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Keine einzige hat ihr etwas gegeben, keinen Cent. Ihre Hand ift Teer. Gerade nur, daß sie sich die beiden Flaschen Wein beiseite bringen konnte und die halbe Torte und die Wurst.

Du bist ganz besoffen, Kerl, leg Dich schlafen," sagt die Mutter. Wütend schichtet sie die leeren Teller, packt sie auf den Arm und trägt sie weg. Auf dem Weg zur Küche murmelt sie verächtlich: Diese reichen Leute."

Landfchaftscharakter

in frankreich   und Spanien  .

Bon Dr. Paul F. Schmidt.

Frankreichs   Schönheit ruht zumeist in der stillen Anmut oder der majestätischen Größe seiner Ströme, wie die von Deutschland   in seinen Waldhöhen und alten Nestern, Italiens   in der Klassischen Linie feiner Gebirge und Englands in feinen Küsten. Das mag ein Schema sein, und doch kommt man dem Charakter und den nationalen Eigenheiten landschaftlichen Reizes damit am nächsten.

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Freilich bindet auch völlische und sprachliche Blutsverwandtschaft die Bewohner von Gascogne und Provence mit den Katalanen, dem Bolte des nordöstlichen Spanien  . Daraus erklärt sich die Vorliebe für Stierkämpfe nördlich der Pyrenäen  , ebenso wie die Vorliebe der Katalanen für die Unabhängigkeit von Madrid  . Sonst aber ist Kata­Ionien der Provence   weit überlegen. Es ist die lebendigste, reichste und vielleicht schönste Provinz Spaniens  . Eine heitere und fruchtbare Landschaft, mit Behaglichkeit allenthalben angebaut in der Ebene und mit Wäldern auf den schön geformten Bergen, reich und schwungvoll gegliedert und im großen eingefaßt von zwei gewaltigen und bedeutenden Erscheinungen, dem steilen Hochgebirge der Pyrenäen  im Norden, dem flutenreichen, schnellen Ebro   im Süden. Und wie das Land fich offen dem Meere mit hafenreichen, schimmernden Küsten darbietet, wie es alle Grade von flacher Ebene bis zu den Firn häuptern tennt und auch der heiteren Selbstironie nicht ermangelt, als welche man vielleicht den Montserrat ansehen mag, der keineswegs ,, unnahbar euren Schritten", vielmehr bequem durch eine Zahnradbahn erreichbar, eine fatale Aehnlichkeit mit der sächsischen Schweiz   nicht ganz verleugnen fann so zeigen sich auch die Katalanen höchst vielseitig, in allen Sätteln gerecht und gewandt. Die fleißigen Bauern und die industriellen Städter schaffen für ganz Spanien  ; das halbe Königreich lebt von ihrem Fleiß. Daher fonnte sich auch nur hier die Großstadt entwickeln, die moderne Industrie und groß zügige Aufgaben fennt, die Halbmillionenstadt Barcelona  , gewaltiger, Frankreich   ist nicht wechselvoll und romantisch wie Deutschland  ; volfreicher, wohlhabender, impulsiver als das arrogante Madrid  ; es ist ein eintöniges Land, fruchtbar und bar der Poesie. Seine die wahre Hauptstadt Spaniens  . Eine ganz moderne Stadt, die Ebenen atmen nicht die herbe große Schwermut wie die Ebenen aus sich selber einen neuen Baustil von fühner Driginalität an Ostdeutschlands, seine Hügelwellen verlaufen ohne Rhythmus, Kirchen und Mietspalästen erzeugt hat, die sich in riesigen Billen­und seine Berglandschaften sind zu wenig erschloffen oder gehören vororten weit die Höhen entlang erstreckt, und die doch im Innern ihm nicht spezifisch zu, wvie die Pyrenäen   und die Alpen  . unversehrt den Kern des Mittelalters birgt, mit malerischer Enge Aber seine Ströme haben Eigenart und das innige Leben nationaler der Gassen und Kirchen von unsterblicher Schönheit des Raums. Schönheit. Die heitere Grazie der Pariserin spiegelt sich in der Nur ein großer Straßendurchbruch vom Hafen nach dem Innern füßen, fast allzu füßen Anmut der Seine und ihrer weichen Ufer beginnt dem altersgrauen Leib Wunden zu schlagen, ein Opfer für höhen, in der köstlichen grün umwobenen Klarheit der kleinen Flüsse ihren Charakter als Großstadt. des Westens, wie Cher und Charente, an denen sich Schlösser der Renaissance, von geheimnisvollem Glanze großer Geschichte verklärt, und altersgraue Kirchen des frühesten Mittelalters erheben, deren unergründlicher Reichtum, merkwürdig in so früher Zeit, barbarisch erscheint wie ein Ueberbleibsel altfeltischer Vorstellung. Wen padt nicht mit solchen Schauern dunkler Borgeschichte die Kathedrale von Angulême, die Notre- Dame la grande   in Poitiers   mit der Mystit ihrer stulpierten Fassaden!

