Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 17.
17]
Sonnabend, den 24. Januar.
Das Menschlein Matthias.
Erzählung von Paul Jig.
Ja, im Zorn war Brigitte Böhi am schönsten, da funktelten die dunklen Augen wie Kirschen im Laub, und das flüchtige Not unter dem schweren schwarzen Haarkamm war wie der Regenbogen auf Gewittergrund. Jammerschade war es doch um dieses von Eigensinn und Hochmut geknechtete, temperamentvolle Blut. Wie viele wohlige Stunden hätte ihm die Närrin bescheren können! Sternhagel, ja! Die Augen auf! Abgetakeit war die noch lange nicht! In dem Gehäuse rumorte noch die beste, unverbrauchte Lebenskraft. Wie mit Tauen riß es an seinen Nervensträngen, es jagte ihm ein wahres Hundstagsfieber in die Glieder. Wenn die jetzt Vernunft annehmen wollte, was! mußte er denken. Dem verwitterten Junggesellen stieg etwas in die Nase... so ein Gerüchlein von häuslichem Behagen, gemütvoller Fürsorge, vermischt mit angenehm aufregenden Kriegen, reizvollen Widerständen... Immer mehr fand sie Gnade vor seinen Augen. Das war einmal keine von denen, die ihm in schlecht verhehlter Habgier, Eitelkeit und Genußsucht geradezu mit Frohlocken an den Hals flogen, zufrieden, wenn er ihnen eine hübsche Neise, ein neues Kleid vergönnte!
Er konnte von der holden Illusion nicht mehr loskommen. Zum Kudud, wozu denn auch. Es war ja noch alles da, ließ fich fast mit Händen greifen; er brauchte am Ende nur wie der Kalif Storch das rechte Wörtlein zu sprechen, so trat die glückliche Verwandlung ein.
Der Dessinateur trat dicht an das Musterfräulein heran und packte sie an beiden Armen, die er gegen ihren Körper preßte, daß sie sich kaum rühren konnte. Sein Gesicht hatte jedoch fast einen treuherzigen Ausdruck. Sie sah das, stutte und wehrte sich nur mit halber Kraft.
1914
Solchen Ergüssen war er von jeher aus dem Wege gegangen. Zudem kränkte ihn der so wild verströmende Weiberschmerz nicht wenig. Er kam sich dabei verprügelt, unbeholfen vor, wie ein Sadläufer.
Ja, nun... das Wort ist gesprochen... das Wort bleibt stehen. Mach, was Du willst. Du hast ja den Kopf nicht in der Schlinge..." brummte er finster, weil er natürlich nichts von der ungeheuren Spannung ahnte, die sich in der Seele des armen Mädchens in dieser Stunde entlud. Noch weniger konnte er vermuten, daß aus seinen Worten eine Hoffnung feimte, die zu erfüllen ihm fern lag wie der Tod. Achselzuckend nahm er seine Sachen, kratzte sich noch des öfteren ratlos in Genick und ging dann davon, ohne zu wissen, woran er nun eigentlich war.
Gegen Abend dieses merkwürdigen Tages hatte der Dessinateur das Gleichgewicht so weit wieder gefunden, daß er wenigstens dem Fischfang obliegen konnte. In der Bleiche mochte er sich heute nicht sehen lassen. Er meinte, man müßte ihm seine hirnverbrannte Rateridee von der Stirn lesen fönnen.
Allein der Spott, den er selbst mit dem Vorhaben trieb, hinderte ihn durchaus nicht, recht häufig mit dessen Sonnenfeite zu liebäugeln. Das Musterfräulein fam ihm nicht mehr aus dem Sinn. Ja freilich, die hatte noch lange das Zeng, ein eigen Häuslein zu beleben, herzurichten, daß man ihre Existenz schon auf der Treppe roch, und so recht schmachtlappig, ofenhöckerlich hineingezogen wurde. Die Sommerabende nebeneinander in der Laube zu sitzen: in der einen Hand die Pfeife, in der anderen eine mollige Hüfte... dazwischen ein gutes Glas Wein... Sackerment, das war nicht zu verachten! Was ihr noch fehlte an feinen Kochkiinsten konnte sie am Ende bald nachholen. Er brauchte sie nur für einige Wochen in eine Hotelküche zu schicken. Ein urchig Bauernfind wie sie, fand sich schon zurecht. Da gab es also kein Hindernis. Hingegen auf der anderen Seite... Was wohl die lieben Treustädter dazu sagen mochten? Er war zwar ein freier Herr und ließ sich sonst von keinem in die Karten gaffen. Aber nun hatte er bereits so ein widerliches Gespenst vor Augen: die unfehlbare Nachrede, er sei vor einem harmlosen Mädchen zu Kreuz gefrochen. Ein Hohngelächter mußte das absetzen. Und davor kam ihn ein Baudern an. Freilich, eine Wirtschafterin war noch lange fein ehelicher Hausdrache; er behielt sich selbstsegen. Und dennoch! Mit langen Nasen und schnöden Stichelreden würde er sicher nicht verschont, wenn er den Sprung wirklich wagte. Auch etwa ein eifriger Pfarrherr mochte da den Hebel ansetzen, um ihn vollends unter die Haube zu bringen.
