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Der Streikbrecher.
Bon Edgar Sahnewald.
Husar Schneider stand wartend am Fenster der Mannschaftsflube und fah nach dem Offizierstafino hinauf, vor dem ein Bursche ein Pferd auf und ab führte.
Jetzt tam da oben der Rittmeister die Freitreppe herab. Der Offizier winkte dem Burschen, stieg aufs Pferd und ritt der Schwadron nach, die schon vor einer Viertelstunde ausgerüdt war. Schneider sah dem Reiter nach, bis er um die Ede verschwunden war. Nun machte auch er sich auf den Weg. Er hatte es nicht gerade eilig. Nur dem Rittmeister durfte er nicht in den Weg laufen. Das hatte ihm der Wachtmeister deutlich genug zu verstehen gegeben.
in der menschlichen Gesellschaft wieder zur Geltung gelangen? Wallace findet die Lösung des Problems in der geschlechtlichen Buchtwahl. Darwin nahm zwei Arten der Auslese an: die Auslese, wie sie im Kampfe ums Dasein zum Ausdruck tomimt, und die geschlechtliche Auslese. Unter der geschlechtlichen Auslese verstand er nicht nur den Kampf der Männchen um die Weibchen, sondern auch die Bevorzugung der mit schillernden Farben und anderem Schmuck versehenen Männchen durch die Weibchen. Wallace berwarf diesen leßten Teil der Theorie, da er nicht einsehen konnte, wie man z. B. bei Vögeln und Injetten ästhetische Neigungen vorausseßen könne. Aber diese geschlechtliche Auslese wird in dem fünftigen Aufstieg der Menschheit die wichtigfte Rolle spielen. Die Frau wird die Erneuerin der menschlichen Gesellschaft sein. Sind einmal die Ketten des kapitalistischen Systems gebrochen, hat die Frau ihre politische und soziale Gleichberechtigung erlangt, kann fie frei unter den Männern wählen, so werden die minderwertigen Elemente von der Reproduktion der Rasse ganz natürlich ausgeschaltet werden, und alle Umstände werden sich in der regenerierten Gesellschaft miteinander verbinden, um den geistigen und sittlichen Aufstieg der Menschheit zu beschleunigen. Die Tatsache z. B., daß( in den europäischen Ländern) die Zahl der Frauen die der Männer über- Na steigt, beruht nicht auf einem Naturgesetz. In Wirklichkeit werden mehr männliche Kinder als weibliche geboren. Doch die Unfälle, denen die Männer heute mehr ausgesetzt sind als die Frauen, und die größere männliche Auswanderung bewirken, daß bei uns die Frauen beständig der Zahl nach überwiegen. In einer Gesellschaft, der das Leben jedes Bürgers heilig ist, werden die Männer in der Mehrheit sein, die Zahl der heiratenden Frauen wird auch abnehmen und die Mütter des Geschlechts werden sich die Männer nach ihren sittlichen, geistigen und förperlichen Vorzügen frei wählen können. Eine Uebervölkerung ist nicht zu befürchten. Eine Folgeerscheinung der wirtschaftlichen Freiheit des Weibes und einer vernünftigen Erziehung wird sein, daß das Heiratsalter hinauf= gesezt werden wird. Dadurch allein, wie auch durch die verringerte Fruchtbarkeit, die die größere geistige Betätigung mit sich bringt, wird die Zunahme der Bevölkerung verlangsamt.
Ueber die Art und Weise, wie die bestehenden unsittlichen Gesellschaftszustände aus der Welt zu schaffen sind, läßt sich Wallace in diesem Werke nicht deutlich aus. Er holte das in einem anderen Buche nach, das kurz vor seinem Tode erschien und den Titel trägt: „ Die Revolte der Demokratie". Schon in seinem Werke " Das wunderbare Jahrhundert", das im Jahre 1908 erschien, hatte er in dem Anhang Das Heilmittel der hat inmitten des Reichtums" einen fonkreten Vorschlag gemacht. Er forderte dort freies Brot" für alle, und zwar nicht als eine mildtätige Gabe, nicht als Armenunterstübung, sondern als rechtmäßigen Anspruch aller an die Gesellschaft, die es vernachlässigt hat, sich so zu organisieren, daß alle, bie gearbeitet haben und arbeitswillig oder arbeitsunfähig sind, wenigstens Nahrung zum Leben haben. Dies ist ihm jedoch nur ein Palliativmittel.
