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Wohin mich Dein netter Bruder geohrfeigt hat, aus dem Narrenhaus. Und ich habe Dich doch nicht zum sündigen Liebchen gemacht! Aber jetzt bin ich, wie Du merkst, kein echter rechter Narr. Der größte war ich"- Schlatterer warf sich über die Frau und füßte ihre weichen Glieder ,, weißt Du wann? Als mir das Bett zu hoch war und die Alten zu einfältig und Du zu heilig- Du Du- Du!" „ Leo- mein Mann!"
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„ Bfui, Spinne! Nicht in die Hand!" rief Schlatterer. ,, Hörst Du nicht? Er ist im Garten. Er öffnet die Tür! Du bist zu schade!"
Das mag sein! Auf Wiedersehen! Morgen!" Schlatterer sprang durch das niedrige Fenster auf die Straße. Expeditus Petermann hörte das Gespräch in der Stube und stürzte herein: Wer war das? Wer sauste durch das Fenster?" Und steckte schon selber den Schädel hinaus.
an.
Wer soll hier sein?" fragte die Frau.„ Nachtgespenster!" ,, Antworte vernünftig!" brüllte er und packte die Tochter Wer?"
Ich weiß nicht!" weinte das Mädchen. Ein rückter, scheint's!"
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Und obwohl der Blick der Frau in die zeitliche und örtliche Ferne gerichtet war, sprühten die Augen plöglich Abschen: J, Du und diesen Menschen erstechen! Hättest Du das gewagt, so wären wir fertig gewesen miteinander- ein für allemal!"
Mit dem Maler und Kohlrabiapostel"( wie ihn der Volksmund seinerzeit in München getauft hatte) Karl Wilhelm Diefen bach , der kurz vor Weihnachten auf der Insel Capri verstorben ist, ist ein Leben erloschen, deffen ideeller Fanatismus gar seltsam in unserer industriellen Zeit anmutete, und dessen abenteuerliches Wirken und grotest verschlungenes Lebensschicksal ein wenig dem glich des wunderlichen Junkers Don Quichote.
Ein brünstiges Wollen, verrannt in eine Sadgasse, ein Menschheitserlöfertum, degradiert zur Jahrmarktfarce.
Im Jahre 1907 famen wir zu ihm nach Capri . Wir, das waren zwei arme Teufel, der Weltenbummler, Maler und Bildhauer J. F., der dann später nach Indien ging und dort verVer- schollen ist, und ich, der ich mich ebenso redlich mit Pinsel und Feder unterernährte.
Ich will Euch gleich zeigen den Verrückten!" Und Petermann schwang sich über die Fensterbrüstung und lief hinter dem einsamen Wanderer auf der Chaussee her. Doch, obwohl er das Messer in der Tasche gepackt hatte, traute er sich nicht dicht heran, sondern unfreifte in weitem Bogen den verdächtigen Mann, der sich ruhig an eine Telegraphen stange lehnte: Schuster, willst' die Engel singen hören? Geh heim oder leg die Ohren an die Stange. Oder stich los mit Deiner Schusterplempe, Pechdrahtzieher! Ein toter Narr mehr oder weniger was nichts? In den Bann getan ist er schon laß seine Seele fliegen in die Höhe, juchhe!" In dem Augenblid fühlte sich Schlatterer gepact, am Genick und Händen, doch nicht vom Schuster.
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Der gab nur seinen Senf dazu:' s ist recht!" rief er den Wärtern der Heilanstalt zu, daß Ihr den Menschen wieder in die Zwangsjacke steckt, den Lump, elendigen, den gemein gefährlichen, der bei Nacht und Nebel Weiber in der Kammer überfällt."
Die Sorte huscht einem zwischen den Fingern durch! Vorwärts! Zurüd!"
Und die Wärter zogen mit Leopold Schlatterer ab, froh, den Flüchtling rasch aufgegriffen zu haben.
Am nächsten Nachmittag saß er ruhig und ergeben vor der ausgeleierten Schreibmaschine und tippte abermals den Wortlaut des Briefes, den er seit Monaten unverdrossen an Fürsten , Behörden und Zeitungen schrieb, nnd wobei allemal die unsterbliche Hoffnung aus des Schreibers Augen leuchtete:
Wir hatten in Rom einen bitterfalten Winter erlebt. Unser Blanc- Spike, so daß wir Tag und Nacht bis an die erfrorenen hoch oben am Tiber gelegenes Atelier war zugig, wie die MontRasen in unsere römischen Brigantenmäntel gehüllt um einen Scaldino( irdenen Wärmtopf mit heißer Asche) saßen, der in der Mitte des Riesenraumes stehend, vergeblich Wärme zu suggerieren versuchte. Eines Abends beschlossen wir im Café Greco, Rom für seine ganz bädeferwidrige Kälte durch Schuldigbleiben des letzten Mictquartals zu bestrafen und auszuwandern gen Süden. Irgendwohin! Nur etwas näher nach dem Acquator. Den ersten Forestieri; am Grabe der Caccilia Metella aber stellten wir uns Teil der Via Appia fuhren wir noch stolz im Wagen wie richtige auf unsere eigenen Füße. Ueber Ferentino, Aquino, das nahrhafte Monte Casino, Frosinone , Caserta ging unfer Weg, bis endlich am siebenten Tage das Meer auftauchte und Neapel . Es war auch hohe Zeit! Wir waren noch erschöpfter als unsere Mittel. wir hatten unterwegs, die Gastlichkeit einiger Bauern und der unserer eigenen Furage gelebt, die in einer Schachtel Pillen gegen Mönche auf Monte Casino ausgenommen, fast ausschließlich von üblen Mundgeruch bestand.