Im ganzen steht Cataluna   als Küstenland im Gegensatz zum eigentlichen Spanien  , wie seine Bewohner zu den Kastilianern, denn Spanien   ist seinem eigentlichen Wesen nach ein Binnenland mit Steppencharakter. Man hat es nicht unpassend mit Merilo ver­glichen, dessen tierra caliente( heiße Erde) an der Südostküste Spaniens   mit ihrem glutheißen Klima ihr Gegenstück findet, während ein Blick auf die Karten lehrt, daß beide Länder Hochebenen mit Aber das wasserreiche Zentralplateau des Südens, geschlossen starken Randgebirgen darstellen. Wie sehr diese Randgebirge das durch die lange gebogene Mauer der Cevennen gegen das Rhonetal, Innere isolieren, erfährt man sogleich bei der üblichen Eintritts­entsendet nach Norden und Westen durch das große reiche Land stelle im Westen von Bayonne  . Von San Sebastian  , dem mondänen Flüsse und Ströme von seltsamer Macht. Da strömt die Loire  , ge- Seebad mit seinem beispiellos regelmäßigen Badestrand in Gestalt laffen in überbreitem Bett, durch ein Land im Herzen Frankreichs  , einer Muschel( Concha), fährt man viele Stunden eine wunder das den Namen eines Gartens von Europa   verdient. Die Touraine  , volle Berglandschaft empor, die von Dzeanflima befruchtet, überfät von Städten und Schlössern, die Wiege der französischen grün und stroßend aufsteigt, ein schönes Land, voll von Renaissance und der patriarchalische Lieblingssig französischer Könige, reizenden Städtchen, Renaissancefirchen, monumentalen Brüden, empfängt den nordischen Gast mit einem betäubenden Reichtum an mit Bergwäldern und saftigen Matten; und über romantisch Blumendüften und füßem Nachtigallenfang. Aber das Bolt tiefen Talgründen erheben sich schlanke Bergformen des fantabrifch Dann ist man auf einer Höhe von fingt nicht! Es pflegt die Blumen, aber es hat wenig Zeit zu pyrenäifchen Grenzgebietes. Scherz und Gesang; fein Fleiß erhöht das Nationalvermögen jährlich 600 Meter über dem Ausgangspunkt, mit einem Male jenseits der um ungezählte Millionen, und die Provinz überläßt Paris   das Ver- Felsbarren, die alle Wolken des Atlantic fernhalten, bei Vittoria, gnügen fast allein. wo Wellington   die Franzosen aus Spanien   hinauswarf, und ein Zauberwort scheint alles Grün, alle Fröhlichkeit verbannt zu haben. Es beginnen jene ungeheueren Hochebenen von Alt- und Neukastilien, deren unfruchtbarer Boden, deren heißes, rasch wechselndes Binnen­flima bekannt sind. Es beginnt das Spanien   des Ritters von der Mancha, das weniger mit Europa   als mit Afrika   Gemeinsames be­fißt und dessen großartige Einförmigkeit den Charakter des Spaniers gebildet hat.

