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Meister nach einigen liefen Scufzern zu reden an, und swar hatte brüden waren. Instinktis schien er das selbst zu empfinden; denn er zwei Themen. Entweder er blieb tief im Dunkel des Sessels er half ja gründlich mit hem Worte nach. zurückgelehnt, und erzählte mit weit geöffneten Augen ias Leere Ein so selbständiger und fluger Denker Diefenbach auf vielen starrend, im halben Flüsterton von der Last seines Schickfals, Gebeten und in praktischen Lebensfragen war, von den Problemen Die irgendeins der tausendfältigen Abenteuer seines Lebensfampfes. und Zielen heutiger Malerei ahnte er nicht einmal etwas. Daß es der Fluch der Menschheitserlöser sei, von der Mitwelt ge- Moderne, das waren ihm einige Caprefer Kitschmaler, die, im üchtet zu werden. Christus, Sokrates und Diefenbach! Keiner Gegensatz zu seinen braunsaucigen grellfarbige Kitschbildchen ver­wurde verstanden. Auch nicht von den eigenen Jüngern. Wie schleißten. Von der tiefen Einfachheit Maréesscher Kunst, der er überall verfolgt worden sei, wo er auch den Fuß hingescht habe, drüben in Neapel die herrlichen Fresten gemalt hatte, von Sc­und wie sein Humanitastempel, den er auf Capri habe bauen gantini, Manet , Cezanne , Hodler wußte er nichts. wollen, in dem er alle zu ihm gebrachten Kinder zu Menschen Mit einem anderen Bilde passierte ein drolliges Intermezzo. erziehen wollte, freien, gesunden, sonnigen Gottmenschen, ein Damals weilte ein deutscher Fürst auf Capri , der wiederholt in das Traum geblieben sei. Nur den Plaz habe er ausgesucht, wo der Atelier fam, zwei Bilder kaufte und ein drittes, den Knaben", der Tempel dereinst stehen soll. spreizbeinig in der Meeresbrandung stehend die Arme hochwirft und jubelt, ebenfalls kaufen wollte, nur hätte er gern eine fleine Aenderung gehabt. Wenn er auch auf Capri weile, sagte er, ein ganz junges Mädchen in dieser Stellung wäre ihm lieber. Und so geschah es. Das Bild wurde nochmals gemalt, und da Diefenbach unwohl war und überhaupt nicht gern Afte malte, jo fiel mir die beneidenswerte Aufgabe zu, aus dem Knaben ein Mägdlein zu formen. Mit dem Haarumflatterten Kopf ging es leid­lich gut, auch noch mit den Beinen, aber bei den Brüstchen und den hochgereckten Armen traten einige Partien zutage, die nicht ganz foscher waren. Diefenbach, der in jenen Tagen wirklich leidend war, saß zeitweise im Sessel und schaute zu, auch der Fürst fam einigemal und schien ein flein wenig verwundert, daß der Meister das Mädchen nicht persönlich vornahm. Aber Tiefenbach beruhigte ihn und wies auf Raphael hin, der auch die meisten seiner Bilder nicht mit eigener Hand gemalt habe, sondern durch seine Schüler ausführen ließ. Sein Genie sei überlegen und suggestiv genug gewesen, daß jeder Schüler imftande gewesen wäre, völlig den Intentionen des Meisters zu folgen.

Oder er griff das zweite Thema auf und sprach von dem Ur­feinde der Menschheit: Dem Pfaffentum, das alles Geistige und Persönliche im Menschen tötet. Kirchenpfaffen! Justizpfaffen! und Medizinpfaffen! Diese drei! O!! Und den Besucher mit fon­bergierend zusammengefniffenen Augen fixierend, recte er seine mageren Fäuste drohend gen Himmel und ließ eine halb chrliche, halb gespielte Wut aus dem Sefsel auflodern.

