832 Jene Schlußsäye deuteten nur an, daß auch auf denUrsprung der Menschheit uno ihre Geschichte" durch jene Prinzipien Licht fallen werde. Man tonnte also zur Rot denken, daß sie wirtlich nur noch die Entstehung des Menschen, nicht aber mehr sein weiteres kulturelle»«erhalten beträfen. In dem späteren Werk über dieAbstammung de» Menschen" ist auch, wo immer der Text auf die eigentlich« Menschheit und ihre moralischen Gefühle übergreift, niemals von Darwin selbst eine solche weitere Äutz- anwendung gemacht worden. Von zahlreichen Lesern aber jener Stelle und sehr gewissenhaften ist sie immer wieder ge- zogen worden. Man hat konsequent verstehen zu müssen geglaubt: für Darwin beruhe der Fortschritt im Tier- wie Menschenleben auf dem brutalsten Kampfe aller gegen alle und dem wüstesten Xi«dertretcn unzähliger Opfer. Und demgegenüber stand dann unser menschliche» Mitgefühl mit seinem Fragezeichen.... Die Forderung schien: entweder dieses Mitleid für die größte Gefahr des Fortschritts zu erklären oder Darivins Idee im ganzen abzulehnen. Nach Jahrtausenden indischer, griechischer, christlicher Mitleids- lehre, nach»oiistituierung der Moralgebote als Gewissensgesetzen, nach endlosem Experimentieren um eine friedlich garantierte Kul- turgemeinschaft, in einem Zeitalter, das jene Negersklaverei all- gemein verioorfen hatte, das die verzweifeltsten Anstrengungen nach verbesserten Sozialordnungen in unseren Kulturstaaten machte, das wenigstens theoretisch auch den politischen Krieg zu beanstanden begann, das sich um Invaliden- und Alterspflcge immer intensiver mühte, das täglich Wunder der Medizin als Hilfsmittel dazu vollbrachte, das bis zum Tierschutz übergegangen tpar nicht nur als einer gelegentlichen religiösen, sondern einer kulturellen Staatsinstitution, unter all diesen leuchtenden Zeichen am ganzen Kulturhimmel sollten wir wählen: entweder diese ganze Beivcgung war auf dem Holzwege oder Dartoin ist es. An der Möglichkeit dieser fatalen Fragestellung kann man so recht hübsch einmal den Schaden studieren, den es unter Um- ständen anrichtet, wenn ein bestimmtes Buch nicht geschrieben wird. Unter Darwins Werken fehlt hier ein Band, der sich mit der �gegenseitigen Hilfe" als einem Gruadphänomen der organischen Welt und eminenten Entwicklungsfaktor bereits im Bereich des Pflanzen- und Tierlebens weit unterhalb des Menschen ausführ­lich auseinandersetze. Gewisse Kapitel in seinerAbstammung des Menschen" zeigen deutlich, daß ihm der Stoff an sich fern lag und daß er ihn innerlich sehr Wohl würdigte. Aber die notige Pointe, die geraoe er ihm hätte geben müssen, um das Mißver- fiändniS abzuschneiden, ist nicht mehr zustande gekommen. Man weiß ja, wie langsam Darwin arbeitet« und wie spät in seinem durch Krankheit auf halbe Kraft gesetzten Leben erst das wirk. liche Aussühren seines wunderbaren Gedankenbaues begann: er hat noch v,el mit in die Westminsterabtei genommen, nicht nur das! Auch in der Folg« und bis heute hat es aber immerzu an einem hier wirklich ergänzenden biologischen Werk gefehlt. Haeckel in seinen Studien über Arbeitsteilung, über Siphonophoren usw. hat das Thema oft genug anregend gestreift, aber nie umfassend bearbeitet. In dem halb politischen Streit, der gelegentlich immer einmal wieder aufgeflackert ist: ob der Darwinismus eigentlich eine aristokratische oder eine demokratische Tenidenz habe(für mein Gefühl ein ziemlich wertloser Zwist, der doch nur auf halbe und relative Antworten führen kann), ist gerade diese Grund- fache am wenigsten gefördert worden. Neuerlich hat der prächtige Borkämpfer