Unterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 7. Sonnabend, den 10. Januar. u«l4
Das Menfthlein Matthias. 7) E r z ä h l u n g v o n P a u l I> g. Mit schrecklicher Spannung verfolgte er das Mienenspiel der Mutter, die am Rain saß und über etlvas angestrengt nachdachte. Sie hatte ein schneeweißes Kleid voller Sticke- reien an, das er noch gar nicht kannte, eine Kette mit roten Perlen am Hals, durchsichtige Handschuhe bis zum Ellbogen; ihre Schuhs waren aus grauem Zeug gemacht, solche, wie sie nur die vornehmsten Guggisauer Kurgäste trugen. Wäre sie ihm als Fremde oben im.Kurgarten begegnet, so hätte er sie gewiß für eine doppelt und dreifach Reiche gehalten. Ihr Anblick machte ihm schon wieder ganz eigen wohl, er mußte nur immer schauen und staunen,>vie schön sie war, gerade jetzt, wo sie so in sich versunken schien oder traurig ins Tal hinunterblickte. Woran dachte sie nur? Vielleicht an den Großvater, der wie aus der Welt weggestorben war, oder an den Mann, von dem sie sagten, daß er die Mutter ins Un- glück gebracht habe? Und plötzlich fiel ihm ein... das giftige Wort aus der Morgenfrühe:„Welsche Lammerl" worauf er lang überlegte, ob er ihr den Schimpf berichten solle. Allein es ging über sein Vermögen; er mußte das aufsparen, bis sie in Sicherheit waren; dann aber wollte er der Mnttcr so viel erzählen, daß sie gewiß Augen machte wie Ostereier und nicht mehr daran dachte,„diese da" zu besuchen. Mochten sie doch alle miteinander nach Amerika ziehen! Die Mutter machte jedoch wider Erwarten einen dicken Strich durch seinen kühnen Rückzugsplan, indem sie sich seufzend erhob, ihm wie bedauernd über die Haare strich und zu verstehen gab:„So konnn denn, wir müssen sehen, was die da unten machen. Sie werden wohl mit dem Essen auf uns warten!" Es war ein vernichtender Schlag. Er zögerte, das ihni zum Tragen überlassene Paket mit Geschenken zu nehmen. Seine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Hatte er denn alles nur geträumt? Dachte die Gute schon nicht mehr daran, ihn mit nach Treustadt zu nehmen. Die Mutter bemerkte jedoch sogleich die tiefe Verwunde- rung des Knaben und begann im Geben tröstlich davon zu sprechen, wie sie es wohl recht bald einrichten wolle, daß er für immer zu ihr kommen könne. In den Ferien müsse er dann zuerst einmal sehen, ob es ihm in der Stadt auch wirklich gefalle. Heute schon tverde sie mit der Basgotte alles recht- fchaffen bereden. Er solle jetzt nur nicht mehr zlveifcln und traurig sein, die paar Wochen noch geduldig ausharren, der Basgotte in allem gehorchen und fleißig lernen, damit er dann in der Stadtschule nachkomme! Zwar klang das so übel nicht in seinen Ohren. Allein dem vorigen grundcntsricgenen Zauberwort kam es wenig gleich. Bis zu den Sommerferien war's auch noch sehr lange hin. Da konnte die Mutter sich anders besinnen oder schon wieder alles vergessen haben. Trotzdem nahm er sich die Mahnung tapfer zu Herzen, schlug Zweifel und Trübsal bald wie ein Mann in den Wind und ließ sich nicht das geringste merken, als sie vors Haus kamen. „Die Base Gritta ist da!" schrie Frida an der Ecke und fiel vor Eifer schier auf die Nase. Schnell kam Matthias wieder auf andere Gedanken. Er hätte den unnützen Balg, der sich so dreist an seine Mutter hing, durchaus einen Kuß geben und den Sonnenschirm tragen wollte, am liebsten die Staffeln hinuntergestoßen. Das Paket verbarg er streng hinter seinem Rücken, so gierig Frida danach äugte. Ja, wie sie nun alle wieder taten und strahlende Gesichter- machten! Tie Basgotte wischte sich vor Vergnügen und Ehrerbietung die Hände an der Schürze ab, der Vetter- götti schmunzelte, zeigte auf einen schnauzbärtigen Mann, der ihm gegenübersaß, und sagte zur Schwägerin:„Der da wird Dir, denk, auch nicht fremd sein? Er wollte bloß einmal sehen, wie's da oben ausschaut!" „Natürlich, ja, bei dem prächtigen Wetter! Grüß Gott, Herr Gemperle!" sagte die Angekommene verlegen, und es war zu merken, daß ihr die Gegenwart des Mannes, der so warin ihre Hand drückte, weder zufällig noch angenehm vor- kam. Dieser kehrte sich schnell dem nicht minder verblüfften Matthias zu:„Ja, was? Das ist also der Bub? So ein
