-

43

fehr schön gewesen sein. Sie hatte mit hochgestrecktem Kopf die Roheit, Kampf und Groll, schenkte ihnen für kurze Augenblicke eine Gesichter der eintretenden Vertrauensleute gemustert. Plötzlich Ahnung vom Leben. Noch standen sie mitten im Winter, frost strafften sich alle Muskeln ihres Körpers, das Gesicht wurde wie aus gebissen und sonnenfern. Aber nun nicht mehr ohne Hoffnung. Stein, und ich sah die Hände in der Tiefe sich ballen. Verflucht!" Nun waren sie siegesgewiß. Was ihnen am Ende bevorstand war stieß sie zwischen den Zähnen hervor, und ihr ganzes Wesen hatte Frühling, Kraft, Wachstum, Freude, war Völkerglüd. etwas so Haßerfülltes, unheimlich Verzweifeltes, daß ich unwillkür­lich einen Schritt zurüdwich.

"

-

Der Vorsigende flingelte. Sofort legte sich das Sprechen. Ge­spannt sah alles zur Tribüne. Stockend und müde kamen die ersten Worte über des Mannes Lippen. Es war- alles umsonst," sagte er, sie wollen nicht." Auf einmal jedoch fuhr die Erregung in seine Stimme. Bedingungslos," rief er, follen wir an die Arbeit zurückkehren, oder eben weiter hungern. Lachen uns aus, sie wollen die Herren im Hause sein. Hungerpeitsche, Kollegen, das hat einer wörtlich gesagt, die Hunger­peitsche soll euch zu Baaren treiben."

-

-

Sie

Die

Bitter hatte der Redner das Wort weiterhungern" ausgestoßen. Den folgenden Satz hatte er rasch, leidenschaftlich hervorgestürzt. Die Hungerpeitsche soll euch zu Paaren treiben," hatte er, wie bon plötzlichem Schmerz zerrissen, in den Saal förmlich hinein­gebrüllt.

Eine Sefunde war es dort lautlos still. In fünfhundert Ge­Hirnen formten die Worte sich zum Begriff, in fünfhundert Herzen brannten sich die Worte wie glühendes Eisen ein. Jetzt durchlief ein grollendes Murmeln den Saal. Jemand rief Bfui!" Und wie auf Kommando fünfhundertstimmig brüllte, nein heulte durch den Saal der eine langgedehnte Entrüstungsschrei bis aufs Blut ge­peinigter Menschen: Bfui!

"

Solchen Schrei vergißt keiner, der ihn gehört hat. Eine Welt voll Verachtung, Entrüstung, Groll, Hunger, Verzweiflung, dumpfer Not und hellen Jammers rang nach Ausdruck in diesem einen Ruf, der zugleich wie ein düster- heiliger Schwur für die Zukunft flang. Ihr habt gesiegt, ihr- Herren!" sagte der Schrei, diesmal noch. Ihr zittert ja doch heimlich vor den hungermatten Arbeitern, die morgen früh in eure gähnenden Fabriktore schleichen werden, um das harte Brot aus euren noch härteren Händen zu fressen, wie Hunde. - Wir hassen euch. Unsere schwindsüchtigen Leiber, rachitischen Kinder, unsere Frauen, die hochschwanger sich noch in den Fabrikdunst schleppen, sie alle schreien Nache." Und dieser Haß verglüht nicht. Diese Rache reift wie die Frucht am Baume. Von den Brüsten der Mütter werden die Kinder Haß trinken, die Bäter werden ihren Söhnen lehrenhassen. Wohl aber diesem glücklichen Geschlecht, wenn es endlich hassen lernt."

Ich fuhr aus meinen Gedanken auf. Ich stand am Ausgang des Waldes. Ein Bestand junger Birken und Buchen löste die Tannen ab, und als ich diesen durchschritten, stand ich an einem fanften, freien Abhang. Es war inzwischen ganz dunkel geworden, nur der Schnee leuchtete. Die Sterne blinkten lebhaft am frost­Ilaren Himmel. Der Pfad zog sich durch breites Wiesengelände bergab.