edelsten Menschentums Krapotkin ein geistvoll-sub- jektives Buch direkt unter dem Titel:Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung" erscheinen lassen(deutsch von Gustav Landauer ), daS mit wärmsten Worten auf die vorhandene groß« Lücke weist, selber aber nicht mehr als einen kleinen Anlauf nimmt, in einem ein- leitenden Kapitel den eigentlichen biologischen Unterbau zu streifen, der entwicklungsgeschichtlich das Nötigste wäre: das interessante Buch geht vielmehr auch gleich auf den Menschen selbst über. Ich meine nun, daß zu der ganzen Frage zunächst ein Ge- danke geradezu selbstverständlich ist, den man auch vom engsten und strengsten Alt-Darwinismus aus, wie ihn Darwin lehrte, un- bedingt anerkennen muß. Darwins Ansicht von dem Verlauf der Fortenwicklung im or­ganischen Getriebe geht bekanntlicki dahin, daß sich von verschie- denen auftauchenden Varianten(Abänderungen) stets die nützlichste, die vorteilhafteste erhalte und auf die Dauer durchsetze den minder- wertigeren gegenüber. Stellt man sich nun auf diesen Stand- tmnkt(wie alle jene ängstlichen Frager ja doch tun), so ist klar, daß das Prinzip gegenseitiger Hilfe vor ihm zunächst auch nichts anderes ist, als eine solche zur Wahl stehende Variante. Rein theoretisch läßt sich aber auch schon mit ebenso großer Sicherheit behaupten, daß in bestimmten Fällen gerade diese Variante die unbedingt nützlichere sein muß. Wenn drei lebende Wesen zusammentreffen, so kann die Aus- lese sich so vollziehen, daß alle drei sich wütend befehden, bis das stürlstc die beiden schtvächercn gefressen hat. Es kann aber auch die Konstellation sich ergeben, daß zwei 0 immenhalten und so das dritte bewältigen. Das Zusammen- en bedingt hier die Stärke mit. Noch aber ein Fall: alle drei können zusammenhalten gegen gewisse allgemeine Anforderungen oder Gefahren der Umgebung, Vcranlw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Druck u. Verlag: sei es gegen'Gioch andere Lebewesen, sei«S vor allem gegen da» gemeinsani« gefährliche nicht lebendige Milieu. Diese drei können sich so als starker EinheitSkämpfer erhalten, wo drei Einzelwesen isoliert abfiele«. In diesen und ähnlichen Fällen könnte ba» Prinzip gegen- fettiger Hilfe ganz einfach wie eine andere Variante auftauchen. könnte sich aber sehr wohl als die nützlichste und erhaltungsfähigste erweisen. Der Kampf als solcher mit seiner auslesenden Kraft im Sinne Darwins wäre dabei nicht aufgehoben. Aber man sieht sogleich, daß er auf dem Wege wäre, sich auf ein« ethisch sympa- thischere Form zu beschränken. Der unmittelbare Kampf zwischen Leben und Leben nimmt nämlich dabei ab. In jenem dritten Falle könnten wir uns ja wirklich schon denken, daß die ganze Front der drei zusammenhaltenden Wesen nur mehr gegen die anorganischen Mächte ihre? Milieus stände und deren weitere Zuchtwahl. Darwin selbst bat stet» mit Räch« druck betont, daß der züchtende Kämpf ums Dasein keineswegs bloß in dem direkten Kampf der Lebewesen untereinander bestehe, sondern auch ein Ringen aller mit den allgemeinen Bedingungen unseres Planeten bedeute. Tann wäre in diesem dritten Falle aber überhaupt kein Kampf mehr im Sinne von Fressen und Ge- fressenwerden, also von dem, was unserem ethischen Gefühl cigent- lich allein so zuwider ist. lind es fällt leicht, von hier sofort schon eine echte und rechte darwinistische Zuchtwahlanwcndung sogar auf den Menschen in seinem höchsten ethisch geradezu idealen Stande zu machen. Wir Kulturmenschen stehen in unseren FortschrittSchancen in gewissem Sinne wirklich schon sehr stark mit der Front bloß