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Schliche zu kommen und in gleichen Geschäften durch Aus- Jauf einem Gute, mußte aber nach einem Konflikt mit der Guts dauer und Tüchtigkeit zu erseßen, was ihnen an Genie und verwaltung in die Stadt ziehen und an der Eisenbahn arbeiten. Großzügigkeit abging. Dagegen waren alle Bemühungen, Er versuchte es auch mit einem kleinen Stramladen, hatte aber kein die jüdische Fregatte einzuholen, umsonst gewesen. Hirsch, Herzfeld und Kompagnie hieß es in Paris , London , New York , wenn Treustädter Stickereien verlangt wurden, aber die wenigsten Käufer wußten etwas von Wetter und Schieß, Zellweger, Büchi und wie die kleinen Rutter alle hießen. Das war zugleich des Zeichners größter Stolz und Kummer. In den entscheidenden Jahren, wo sein Abgang von der Bleiche wirklich einen Riß machen konnte, war er viel zu sorglos, utter dem Alkohol, obwohl sie ohnehin brusifrant geworden war. genußsüchtig, die Teilhaberschaft durchzusetzen. Außerdem hatte der Alte es trefflich verstanden, den Meister Uebermut im Schach zu halten. So war er nur ein Diener in diesem Hause, dem er vor allen anderen Halt und Gestalt gegeben Hatte.
Dieses innere und äußere Mißverhältnis bestimmte auch feine bürgerliche Stellung. Er gehörte nicht zum Kreis der angesehenen, einflußreichen Kaufmänner, obwohl ihn ihre Tische früher sehr anzogen. Ebensowenig waren ihm Ehrenämter übertragen, denn es gebrach ihm an echter Würde, Zuverlässigkeit und sozialem Verständnis. Gleichwohl gab es eine Zeit, da die Bürger von Treustadt keinen der Ihrigen herzhafter feierten als den Dessinateur Oberholzer. War er doch zweimal als eidgenössischer Schüßenkönig heimgekehrt, mit Sang und Klang abgeholt worden. Der König von Italien hatte ihm einst die Hand gedrückt, der General Dufour beim Bankett zugetrunken. Das humoristische Wochenblatt brachte sein Bild mit den Versen:
Dr Oberholzer, Schüßechüng,
Jicht gaicht uf alli Kniff und Sprüng, Er tuuschti mit' m Kaiser huum, Triebts bunter schier als Seifaschuum, Moneta sackt' r i wie Chies,
Schleickt Maitle ume z'dußendwiis
Und schüüßt is Zentrum alli Rüng, Dr Oberholzer, Schützechüng!
( Forts. folgt.)
Im Wirrsal des Lebens.
tätige Frau; sie versuchte hauptsächlich durch Waschen und Rollen Glück und wurde Sackträger. Die Mutter war eine ebenso eifrig ihr Geld zu verdienen, wozu sie sogar eine eigene Rolle angefchafft hatte. Doch trotz allen Fleißes fam die Familie immer mehr zurüd. Der alte Bergg hatte oft feine Arbeit, die Sorgen häuften sich, und so ergab er sich dem Trunk. Kam er dann nach Hause, so gab es heftige Szenen, sogar Schläge fielen auf die Mutter, die die Kinder wieder beweinten und bejammerten. Am Ende ergab sich auch die diese vom Schicksal so hart verfolgte Familie wenigstens noch in drei Gleichen Schritt damit hielt natürlich alles andere. Anfangs wohnte Räumen, wovon allerdings einer als Waschküche diente und die unterhalb der ebenen Erde lagen. Später jedoch langte es nicht mehr zum Notwendigsten, und so zog sie als Aftermieter in ein einziges Zimmer, nachdem fast alles verkauft worden war.
