Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 243.

Sonnabend, den 13. Dezember.

42 Helge Bendels Luftfchlöffer. Ein Chikago- Roman von Henning Berger. Der Masseur schnitt ihm kurz das Wort ab: Ach was, Du kommst doch bloß wieder zurück. Man fühlt sich nimmer wohl dort, wenn man einmal hier Blut geleckt hat. Man taugt nicht mehr für die Heimat oder vielmehr, die Heimat taugt nicht mehr für uns.

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Und nachdem Martell gegangen war, begann er davon zu sprechen, wie sich die Stadt verändert habe. Alles Alte ver­schwinde so nach und nach. Du solltest bloß Dein Helgeands­holmen sehen, von dem Du so viel geredet hast! sagte er. Und die Oper, und alle möglichen andern Gebäude...

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Aber das ist ja fast amerikanisch, wandte Bendel ein. Vielleicht sind auch Geschäfte und Menschen amerikanisiert da würde ich vielleicht auf andere Weise hinpassen? Mauris fnurrte und sah verdrossen aus, Hugo Griff aber nicte:

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Vielleicht, alter Junge, vielleicht wer weiß! Mit der letzten Runde Weißbier fingen fie an vertraulich au plaudern. Ünd Hannover legte seine Eindrücke von der Baterstadt genauer auseinander. Schön war fie, ja, und neu und modern wurde sie. Auch ein neues dramatisches Theater wollten sie jezt bauen. Von Kirchen und großen, neuen Straßen draußen in der Vasastadt gar nicht zu reden.

Es sind gute Bankzeiten jetzt daheim, sagte Hugo. Die beiden wohnten in der Chestnut Street. Helge Bendel mußte den Kabelwagen benußen. Sie riefen einander Gut­nacht zu, nachdem Griff ihn noch leise in halb scherzendem Ton nach den Fanchettis gefragt hatte:

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Und Deine Lilly wie stets eigentlich? Aber Helge schwieg hierüber und schwagte bloß irgend einen ausweichenden Unsinn heraus, der den Freund ins geheim beunruhigte. Er ward, seiner Natur gemäß, gleich wieder ernst und sagte:

- Ja, ja ieder wie's ihm paßt.

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Helge saß vorn beim Führer, wo der Luftzug wehte und man sich einbilden konnte, man fahre Auto. Die Lichtflut der großen Laterne spaltete in Triangelform das Nachtdunkel. Gegen die Glasscheibe taumelte im Todestanz ein Schwarm flimmernder Injeften.

Und daheim in der engen, dumpfen Kammer warteten die Nachtmahre der Träume. Jest wußte man es. Die Daily News" war die erste. Die Lettern der Rubrik waren zwei Zentimeter hoch.

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1913

Geheul und Tumult umher, gleich einem Befehlshaber auf seinem Verdeck. Sein Stiernacken war noch etwas stärker ge­worden, als ob die Stirn Stockschläge und Stöße auffinge, und die Schultern erschienen noch breiter, vierkantiger. In zwei Tagen hatte er vier Millionen Dollar verloren.

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Wie hoch wird der ganze Krach kommen? fragte Roth Mr. Bradford zwischen zwei Cocktails in einer der Börsenbars. Der Weizen- Corner zirka fünfundzwanzig Millionen Dollar. Aber wie es sich verteilt, weiß ich nicht. Joe selbst vermutlich acht oder zehn. Aber, mein Gott - bezahlen muß es ja der Alte....

Daß auch der Vater sich in Chikago eingefunden hatte, wußten alle. Aber er ließ sich ebenso wenig blicken wie Ar­mour. Er war ein kleiner, schwärzlicher, zusammengeschrumpf­ter Hautfeßen, der alte Abe, und wo er, gleich einer licht scheuen Fledermaus, sich verkrochen hatte, das wußte nur der Sohn. Er hatte ein Dußend verschiedener Paläste zu seiner Verfügung Wolkenkraber, Hotels, Strandwegsvillen; aber es war wohl möglich, daß er inkognito in einem billigen Logierhaus wohnte.

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Und das Unwetter raste mit Donner, Blik und Wolken­brüchen. Und die ganze Geschäftswelt vom einen Ende der Erde zum andern bebte.

Helge war von der Börse gekommen, wieder einmal ge packt vom Taumel dieses Malstroms. Weizenkörner wirbelfen in seinem Kopf und seine Ohren dröhnten von Zahlen.- Buch für mich alles, was eure Schiffe tragen können! hatte. Reuter gerufen. Ein einziges Frachtschiff, das größte existierende, hatte allein auf einer Reise eine Frachtrechnung von fünfzehntausend Pfund repräsentiert.