gegen die nicht belebten Energien unseres Planeten. Am wachsenden Schutz vor ihren Gefahren, an der zunehmenden Ausnutzung ihrer Hilfs- quellen hängt im Sinne des gröberen Daseinskampfes wesentlich unser Heil. Ihnen dient unsere Technik mit ihren Erfinder- Varianten. Diese Technik blüht aber am besten im Menschen- frieden. Und so läßt sich definieren, daß gegenseitig« friedliche Hilfe bei dem Verhältnis von uns Menschen untereinander vor dieser gemeinsamen Front die nützlichste Variante sei. Die sich steigernde Ethisierung der Menschheit wäre ein entschiedener Wert in einer streng darwinistisch geordneten Sachlage für uns. Es be­darf wahrlich keiner Luftsprünge, um die Dinge so zu sehen und in der Sprache Darwins auszudrücken. (Fortsetzung folgt.) kleines fcuülcton* Völkerkunde. Bei den PapuaS in Britifch-Reuguinea. Ueber die im britischen Teile Neuguinea « ansässigen, unter dem Sammel- namen PapuaS bekannten Eingeborenen hat ein Regierungsbeamter namens Beaver interessante Mitteilungen gemacht. Beaver ist feit langem im Lande tätig und hat an Forschungsreisen in da? Innere teilgenommen. Zweimal bereiste er da« Land Girara, das drei- viertel dcS Jahres fast völlig unter Wasser steht oder doch zum mindesten unwegsamer Sumpf und Morast ist. Die dort hausenden Eingeborenen nehmen unter den eingeborenen Stämmen Neuguinea » eine Sonderstellung ein. Sie behaupten von eiützr Art Hund ab« zustammen. Sie haben ein ziemlich vorgeschrittenes Wohnwesen. Ein Dorf besteht nur aus einem einzigen, wegen der Ueber- schweinmungen auf einem Hügel errichteten Riesenhause, das bis- weilen zu hundertfünfzig Metern lang und achtzehn bis zwanzig Meter breit ist. In der Mitte dieses Riesenbauwerks ist die Ver- sammlungShalle der Männer, während an den Seiten bis zu drei Stockwerken hoch kleine Einzelverschläge sich befinden, in die man mittels Leitern hineingelangt. Für Frauen und Männer gibt es besondere Eingänge. Die Frau, die es wagt, durch die Männer- pforte zu schreiten, verfällt dem Tod«, während der Mann bei einem entsprechenden Vergehen einer weit gelinderen Strafe ausgesetzt ist. Im westlichen Teile Britisch-NeuguineaS hat Mr. Beaver die seit- samften Formen der Zauberei vorgefunden. Bei jedem Stamm ist der Häuptling der Meisterzauberer, der behauptet, seinen Geist und Körper voneinander trennen zu können. Den Geist kann er, so glauben sein« Untertanen, auf verschiedene Missionen aussenden, und der Geist hat die Kraft, Leute auf der Stelle zu töten. Wenn der Zauberer mit einem Menschenknochen auf einen Menschen zeigt, ver- fallt dieser dem Zauberer, der gewöhnlich damit endet, daß der Un« glückliche ermordet wird. Er wird dann eingescharrt und später von den Zauberern wieder ausgegraben. Um ihre Zauberkraft zu tr« höhen, esse» diese Teile seine« Leichnams. Von einem Eingeborenen- stamm in Holländisch- Neuguinea berichtet Beaver, daß die Leute, ähnlich wie die Chinesen, lange Zöpfe trugen, die aber nicht aus dem natürlichen Haar bestehen, sondern künstlich angesetzt und bisweilen so lang seien, daß sie bis zur Erde reichen. Bei einem anderen Volksstamme ist eS Brauch, daß den jungen Mädchen auf der Schulter oder auf der Brust ein Zeichen eingebrannt wird, und zwar das Zeichen des Mannes, den sie heiraten werden. Der Kanni- balismus ist auf Neuguinea noch i>» höchster Blüte. Als schmack- hafteste Stücke des menschlichen Körper? gelten die Beine. De» Schlangen wird die größte Ehrfurcht gezollt; man hütet sich, eine Schlange zu reizen oder gar sie zu töten._ Vorwärts Buchdruckerei u.VerlagSanstaltPaul Singer L:Co.,Berlin LVk.