Zieh Du Deine Krallen ein, Maitle! Mir tust Du das mit nicht weh, bloß Dir selber. Dann will ich Dir noch etwas sagen. Vielleicht merkst Du dann eher, wie ich gegen Dich gesonnen bin. Jetzt mach aber die Ohren auf. Es ist im Horn unten, Du weißt, dort bei der Mühle, ein apartes Haus mit Garten ausgeschrieben, zur Sommerau heißt's. Das hat mir schon von je sauber ins Aug gestochen. Und nun liegt die Sache so: ich wär imstand und legte heut noch die Hand drauf, wenn ich... eine wüßte, die da zünftig mit mir hausen wollte. Was meinst, Grittli? He ja, das Bagieren ist für Junge. verständlich das Recht, sie nach Belieben auf die Straße zu ' s tut's jetzt bald für unsereinen. Man möchte alsgemach auch irgendwo unterschlüpfen. Wirst mich wohl verstehen? Und was Dich betrifft... ja, ich fann Dir jetzt nur so viel sagen: Du müßtest es bei mir nicht schlecht haben. Fürs Hauswesen hättest Du freie Hand. Ein Stück Welt könnten wir auch noch zusammen ansehen. Und so, denk ich, wär dann für das Bübli desgleichen am besten gesorgt."
Da Brigitte demgegenüber nur ein stummes Staunen aufbrachte, behagte es ihm ungemein, den Plan noch weiter auszumalen. Er ließ sogar durchblicken, daß es ihm schließlich auch nicht darauf ankäme, den Kleinen an Kindesstatt anzunehmen.
Ja, ja, mm... trot all seinem schneidigen Draufgängertum, den vielen Teufeleien war er doch ein rechter Hasenfuß. nun es galt, gegen den Strom zu schwimmen. Vor allen Dingen schien es ihm, als sei er seinem Ruf eines einzigen Originals die völlige Unabhängigkeit schuldig, gerade in dieser Beit, wo er Anstalten traf, sich den teuren Mitbürgern noch einmal im großen Ornat zu zeigen. Die Zunftfreunde hatten ihn nämlich bewogen, bei dem bevorstehenden Festzug zur Grinnerung an den Eintritt der Stadt in die Eidgenossenschaft die Gestalt eines österreichischen Herzogs mit angemesse nem Pomp darzustellen. Dazu ließ er umt teures Geld eine filbervergoldete Rüstung herstellen und nahm auf seine alten Tage, fo fauer es ihn ankam, noch Reitunterricht, um sich nur ia nicht lächerlich zu machen. Da durfte er den ewig lautern den Spöttern nicht noch Wasser auf die Mühle liefern...
Eine Ueberaschung war es schon, und feine kleine! Hätte die Fassungslose an seinen Worten zweifeln dürfen, die mert lich schlingernde Stimme verriet ihr gleich, daß er's aufrichtig meinte, weder Hohn noch Verschlagenheit im Spiele sei. Und troßdem... die größte Unglücksbotschaft konnte sie nicht heftiger erschrecken. Es erfolgte ein jäher Zusammenbruch. Mit dem gerechten Zorn, der eben noch den hintersten Winkel ihres Wesens ausfüllte, verließ fie auch die Kraft, ruhig zu erwägen und zu handeln. Sie schien auf einmal ganz ge- Ei der Teufel, es war wirklich ein heftiges Für und brochen und warf den Kopf hintenüber. Er sah, wie ihre Wider. Innerlich aufgeriittelt wie seit langem nicht, schritt Zähne sich ins rosige Zippenfleisch) gruben und begriff, daß er der Schifflände entlang am Kornhaus vorbei, zur Hafenda Bös und Gut hart aufeinander gefolgt waren. Das mußte maner, die mit dem Leuchtturm endigte. Ueber dem Wasser sich erst einmal setzen. Er tappte ja vor Aufregung selber lag die rechte Gewitterschwile, es roch faulig nach Tang und ipie ein verlichter Efel drein. Das hatte keine Art, da gehörte Fischen und klatschte alle Augenblicke irgendwo von raubein dickes Komma hin, wenn er nicht alles aufs neue ver- aierig aufspringenden Lachsforellen, Hechten und Barschen. schütten wollte. Die Hauptsache, das„ Gröbste" war zum Glidden beiden Badeanstalten herrschte ein vergnüglicher heraus. Nun mochte die Ueberrumpelte sich im stillen damit Lärm, Schreie schwirrten... blanke Leiber schimmerten herabfinden. über, Mädchen mit bunten Kostümen spiegelten sich im See.
Da diese gleich in einem fast lautlosen Beinkrampf vern wildem Wetteifer sprangen die Burschen senkrecht und fiel, schien ihm ein weiteres Verweilen auch nicht geraten. I topfüber vom Sprungbrett in die Tiefe oder schwammen