Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 220.
Dienstag, den 11. November.
1918
fie waren nicht besonders hochfliegender Natur, wenigstens 191 Helge Bendels Luftfchlöffer. nicht für den Anfang. Zu allererst sich mit den Verhältnissen bertraut machen, die Sprache lernen, sich die Sitten aneignen. Ein Chikago- Roman von Henning Berger. Das war die Grundsteinlegung. Und daraufhin weiter Seit dem Tag, an dem Bendel Forsmans Brief erhalten machen, aufbauen. Und er hatte so flug gesprochen, so vorhatte, dachte er mehr und mehr an den Reisekameraden. Es war nicht das Interesse an dessen Schicksaldas hatte der Buchhalter, genau so wie er selber, allein in der Hand. Aber er dachte darüber nach, mehr als je in diesen lezten Jahren, wie ein fortgesetztes Leben in diesem Land schließlich sein Ich umgestalten mußte.
Am Tag darauf hatten sie sich getrennt. Nachdem der Soll abgefertigt war und sie die verschiedenen Atteste vorgewiesen hatten, die bezeugten, daß fie feine Verbrecher waren, daß sie etwas Geld besaßen, daß sie nicht durch Kontrakt int Er entsann sich des Ankunftstages in New York . Es Lande angestellt, nicht geistesfrant, nicht mit jemand auf dem war ein feuchter und doch milder Spätherbstabend gewesen, Schiff verlobt und frisch geimpft waren, dazu noch eine Art und im Dunst über der Neede schimmerten die Nebellichter tierärztliches Zeugnis hinterlegt hatten alles Formalider Stadt, unterbrochen von den breiten Fluten schwingender täten, denen die anderen Klassen nicht unterworfen find Scheinwerfer. Der hohe Bogen der Brooklyner Brüde hob waren fie in eine große Hafenbar gegangen, die der Agent fich gleich einem Schatten von Stadt zu Stadt, und die ihnen angegeben hatte. Dort tranten sie ein Glas Bier, das Lampen darauf erschienen wie an den Himmel geheftet. Die nach Seife schmeckte und wie Seife schäumte, mit einem Fensteraugen des hastenden Zugs waren nicht größer als die braungelben Schmutzschaum, und unter dem ohrenbetäubenGlühpünktchen einer Bigarre, und die Fackel der Freiheits - den Lärm der Hochbahn gelobten sie einander, sich gegenseitig statue leuchtete ganz für sich, wie ein Mond, ohne daß man immer ihre Zukunftserlebnisse mitzuteilen. Selge empfand den vom Nebel umhüllten Riefenarm sah, der sie trug. In in jener Stunde alle Wonnen und Qualen der Einsamkeit all diesem Rauch, Dunst und Nebel heulten, tuteten, lärmten und Ungewißheit; wie eine Spinne troch es ihm in der Brust die Bugsierboote, riesige Fähren mit Seitenrädern, die ganze umber, die Tränen drängten nach innen und konnten nicht Eisenbahnzüge mit Lokomotive und Lastwagen trugen, Nebel- heraus, sondern häuften sich unter der Stirnhaut bis unter hörner, Signale, Pfeifen und automatische Bojen. Von den den Haarboden auf, und er fühlte sie da, als ob sie gleichWolkenkrabern oder den klingelnden Hochbahnen machte man sam in einzelnen Tropfen um die Haarwurzeln fäßen eine sich noch feinen Begriff; Zollgebäude und Warenschuppen, Tränenperle an jedem Haar. Die Fensterscheiben klirrten, so die übereinander gehäuft erschienen, traten in roter Gas oft hoch oben in der Luft der Zug vorüberbrauste( ein glühbeleuchtung hervor, als stünden sie in Flammen. Die Pfeiler stand dicht vor dem Fenster), und die ganze Kneipe großen Docs mit ihrem Pfahlwert, ihren Toren, Schleusen, war voller Gespräch, das sie nicht verstehen konnten. Aber Schlagbäumen, Kranen und Ketten erinnerten die Vorstellung fie drückten einander die Hand, und Bendel deuchte, als stünde an alte Kriegsmaschinen der Vorzeit, an Raupen und Stor- das Morgen da wie ein harrender Engel der Ueberraschung, pionen, die Steinblöcke und Pfeile gegen belagerte Städte mit gewaltigen Schwingen, in blendenden Farben. schleuderten. Und alle Masten und Stangen, Türme und Daß es später fam, wie es gekommen war, das war nicht Vorsprünge an Land oder in der Hudsonbai trugen ein Licht, das Merkwürdige. Als er Forsman unter den Arbeitslosen eine Laterne, eine Glühlampe, die weiß, gelb, blau, rot, grin fand, da war es nicht das Staunen über das Unmögliche, oder violett schimmerte. Der Lärm des Hafens verlor sich im das er empfand. Als er ihn sein Leben in den Vereinigten Rauschen des Wassers, das nicht klang wie Wogenschlag oder Staaten beschreiben hörte, waren das nur längst erkannte Wellengeplätscher, sondern das ratterte wie Metallschrot in Tatsachen, die da zutage kamen. Als er das Land und seine einem Grubenkarren. Unsicherheit verwünschte, war das nur eine natürliche Reaktion gewesen, und die Uebertreibungen oder die kleinen Ungerechtigkeiten ließen sich einfach auf den großen Rassenunterschied zurückführen, etwa so, wie man sich denkt, daß eine Stage von einem Hund sprechen würde. Aber als er diesen Brief schrieb...
