Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 8.

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Dienstag, den 13. Januar.

Das Menschlein Matthias.

Erzählung von Paul Jig.

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Der Bleichermeister hingegen, froh, mit der Begehrten allein zu sein, schlug noch einmal andere Saiten an. Unver­febens stand er neben ihr am Fenster und hielt ihre sich beftig sträubende Hand fest. Er mußte sich grausam bezähmen, das vollblühende, duftige Weibsbild nicht mit Gewalt in die Arme zu nehmen. Unter den Arbeiterinnen der Stiderei Treu­stadt kam ihr an Schönheit und gefälligen Anstand feine gleich. Prinzipale, Schreiber, Zeichner, Stider alle waren hoffend hinter ihr her. Ihrer bevorzugten Stellung gemäß hieß sie nur das Musterfräulein", als welches fie fast aus schließlich mit den Großen des Hauses zu tun hatte. Daher stammte sowohl ihre Eitelkeit als ihr Mißgeschick. Den Bater ihres Kindes nannten alle ungescent bei Namen, obwohl er nicht im Taufregister stand. Aber sicher dachten im Ernst wenige daran, gutzumachen, was jener gesündigt hatte. Der Bleicher Gemperle- noch lange nicht der erste beste war dazu bereit, ja geradezu versessen in diesen Gedanken. Darum wollte er nicht gern glauben, daß die ihres jungfräulichen Schleiers Beraubte diese Ehrenrettung leichthin ausschlagen werde.

Tut mir das nicht an, Jungfer Böhi! Gebt mir noch Zeit und bedenkt es wohl. Ihr seht ja, daß ich nicht von Euch laffen kann. Es hat sich allmählich so in mich hineingefressen. Der Teufel weiß wie, und was aus mir wird, wenn Ihr den Spruch nicht ändert!" beschwor er sie, von Heiserkeit befallen, die Augen erfüllt von jener schauerlichen Verzweiflung einer hoffnungslos liebenden, dabei starrsinnigen und eitlen Seele. Auf seiner Stirn stand der Schweiß in hellen, diden Tropfen. Ihre Hand mit Gewalt festhaltend, unbekümmert darum, welch ein flägliches Schauspiel er bot, fiel der unfelige Werber vor ihr auf die Knie. Er war Vorturner einer Turnbruderschaft, jogar Meister im Nationalfach, und bildete sich nicht wenig ein auf seinen athletischen Körperbau, die muskulösen Arme und durchgedrückten Beine, während Brigitte nur abgestoßen schien von diesem prahlerischen Aufwand an Kraft, besonders in diesem Augenblid, wo er dennoch, aller Männlichkeit bar, um Gnade flehend zu ihren Füßen lag.

Der Bleicher ließ fie aber gar nicht erst zu Worte kommen, sondern fing hastig, fast im Ton eines Vorwurfs davon zu sprechen an, wie er doch seit der Bekanntschaft mit ihr ein anderer" geworden sei und schwören wolle, zeitlebens solid zu bleiben, wenn er sie zur Frau haben fönne. Dann schien er sich in seiner Stellung selbst ein bißchen lächerlich vorzu­kommen. Errötend sprang er wieder auf die Beine.

Warum nicht zusammen passen? Wir sind doch beide Warum nicht zusammen passen? Wir sind doch beide gesund und bei Sinnen und haben quten Verdienst. Was braucht's da mehr? Es wird schon gut tun, wenn wir erst einmal beisammen sind. Lieber heut als morgen. Ich frag' ja auch nicht danach, was früher gewesen ist. Das Alte soll vergessen und begraben sein. Es geht mich nichts an. Nur ans Stünftige will ich mich halten. Auf Ehr' und Seligkeit, Jungfer Brigitte. Aber nein, nein," widerrief er sich selbst, als er sah, wie sie zwischen Born und Verachtung kämpfte, gut, gut, wenn hr damit noch warten wollt. Sch jag' ja nichts dagegen. Mir ist alles recht. Ich kann mich gedulden. Nur sagt, daß nicht alles aus sein soll. Das ball' ich nicht aus. Da gibt's ein Unglück!"

Brigitte befreite sich mit einem heftigen Nud aus der heißen Umflammerung seiner roten, fnolligen Faust. Ihr Mitleiden war verslogen vor der gewalttätigen, unbewußten Roheit, der rasenden Begierde des Burschen, die sich in Worten und Mienen verriet. Aber nur schver verheimlichte sie ihre Angst vor dem Mann, dem sie die bitterste Enttäuschung be­reiten mußte. Auch hatte sie jekt manch ein harmlos freund­liches Wort zu bereuen, das, einst aus lauter Gutherzigkeit gegeben, von ihm sozusagen als Wechsel auf die Hochzeit ge­zogen worden war.