Kerl ist das schon? Donnerschlag, das glaubt ja der stärkste Mann nicht! Der macht doch sicher schon die schönste Bauch- welle ani Reck und den großen Aufzug dazu, hä? Heiland, da kann aber die Mutter stolz sein. Wal! ist's, Herrle, wollen wir einen Bund miteinander machen? Schlag ein!" Der breit- geschulterte Mann streckte dem Bürschchen eine mächtige Tatze hin, harrte jedoch vergeblich auf den Einschlag, bis die An« gehrin gewaltsam nachhalf. Matthias betrachtete derweilen voller Zwietracht den roten, mit vier großen? bestickten Gürtel, womit des Be- suchers Hosen befestigt waren. Eine Wesie hatte der über- Haupt nicht an, nur ein gelbes Flanellhemd mit Troddeln unter der Jacke. Daß die Mutter den nicht leiden konnte, merkte Matthias in der ersten Minute, und dennoch schmeichelte es seinem Stolz, daß der Starke mit den durchgedrückten dicken Waden fast nur s i e ansah, hingegen dem Gerede der Basgotte kaum Gehör schenkte. Sein Triumph war voll- kommen, als das Paket aufgemacht wurde. Er bekam einen Malkasten mit sechzehn Farbtafeln, drei Pinseln und vielen Vorlagen, so daß die Basgotte gleich ausrief:„Du wirst noch rein zum Narren an dem Bub!" Auch die anderen erhielten ctivas und mußten zum Dank der Mutter die Hand geben, was besonders Konrad schiverfiel, der schon wieder nach deni Malkasten schielte. Dafür bewies dann die Wirtin zum Gupf, was ihr Schmalzhafen vermochte. Sie hatte einen stattlichen Korb voll„Sauöhrle" gebacken, bei dessen Anblick ein lautes Oh der Anerkennung erscholl. Vorher gab es Rindsbraten, mit Knoblauch gespickt, einen turmhohen Erd- äpfelstock, Johannisbeerwein und so viel Salat, daß man dachte, die Ziegen müßten noch mithelfen. Das schöne Familienfest wurde nur getrübt durch das Beisein des Bleichermeisters Gemperle, der die Jungfer Böbi keine Sekunde aus den Augen ließ, ihr unnötig oft zutrank und nicht einmal merkte, daß diese immer anderswohin sah. Nach dem Essen mußte das junge Volk die Stube räumen. Als jedoch Brigitte desgleichen ausrücken wollte, ließ es Frau Angehr nicht zu, und die Schwüle in der niedrigen Stube wurde sogleich gewitterhaft; die vier Köpfe senkten sich rat- los, die Hände zerbröselten Kuchen oder spielten mit den Löffeln in den geblümten Kaffeetassen. Die Hausfrau war als erste wieder obenauf. Sie hatte vom Morgen her den guten Humor behalten; die ihr eröffneten holden Aussichten bewahrten sie jetzt vor eifersüchtigen Regungen gegen die Schwester, deren gute Unterkunft vielleicht in dieser Stunde beschlossen werden konnte. Mit dem Bleichermeister war Frau Angehr schon vor Brigittes Ankunft ins Reine gekommen. Also nahm sie jetzt die zarte Sache behutsam in die Hand. „Schau, Gritta, wir wollen einmal wie rechte Schivcstern miteinander reden. Du bist ja nun bald auch nicht mehr die Jüngste, hast schon manches Schwere durchgemacht und solltest endlich auch darauf sinnen, wie Du aus dem Fabrikleben heraus- und in ein ordentliches Hauswesen hineinkommst. 's ist ja nur Deinetwegen. Denk, wie nötig der Bub eine» braven Vater hak. Nicht, daß er mir verleidet oder schon zu gerieben wäre— deswegen hätt' es noch lange Zeit— aber besser ist besser." Sie war selbst so mitgenommen von diesem ehrsamen Gedankengang, bei dem sie so fein alles Kränkende vermied, daß ihr die Rührung das Wort im Munde erstickte. Ihr Mann lehnte schweigsam, tiefsinnig schmauchend gegen die Wand. In dieser Sache konnte er erst mitreden, wenn sie für eine spaßhafte Behandlung reif war. Das„Einfädeln" ging ihm gegen die Natur, besonders wenn Oehr und Faden so wenig abgepaßt waren wie in diesem Falle. Es sah nämlich gar nicht danach aus, als ob die Geschichte irgendwelche gute Hnmore zeitigen werde. Brigitte kehrte der Verhandlung sehr unziemlich den Rücken und sagte ihre Ansicht:„Gott be- hüte, mir ist's jetzt nicht ums Heiraten; das pressiert noch nicht halb so schnell!" zum Fenster hinaus, wo doch niemand war. der sie richtig würdigen konnte. Ter unwillkommene Freier sah nahezu drein wie ein Angeklagter, welcher vor dem Urteilsspruch zum letzten Wort aufgerufen wird und schon Weiß, daß feine Sache schief steht. Als suchte er einen Flocken auf dem Deckblatt, drehte er andauernd seine Zigarre zwischen den Fingern, tupfte zwecklos oft die Asche ab und braute inner- lich das bittersüße Tränklein einer Liebeserklärung. Aber