einen Anflug von Gronie, mit unnachahmlicher Handbewegung: " Sie, mein Freund, holen Sie mir, bitte, einen Jrr... wisch."

Dieser Mann befahl mir an einem Sonntagmorgen, wo wir auf einem Bauerngut in Quartier lagen, mein Gewehr in alle Teile zu zerlegen. Das Gewehr war rein. Ich hatte einem alten Soldaten fünfzig Pfennig gegeben, und der hatte mir den Schieß­prügel in zwei Stunden appellfähig gemacht.

Ich fragte, was an meinem Gewehr zu tadeln sei. Mit beleidigter Miene bemerkte Kohl: Das fragen Sie noch?"

Er zeigte mein Gewehr einigen Unteroffizieren; sie gudten durch den Lauf, schüttelten den Kopf und jahen einander mit grinsender Verwunderung an.

Es ist Rost," sagte der eine. Bulberschleim," meinte der zweite.

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Der Abend famt heran. Die Hofgesellschaft nahm an den Spiel­tischen Platz und das Konzert begann mit einer Ouvertüre, der eine Arie folgte. Die Spieler lärmten und riefen ihr: Ich spiele!" Jch passe!". als wäre kein Orchester da, und die Diener boten geräuschvoll Erfrischungen an so daß man von der ganzen Musik kaum etwas hörte. Da ließ der Marschall die beiden Künstler be­nachrichtigen, sie möchten sich bereithalten. Darauf meldete er dem König, die Vorträge der beiden Gäste werden nun beginnen. So­gleich erhob sich die ganze Hofgesellschaft. Diener stellten zivei Stuhlreihen vor das Orchester. Mit großer Aufmerksamkeit folgte alles dem kunstvollen Spiele Spohrs und seiner Gattin. Doch nie­mand wagte ein Zeichen des Beifalls. Da der König ein solches nicht gab, verbot es die Hofetikette auch für die anderen. Nur am Schlusse zeigte der König durch ein gnädiges Kopfniden an, daß

" Der Lauf ist ein Schornstein," rief der dritte; da müssen er Gefallen an Spohrs Spiel gefunden hatte. Dann erhob sich die die Schornsteinfeger mit ihren Straßen rein."

Der Soldat, der das Gewehr gepust hat, tritt vor. " Ich laffe mir den Kopf abschneiden, das Gewehr ist sauber. Ich habe es gereinigt und will beweisen, daß der Lauf frei ist von Nost und Pulverschleim."

Kohl steht verdust, läßt aber sein Opfer nicht so leicht aus

den Krallen.

ganze Gesellschaft wieder und setzte sich geräuschvoll an die ver­laffenen Spieltische. Als der König sein Spiel beendet hatte, stand er auf und das Konzert brach mitten in einer Arie der Madame Graff ab. Die Mufiter hörten ebenso mitten in der Nadenz auf, packten ihre Sachen zusammen und gingen nach Hause. Anders waren sie es gar nicht gewöhnt.

Dieser Beitrag zur Sittengeschichte der Höfe, den wir der Der alte Soldat will sich auch nicht nachsagen lassen, als hätte Monatsschrift Zeiten und Völker" entnehmen, zeigt, wie die er fünfzig Pfennig in Empfang genommen und nichts dafür gesagenhafte Pflege der Künste und Wissenschaften an den Höfen in Leistet. Er nimmt das Gewehr aus der Hand des Sergeanten und Wirklichkeit aussah. holt ein ganz reines Flanelläppchen.

Ich halte mein Gewehr beim Kolben fest. Freund und Feind umstehen mich Ohlers, so hieß der alte Soldat, zieht den ge­preßten Flanell langsam durch den Lauf. Der Stoff bleibt rein. Ohlers hält ihn triumphierend hoch und zeigt ihn herum.

Ich will nichts sehen," knirscht Kohl in heimlicher Wut und wendet sich ab.

In dem Augenblick erhalte ich einen wuchtigen Streich an die rechte Stirnseite. Ich blicke erschreckt auf. Der degradierte Herde hat mich, Gott weiß, aus welcher Ursache, mit der geballten Faust angefallen. Ich reize das Gewehr hoch, wirble es in der Hand herum und auf den Tücebold nieder.

