Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 11.

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Freitag, den 16. Januar.

Das Menschlein Matthias.

Erzählung von Paul Jig.

Brigitte schien überhaupt mur an sich, nicht im geringsten ans Geschäft zu denken.

"

Bscht... Unsinn, was fällt Ihnen ein, das gehört nicht hierher!" unterbrach sie der Herr ungehalten, indem er den Zwicker abnahm und eifrig pußte, als ob die Tribung der Sachlage von diesem herrühre. Ich bin nicht dazu da, in folch heiflen Dingen Recht zu sprechen. Das haben Sie mit sich selbst abzumachen."

1914

Gesicht, und auch der Bettergötti schien nicht gerade erbant von Matthias Einzug in die Bleiche. Er fragte unr so nebenbei: Wie steht's? Bist gern da unten?" Worauf die Mutter nicht ohne Ueberheblichkeit für ihn zurückgab: Das wollen wir hoffen. Er fommt jest jeden Tag mit mir ins Geschäft, geft Du? Da wird's ibm wohlgefallen. Muster schneiden, kleben, stempeln und einreihen... alles kann er bei mir lernen. So schön hat's kein Bub in ganz Trenstadt!"

Und sein Bater, der Herr Dessinateur, bringt ihm am End' noch's Zeichnen bei. Natitterle! Heißt das, wenn er ihn nicht vor But hinauspfeffert, daß die Schwarten krachen!" rief der Bleicher Gemperle mit grimmigem Hohnlachen, so daß Brigitte wider Erwarten den Blick senken mußte und weniger hochmütig, als sie tam, den Rückzug antrat.

Matthias begriff sehr gut, daß ihr da etwas Arges widerfuhr, was auch ihn anging. Es war das alte böse Ge­heimnis, das ihn bedrückte, seit er denken konnte und den Ge­

Dann sah es aber bald aus, als rühre ihn wieder ihre Einfalt, die sich in verhaltenem Weinen gegen seine schroffe Burückweisung auflehnte. Er beharrte noch eine Weile dabei, daß er viel zu tun hätte, wenn er auch die Liebesgeschichten seiner tonsend Leute schlichten sollte dann blieb es geraume Beit still, bis er, der peinlichen Situation überdrüssig, zu ver- sprächen der Großen lauschte. stehen gab: Und was Ihren ungewöhnlichen Wunsch betrifft, nun ja, ich will mit Rücksicht auf Ihren Fleiß. Ihre gute Führung und Ihre schwierige Lage so lange ein Auge zu drücken, als feine Störungen vorkommen. Bei der ersten Be­schwerde, gleichviel woher, fällt die Erlaubnis dahin!"

Damit war Brigitte in Gnaden entlassen. Troß dem barschen Ton des Alten fühlte sie, daß sie nichts zu befürchten habe. In der Gewährung ihrer Bitte lag doch eine Art Necht­sprechung verborgen. Die zehn Jahre trener Pflichterfüllung in diesem Hause waren nicht umsonst gewesen und der ihr in vielen Augen anhaftende Makel hatte ihre Verdienste nicht schmälern können. So durfte sie wieder aufatmen. Ihr war's, als ginge sie auf eigenem Grund und Boden, ein starkes Ge fühl der Zugehörigkeit zu dieser Stätte der Arbeit trug fie über die letzte Bein der Unterredung himveg. Schon der erste Schritt ins neue Leben hatte ihr einen großen Erfolg, einen dentlichen Beweis der Muttermacht erbracht. Stolz ergriff sie von neuem Matthias' Hand.

Wenn sie mochte, konnte sie auf kleinem Umweg fast un bemerkt in ihren Arbeitsraum gelangen. Allein sie wollte heute sich selbst, ihrem Knaben und allen Bleichefenten zeigen, daß sie den Blick vor niemand niederzuschlagen brauche. Auch mußte Matthias zuerst einmal einen rechten Begriff von der vielfachen Tätigkeit in der Bleiche bekommen. So trat sie mit ihm in die Maschinenhalle, die größte im Lande, in der ein Getöse von über hundert rollenden Wagen war, die Sticker in Hemd und Hosen Storchschnabel und Kurbel handhabten, die Fädlerinnen mit hellem Singfang das Nadelheer regierten. Sie mußte den verschüchterten Sinnen des Kleinen zu Hilfe Tommen. Matthias traute sich faum, einen Fuß vor den au­deren zu setzen, so sehr überwältigte ihn das große Gesicht der Maschinenkraft, der dröhnende Ernst hundertfältigen Schaffens. Da vergaß er die Einkehr zum Gupf, den Fo­rellenbach, die Viehweide, die Erdbeerhänge; er rig die Augen auf und hielt sich an der Mutter fest, damit ihn der Molech von Stahl und Eisen nicht verschlinge. So gewaltig hatte ihm die Orgel, das Lobe den Herrn " in der Stirche nie geffungen wie dieser Hymnus der Arbeit, darin der Mädchengesang verwehte wie Bogelgezwitscher im stürmischen Waldgebraus.