Nun saßen wir am Hafen von Napoli und aßen heiße Maronen. Drüben lag Capri , die selig anrüchige Infel. Blöblich fiel uns ein, dort drüben wohnt Gorki, den wir so gern einmal geschen hätten, und Diefenbach, der verrückte Maler, solf ja auch dort sein. Also hinüber! Gesagt, getan. Wir fuhren furchtbar schnell. Binnen zehn Minuten waren wir beide angehinüber, besuchten Diefenbach und blieben dort. Die Sache ging nommen als„ Mitarbeiter an seinem Lebenswert", wie er sich ausdrückte.
Diefenbach bewohnte damals ein kurz vorher bezogenes, großes Grundstüd, das mit der Schmalfront an dem Marktplatz anstick, das aber nicht, wie irrtümlich berichtet wurde, sein Eigentum war, Ew. Hochwohlgeboren! sondern nur mictweise von ihm übernommen worden war. Das Leopold Schlatterer, derzeit im Reichsbann steckender Haus war äußerlich noch nicht als das Diefenbachdomizil kenntlich. angeblicher Narr, tut untertänigst fund und zu wissen: Erst im Laufe der folgenden Monate wurde es von ihm und uns Julius Gruber, Sohn des Schusters Gruber, ehemaliger mit dem entsprechend vergrößerten, befannten Minderfries verFeldwebel und Bruder des von mir bis in den Tod geliebten, schandelt. Aber das Innere des Hauses war schon zum Kunitfürsorglich geschonten Mädchens, zertrümmerte mir als an- tempel transformiert. Die drei großen unteren Ateliers waren geblichen Verführer, als ich noch Bennäler war, das Trommel- die Ausstellungsräume, ein darüber gelegener noch größerer Raum war das Atelier, darüber dann die Wohnräume. fell von Ohr, um mich unter Reichsbannerklärung als Narren in die Heil- und Pflegeanstalt stecken zu lassen in bezug auf verbotene Liebe zu seiner Schwester und mit Existenzabschneidung und aftenmäßiger Realschulrechtsprechung als im voraus für Irrenanstalt bestimmt. Also ist Verfügung nach Fug und Recht dahin zu treffen: Angeblicher Narr Leopold Schlatterer ist aus Reichs- und Kreisbann zu tun zwecks auch pädagogischer Ausnüßung und Auslieferung Ersabreservistenpasses von der Zivilfommission parallelLaufend mit unterbundener Eisenbahnkarriere und nachträg lichen Uebergang in Obersekunda, wofür ausgeworfene fünf Millionen Marf ausreichend in Anspruch zu nehmen sind, bis zum Grade eines Hauptmanns zweiter Gehaltsklasse. Wonach zu richten und zu entscheiden.
Untertänigit
Leopold Schlatterer,
angeblicher Narr, zurzeit in Reichsbann erklärt. Während in der Heilanstalt so Zeile um Beile zu Papier gebracht wurde, stand Expeditus Betermann als rechter Wichtigtuer vor seinem Bau und erklärte den Nachbarn, wie er nachts beinahe einen Weiberschänder erstochen hätte, der die ganze Schusterfamilie zu Tode erschreckt habe. Und in der Stube lauschte den Worten Petermanns eine Frau mit roten Augen, deren Erinnerung ein junger Menscy belebte.
Besonders die Ausstellungsräume waren auf Feierlichkeit ge= stimmt. Schummriges Halbdunkel, in der Mitte des Raumes eine große, grüne Sphinx, flankiert von zwei lebensgroßen Anabenstatuen, die in Posaunen schmetterten. An den dunklen Wänden dann die Bilder, umrahmt von Lorbeergirlanden. Und dann pflegte nach etwa zehn Minuten beklommenen Wartens der Meister durch die Tür zu treten und einem Sen Rest u geben. Je nach Bedarf oder momentaner Hausfehde auf seine Schwägerin oder zwei Schüler gestüßt, schritt er langsam nadj einem Lehnstuhl, in den er sich tiefauffeufzend niederlich. So war es bei unserem ersten Besuch, und dasselbe wiederholte sich, sobald Besucher tamen. Er machte das übrigens schr wirkungsvoll und geschickt, und ich glaube nicht mal, daß er sich dabei einer Schauspielerei bewußt war, obgleich er, wenn wir allein mit ihm wanderten, sehr rüjtig marschierte.
Der Meister schwvicg noch immer, so daß man Muße hatte, ihn zu betrachten. Er sah gut aus und wußte es. Auf einem mageren Asketenkörper, der über Jägerhemd und Höschen nur mit einer wollenen Chlamys bekleidet war, saß ein mächtiger und schöner Kopf, die hohe tnochige Stirn noch erhöht durch einen Wald zurückgefämmten und bis auf die Schultern herabfallenden Haares. Die Stahlharten Augen waren forschend und mißtrauisch wie die cines Tieres, aber der Mund konnte bisweilen sehr gütig sein, wenn er mit Kindern oder Hunden spielte und dann plößlich aus den verſteinten Formen seiner Wangen und dem langen Rübezahlbart ein Lächeln aufleuchtete. Doch ihn in solcher Stunde kennen zu lernen, pajfierte selten einem Fremden. Gewöhnlich hub der