Diefenbach lebte damals nach vielen Stürmen und Zusammen­brüchen im pefuniären Zenit seines Daseins. Seine Bilder wur­den gekauft und gut bezahlt. Vor allem die landschaftlichen. Meist Motive aus Capri , die in ziemlich großem Format gemalt wurden, und von uns mit affenartiger Geschwindigkeit zusammengepinselt und ständig frisch auf Lager gehalten wurden. Die Faraglioni , der Polyphem und Capris Piccola Marina gingen ab wie warme Semmeln. Zum Neid der viclen italienischen und deutschen Maler, die irgendwo anders auf Capri ihren Musentempel und Verkaufs­ausschant errichtet hatten. E Capri , das Städtchen, war eine Welt fleinlicher Interessen und Gehässigkeiten, überbuttert von italienischer Gentilezza; man grüßte Diefenbach, wenn er durch Capri ging, aber hinter dem Rüden rief man ihm pazzo nach oder Schlimmeres.

Dabei war Diefenbach durchaus kein Geschäftsmann. Nie Habe ich geschen, daß er Geld bei sich führte oder eine geschäftliche An­gelegenheit selbst erledigte. Gab es etwas Diesbezügliches zu regeln, einen Bildverkauf oder dergleichen, so tauchte sofort aus irgendeiner Bersenkung oder Mauernische seine Schwägerin auf, die Theosophin, die diese Dinge sehr zäh durchfocht. Sie war ein flcines, spinndürres Jungferchen; spinäfig wadelte ihr fleines Köpfchen aus einem Reformkaftan. Sie wurde von uns troppo secco( zu troden) genannt, ein Name, der ihr von dem wohl beleibten Ortspfaffen beigelegt worden war, als ihn Diefenbach einst fragte, wie ihm die Schwägerin gefiele? Troppo secco per me!"( Für mich zu trocken) antwortete er. Ich habe Diefenbach nie wieder so herzlich und behaglich lachen hören, wie über diese Antwort. Und der Name blieb haften seitdem, um so mehr, als besagte Schwägerin einige Male, zwar vergeblich, aber sehr zäh den Versuch machte, die ohnedies nur aus Gemüse und Obst be­stehenden Mahlzeiten noch überirdischer" zu gestalten.

Etwas weniger gangbar als die Landschaften waren die Diefen­bachschen Figurenbilder, die gemalten Predigten, Bilder mit Titeln wie: Du sollst nicht töten!", Menschheit und Pfaffen­tum"," Unschuld"," Knabe in Meeresbrandung" usw. Im Att ber­sagte Diefenbach vollständig, er hatte zumindest jedes Gefühl für Proportion verloren. Und so war es kein Wunder, daß der artige Bilder immer schwere Zangengeburten. waren. Ich erinnere mich an das große Bild Menschheit und Pfaffentum", an dem wir der Reihe nach abwechselnd an den Aften herummurgten, bis schließlich mein Freund Fasson hineinbrachte. Das Bild wurde schauerlich schön, besonders, wenn es Diefenbach erklärte.

Die Sphing von Gizeh, in ein viertel Lebensgröße und im Tezten Abendsonnenstrahle. Es gab da im Hause Diefenbach eine merkwürdige Tradition; Gestein, Baumschlag und Akte, überhaupt alles Erhabene, d. H. auf der Leinwand Rundung haben Sollende zu malen. Derartige Bildpartien wurden im Gegensatz zu Himmel und Wasser modelliert, also vor der Untermalung mit Sand und Glaserkitt im leichten Relief aufmodelliert. Es war herzerhebend, und ich machte damals den gehässigen Borschlag als Gegengewicht zur Sphing, die doch aus beinah echtem Gestein bestand, den Genius der Menschheit, der auf dem anderen Bildzipfel erscheinen sollte, durch die Schwägerin darstellen zu lassen, die im Relief auch nicht viel hervorragender sei als die Sphing.

Der Borschlag wurde nicht afzeptiert. Vor dieser Sphing wälzte fich nun eine Gruppe Menschen im Staube oder recte die Hände stehend empor, indes ein glühender Samum die offensicht fichsten Mißgeburten unter ihnen gnädig in diden Dunst hüllte, der fidh an einer Stelle in fühner Kurve emporschwang, zu leibhaftigem. Kremserweiß komprimierte, Beine, Bauch und Busen formie zum Genius der Menschheit. Dieser sprach zu Diefenbach:" Nicht in den Staub werfen vor einem toten Gößen, erhebet Guch!"