Was hat er gemeint?" fragte er die Mutter, bang und begierig, das Dunkel zu lichten, den Niegeschauten, Oft­genannten, der sein Vater war, mit wachen Augen zu er fassen. Der Gedanke tat ihm wohl und weh zugleich, Schauer überliefen ihn, die Beine stellten sich, als wollten sie einschlafen, das Herz hingegen, als müßte es einen Tronummelivirbel schlagen.

Ach, kümmere Dich nicht um das, was der Flegel sagt. Geschwäß dummes, elendes! Somm nur, Du brauchst Dich vor feinem zu fürchten!" beruhigte die Mutter. Aber sie wählte jetzt doch lieber den Weg über die Hintertreppe nud menschenleere Gänge. Die frobe Zuversicht wollte sie sich nicht weiter triben lassen. Den Kleinen mußte sie fast schleppen. Er konnte nicht so leicht darüber hinwegkommen, ob ihn der... der Bater am Ende doch wie der Bleicher fagte hinauspfeffern werde. Schrecklich klang das. Wo war er denn? Hinter welcher Tür lauerte der Gefürchtete? Brigitte dachte nicht daran, das Kind einzuwveihen. Sie fonnte ja nicht wissen, wie tief Matthias ahnungsweise schon in ihr Geheimnis eingedrungen war. Wohl sab sie für später eine Stunde voraus, in der seine stumme Frage laut werden, sie ihm ohne Borbehalt Antwort geben mußte. Aber bis dahin mochten noch viele Jahre vergeben, Mutter und Kind so mit­einander verwechsen sein, daß die fufklärung deffen, was die Welt eine Schande hich, ihre Eintracht nicht mehr stören fonnte.

Aber mitten auf der Stiege fam Matthias ein verzweifel­ter Mut an. Er wollte nicht mehr weiter.

Wenn mich aber der Vater hinauspfeffert? Du hast's ja gehört!" stammelte er am Rande der Tapferkeit. Seine Angen waren groß, tief und dunkel wie überschattete Teiche. Die Mutter fab ihn einige Sekunden sprachlos an. So etwas! Dann schüttelte sie ihn böse.

Was für ein Vater? Was redst Du denn so dumm daher?"

Meiner! Wo der Mann vorhin meinte-" beharrte er leidenschaftlich, und dabei schmanfte er sich schier aus dem Häuschen vor Aufregung. Sie bengte sich baftig zu ihm nieder und jah ihn besorgt, forschend an. Eine schlimme Ver­mutung stieg in ihr auf.

Was weißt Du, einfältig sind, davon? Hat Dir die Basgotte etwas gesagt? Oder wer?

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Brigitte war glücklich über diese Wandlung. Gie fam fich wie eine Herrin vor, die einen hohen Besuch geleitet, und der Uebermut, die Eitelkeit trieben sie an, daß sie sich selbst auf einen Drehstuhl segte, um Matthias den finnreichen Or Nein,' s Mariele und ausgelacht hat sie mich... ganismus der Stickmaschine zu erklären. Er stannte über die es sei gar nicht wahr, daß ich einen habe. Darum beiß' ich flinken Hände der Fädlerinnen, welche das Ungetüm mit Namur Böhi!" fonnte er mit Aufgebot aller Sträfte noch jagen. deln spickten, wie über die Geschicklichfeit der Stider. welche Aber mehr brauchte Brigitte gar nicht zu hören. Sie jab ja, die großen Zeichnungen am Brett wie durch Zauberkraft in wie es ihn schüttette, nur vermochte sie seine Ergriffenheit nicht afler Zierlichkeit auf den Stoff übertragen. Alle Arten der zu fassen. Ein Kind von neun Jahren... Weiß, Bunt, Seiden-, Hand- und Schifflisticerei waren zut feben, viel zu viel auf einmal für die entzückten jungen Augen, die von dem Reichtum, der Schönheit dieser Schau schon ganz geblendet schienen. In der Bleicherei und Appretur, wo die Hohware in leuchtendes, rauschendes Weiß verwandelt wurde, durfte Matthias auch den Bettergötti begrüßen. Er fab ihn in Dampf und Nebel, schwigend, friefend am Steffel stehen und neben ihm den starken Mann, der die Mutter auf dem Gupi so sehr erzärnt hatte. Aber heute brauchte er diefent die Hand nicht zu schütteln. Der verschmähte Freier machte ein böses

Sei still, Bub. Wart Du mur.. wir wollen schon machen, daß Du auch einen bekommst... einen befieren dazu als der... der andere ist. Du hast freilich einen, ja, ja, weiß der Simmel! Aber den mögen wir nicht. Der hat nichts von uns wissen wollen. Aber Gott bewahre... fürchten fun wir ihn noch lange nicht. Nicht einmal anrühren darf er Dich. Da bist Du qut sicher. Glaub mir's mur. Und später... wer weiß. da finden wir schon noch einen, der's gut mit uns meint!" fliisterte sie ihm tief bedeutsam ins Chr und füßte ihm erschüttert die Tränen von den Wimpern. Der