Der Elende wirft den Kopf nach hinten zurüd. So trifft der Kolben seine borgedrängte Brust mit doppelter Wucht. Herde taumelt mit aufgerissenem Waffenrod zurück und knickt zusammen. Atemlose Stille.

Eine Stimme ruft: Schleppt ihn nach der Scheune!" Wem gilt der Befehl? dem Gestürzten? mir?

Die Mannschaften stehen unentschlossen. Ich werfe das Ge­wehr fort, laufe in die Scheune, auf der anderen Seite heraus, über Felder und Wiesen dem Walde zu. Im schüßenden Dickicht falle ich vor Erschöpfung ins Moos .

Nach einer Stunde schleiche ich zum Waldrand und über blicke die Gegend. Kein Verfolger ist sichtbar. Sonntagsfriede segnet die ganze Natur. Ein alter Schäfer sibt neben seiner ruhig weidenden Herde. Aus weiter Ferne tönen mich Glocken an. Jch aber bin zum Flüchtling geworden.

Der Hirte wies mir die Richtung nach Schwerin . Am Schwerinersee troch ich abends in das Grummet und schlief. Am anderen Tage wollte ich weiter nach Rostock . Da griff mich ein Gendarm auf und brachte mich nach Schwerin zurück.

Das Vorberhör fand ohne Aufschub statt. Ich erzählte aus­führlich, was mich zur Verzweiflung und zur Fahnenflucht ge­trieben hatte. Der Auditor war mir freundlich gesinnt. Als er meine Aussagen im Protokoll vorlas, fiel mir die ganze Wucht des erlittenen Unrechts schwer aufs Herz, und ich mußte weinen. Der Auditor tröstete:" Wenn es sich wirklich so verhält, werden Sie faum eine Strafe zu fürchten haben."

Ich stellte Strafantrag gegen Kohl und Herde und bat um Bersehung, denn es sei gewiß mein Tod, wenn ich länger in der 12. Kompanie dienen müsse. ( Schluß folgt.)

Kleines Feuilleton.

Gin württembergisches Hoffonzert vor 100 Jahren. Als der berühmte Geiger Ludwig Spohr mit seiner ersten Frau Dorette, Pianistin und Harfenistin, im Jahre 1807 nach Stuttgart fam, um hier Konzerte zu geben, erfuhr er, daß bei den Stuttgarter Hoffonzerten wie in Braunschweig dem Kartenspiel gehuldigt würde, ohne daß der Musik auch nur die geringste Beachtung ge schenkt würde. Als er nun dem Hofmarschall seine glänzenden Empfehlungen überreichte, nahm er sich die Freiheit, zu erklären, daß er und seine Frau vor den Majestäten nur spielen werden, wenn der König das Kartenspiel während ihrer Vorträge unterlasse. Ueber diese Kühnheit war der Hofmarschall zunächst sprachlos vor Verblüffung. Als er sich endlich von seinem Staunen erholt hatte, rief er: Wie! Sie wollen Sr. Majestät Vorschriften machen? Ich darf es nicht wegen, ihm dies vorzutragen!"" Dann muß ich auf die Ehre verzichten, bei Hofe aufzutreten," erividerte Spohr. Bald darauf aber erhielt Spohr die Nachricht, daß Se. Majestät geruhe, während seiner fünstlerischen Vorträge mit Spielen auszu­feben.

Völkerkunde.

