Anterhaltungsblatt des Vorwärts

415

Nr. 205.

4]

Dienstag, den 21. Oktober.

4 Helge Bendels Luftfchlöffer.

-

-

Ein Chikago- Roman von Henning Berger. Da hatte der alte Görliz einfach im Verlaß auf seinen alt­modisch veranlagten Geschäftskopf vierundzwanzig Stunden alte Kursberichte gelesen und alles für bare Münze genommen, was ein Agent ihm telegraphierte. Es war genau so, als wollte man versuchen, hier auf der Börse in Chikago den Juni­weizen am ersten Mai zu kaufen denn die Ware konnte ja selbstverständlich ebensogut aus Wertpapieren, Aktien und Obligationen bestehen und dabei daheim im alten Stock holm zu fizen, ohne eine Ahnung davon, wie die Stiere stießen und die Bären flauten. Selber mußte man dabei sein in der Schlacht, um nachzuhelfen und den Sieg zu zwingen, sich nach der oder jener Seite zu wenden. Jede Minute war ein Fallen oder ein Steigen, fein astronomisches oder phyfi­sches Instrument war so empfindlich wie der Puls dieses ent­jeglichen Spekulationshandels, der auf jeden Schlag des Markt- Herzkrampfes ungleich reagierte. Wie viele Millionen, dachte Helge, mag wohl allein mein kleines Land zu den Kriegsunkosten dieser Wölfe und Marodeure beisteuern? Ohne eine Ahnung zu haben ohne zu sehen...

-

So ungefähr hatten seine Reflexionen angefangen. Das war nun bald fünf Jahre her, und heute betrachtete Helge die Dinge gleichgültiger. Wie das kam?

1913

ziemlich bald im Nebel; aber vieles blieb doch zurück, ward reduziert oder vergrößert, umgegossen und verwandelt, und trug stets an der Tür das goldene Schild: Bendel u. Co. Weshalb dies Co. eigentlich dabei sein mußte, vermochte Helge nicht genau zu erklären; aber vermutlich repräsentierte es die Macht, die fehlte, die Macht, den Traum zu verwirk lichen.

Es hatte wenig Aehnlichkeit mit dem Luftbild, das an einem Märznachmittag über dem Strom in der Stadt droben im Norden gestanden hatte. Und doch war vielleicht eine Ver­bindung da nicht für das Auge, aber im Gedanken. Selbst in den ersten berauschenden Börsenphantasien, als die Chimäre am weißesten brannte, hatte Bendel einen Untergedanken, und zwar schärfer präzisiert als je zuvor, nämlich den, daß der Reichtum Mittel sein sollte, aber nicht Zweck. Er empfand sozusagen die Idee hinter diesem allvermögenden Geld- wie es Schönheit schaffen sollte und Kunst, und wie er endlich sich einer Welt würde hingeben dürfen, die von der Zauber­spiegelung in den Wolfen stammte. So war es auch damals gewesen, wenn auch unklarer, als das verfluchte Gold des alten Bucherers Larsson in den Köpfen der Familie Bendel gespukt hatte. Und jetzt, eben jeßt, wie hatte er nicht mit der Energie der Verzweiflung, ohne einen Pfennig Geld, ohne Hilfe, und ohne Phantasterei, mit Händen und Füßen sich festgeflammert an die Wirklichkeit, um ein paar der Ideale zu verwirklichen. Es war sein Körper, der hier saß, eine mechanische Hülle, während Hirn, Herz und Seele nicht bloß des Abends, sondern den ganzen Tag über in einem großen Atelier arbeiteten oder in der wertvollen Mäzenatbibliothek. Bendel!

Mit den Worten des Prinzipals war ein kleiner blau­weißer Funke in einen zunderdürren Winkel in des Schweden Bewußtsein übergesprungen. Und der schlug in Flammen aus, ward zum Brand. Aber zu einer Feuersbrunst, von Der nur allein er selbst wußte, deren scheue Flammen verborgen waren in dem gemeinsamen Schein von Millionen anderer, demie. größerer und kleinerer ähnlicher Feuersbrünste.

Helge Bendel war auf dem Punkt angelangt, von wo aus er glaubte den Weg zum Traumland des Reichtums zu erblicken. Und einen Weg, den er selbst bahnen wollte.