-

-

Von einem Kranz waldgekrönter Hügel eingebettet lag der Schauplatz meiner Erinnerungen da. Die weitgestreckte Stadt bot sich dar als ein dunkler Grund mit tausend silberweißen Punkten und gelblichen Laternenreihen. An der Peripherie lagen die Fabriken, riesenhafte Baumwoll- und Leinenwebereien, die massiv und wuchtig der Nacht trop boten. Feindlich glozten die grellen Fensterreihen ins Dunkel. Einige Fabriken lagen für sich. In dunkeln Umrissen zeichneten sich ihre langen schmucklosen Leiber ab von dem um­gebenden weißen Gelände. Ausgestreckten Ungeheuern glichen sie, Die Menschen verzehren. Sie müssen, denn in jedem dieser ge­waltigen Leiber ist irgendwo ein kleines Privatkontor. In dessen Wänden aber thront ein kleiner, nagender Wurm, ein Besitzer, der raftlos rechnet und überschlägt, spekuliert und Pläne schmiedet und Menschenleiber addiert und subtrahiert wie Zahlen auf der Schul­tafel. Und er macht dem großen Leib Appetit, daß er schlingen und fressen muß, damit er, der kleine, nagende Wurm, immer fetter, immer voller werde. Und doch.- Jener Haßfchwur der hungermatten Versammlung vor Jahren trug heute die erste Frucht. Man batte das ge­schlagene Heer gesammelt, die Organisation neu aufgebaut, aus den Fehlern gelernt und mit doppelter Energie gearbeitet. Heute pflückte man die erste Frucht. Wiederum war ein wochenlanger Ausstand zu Ende. Erfolge waren erreicht. Der Herrenstandpunkt war gebrochen. Statt der Fünfhundert waren es heut Tausende. Ein Massenwille beseelte sie. Eine öffentliche Volksversammlung sollte allen vom Siege Kunde geben und neue Kämpfer werben. Ich sah im Geiste die Menge:

-

Männer und Frauen, Kopf an Kopf. In jedem Antlig derselbe freudige Zug, in jedem Auge ein und dieselbe Zuversicht; man hatte ja nicht umsonst gehungert. Lauter von Arbeit und Kummer scharf­gemeißelte Köpfe; Gesichter, in denen Sorge und leberarbeit Furchen gezogen, denen jahrelang verhaltener Groll seinen rauhen Stempel sichtbar aufgedrückt hat. Die geduckten und furchtsamen Gesichter aber haben heute ihrer stumpfen Feigheit vergessen.

Die Verschiebung

der deutschen Kulturzentren.

Von Alfred Richtwarf.

Die deutsche Kunst hat im neunzehnten Jahrhundert unter Bedingungen anderer Art gelebt als die französische oder die englische. Frankreich und England besaßen seit Jahrhunderten ein Zen­trum des nationalen Lebens, das alle oder doch die meisten schaffen­den Kräfte anzog. Wer als Künstler, Dichter oder Forscher den Boden der Hauptstadt betrat, hatte die geistige Heimat gefunden. Was er schuf, enthielt nicht nur das Aeußerste seiner eigenen Be­gabung, sondern war obendrein gesteigert durch den Anschluß an die in einem Punkt gesammelte geistige Kraft seines Voltes. In Deutschland gab es für die bildende Kunst keinen solchen Sammelpunkt des nationalen Lebens. Es wurden nicht nach einem Orte alle Kräfte zusammengezogen, wo sie in Reibung und Ringen ihr Höchstes geben mußten. Hohe Kunst wurde unabhängig ge­pflegt in fast einem Dußend größerer und kleinerer Städte, deren jede einen umfassenden Ausdruck des gesamten künstlerischen Ver­mögens anstrebte.

Damit ist schon gesagt, daß sich eine große Mannigfaltigkeit der Lebensäußerungen bei einer für den Durchschnitt geringeren örtlichen Kraftanstrengung ergab, denn auch die materiellen Kräfte zersplittern sich.

Je nach ihrem Ursprung und den zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln waren die deutschen Kunststädte des neun­zehnten Jahrhunderts untereinander sehr verschieden.