Die Wissenschaft der Naturvölker. Der primitive Mensch beweist in seinen religiösen Vorstellungen und in seiner Kunstübung eine Kultur, die bereits eine gewisse Höhe und Mannig faltigkeit erreicht hat. Daß er aber auch nicht unbeträchtliche wissen­schaftliche Leistungen hervorbringt, dürfte wenig bekannt sein. Der Ethnologe Prof. M. Th. Preuß widmet in seiner soeben im Verlage von Teubner erschienenen geistigen Kultur der Naturvölker" auch der Wissenschaft ein Kapitel und zeigt, wie sich teils aus den magischen Vorstellungen des Naturmenschen, teils aus den praf­tischen Notwendigkeiten des Lebens für ihn allerlei Betrachtungen ergeben, die seine Dentweise in eine von jedem Zwed befreite rein wissenschaftliche Richtung lenten. Der primitive Mensch sucht sich über das Weltgebäude und den Lauf der Gestirne flar zu werden, gewinnt von dem Begriff der Seele und von den Sträften in der Natur eine feste Anschauung, und so fann man wohl mit Wundt in diesen Anschauungen die Anfänge der Philosophie und der Wissenschaft erkennen. Der Naturmensch beobachtet sehr scharf und eraft, schreibt den Dingen aber dann freilich leicht eine zaube­rische Bestimmung zu. So find z. B. die merikanischen Cora-. Indianer über die drei Häutungen der Larve der Zikade genau unterrichtet; dann aber fliegt nach ihrem Glauben das Tier zum: Himmel, und wird dort von den Göttern mit den Blüten der Fruchtbäume geschmückt, die es zur Erde herniederbringt.

Das magische Interesse an den Kräften der Natur führt den. primitiven Menschen zu praktischen Erfahrungen, aus denen sich dann ganz erstaunliche, wahrhaft wissenschaftliche Kenntnisse ent wickeln. Das beste Beispiel für dieses tiefe Eindringen in das Naturgeschehen durch die Naturvölker ist ihre Kenntnis der schärfsten Gifte in den verschiedensten Gegenden der Erde. Unendlich groß ist die Zahl der pflanzlichen und tierischen Gifte, mit denen der Mensch im Laufe der Zeit seine Versuche angestellt hat. Die Ergebnisse haben sich auf die Nachkommen vererbt und sind so zu einem wirklichen Wissenschaftszweig geworden. Der beste Kenner der Pfeilgifte, der Berliner Pharmatologe Louis Lewin , hat darauf aufmerksam gemacht, daß von den zahllosen Giften immer nur sehr menige, nämlich die mit einer besonderen Energie versehenen, auf Pfeile gebracht werden. Wie kamen und kommen die Gebraucher gerade auf die besonders gefährlichen Herzgifte? Wer lehrte die Gingeborenen Ostafrikas die brutalen Herzwirkungen der Acokanthera Schimperi kennen, oder wies andere südöstliche und westliche Stämme auf die Samen der Strophantus hin? Und warum wählten die Batat auf Sumatra oder die Einwohner der malayischen Halbinsel ein ebenso start wirkendes Herzgift: die Antiaris toxicaria, und Bergstämme des Himalaja und die Aino auf Jeffo eine Afonitart?"

Wie hier die geschickte Auswahl des rechten Giftes, so zeigt bei den Naturvölkern eine genaue Beobachtung komplizierter Vor­andererseits die Anwendung zahlreicher erregender Genußmittel gänge. Die Naturmenschen verwenden, gerade so wie der modernste Chemifer, Alfalien als Aufschließungsmittel, damit das wirksame Alkaloid frei wird und wirken kann. So mischen die Eingeborenen von Peru , Chile und Bolivien unter die narkotischen Kotablätter, die sie tauen, Pflanzenasche, durch die das Kokain erst frei wird. Die gleichen Zwecke verfolgen die Ojtasiaten, indem sie Betelpfeffer­blätter zusammen mit der Arckanuß fauen. Durch die Zusetung eines Alfalis in Gestalt von gebranntem Kalf werden die Alkaloide der Aretanuß erst wirksam. Groß ist auch die Kenntnis der Heil­mittel für Krankheiten unter den Naturvölkern, und ebenso wissen sie über ihre Heimat und die diese bewohnende Tier- und Pflanzen­welt genau Bescheid. So gelangen sie direkt zu geographischen Leistungen und fertigen Karten an, die einen nicht unbedeuten­den Wert besiken. Besonders interessant sind die bekannten Stab. farten der Marshall- Insulaner, die wirklich bewundernswerte Kenntnisse enthalten.

Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neufölln. Drud u. Verlag: Vorwärts Buchbruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.