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Aber der Süden? Van Gogh   hat ihn mit der ungeheuren Kraft seiner Seele geliebt und Cézanne ihn gemalt. Aber was ist das für eine Landschaft? Unbezwingbar scheint die Schwermut, die aus Cézannes zarten Tafeln spricht, und van Gogh ist an ihrer glühenden Traurigkeit zerbrochen. Es ist fein fröhliches Land, weder die Provence mit ihren gesegneten Ebenen, deren Zypressenreihen die Wut des Mistral, jenes schrecklichen Nordweststurms, mildern sollen, noch die Heiden der Causses von Guyenne mit ihren dürren Krüppel- Will man aber den Kontrast im großen und ganz aus­eichen, oder die Gascogne mit ihrem strengen Voralpencharakter am geprägt erleben, so muß man von Katalonien   nach Arragon  Fuße der Pyrenäen  . Einzig die Flüsse bringen auch hier fahren. Es ist wie ein Schritt aus dem üppigen Gartenlande Charakter hinein. Der gefährliche, reißende Bergstrom der am Mittelmeergestade zu afrikanischer Wüste. Steine Menschenkunst Garonne, der im Nu seine Wassermassen verdoppeln und fann aus diesem von hohen Randgebirgen umschlossenen Plateau verdreifachen kann und dem unglücklichen Toulouse   schon so fruchtbares Land machen. Der Boden besteht aus salzhaltigem Ton­oft Tod und Verderben gebracht hat ein herrlicher Riese mergel, aus weißem Gips und Felsen, und wo das Salz ihm bei­von ungebändigter Kraft; oder der Gave de Pau, ein schöner gemischt ist, da wächst kein Grashalm, da herricht für ewige Zeiten Alpenstrom, der bei Lourdes   die Pyrenäen   verläßt und majestätisch, das Schweigen des Todes. Nur wo die Flüsse den Boden aus­durch Klüfte, an grünen Triften und Felsengebüsch vorbei, dem Adour gelaugt haben, ist das Ufer anbaufähig und trägt reiche Frucht zuströmt. unter der heißen Sonne. Es ist ein ergreifender Anblick, dessen bizarre Größe man nie vergißt, wenn man in einem folchen Flußtal Tod und Leben auf Haaresbreite an einander grenzen sieht. Die Sohle des Eber ist zu breit, zu flachlanSmäßig, aber ein enges Felsental wie das des Jalon läßt diese Gegensäge mit ungebrochener Kraft erleben. Man durchfährt es auf dem Wege von Madrid   nach Sara­goifa in seiner ganzen Länge. Die Talsohle ist oft nur wenige Meter breit, bisweilen verengt sie sich ganz zu einer grandiosen Und nur so weit der ebene Boden und seine terrassenmäßige Be wässerung durch Kleine Kanäle reicht, grünt und blüht ein Streifen von paradiesartiger lleppigkeit, jeder Zoll bebaut mit Del- und Feigenbäumen, Getreide und Gemüse. So kostbar wurde seit alters Man kann gar nicht hier reisen, ohne im tiefsten erschüttert zu her dieser Schatz gehalten, daß kein Ort sich nur fußbreit unten an­werden, wo jeder Drt von Greueltaten erzählt, die sich nie vergessen gesiedelt hätte; alle, Dörfer und Städte und Burgen liegen auf den laffen; wo der Genius der Menschheit hunderttausendfach geschändet kahlen Felfen, kein Baum und kein Strauch belebt ihre roten Mauer­wurde. Und wie weit dies Land sich heute fulturell vom Norden unter- nraffen, die wie Kristallisationen dem Boden entwachsen sind und scheidet, lehrt die Tatsache, daß die spanischen   Stiergefechte sich immer eine Farbe, eine Masse mit ihm bilden. Es gibt in Europa   tein mehr und mehr ausbreiten. Land mit ähnlichen Farbenkontrasten; über dem saftigsten Grün steigt

Der Mund des Südens, der Europa   zur Zeit des tiefsten Mittel­alters seine ersten Lieder geschenkt, er scheint verstummit( wenn auch große Dichter von dort stets hervorgegangen sind). Das Bolt nahm nicht mehr teil am Glanze des aufstrebenden Frankreich  , seitdem ihm die Albigenserkriege seinen Frohsinn mit unerhörten Blutopfern und Greueln ausgetrieben haben. Es ist vielleicht das grausigste Schau­spiel in der langen Reihe der Religionsfriege, wie hier das begab­teste, heiterste, schönste Volk Europas   in zwanzigjährigem Morden, Felsenfluft, in deren Kesseln der Fluß brausend verschwindet. von 1209 bis 1229, dem Fanatismus der Rechtgläubigen hin­geschlachtet wurde. Die Opfer dieser namenlosen Scheußlichkeiten mögen hoch in die Hunderttausende geben. Seitdem hat der Süden Frankreichs   aufgehört, als Volt zu existieren.