Zeitwillens fein. schlacht bei Leipzig   wird darum zu einer Karikatur seiner Absichten, weil es nicht getragen wird vom Willen noch von der Sehnsucht der Völker, weil es vielmehr nichts anderes ist als eine Gelegen­heitsbegeisterung verspäteter Byzantiner. Es ist kein Dokument vom Riefentampfe der Nationen. Die Pyramiden sind unsterblich, weil sie der höchste Ausdruck von der Macht der Pharaonen waren! Wenn das Leipziger   Denkmal mit den Pyramiden wetteifern wollte, so hätte es den Mächten der Gegenwart gesetzt werden So aber, aus der Stammtischhysterie müssen: den Völkern. etlicher Schulmeister und Regelbrüder fünstlich zusammen buchstabiert, ist der spreizige Steinhaufen nichts anderes als ein Spielzeug für den Riesen, der wartend zur Seite steht, die letzte Völkerschlacht zu schlagen.

Die Kunst läßt sich nichts abzwingen; fie läßt sich nicht be trügen. Wenn man ihr befiehlt, Mächten, die gar nicht mehr da sind, die längst dahinschwanden, Formen und Denkmale zu leisten, so spottet sie solcher Tyrannei und schafft Zerrbilder. Das ist die Geburtsgeschichte und die Tragikomödie des Leipziger Schlachten mals. Die Erinnerung an die blutigen Tage des 18. Oktobers war aus dem Gedächtnis der Völker entschwunden, und soweit ste noch lebte, war sie ganz etwas anderes als das, wozu man fie in diesem trunkenen Jubiläumsjahr dressiert hat: Dank an die Fürsten  . Nicht ein unaufhaltsames Drängen rief nach einem steinernen Wahrzeichen für den Sturz des Korfen und die Auf richtung der heiligen Alliance; eine überwundene Lesart der Ge schichte versuchte sich noch einmal bemerkbar zu machen. Und es gelang ihr auch, äußerlich angeschaut, sich durchzusehen. Freilich, merkwürdig genug sieht das Denkmal der deutschen  Befreiung nun ans. Ein Zirkusstück aus Berfien und Medien, Babylon und Aegypten   macht da seine Spektakel. Gepanzerte Kerle, die aus irgendeiner Hunnenoper entsprungen scheinen, tone furrieren mit frisierten Löwen; gespenstige Nasen, mehrere Meter lang, werden von Priestern der Isis bewacht; Zehen, diverse gent  ner schwer, frampfen sich an Füßen, deren Waden sich gebirgig werfen wie die von Gößenfiguren aus den Tempeln indischer Menschenschlächter. Das also sollen Symbole der deutschen   Seele fein; man möchte eigentlich meinen, daß solch Panoptikum ge spensternder Grimaffen eine dämonische Verhöhnung derer ist, die fich herausnehmen, dem Rad der Weltgeschichte in die Speichen zu fassen. Ein riesenhafter, unheimlicher Simplicissimuswitz steht für diverse Jahrhunderte aus Stein gehauen: ein Patriotenrausch im Riesentasperletheater. Die armen Merle, die diesem törichten Spiel die Regie gaben, der Architekt und der Bildhauer, sie sind. recht zu bedauern, daß sie die Arbeit von fünfzehn Jahren daran setzten, um steinern über die Unfruchtbarkeit furzbeiniger Schwär mer und über die unerbittliche Gerechtigkeit der Kunst zu quittieren. An der Breslauer Halle der Zehntausend ist der Erbe der heiligen Alliance vorbeigegangen. Er mußte an ihr vorbeigehen. Vor dem Leipziger Koloß wird er die Hand an den Helm führen. Er weiß nichts von den Füßen, auf denen dieser Koloß ruht, bon den ungeheuren, genialen Betonbögen, die nun vom Scherbelberg gebedt werden. Diese Betonbögen, elastisch und unwiderstehlich, werden sich einst aufrichten, den seelenlosen Spuf der Wagner oper dort oben abzuschütteln. Rings im Lande baut der Instinkt des Volkes an Denkmalen, die wahrhaft die Sehnsüchte der Leip ziger Schlacht erfüllen. Unaushaltsam tommt die Architektur der Maffen, die Architektur der Demokratie. Da sinten dann die Denkmale erledigter Zeiten, wie vordem die Adler Napoleons  . Robert Breuer

Kleines feuilleton.

Das Leipziger   Riefenfpielzeug. fleinen Sohn auf eine Idee gebracht wordn, der er jetzt den Haupt­

Als ein Ehrenmal für die gefallenen Helden, als ein Ruhmes­mal für das deutsche Bolt, als ein Mahnzeichen kommender Ge­schlechter" hat ein Slub guter Patrioten in Leipzig   12 000 Stubit meter Granit und 100 000 Bentner Stampfbeton an die hundert Meter hoch aufgeschichtet. Die Absichten und die Zahlen verheißen Gigantisches; das Ergebnis ist nur ein Spielzeug. Etwas Mert­würdigeres läßt sich kaum vorstellen: man sieht da einen Koloß vor sich stehen, von dem man die Ueberzeugung hat, daß er sich wie eine Schachfigur von der Stelle rüden läßt. Man empfängt nicht das geringste Gefühl unentrinnbarer Großheit, man empfindet

Edisons Revolution in der Schule. Edison ist durch seinen teil seiner unermüdlichen Arbeitskraft zuwendet: er will durch den Film eine Revolution im Elementarunterricht hervorrufen. Wie der amerikanische   Pädagoge Leonard B. Ayres in den New Yorker Survey" mitteilt, hat der groß Erfinder bereits die Ideen für etwa 1000 verschiedene Films ausgearbeitet, durch die den Kindern die wichtigsten Kenntnisse in Naturgeschichte, Geschichte usw. ver mittelt werden. Die von ihm entworfenen Szenerien werden dann von einem Fachkenner in allen Einzelheiten fertiggestellt. Zu Be urteilern seiner Leistungen hat sich Edison die Kinder selbst bestellt. Die Films werden vor Angehörigen einer bestimmten Schulflaffe, für die sie gerade gedacht sind, vorgeführt, und die beste probe für