vornehm bei uns. Wir haben bafiir ein Wort— ein gewisses Wort— es heißt"— „Shoking!" ergänzte Desaroi bestürzt.„Pardon, ich konnte das nicht ahnen. Un>d mit den Zweikämpfen, die Sie zulassen, ver- bält es sich am Ende ebenso, und damit, daß Sie die natürlichen Trinkgefäßc nicht benützen, sondern direkt aus dem Tümpel saufen?" Der Asse gab dem vorlauten Frager nur einen Blick und einen Ton. Aber Desaroi hätte nicht der Mann in hervorragender Stellung sei» müssen, der er war, um sich über die Bedeutung im klaren zu sein. Sofort bereute er die Indiskretion, aber Oggai entfernte sich lautlos. Lange war der Professor wieder auf das Alleinsein angewiesen. Al» fein Verstoß in Vergessenheit geraten war und er Gelegen- heit hatte, mit besseren Affen zu verkehren, traf er bei ihnen auf soviel sittlichen Ernst und tiesinnere Ucberzeugung bezüglich des Zweigeabbrechens der Zweikämpfe und des Wassersaufens, daß er bald nicht mehr die geringste Anspielung auf diese Dinge wagte. Damit aber nicht genug, fühlte er einen merkwürdigen Wechsel in feinen Ansichten vor sich gehen, und nach kurzer Dauer des Ver- lehrS geschah das Seltsame: Desaroi ertappte sich selbst, nachts, allein in der Blockhütte, bei der Abfassung eines Essays— eines Essays, dessen Form übrigens jedem Pariser Blatt Ehre gemacht hätte!—, in dem er drei Dinge aus das entschiedenste verfocht. Die Berechtigung zum Zweigeabbrechen ohne erkennbaren Zweck, die Zweikämpfe mit Zähnen und Klauen und das direkte Wasser- saufen aus dem Tümpel. lind die Entwickelung der Dinge nahm auch weiterhin einen ganz sonderbaren Verlauf. Leider verlieren in dieser Zeit die Aufzeichnungen Desarois an Geuaugkeit, und jener wirklich achtungswerte Eifer, den er bisher der Wissenschaft entgegengebracht, tritt immer weniger zutage. Mit Bestimmtheit ist man also nur über den Empsang informiert, den Franeois Guillaume und seine Diener fanden, als sie nach fast Jahresfrist wiederkamen, um Desaroi der Zivilisation zurückzugeben. Er sah sie erst prüfend an; dann aber, statt in Freude auszubrechen, fletschte er bei ihrer Annäherung die Zähne und drehte ihnen schließlich auf indezente Weise den Rücken. Der begrüßenden Umarmung Frangois entzog er sich durch eine plötzliche Besteigung des nächsten Baumes. Als jene darüber heftigen Schrecken zeigten und Miene machten, mit Aufbietung aller Energie Dciaroi zu bewegen, feine Rolle als be- deutender Gelehrter und Kulturfaktor wieder aufzunehmen, be- raubte er sie vollends seines Anblicks und kam während ihrer An- Wesenheit überhaupt nicht mehr zum Vorschein. Man mußte sich damit begnügen, seine Manuskripte, auf die er keinen Wert mehr zu legen schien, heimzubringen. Jean Henry Desaroi war nämlich wirklich eine bedeutende Per- fönlichkeit und verdiente vollauf die Ehrenstellen, mit denen ihn die Gesellschaft bekleidet hatte. Er war Mitglied der Akademie, Ritter der Ehrenlegion und Besitzer vieler Auszeichnungen; das alles war er geworden, wie man es meistens wird, indem er genau das tat, was andere ihm vormachten, sorgfältig fremde Gesten und Ansichten kopierte und bei dem allen nur noch mehr sittlichen Ernst und innere Ucberzeugung entwickelte als seine Vorbilder. Und daß diese feine soziale Bedeutung wirtlich vorhanden war, erwies sich im gegebenen Fall und auch weiterhin. Nach kaum einem Jahre war es niemand anderer als er. der an Stelle des bereits allzu fett gewordenen Oggai bei der Zeremonie des Zweige- abbrechen? präsidieren durfte. Aber selbst Oggai hatte jedes Ge- fühl de» Neides gegen ihn überwunden und verehrte ihn aufrichtig. kleines f euülcton. Kulturbilder. Mexikanisches Brigantentum vor fünfzig Jahren. Erinnerungen