Die erste und zweite Klasse wurden ausgeschifft. Die Auswanderer mußten sich über Nacht gedulden.
In jener Nacht standen Helge und Forsman lang an der Reling, rauchten ihre Reisepfeifen und witterten gleich ein paar Raubtieren nach dem Land hin. Dort drüben lag die Bukunft.
Helge hatte gefühlt, wie sich sein Herz zusammenzog in der Brusthöhle, und wie diese sich zu einem leeren und echoHallenden Raume weitete.
Es war etwa vierzehn Tage her, seit Helge ihn empfangen hatte; und schließlich hatte er sich das Phänomen so zurechtgelegt:
Sie hatten von ihr gesprochen, leise und ohne Uebertreibung, demütig wie vor etwas Großem und Schicksalsschwangerem, das sie im Licht und Dunkel der Nacht über- Der Forsman, der drunten in der Weinkneipe redete, wältigte. war ein anderer gewesen. Er wußte jedenfalls selber kaum, wie er redete. Es war fein altes Ich, sein schwedisches Ich, es war der Skeppsbrobuchhalter Forsman, der sich unter dem Einfluß eines zehnjährigenSchmelzprozesses in diesem entfeßlichen Laboratorium ausdrückte. Wenn ich jetzt feinen Brief lese, so glaube ich weder, daß er je verheiratet war oder ein Kind und ein Heim gehabt hat oder alle die Stellungen, von denen er sprach. Sicherlich hat er bloß die allerhand kleinen Anstellungen in Hökerläden und Hökerbuden und kleinen Läden gehabt, zu denen sein Bildungsgang ihn berechtigte. Denn für das höhere Fach wird hier ein ganz anderer Typ verlangt, und den bringt der Amerifaner selbst hervor; den braucht er nicht zu importieren. Aber warum hat Forsman dann überhaupt gelogen? Das brauchte er doch nicht, für das bißchen Hilfe, das ich ihm leisten konnte; und darum tat er es auch nicht. Auch nicht um zu renommieren. Hier war sich Bendel nach mehrtägigem Grübeln wieder klar geworden:
Forsmans Geficht war ruhig, aber er war ein bißchen blaß um den Mund herum; das mochte freilich auch von der eben überstandenen Seekrankheit herrühren, die sie beide zulept an den Sandbänken völlig betäubt hatte, so daß sie wie Tote auf ihren Pritschen gelegen hatten, mitten im Gestank und Schmuß des erbrochenen scharfen, halbverfaulten Essens. Noch jetzt fühlten sie den salzigen Geruch in ihren Kleidern.
- Du gehst nach Chikago? fragte Forsman und klopfte feine Pfeife an einem Metallring aus.
-
Die Ausstellung, hatte Helge gemurmelt- -die Ausstellung... Ich glaube, da finde ich schon etwas.
Wieso er das geglaubt hatte, das begriff er später selber nicht, da ja nur die besten Fachleute und Spezialisten, Sachverständige jeder Branche, deren es im Ueberfluß gab, in Frage kommen konnten. Aber damals lag alles lodend wie in einem Traumnebel, einem Luftgebilde, vor ihm, und er sab sich selbst in den verschiedenartigsten Situationen, immer dirigierend und arrangierend, eine Art Faktotum, das die ganze Ausstellung dekorierte wie ein großes Schaufenster in einem Herrenéquipierungsgeschäft.
Forsman hatte etwas zögernd seine Pläne mitgeteilt;
Es war sein eingebildeter Traum, den er in Trümmern vor sich sah. Es war Forsmans erdichtetes Leben, so, wie er dereinst dachte, daß es werden müßte; das Märchen, dem er nachjagte. Eine Stellung in einem großen Betrieb, eigenes Haus und Heim, Frau, Kinder... All das war verpfuscht, und er war zu Kleinmünze geschlagen, oder um ein Bild aus seiner Umgebung zu nehmen- zu Margarine ge stempelt. Und so pfuschte er weiter und schob die Schuld an