Es gingen im Börsenviertel Sagen um und Legenden über das Emporkommen der berühmten Maklerfirmen und die Herkunft ihrer Besizer. Alle hatten sie mit zwei leeren Händen und ihrem Kontor in der Hosentasche angefangen. Der große Brand, der die ganze Stadt einäscherte, hatte den einen aufgeholfen; andere hatten eine Witterung für das, was die Zukunft bringen mußte, und wieder andere einen Blick für die unausgenügten Chancen der Gegenwart. Alle hatten fie ein weites Gewissen, träftige Bähne, Hände, Ell­bogen und Füße und eine brennende Gier nach dem großen, runden Dollar. Alles andere war verächtlich oder ließ sich später, in zweiter Linie, kaufen. Oh, und da waren nicht fogar Schweden unter dieser Schar! Aber nicht nur um Männer der verflossenen, guten, alten Zeit handelte es sich; nein, feineswegs. Da war als großes Beispiel William, der fiebzehnjährige Schreiber bei Ascott Brothers. Wie hatte sich der nicht eines Tages aufgeschwungen gleich einem schim­mernden Goldvogel, einem Meteor, märchenhaft kühn und glücklich im Spiel mit Fortunas schlüpfrigen Würfeln. Und da war Bradford, kaum über zwanzig, der in aller Stille hinter dem Rüden seiner Eisenbahn mit den Papieren der Konkurrenzlinie gespielt und plöglich als Millionär dagestan­den hatte. Allerdings waren sie wieder erloschen und ver­schwunden; aber das unergründliche Firmament trug ständig neue Sterne, eine prächtige Versammlung, die stets neue Strahlenpfeile schoß und den Betrachter blendete. Drei Jahre fostete es Helge, bis er die völlige Hoffnungslosigkeit dieser lächerlichen Einbildung einsah. Als das Blendwerk barst, biß der Schaum seiner Seifenblase ihm lange in die Augen; dann kamen Reaktion und Resignation. Aber die Phantasie lebte weiter, wenn auch schlummernd.

Welche Träume hatte nicht diese Phantasie ihm aufs neue borgezaubert! Bendel u. Co." stand da auf einem golde­nen Schild, das an einem schneeweißen Wolfenkrazer be­festigt war. Hoch ragten seine Binnen empor über die an­deren Handelshausriesen-Mandnod-, Rialto-, Insurance­Block oder Bauten, wie es am besten paßte und wie sie alle hießen. Allerdings war es nur in gewissen überhitzten Augen­blicken und meist während des ersten Jahres, daß er diese Visionen erbaute; Bendel- Block oder Bendel- Bau verschwand

-

Droben am Washington Square, oder in der Aka­

Bendel! He, Bendel!

Helge fuhr mit verwirrten Augen auf. - Ja, Herr.

Die beiden Herren am Pult des Agenten starrten den Buchhalter verwundert an. Schlief er ettva?

Helge hatte nur noch den letzten Anruf gehört; aber die Schärfe der Stimme versette ihn augenblicklich in die Situation und er fügte hastig hinzu:

Ich bitte um Entschuldigung- ich addierte eben eine lange Bahl im Kopf...

Gut! nickte Herr Roth. Mr. Neuter wünscht- Der Millionär vollendete:

Ja, möchten Sie so freundlich sein und in den gelben Salon hinaufgehen, wo ich gespeist habe, und mir meinen Pelz herunterholen? Ich möchte nicht gern, daß jeder erste beste ihn in die Hand bekommt.

Helge eilte hinaus.

Aus dem Vestibül des Hotels waren jekt so ziemlich alle Reisenden verschwunden, um sich zu Mittag umzukleiden. Dagegen saßen noch viele entweder in Gruppen unter den Palmen oder vereinzelt in Lehnsesseln um die Säulen, die Börsenmänner, die in den Villenstädten wohnten und die es nicht riskieren wollten, am nächsten Tag durch den Schnee am Hereinfahren verhindert zu werden. Die lokalen Telegraphen­und Telephonlinien, die zum größten Teil Untergrundleitung besaßen, waren unbeschädigt, und die Makler verabredeten in aller Ruhe und Gemächlichkeit ihre Boferpartien für den Abend. Da sah man Mr. Carthy, der am selben Tag eine halbe Million an Dezemberlieferung zu niedrigem Oktober­preis verloren hatte und nun darauf wartete, umzuschwenken und Stier zu werden, falls die eigensinnigen Gerüchte von Reuters Corner fich als wahr erwiesen. Auch Baring, ge­nannt Liverpool- Jack, war, wie es hieß, mit Joe Reuter im Bündnis oder sollte wenigstens für dessen Rechnung operieren. Da war Stewart mit dem Spitznamen der Bulldog, Tom Harris und Lew Spurter, Afe Goldsmith, Anshelm Mayer und Fred Brown sämtlich als Leutnants in Neuters Armee bezeichnet. Aber auch der alte Cudahy war da, der Schlachter, Carruthers, der Bankier, Marshall und mehrere andere im Dienst der Spekulation Ergraute, und diese hielt man für prinzipielle Gegner eines Getreide- Corners. Außer­dem sab Helge, während er durch die Halle ging, ein halbes Hundert Gesichter, die für ihn namenlos, aber von der Börse her wohlbekannt waren. Rundum vernahm man entweder