Die armen Kinder stiegen, rot und blaß vor Aufregung und Freude, in den Wagen, drückten sich enge aneinander und machten fich ganz schmal, damit sie gar nicht mit ihren zerlumpten Kleidern Prinzeßchens weißes Röckchen streiften. Als sich das Ringelspiel mit ihnen zu drehen begann, schrien sie vor Freude:" Juchheirassa" und rieben vor Luft die bloßen Füßlein aneinander auf und ab, wie die Fliegen beim Zuckernaschen.

Lieschen aber tat recht vornehm, als ob es jeden Tag solche Vergnügungen haben könnte.

Sag, Du Glückskind," fragte der blasse Junge: Warum tust denn Du nicht sitzen bleiben? Immer stehst wieder auf!" Welt mir das Siken weh tut," sagte Lieschen.

Mir tut das Siken auch oft weh, wenn mich der Vater ge­schlagen hat!"

Wißt, Ihr lieben Kinder," erklärte Lieschen und rämpfte gegen das Bürschlein nur verächtlich das Näschen:

"

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Meine Mutter ist so vernarrt in mich! Den ganzen Tag tut fie mich auf ihren Knien hossa, Hoffa reite schaufeln! Und ihre Knie sind so spißig... wißt ihr, sie ist eine Schneiderin, und davon

tut es mir weh!"

" Und ein dünnes Zöpfchen hast," meinte ein anderes Kind. Denn Lieschen wurde von den scharfen Kinderaugen um und um gründlich gemustert.

Glaubs Euch schen," meinte Lieschen, daß ich ein dünnes Zöpfchen hab! Die Mutter tut mir immer Haarlöckeln abschneiden! Gines tragt sie wie eine Nette um den Hals... und eines im Bet­buch, und eines unter einem Glassturz auf einem seidenen Kiffen neben dem Bett, damit sie immer und überall von mir ein Löckchen zum Küffen hat!"

Und die Kinder sahen einander traurig an und sagten: Oh, Du hast es gut, Du Glückskind!"

Ein anderes Kind hatte inzwischen Lieschens dünne Aermchen besehen:

" O, Deine Hermlein sind voll blauer und brauner Flecke, als ob man Dich geschlagen hätt!"

" Glaubs Such schon," sagte Lieschen, daß ich voll blauer Flecke bin! Weil mich meine Mutter beim Küssen immer gar so fest drücken tut! Immer heißt es: Lieschen... mein Süßchen, und sie drückt mich so fest, daß ich schon einen blauen Fleck neben dem andern hab! Ich lauf ihr noch einmal davon, denn was zu viel ist, ist zu viel!"

O Du garstiges Kind!" rief der Tränen rannen ihm über die Wangen. eine solche Mutter hätt!"

blasse Knabe und schwere Wäre ich froh, wenn ich Lieschen horchte hinter sich. Sie hörte von weit her das wilde Getobe und Kreischen der Schneiderin. Sie war schon auf der Suche.

Nun ist es Zeit, dachte sich Lieschen. Es erhob sich und sagte: " Fahrt ihr nur noch einmal herum, ihr armen Kinder! Ich muß jezt gehn; mir ist, als höre ich schon wieder die Mutter nach mir rufen:

Im Land der Lolo.