Im Mittelalter und zur Reformationszeit, als es große deutsche Kunst gab, waren ihre Zentren die großen Bürgerstädte von Cöln , Mainz , Ulm , Augsburg bis Nürnberg und nicht die un­bedeutenden Residenzen der Landesfürsten.

Die Kunst, die damals geschaffen wurde, trug einen fircha lichen und in ihrer letzten Entwickelung einen bürgerlichen Charakter. Fürstenkunst gab es im Grunde nicht oder nur als Anhängsel an die bürgerliche. Das örtliche Wesen war sehr stark entwickelt, und selbst die höchsten Begabungen wiesen alle Merkmale des Stammes auf, in dessen Hauptstadt sie emporgewachsen waren.

Diese alten Stammeshauptstädte sind in der Kunst des neun­zehnten Jahrhunderts nicht wieder auf den Schauplatz getreten. Zwischen der bürgerlichen Kultur der Reformationszeit und der wiederum bürgerlichen Kultur des neunzehnten Jahrhunderts lag das Zeitalter, wo die Fürsten als Territorialherren die Lebens­kraft ihres Landes um sich zusammengezogen hatten. Und als im neunzehnten Jahrhundert das neue Bürgertum durch die Ver­fassung des modernen Staates zur Teilnahme an der Herrschaft. gelangte, fand es überall den Regierungsapparat des fürstlichen Zeitalters in Tätigkeit und arbeitete damit weiter. Der materielle und geistige Zustand der deutschen Kunst im neunzehnten Jahr­hundert muß von diesem Gesichtspunkt aus beurteilt werden. Jm siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatten die Fürften mit allen anderen Aufgaben des Staates auch die Kunstpflege übernommen. Sie bedurften der Kunst als höchsten Mittels der Selbstdarstellung. Was dazu nötig war, fanden sie nach dem dreißigjährigem Kriege im deutschen Bürgertume, das vor ihnen der Träger nationaler Kunst gewesen war, nicht mehr oder doch nur bruchstückweise vor. Der Künstler, der sich zur Reformations­zeit mit Mühe und Not vom Handwerker getrennt hatte, war in den deutschen Städten wiederum zurückgesunken in die Bande des Zunftwefens. Die Wenigen, die als Bildnis- oder Historienmaler eine freiere Stellung anstrebten, wurden eifersüchtig bewacht und fonnten sich nur retten, wenn sie der Zunft beitraten.

Was zur Zeit des aufstrebenden Absolutismus in Deutschland geleistet wurde, genügte nur ausnahmsweise, und häufiger in der Architektur und Bildhauerkunst als in der Malerei, dem Bedürf­nisse des Fürsten . So war er gezwungen, sich die Kräfte vom Aus­lande kommen zu lassen oder sie sich zu erziehen, wie er sie für den Schmuck seiner Paläste und Kirchen gebrauchte. Er erreichte dieses Ziel vorwiegend durch die Gründung der Akademien, die im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert nach ausländischem Muster überall eingerichtet wurden.

Was in den Akademien gelehrt wurde, stammte nicht aus der älteren bürgerlichen deutschen Kultur, sondern aus dem Auslande. Durch das Bedürfnis der fürstlichen Höfe war das Antlitz der deutschen Kunst nach Italien , nach den Niederlanden , und im acht­achnten Jahrhundert nach Frankreich gewandt. So wurde der In­zösischer und niederländischer Gedanken, und die Träger dieser Ent­widelung waren ebenso oft herbeigerufene Ausländer wie Deutsche . Das Ergebnis fiel für die drei bildenden Künste sehr verschieden aus.

Ich eilte talab. Ich ahnte, daß mir ein Erlebnis bevorstand. Ich wollte in tausend leuchtenden Augen das Wort: Massenglückhalt der deutschen Kunst eine Weiterentwickelung italienischer, fran­lesen. Der erste fleine Schritt, das erste Stückchen Schlachtfeld, das man dem Feinde abgetrout, wie hob das alle diese Bekümmerten, in Not und Daseinskampf Verkrüppelten hoch hinaus über Hunger,