In dem letzten Werke äußert er sich bestimmter zu der Umgestaltung der Gesellschaft. Die Regierung muß ein mustergültiger Arbeitgeber werden, so daß dadurch Löhne und Arbeitsverhältnisse im ganzen Lande günstig beeinflußt werden. Den Staatsarbeitern müssen möglichst hohe Mindestlöhne und Pensionen zugesichert werden. Auch muß die Regierung danach sehen, daß das Heer der Arbeiter, das sie zur Erzeugung von Zerstörungsmitteln beschäftigt, in mehr als einem Fache geschult wird, damit nicht, wenn das Wettrüsten aufhört, ein neues Problem der Arbeitslosigkeit entsteht. Die Arbeiter sind besonders in der Landwirtschaft zu unterrichten. Wallace verlangt, daß der Staat Güter anfaufen und die Erbschafts - und Landsteuern in Gestalt von Grund und Boden in Bezahlung nehmen soll. Der Staat soll alle seine Bedürfnisse selbst produzieren. Die Arbeitslosen sind auf dem nationalen Lande angusiedeln; ihren Kolonien ist anfänglich jede finanzielle Unterstüßung aus allgemeinen Mitteln zu gewähren. Die Bildung derartiger Kolonien soll entweder die Sache des Staates, der Gemeinde, der Gewerkschaften oder der Genossenschaften sein. Alle Steuern müssen von den Reichsten erhoben werden; denn sowohl die Gerechtigkeit wie die Menschlichkeit führen uns zur Einsicht, daß denjenigen, die in schwerer und lebenslänglicher Arbeit den ganzen nationalen Reichtum geschaffen haben und noch schaffen, nicht der Kleine Teil von jenem Reichtum, den sie behalten dürfen und der kaum zur Erhaltung des Lebens ausreicht, besteuert werden darf." So ließe sich unter dem Druck der Arbeiterschaft die neue Gesellschaft, die neue genossenschaftliche Produktion organisieren, die die Löhne bald verdoppeln und mehr als verdoppeln würde, während heute der Arbeiter nur durch das kostspielige und langsam wirkende Mittel bes Streits eine Lohnerhöhung erzielen kann.
In der Revolte der Arbeiterdemokratie, die er am späten Abend seines reichen Lebens noch miterlebte, sah Wallace das Morgenrot des kommenden Tages, den er ungeduldig erwartete. Frisch ruft der neunzigjährige Greis am Ende seines lebten Werkes sein Volt zum Kampfe auf: Deshalb kein weiterer Kompromiß, tein Reden mehr. Eine Regierung, die den Hunger in diesem Lande des überflüssigen Reichtums nicht abschaffen will, muß davongetrieben werden. Die Streitkräfte der Arbeiterschaft, wenn sie fich in bezug auf diese eine elementare Forderung einig sind, müssen und werden erfolgreich sein." kn.
Der Rittmeister schien also nichts davon zu wissen, daß ihn der Alte für einige Tage zum Malermeister Hildebrand schickte, weil der jetzt viel zu tun hatte und nicht genug Leute bekommen konnte. Der alte machte das auf eigene Faust. Denn, daß dabei nicht alles in Drdnung war, das hatte er aus den Redensarten herausgehört, die der Alte darum machte. ihm konnte das ja egal sein. Das war nicht die einzige Schiebung, die hier gemacht wurde. Und die schlimmste auch nicht. Was ging das ihn an! Er verdiente sich ein paar Groschen dabei. Drei Mark jeden Tag! Da wurde mal richtig flott gelebt!
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Und wenn das Bummelchen zu Ende war, fonnte er obendrein ein paar Tage Urlaub eingeben. Die waren ihm sicher. Schon wegen der Küchenmöbel, die er dem Alten aufladiert hatte.
Als Schneider in die Werkstatt Hildebrands trat, plagten fich der Meister und ein alter, verwitterter Arbeiter mit einem Faß Schlemmfreide ab, um es auf den Wagen zu laden, mit dem der Arbeiter dann davon fuhr.