So schön das flang, wenn es Diefenbach sagte, mir schien cs tinking, weil doch der Samum raste. Gewiß, all diese Bilder übten auf den biederen Bürger eine ebenso verblüffende Wirkung aus, wie der Mann, der sie geschaffen hatte. Alle hatten einen starken theatralischen Effett, der in diesem Milieu natürlich noch gesteigert wurde.

Mir erschien als ihr Hauvimanto die Discrepanz zwischen Wollen und erreichtem Ausdrud. Diefenbach quälte sich damit ab, Dinge zum Ausdruck zu bringen, die nur durch das Wort auszu­

Trozdem, die Brüstchen wurden nicht besser! Also cin Modell her. Aber es fand sich so leicht keins. In Capri nicht, weil fein Mägdlein sich getraute, gegen den Willen des Ortsgeistlichen zu fündigen, der ein kleiner Oerterer und heftiger Förderer jedwedr Ler Heinze war. In Neapel , wohin ich deshalb fuhr, auch nicht, weil die Auswahl zu verwirrend groß war. Und als ich zurückkam, nach 3 Tagen, war der Meister eben darüber, mit eigener Hand das Dilemma zu lösen, indem er die herrlichste Meeresgischt mit Kremserweiß liebevoll darüber tupfte. Er sang dabei. Wenn etwas gut gelang bei der Arbeit, sang er immer. Ich blieb hinter ihm stehen, offenen Mundes, und schaute zu, bis auch das letzte Achsel­haar in der weißen Gischt versant. Dann wandte sich der Meister um und meinte:" So, das hätten wir geschafft."

Schön waren die Abende und Nächte. Die Abende, an denen wir auf der großen Terrasse des Hauses saßen, Finochi, Feigen und Nüsse kauten, von allem und nichts sprachen, bis das wie goldene Lava leuchtende Meer erlosch und der Golf im Dunkel versant. Nur Napoli drüben lockte noch mit einem unruhig flimmernden Lichter­schein. Dann ging der Meister zur Ruhe. Wir blieben auf der Terrasse lagern, spazierten auf unbekannten Sternbildern umher, oder wir gingen noch aus, zogen durch die schmalen Gäßchen des Städtchens nach irgendeiner gefangdurchtönten Osteria und fncipten bis zum Morgen mit russischen Revolutionären, deutschen Malern und Literaten, die hier auf Capri nie aussterben.

Nun ruht der magere Asketenleib mit dem mächtigen Löwen Haupt irgendwo in der sonnedurchwärmten Erde der Insel, die er liebte: 3war ruht er nicht unter den Säulen seines Humanitas­tempels, von dem er träumte, aber manchmal wird eine Agave ihren Schaft aus seiner Erde herausschleudern, Felsen werden still um ihn stehen und das Meer wird leise sein altes Menschheitslied singen.

S. R.

Kantate in der Neujahrsnacht.

Bei Tee und Büchern faßen wir beisammen am legten Tag im Jahre. Es war still. Am Kerzenringe fnisterten sechs Flammen. Elf schlug die Porzellanubr, leis und schrill. Und dann war wieder Schweigen, feiner sprach. Wir dachten diesen ernsten Zeiten nach. Der Nordwind fuhr und pfiff ums dunkle Dach und blies uns seine wilden Wanderlieder. Du ließeft am Harmonium dich nieder und sangst den Kantus: Bleib bei uns! Dschöne Sage aus vergangnen Zeiten! Wie du so tief und bang zu Herzen dringst. Doch wer mag noch in deinem Lichte streiten? Nur Trauer wedst du, wenn du mahnend fingst: Es hat die Dunkelheit an vielen Orten überhand genommen. Woher ist aber dieses kommen?

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von Bach.

Bloß daher, weil sowohl die Kleinen als die Großen

nicht in Gerechtigkeit vor dir gewandelt

und wider ihre Christenpflicht gehandelt.

Drum haft du auch den Leuchter umgestoßen."