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In diesem Elend wuchs Franz Bergg auf. Er besuchte die Volksschule, die überfüllt war und unter so elender Leitung stand, daß die Kinder ausrissen und sich tagelang umbertrieben, wobei sie natürlich auf Abwege gerieten. Doch lernte er fleißig und erhielt auch ein gutes Abgangszeugnis. Nur zeigte er damals schon einen widelt, daß er auf Jrrwege fan, wobei ein Liebesverhältnis" mit großen Hang zum Umherschweifen, war geschlechtlich so früh enteinem gleidhaltrigen Mädchen noch das harmloseste Ergebnis darstellte. Dazu mag neben vielem anderen auch das beigetragen haben, daß er bis in die Nacht hinein mitarbeiten Flaschenspülen und Segelauffezzen mußte. Nachdem er aus der Schule entlassen war die ganze Verwandtschaft mußte fich für seine Einkleidung einfegenfam er in eine andere Stadt als Kellnerlehrling. Hier wurde er so ausgebeutet, geichlagen, ungenügend genährt usiv., so daß er eines Tages auf und davon ging und sich nach Hamburg wandte, wo er einen Bruder hatte. Hier lernte er das Zigarren machen und hielt auch bis zum Schluß aus. Bei diesem Lernen nun tam er zum erstenmal mit Sozialdemokraten zusammen. Sie gaben ihm mancherlei Anregungen, brachten ihn zur Lektüre der Hauptschriften unserer Theoretifer, veranlaßten ihn auch, dem Bildungsverein beizutreten. Auf diese Weise erwarb er sich größere Kenntnisse und wurde Sozialdemokrat. Die nächste Reichstagswahl ( 1884) sah ihn denn auch als Wahlhelfer der Partei. Doch bald litt es ihn nicht mehr in Hamburg , er begann zu wandern. Von der Waterkant aus ging er quer durch Deutschland wobei er die ersten Strafen erhielt, wegen Bettelei natürlich- nach Tirol, Desterreich, Italien , um schließlich den Plan zu fassen, Griechenland zu besuchen. Toch davon mußte er Abstand nehmen, denn er wurde frant, fam ins Krankenhaus und fah sich veranlaßt, Die Memoirenliteratur der modernen Parias, der Geschlagenen Deutschland wieder aufzusuchen. Nach mancherlei Abenteuern in ver und Zertretenen von heute, ist um einen neuen Band vermehrt schiedenen Orten, wobei wieder ein paar Liebesgeschichten eine Rolle worden. Franz Bergg heißt sein Verfasser, zugleich auch der spielten, fam er an den Ausgangsort seiner Wanderungen zurück, Selbsterleber; und: Ein Proletarierleben" sein Titel.*) nach Hamburg . Hier betätigte er sich vor allem bei einer StreitEr weist das allen diesen Büchern eigene Charakteristikum auf: ein bewegung seines Berufs, was dazu führte, daß er entlassen wurde. fach, oftmals sogar zu einfach, direkt dilettantenhaft geschrieben, mit und nun traf ihn das erste schwere Verhängnis. Er war mittellos, hier und da einsetzenden Versuchen, eine dichterisch verklärte Form so sehr, daß er von gesammelten Unterstügungsgeldern 12,30 Mart zu erreichen, die aber nur zu oft fehlschlägt, gibt der Band eine un- für sich verausgabte, ohne aber dabei an eine Unterschlagung zu geschminkte Schilderung aller Erlebnisse, bis ins fleinste und bis denken. Als bei ihm eine Haussuchung auf Grund des zum kleinlichsten, ohne große Umstände, verweilt aber auch ab und Sozialistengesetzes vorgenommen wurde, fand man wohl die zu gern bei fritischen Betrachtungen und etwas gefühlsunsicheren Sammelliste, aber nicht das Geld, und so tam er Sentiments. Nun weiß man ja allerdings nicht, wie weit das alles vor Gericht, obgleich er das nötige Geld in die Hände bekommen auf das Konto des Verfassers kommt, denn dieses Buch hat auch hatte, um die fehlende Summe zu ersetzen, und obgleich die seinen Bearbeiter Prof. Nikolaus Welter in Brüssel gehabt, Streifenden selbst keinen Strafantrag gestellt hatten. Er erhielt und dieser Bearbeiter scheint sehr gründlich vorgegangen zu sein; wegen