Der Meister war froh, daß der Soldat tam. Er zeigte ihm, was es für ihn zu tun gab. Da standen Möbel und Firmenschilder umber, Werkstattarbeit. Schneider hätte lieber mit auf dem Neubau gearbeitet, aber das ließ sich natürlich nicht machen.
Dann ging auch der Meister. Schneider arbeitete gemütlich bor sich hin. Er fühlte sich gleich wieder heimilch zwifchen den Firnißfässern und Farbkisten, und den herzhaften Lad- und Terpentin geruch, mit dem jedes Stück in der Werkstatt getränkt war, atmete er geradezu mit Wohlbehagen. Auch die Arbeit machte ihm Ber guigen. Es war ihm, als sei er nie aus dem Berufe raus gewefen. Ja was man gelernt hatte...! flott mitzuarbeiten. Und von den Gehilfen bekam er keinen zu Den Meister sah er nur mittags einige Augenblide, der schien sehen, aber die arbeiteten eben auf dem Bau.
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Mittags aß er im Wirtshaus. Das konnte er sich jetzt leisten. auf das Stafernenfutter pfiff er. Und von den drei Mart, die ihm der Meister am Abend auf den Arbeitstisch legte, brachte er nicht viel heim. Aber darauf kam es ja nicht an.
Das war
Am zweiten Tage arbeitete Schneider wieder allein. Als es Mittag läutete, erinnerte er fich froh an das Schild, das gestern in der Gaststube des" Frohen Hufaren" gehangen hatte. Morgen Schlachtefest 1" stand da über einem rosafarbigen, weinenden Schwein. Also gab's heute Schweineknochen und Sauerkraut. Sache! Schon bei dem Gedanken daran stand ihm das Wasser auf ber Bunge. Seinetwegen fonnte das Bummelchen hier bierzehn Tage dauern. hm war's recht.
Als er zurüdtam, wirtschaftete der Arbeiter in der Werkstatt herum. Man sab es dem alten Kracher an, daß er feine acht Kinder großgefüttert hatte. Das Leben hatte ihn derb an den Haaren gezaust, die nun grau und spärlich um den mageren Stopf hingen. einer Farbkifte loszuwuchten.„ Warten Sie!" sagte Schneider unb Der Alte mühte sich mit seinen faltigen Händen ab, den Dedel
half ihm.
Ach
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den losgestemmten Dedel aus den knarrenden Nägeln. Hildebrand hat wohl tüchtig zu tun jett?" fragte er und riß griesgrämig, aber die Gehilfen ham ja am Sonnabend alle Feierwir haben schon mehr zu tun gehabt," sagte der Alte abend gemacht. Deswegen find Sie ja hier." Er sah dem Soldaten argwöhnisch in das frische Gesicht. warum denn?"
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Feierabend gemacht!" Schneider hielt überrascht inne. Ja, tanns Ihnen schon sagen „ Ja nu fo, Sie wissen noch gar nischt davon? Nu, ich bandsbuch daheim liegen. Meinetwegen auch nich. Mir tann das Sie haben ja wohl noch Ihr Wer egal sein. Bloß, daß Sie's wissen: die Bude ist gesperrt. Der Hildebrand wollte nischt vom Tarif wiffen. gab tüchtigen Strach Hilfen den Kram hingeschmissen." auf dem Bau deswegen. Nu, und schließlich haben alle drei Ge
„ Na, und Sie?" fragte Schneider erregt.
Jch? Du lieber Gott ! Was soll ich denn dabei? Ich mache ja bloß den Markthelfer hier. Nu, und denken Sie, ich frieg' mit meinen dreiundsechzig Jahren noch Arbeit, wenn ich bier gehe? Im Verband bin ich nicht, das gab's zu meiner Zeit noch nich'. Und jezt nügt mir das nischt mehr. Dber denken Sie, ich alter Snag babe Lust, auf der Straße rumzulaufen und au streiken? Nee, nee, das ist was für's junge Bolt. Die mögen's machen, wenn fie denken, daß es hilft. Mich geht das nicht mehr an."