an Frankreichs mexikanisches Abenteuer, das vor fünfzig Jahren seinen Anfang nahm und am 19. Juni 1867 mit der Erschießung de« Kaisers Maximilian endete, veröffentlicht Andrö Fouquere im„Journal". In jedem Lande, daS den Schrecken deS Krieges oder des Aufruhr? preisgegeben ist, bilden sich Räuber- banden, für die im Grunde keine der kriegführenden Parteien ver- antwortlich zu machen ist, und die sick aus dem Auswurf der Be- völkerung rekrutieren. Mexiko schien schon durch die Natur seines schluchten- und bergreichen, zerklüfteten Bodens sowie durch die etivaS wilden Sitten seiner Bewohner für das Räubertum wie geschaffen zu sein: ist das Land doch auch heute noch trotz strengster Polizei« maßnahmen alles andere eher denn sicher. Dabei sind die alten Postkutschen schon längst durch Eisenbahnen ersetzt worden. Im Jahre 1863 reiste man noch nicht so bequem. Als die franzö- fischen Truppen sich vor fünfzig Jahren der Städte Puebla und Mexiko bemächtigen, machte jeder, der ein längere Reise vorhalte, bor der Abfahrt sein Testament. Kam eS dock vor, daß auf einer selbst verhältnismäßig kurzen Strecke ein Postwagen fünf- oder sechsmal überfallen wurde. Das konnte unter Umständen sehr gefährli'S werden. Die Bande, die zuletzt kam. hielt sich, da sie nichts mehr zu plündern vorfand, für schmählich betrogen; sie machte sozusagen die Reisenden dafür verantwortlich, daß sie sich ihr Geld, ihr Gepäck und ihre Kleidungsstücke hatten rauben lassen, und nahm für diese verantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln.--- Druck u. Verlag: Taktlosigkeit Rache, indem sie nach rechts und nach link» hin Säbel- hiebe verteilte; und wenn sie ganz ärgerlich wurde, statuierte sie ein Erempel, indem sie zwei oder drei Passagiere aufknüpfte..Nur selten kommt e» vor," schrieb Ampöre in seiner»Spazierfahrt durch Amerika, "„daß die Räuber die Reisenden, die sich nicht zu Wehr setzen, hinmorden; sie begnügen sich ge- wöhnlich mtt dem Ausplündern. Man nimmt deshalb nur das Allernotwendigste und vor allem nicht viel Geld mit; aber man muß doch so an 59 Frank haben, um nicht mit leeren Händen angetroffen zu werden: die Wegelagerer können in solchen Fällen recht unan- genehm werden. Im JahreZItzog Ins man einmal an den'Straßeneckcn der Stadt Mexiko nachstehende Bekanntmachung:»Der Banden- general hat in Erfahrung gebracht, daß die Reisenden seit einiger Zeit absichtlich nur wenig Geld einstecken; er tut deshalb kund und zu wissen, daß fortan jeder, der bei der Durchsuchung seiner Taschen nicht im Besitz von mindesten» zwölf Piastern befunden werden sollte. die Bastonade erhalten wird...." Die Herren Räuber forderten von ihren Opfern aber nicht bloß anständig gespickte Börsen, sondern nahmen ihnen kalten Blutes auch die Kleider fort und ließen die Passagiere in einem paradiesischen Zustande zurück; jede Woche fast brachte die Post, die von Mexiko nach Beracruz ging, Reisende männlichen und weiblichen Geschlechts, die nur mit ihrer Tugend bekleidet waren. Bei einer Hitze von 35 Grad mochte das noch angehen, aber im Winter war es, wie man zugeben dürfte, nicht sehr amüsant. Da der Kleiderraub sich schließlich zu einem Lieblin�ssport der Räuber ausbildete, richteten geschäftskundige Leute vor jeder Stadt, durch welche der Postwagen fahren mußte,„Konfektionsgeschäfte", in denen man sich vom Kopf bis zu den Füßen neu einkleiden konnte, ein. ede Postkutsche, die unterwegs Pech gehabt hatte, blieb vor dem leiderladcn stehen. Auf ein Zeichen des Kutschers brachten An- gestellte, nachdem sie sich schamhaft das Gesicht verhüllt hatten, Kleidungsstücke jeder Art und von allen Größen an den Wagenschlag heran