" So nehmen Sie doch um Himmels willen Vernunft an, Gemperle!" unterbrach sie mehrmals seinen stürmischen Be­tenntnisdrang. Wann hätte ich Ihnen Grund gegeben, etwas

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Derartiges zu hoffen? Allerdings geht Sie mein Leben nichts an. Ich brauch keinen Ernährer, Beschüßer oder Ehrenretter, am wenigsten einen, der meint, es müsse hinter mir etwas vergessen und zugedeckt werden. Also, warum ver­folgen Sie mich?' s ist ja doch alles verlorene Liebesmüh'. Sie jagen mir damit nur Angst ein. Das tut doch keiner, der auf Anstand hält. Und daß Sie ein ordentlicher Mensch geworden sind, werden Sie hoffentlich nicht bereuen. Es kommt schließlich einer anderen zugut. In Treustadt gibt's heiratslustige Mädchen genug!"

weissagte. Er gehörte zu den gefährlichen Naturen, die mit Der Abgefertigte war in einem Zustand, der nichts Gutes Gewalt ertrogen wollen, was ihnen das Schicksal vorenthält. Da Brigitte die Tür ins Auge faßte, vertrat er ihr brutal den Weg.

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Somit fann ich ja wieder abziehen, wenn auch nicht mit Glang. Aber ich will Euch noch ein drittes Mal fragen, Jungfer Böhi. So schnell seid Ihr mich nicht los, bewahre! Sann sein, Ihr besinnt Euch noch anders, wenn Ihr erst ein­mal einseht, wie's andere init Euch meinen. Und daß der Betreffende, an dem Ihr, scheint's, noch hängt, das Rechte tun wird, glaubt Ihr wohl selber nicht. Der großipurige Herr macht ganz andere Sprünge. Ja, ob hr's gern oder ungern hört, ich sag' es doch: wenn der alle feine Schäße heuern wollte, das gäb', beim Strahl, eine große Familie!" Er lachte unflätig auf, sein Blid sprühte Gift und Haß. Erst als er Brigittes bleiche Berachtung merkte, befann er sich auf einen besseren Abgang. Dann denkt aber auch daran, was Ihr machen wollt, wenn Euer Bub groß genug ist, um nach seinem Vater zu fragen. An mir hätt' er einen gefunden, dessen er fich nicht zu schämen brauchte."

warten, seine Stimme flang unterdrüdt, als müßte er im Er schien noch auf einen leisen Hoffnungsschimmer zu nächsten Augenblick aufschluchzend hinfinken. Auch Brigitte war am Ende ihrer Fassung. Sie konnte den Verzweifelten nicht mehr ansehen, fein Wörtlein weiter hervorbringen. Eine gräßliche Angst hatte sich ihrer bemächtigt, sie spürte etwas wie Todesfälte in den Gliedern und ein elektrisches Bucken auf der Kopfhaut. Wenn der furchtbare Mensch es wagte, sie anzurühren, mußte sie wehrlos in seine Arme fallen, ihn ohn­mächtig gewähren laffen.

und Stod, sagte ein bedeutsames denn also auf Wieder­Zu guter Lett nahm der Abgewiesene wohlbesonnen Hut sehen!" und verließ die Stube. Draußen empfing er noch Trost, Aufmunterung, Händedrücke. Dann sah Brigitte , schwer aufatmend, daß er wirklich bergab davonzog. Aber ihr Sonntag hatte allen Glanz verloren.

Gleich trat auch Frau Angehr wieder herein, das Haupt boll bitterböser Weissagung, mit einer Miene, als sei durch Brigittes Benchmen unauslöschliche Schande ins Haus ge­fommen. Ihr Blick hielt sich in den Niederungen auf, strich unfäglich geringschäßend über der Schwester nobles Schuh­wert und luftiges Mullkleid, diese äußeren Zeichen ihrer Ver­blendung.

Wenn Du nur nicht noch einmal bereust, was Du da angerichtet baft!" beganu fie zwischen Seufzen und Drohen, während sie aus Leibeskräften den Tisch scheuerte. Der gute Mann ist imstand und tut sich was an. So wie der vorhin ausgesehen hat es lief einem kalt den Rücken hinunter.' s ist eben schwer zu begreifen!"

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Du meinst demnach, ich täte besser, ihn zu heiraten, da­mit er sich nicht den Garaus macht? Und ich denke, siehst Du, um so einen Stieber und erpresserischen Wicht wär's fein bißchen schade. Dann hab' ich ihn wenigstens nicht mehr zu fürchten. Mein Lebtag seh' ich die Drohblicke vor mir!"

Fran Angehr machte nur verbissen: So. fo." Doch der Tisch fnackte unter ihren Händen; gründlicher war er noch nie gereinigt worden. Darauf führte sie mit dem nassen Scheuerlappen einen erfolgreichen Vernichtungskrieg gegen die aberhundert Fliegen, welche den Aufenthalt in der niedri gen, dumpfen Stube zu einem wahren Martyrium machten. Es flatschte lustig an den zerspaltenen Holzwänden, dem blaß­blauen Kachelofen, der auch schon zahreiche Lehmflicken auf­wies.