Ein Forschervorstoß ins unbekannte China  . Westlich vom Noten Veden in China  , dieser mit roien Sands steinen erfüllten Einsenkung auf der sich die dichteste Bevölkerung zusammendrängt, erhebt sich das vortibetische Gebirgsland, das namentlich in seinem südilen Teit bis auf die neueste Zeit einz Rührmichnichtan sowohl für europäische Reisende wie auch für die Chinesen selbst gewesen ist. Dort hausen die 2olo, ein Volks stamm, der seine unbedingte Selbständigkeit wahrte und der zwar durchaus nicht unmenschliche Sitten führt, auch nicht als ungastlich) zu schelten ist, doch einem wirklichen Eindringen in sein Land einen energischen Widerstand entgegenseßt. Der mutige Franzose d'Ollone war der erste, der eine Durchquerung des Lololandes, allerdings nur weit im Süden, ausführte, und die Annahme, daß dieser ganze Bezirk von alpinem Hochgebirge eingenommen wäre, zerstörte. Bald darauf bekam dem englischen Offizier Brooke ein erneuter Versuch, in das Lololand einzudringen, recht schlecht Er wußte sich mit den Leuten nicht zu stellen und brachte sie derars gegen fich auf, daß sie ihn am Weihnachtstage 1908 ermordeten. Seine Leiche wurde an die beleidigten Häuptlinge verteilt und kam später stückweise an verschiedenen Teilen der Grenze wieder zum Vorschein. Dies bedauerliche Ereignis hielt den seit einigen Jahren in Tichöngtfu, der Hauptstadt der chinesischen   Provinz Szitschuan, refidierenden deutschen Konsul Frizz Weiß nicht ab, sich in dieselbe Gegend des Lololandes zu wagen, mit deisen Bewohnern er in ungetrübte Beziehung trat. Allerdings dehnte er seine Reise nicht weit ins Innere aus, aber doch weit genug, um einige wichtige, ganz neue Beobachtungen über die Natur des Landes beizubringen.

In diesem Jahre hat Koniul Weiß einen neuen Borstoß von einer ganz anderen Seite ins Lololand ausgeführt. Die Reise in une bekanntem Gebiet war nur furz, aber wertvoll, weil sie einen Weg einschlug, der noch nie von einem Europäer und vielleicht auch noch nie von einem Chinesen begangen worden ist. Der Ausgangspunkt lag diesmal im äußersten Nordosten des Gebiets. Von der großen Stadt Kiating ging die Reise um den berühmten Götterberg Omi auf der Südseite herum in fildlicher Richtung in das Lololand hin ein und fam nach Often wieder hinaus. In Opien, einer chinesischen  Grenzfeste, wurde der letzte Bunft chinesischer Oberherrschaft erreicht. Konsul Weiß schreibt nun an den Herausgeber der Allg. Wiss. Ber.": Von hier nach der auf der Südseite gelegenen Grenafeste Mapien ist jeder Verkehr für Chinesen und erst recht für Fremde ein Ding der Unmöglichkeit. Man tommt nur unter einem Bürgschafts­system durch, das einen freien Durchzug durch die Stammesgebiete der einzelnen Häuptlinge garantiert, vorausgesetzt, daß die Verhand lungen mit Vorsicht eingefädelt und durchgeführt werden. Die chinesischen   Behörden tun natürlich ihr Aeußerstes, um einen daran zu verhindern. Ich hatte ein paar vorzügliche Mohammedaner an Hand, die in der schönsten und distretesten Weise diese Balaber vor­bereiteten. Das Ergebnis war, daß der gestrenge Fürst von Bielo sich dem Einfluß des allmächtigen Dollars nicht zu entziehen ver mochte und mir und meiner Frau garantierte, uns für 50 Taels an der anderen Seite bei Mapien wieder heil an die Oberfläche bea fördern zu wollen. Dann tranfen wir Blutsbrüderschaft genau nach dem Muster in der Götterdämmerung  ". Ueberhaupt erinnern diese Stämme in so vielem an das Bild, das der alte Tacitus   von unseren Vorfahren gibt, daß man sich bei ihnen ganz heimisch fühlt. Die ganz unchinesische hohe Achtung vor der Frau, ihr friegerisches Draufgängertum den schlappen Chinesen ein Greuel, ihre Tut mir sehr leid, mein lieber Herr Haselstock," dachte sich feuchten, triefenden Wälder, die in einem ewigen Nebel zu brodeln Lieschen, aber ich will feine neue Bekanntschaft mehr machen." scheinen. Und als wir auf unserem weiteren Wege uns zwei ohne Unterbrechung auf schmalsten Dschungel Und krabbelte die steil abfallende Böschung des Flusses hinunter. Tage lang Knapp vor dem strömenden Wasser blieb es stehen und pfaden durch undurchdringlichen Urwald wanden, konnte man sich dachte sich: leicht das Varusgeschid mancher chinesischen   Legion in den Teuto­burgerwäldern des Liangschan, des dies Gebiet beherrschenden Gebirgslandes, vorstellen. Jedenfalls ist es den Chinesen bis heute Mapien eine sichere Verkehrsstraße auf der kürzesten Linie herzu­noch nicht gelungen, zwischen ihren beiden Grenzfesten Opien und stellen, obgleich diese auf dem Richthofen- Atlas nur etwa dreißig geographische Meilen( annähernd 60 Kilometer) mißt. Will jemand von einem Drt zum anderen, so muß er den ungeheuren Umweg über Kliating machen. Wir brauchten auf unserer Reise für jene Strede fast 7 Tage.