Bendel setzte sich, noch ganz wirr, und begann die Raum­verhältnisse der nächsten Woche auszurechnen.

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Und wenn er sich auf den Kopf stellt er hat einen Vater, der bezahlt! dachte er. Er selbst trägt keinerlei Ver­antwortung. Er fann sogar wieder von vorn anfangen. Aber das Brot- das Brot, von dem wir leben sollen? Das müssen die armen Teufel in Indien , in Rußland mit ihrem Blut be­zahlen. Und ganz flüchtig fam ihm der Gedanke an den alten Branch, von dem er hatte erzählen hören, daß, wer ein Stück Brot zu Boden fallen läßt, es aufhebt und füßt... Man darf des heiligen Brotes nicht spotten...

Jemand rief aus der Buchhalterabteilung seinen Namen. -Ein Besuch!

An dem langen Kontortisch stand ein fremder Herr, in dem Helge auf den ersten Blick den Skandinavier, zum min­desten den Europäer, erkannte. Er war äußerst gut, fast zier­lich gekleidet kulturell hätte man es nennen können. Das Gesicht war frisch und sonnverbrannt, der Bart dunkelblond und sorgfältig gepflegt, von furzgestuztem, französischent Schnitt. Ein Baar lebensfrohe, große blaue Augen strahlten

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Armour war der Oppositionsmann gegen Reuter. Aber noch hielt er stand. Die Preise wurden auf und ab getrieben. Natürlich war es der Vater, der ihm unsichtbar den Rüden dedte. Der Fleischkönig war von Wiesbaden zurück- vor verbindlicher Liebenswürdigkeit. gekehrt, ließ sich aber nicht sehen. Von den großen Kontor­Entschuldigen Sie, sagte er auf Schwedisch. Mein lokalen in der La Salle Street aus einem Bankpalast aus Name ist Björd, und ich soll Ihnen Grüße bringen von geschliffenem, lichtgrauem Granit und weißem Marmor Doktor Akerblom in Philadelphia. führte er den Krieg. Hinter vergitterten, reich geschnitten Seine Stimme war ebenso angenehm wie seine Erschei-. Mahagonitüren, bewacht von Dienern und Detektiven, jaß nung, eine fultivierte, leise, aber deutliche Stimme; und sie da in einer gebrechlichen, weißbärtigen Greisengestalt der flang so herzlich und er sah so aufrichtig entzückt und er­Eisenwille, der beschlossen hatte, Reuters jugendlichen Ueber- wartungsvoll aus, daß Helge lächeln mußte. mut zu brechen. Eine Hintertreppe führte zu einer Hoftür,-Doktor Akerblom, dachte er. Das war der junge Zahn­vor der ein hermetisch verschlossener Wagen mit blauseidenen arzt von Stockholm , der vor ein paar Jahren hier studiert Vorhängen hinter den blizenden Kristallscheiben harrte. Der hatte und bei Frau Brantström wohnte. Ja, freilich, er war Kutscher in blauer Livree saß unbeweglich und wartete, oft der fünfte Mann gewesen bei Stugel. während zwei schneeweiße Kentuckypferde edelster Nasse unge­duldig stampften und schäumend an dem vergoldeten Gebiß fauten. Ihre prachtvollen, welligen Schweife reichten bis auf die Erde. Wie ein blauweißer Blig fuhr Armour nach der Schlachtanordnung des Tages davon.

Reuter dagegen zeigte sich jeden Morgen auf der Börse. Mit dem wohlbekannten Lächeln und den gleichmütig freund­lichen Augen hatte seine Persönlichkeit etwas zugleich Gut­mütiges und steinern Festes. In seinem zugefnöpften, dunkel­blauen, doppelreihigen Jadettanzug und den blanten, gelben Bulldogschuhen, die Hände tief in den Taschen und eine unan­gezündete Zigarre im Mundwinkel denn Rauchen war auf der Börse verboten, erschien er und promenierte in dent

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-Danke! erwiderte Bendel. Sehr liebenswürdig! Wie geht es Aferblom?

auts­

-Oh, sagte der andere und strahlte noch mehr gezeichnet geht es ihm! Wir waren Studiengenossenich bin ebenfalls Zahnarzt daheim in Stockholm und im Den­tal College in Philadelphia. Aber er schießt überall den Bogel ab; und denken Sie sich, Herr Bendel, er hat ein glänzendes Angebot bekommen als Assistent bei einem der ersten Zahn­ärzte von New York . Das ist ja gleichbedeutend mit den hervorragendsten Dentisten der Welt. Aber er bat Heimweh und geht nach Hause.

Geht er wirklich nach Hause! murmelte Helge. Das wäre doch eine Gelegenheit....