des Vergebens und einer Ungebühr vor Gericht etwas mehr gibt er doch selbst an, daß an der ursprünglichen Nieder- als vier Wochen Gefängnis. schrift vieles gestrichen oder gekürzt, manches geändert, Nun fingen seine trüben Tage an. Nachdem er seine Strafe alles sprachlich überarbeitet" worden sei. Aber troballedem verbüßt hatte, wurde er geschlossen der Militärbehörde als unsicherer ist doch für jeden, der mit solchen Dingen schon zu tun Heerespflichtiger zugeführt, von dieser auch eingestellt, und zwar auf gehabt hat, deutlich zu spüren, daß die charakteristische Eigenart der drei Jahre, wie es damals noch ging. Hier hatte er die schlimmsten artiger Autobiographien gewahrt wurde, so daß man schon ein Urteil Schikanen und Mißhandlungen zu erdulden, von Kameraden über die Schilderungsart des Verfassers nach ihrer formellen und sowohl als Vorgesetzten. Das verleitete ihn mehrmals dazu, einen tatsächlichen Seite hin fällen darf. Zudem kommt hierbei noch eins Fluchtversuch zu unternehmen, was ihm zwar nicht die Freiheit verin Betracht: daß auch durch gründliche" Bearbeitungen mehr die schaffte, aber harte Strafen eintrug. Schließlich wandte er ein Form als der Inhalt getroffen wird, und daß in diesem Falle das anderes Mittel an, um seine Peiniger loszuwerden: er wehrte sich gebliebene Tatsächliche von einer Art ist, die vollauf dazu berechtigt, auf jede nur mögliche Art, ging sogar mit Artikeln an das„ Hamdieses Buch zu nennen. So kann man denn alle Bedenken ruhig burger Echo". Und das half, denn von nun an ließ man ihn in beiseite seizen und ursprüngliche Form gleich endgültige Fassung Ruhe. Doch am Ende verfing er sich selbst wieder in den Maschen segen. Danach aber ergibt sich als Resefrucht sehr viel. der Militärstrafgesetze. Man ertappte ihn beim Lesen eines Parteitagsprotokolls, diktierte ihm abermals eine Strafe, überwies ihn aber diesmal auch an die Strafabteilung auf Ehrenbreitstein . Dort diente er den Rest seiner Dienstzeit ab, unter ähnlichen Verhält nissen, wie er sie bis dahin auszuhalten hatte. Was er überhaupt über seine Dienstzeit sagt, über die Erfahrungen, die er und auch andere machen mußten, das verdient gemerkt zu werden; es ist darin eine Art Gegenstück zu Winnigs Buch„ Preußischer Kommiß“.
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Man fühlt sich bei der Lektüre dieses Buches oft sehr start interessiert, manchmal auch gelangweilt, läßt Zuneigung und Abneigung miteinander wechseln. Doch wie verschieden das auch im einzelnen ist niemals fann man sich des Mitleids erwehren, niemals der Erbitterung darüber Herr werden, daß soziale lnbin so Schweres über die Menschen verhängt. Darüber hinaus aber gibt es einen guten Einblick in die sozialen Zusammenhänge, in die Niederungen des Lebens, läßt manches begreiflich erscheinen, was oft aus jenen Niederungen an Furchtbarem über die Mensch heit kommit und manchmal so ganz unerklärlich, unfaßbar ist. Franz Bergg stammte aus Ostpreußen . Sein Vater war TageLöhner. Dieser hatte anfangs eine Stelle als herrschaftlicher Kutscher
*) Erichienen im Neuen Frankfurter Verlag, Frankfurt a. M. Breis broschiert 3,50 M., gebunden 4,50 M.
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Nach der Beendigung dieser Leidenszeit wandte er sich wieder nach Hamburg . Hier schien ihm endlich einmal die Lebenssonne leuchten zu wollen, denn er begann ein idyllisches Liebesverhältnis mit einem Mädchen. Er wurde Vater und ungetrübt dauerte das Verhältnis. Doch bald änderte sich das Glück wieder. Bergg war einem Gendarmen in die Arme gefallen, der nach einer Arbeiter[ versammlung mit dem Säbel in die Masse hieb. Das brachte ihn abermals vor Gericht und von neuem auf vier Wochen ins Ge