Lieschen, mein Süßchen!" Lieschen Hüpfte leichtfüßig aus der goldigen Kalesche und lief, so schnell es laufen konnte, dem Wasser zu.

Hinter ihm her stürmte mit wildfunkelnden Augen die Schnei­derin. Sie hatte schon von weitem Aennchens weißes Kleidchen mit der roten Masche erkannt.

Lieschen hörte nicht auf zu laufen, bis es vor dem tiefen Wasser stand. Die Schneiderin war wie eine Juric hinterdrein und schwang drohend den Haselstock.

" Run will ich aber doch meiner Mutter zu guter Letzt noch eine

fleine Bosheit antun!"

Und als es die Mutter auf der Höhe der Böschung auftauchen fah, rief es hinauf:

Mutter, da bin ich! Mutter!"

" Ich will Dir schen abgewöhnen das Muttersagen!" brüllte die Schneiderin blaurot im Gesicht und fletterte vorsichtig Schritt für Schritt den Uferdamm herunter. Und als die Schneiderin endlich unten war und mit der Faust nach Lieschens Zöpfen greifen wollte, da hüpfte Lieschen mit gleichen Füßen frischauf in das tiefe Waffer. Es machte einen Blumps, wie wenn ein Frosch zur Abend­zeit vor dem nahenden Wanderer vom Ufer weg in den Teich hüpft. Und nun war es, als hätte der Frau Schneiderin niemals in der Kirchweihnacht von einem Soldaten geträumt.

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Große Erhebungen wurden nicht beobachtet. Etwas über 2000 Meter auf der Wasserscheide zwischen dem oberen Pangtse und dem Tatufluß waren die größten gemeffenen Höhen. Berge mit ewigem Schnee gibt es nach der Aussage der Eingeborenen weit und breit nicht. Schäzungsweise mochten die höchsten Erhebungen der Berglämme vielleicht mit 3000 Metern an Die armen Kinder fehrten mit geröteten Wangen und glänzusehen sein. Sicher ist dieser Nordgipfel des Lololands zenden Augen heim und konnten nicht genug von dem vornehmen von seinem Mittelstild bei Ningjuen( das frühere Reiseziel von Schneiderprinzeßlein erzählen. Der blaffe Junge in den ser Konsul Weiß) ganz verschieden. Dort breite, ruhig und sanft vers lumplen Höschen träumte noch Nächte lang von dem Glückskind laufende, bis auf ihre Stämme völlig entwaldete Mücken, abwechselnd und ging jeden Tag zum Ringelspiel fragen, ob es nicht wieder ge- mit breiten, fruchtbaren Tälern, hier ein wildes, von zahllosen kommen sei; er beschrieb es: ein weißes Kleidchen mit roter Masche Wasserläufen zerfurchtes Gebirgsland mit weiten Streden nie be habe es angehabt. rührter Urwälder und spärlichen Siedlungen dort, wo die Berg­hänge Raum dazu lassen. Die schwere Zugänglichkeit hat auch die Chinesen bis jest von einer Durchdringung dieser Strecken politisch oder durch Einwanderung abgehalten. Wo nicht schöne, breite und gut zu bewässernde Täler ihn einladen, geht der Chinese nicht hin.

Aber niemand, niemand wollte es wiedergesehen haben.