und reichten sie durch da« Fenster den vor Kälte zitternden Passagieren, vorausgesetzt natürlich, daß diese noch Geld oder wenigstens Kredit hatten. Auch die Indianer gewöhnten sich nach und nach,.durch bösesvei- sviele verdorben, an ein bißchen Räubern, und sie Ivaren— zur Schande der Weißen muß e» gesagt werden— im Vergleich mit ihren Landsleuten und Kollegen von europäischem Blut beinahe „Gentlemen ". Die letzteren zeigten sich in fast allen Fällen habgierig und grausam, während die Wilden, die nur auf den ersten Blick schrecklich aussahen, nicht gegen die guten Sitten verstießen und nicht töteten. Sie betrieben das Räubergeschäfl mit einer gewissen Gut- mütigkeit; so ließen sie eS auch niemand entgelten, wenn eine Post- kutsche, die sie angeholten hatten, bereits vorher ausgeplündert war. Sie streckten nur die Arme verzweifelnd zum Himmel empor, stießen ein herzzerreißendes Geheul au» und jammerten:„Großer Gott! solch eiir Unglück, wir sind wieder einmal zu spät gekommen!' Länderkunde. Durch die unbekannte Mongolei . Die Mongolei , der Zankapfel zwischen Rußland und China , ist geographisch Verhältnis- mäßig wenig bekannt. Der englische Reisende Douglas Carruthers, der im Jahre 1919 die nordwestliche Mongolei und die Daungarei bereist hat, veröffentlicht jetzt ein zweibändiges, aufschluß- reiche? Reisewerk, das namentlich wegen seines Kartenmaterials wert- voll ist. Carruthers hat zunächst daS Land westlich vom Baikalsee systematisch erforscht, ist dann in der Gegend zwischen Ubsa Nor und dem Altaigebirge gereist, ist von da südwärts nach der Tian-Schan - Kette gewandert und östlich bis an die Ausläufer der Wüste Gobi gelangt; dann hat er Chinesisch-Tnrkestan durchreist und ist über den Karakorumpaß nach Indien gelangt, wo er gegen Ende des Jahres 1911, nach beinahe zweijähriger Reise ankam. Interessant ist, wa? Carruthers über die Völkerschaften mitteilt, die er kennen gelernt hat. Der Name deS gewaltigen Mongolenherrscher» Dschingis Khan, der für nnS eine wohlbekannte historische Persön- lichkeit ist, wird in der Mongolei noch heute genannt, aber nicht als der eines Herrschers und Eroberer», sondern als eines Gottes oder Halbgottes. Im 13. Jahrhundert waren die Mongolen eines der tapfersten, kriegerischesten Völker, deren Waffen niemand widerstehen konnte. Heute find sie nach Carruthers Darstellungen ein weichliche?, verkommenes Hirtenvolk, ein gefügige? Werkzeug in der Hand ihrer Herrscher, das sich aussaugen läßt. Der Einfluß deS verweichlichenden Buddhismus vor allem hat nach Carruther den kriegerischen Geist unterdrückt. Große Mengen der jungen Leute des Lande? gehen früh in die Lamaklöster und verbringen dort ein weichliches, fried- fertiges, untätiges Leben. Einen scharfen Gegensatz zu diesen Mongolen bilden die Kirei, ein Kirgisenvolk, das sich zum mohammedanischen Glauben bekennt. Wahrscheinlich sind eS die Abkömmlinge der Untertanen des Priester? Johann(des christlichen Herrschers, von dem die mittelalterlichen Geographen erzählen, dessen Reich auf die Misstonärtätigkeit der nestorianischen Christen zurückgeht), die ihren Glauben bis ins fernste Asien verbreiteten. Die Kirei sind ein freies, unabhängige» Volk; der Islam ist bei ihnen keine erschlaffende, sondern eine höchst tätige Religion und, allem Anschein nach, gewinnt er in ihrem Gebiete Boden. Die Kirei sind teils chinesische, teils russische Untertanen. aber alle sehen in Konstantinopel das eigentliche, politische, zu ihrem Glauben gehörige Machtzentrum.__ Vorwärts Buchdruckerei u.Verlag»anstalt Paul Singer LcCo., Berlin LIV.
Ausgabe
30 (21.10.1913) 205
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