-
102
mit Leib und Seele. Sie fuhr fich dabei über die Stirn, als müffe fie ihre ganze Vergangenheit fortwischen. So, meinst Du? Und der Bub... was wird aus dem?" " Das weiß ein anderer. Solang ich gefund bin, sorg' ich fchon für ihn.
Der unerschütterliche Ton, aschgrau, trübselig wie sieben Tag Regenwetter, ging ihm ärger auf die Nerven als Grabgeläut und Leichenbittersprüche.
Berstodtes, einfältiges Stündlergewäsche! Sab' ich Dir nicht gesagt, daß ich willens bin, ihn ordentlich auszurüsten und schulen zu lassen?" fuhr er noch einmal auf ihren Starr finn los. Es mußte mit aller Gewalt heraus, obwohl er damit nur die neuerwachte Vatersehnsucht verriet die Stelle seiner Menschlichkeit. Berflucht ja, er konnte sich das zutrauliche Bürschchen nicht so leicht aus dem Sinn schlagen wie etwa einen mit Schnur und Haken abgegangenen Hecht. Immer wieder gelüftete es ihn, sein„ Ebenbild" zu betrachten, den blonden Krauskopf zu hätscheln, die unterhaltsame findliche Neugier zu stillen. Oberholzer junior! Die Ohren läuteten ihm Tag und Nacht davon. Was er den Treustädtern für einen fernigen Nachfolger aufzurichten gedachtel ein ge schniegeltes, wässeriges Ehefrüchtchen, holla! sondern ein heimlich und wildgewachsenes Bflänzchen, vor dem die Pastoren und sonstigen Botaniker sich bekreuzten, weil sich's nicht einschachteln ließ, weil's ihnen im Handfehrum über den Kopf wuchs und dazu allerlei üppige Blüten trieb, so daß sie wiederum befennen mußten: Kein Wunder, wenn der alte Tunichtgut dahinter steht... der Schüßenkönig. Da hat der allweg seinen besten Schuß getan!"
So mußte es kommen. Das wollte er sich, beim Strahl, nicht verkümmern lassen. Und sollte er der Mutter den Tod anwünschen, um des Kleinen habhaft zu werden!
Erriet Brigitte diese wunderliche Liebesflamme und fühlte fie, wider alle Demut, die ihr über den Verderber verliehene Macht der Nache? Es schüttelte sie plötzlich von innerer Kälte; fie hatte mehr als genug vernommen.( Forts. folgt.)
-
ewig widersprach und fich feinen Gehilfen über den Kopf wachsen laffen wollte, häufig fleinere Berwürfnisse gegeben, namentlich, da Hans Bastel eine verftedte Bähigkeit und gelegentlich ein tropig höhnisches Wesen sehen ließ. Dann aber hatten die zwei Männer, welche beide in ihrem Berufe mehr als das Gewöhnliche leisteten, einander einigermaßen zu verstehen begonnen. Der Jungmieifter arbeitete nämlich insgeheim an einer Erfindung; es handelte fich um einen Heinen Apparat zum felbfttätigen Abstellen der großen Chemnitzer Strickmaschinen, eine sehr praktische, wertvolle Sache. Daran experimentierte er nun schon eine Weile herum, und war oft halbe Nächte damit allein in der Werkstatt. Hans Bastel aber hatte ihn belauscht und war, da ihn die Sache interessierte, zu traten wieder Werstimmungen ein, denn der Gefelle erlaubte fich einer etwas anderen, glücklicheren Lösung gekommen. Dann gelegentlich manche Freiheiten, blieb Stunden und halbe Tage aus, fam mit der Zigarre ins Geschäft usw., lauter Aleinigkeiten, in welchen unser Meister sonst äußerst streng war und die er ihm nicht immer ungescholten hingehen ließ. Doch kam es nie zu ernftlichem Zant, und mehrere Wochen lang war völliger Friede im Hause gewesen, bis fürzlich wieder eine Spannung eintrat, die uns alle besorgt machte. Einige fagten, der Geselle sei dem Jungwaren der Ansicht, Hans Bastel habe vermutlich ein Anrecht an meister auf Liebeswegen ins Gehege gekommen, wir anderen dem Mitbesitz der fleinen Erfindung geltend machen wollen, und jener weigere sich, dies ihm zuzustehen. Sicher wußten wir freilich nur, daß der Gefelle seit Monaten einen übertrieben hohen Wochenlohn erhielt, daß er vor acht Tagen abends im Modelliersimmer einen sehr lauten, zornigen Wortwechsel mit dem Jungmeister gehabt hatte, und daß seither sich die beiden grimmig an schauten und einander mit einem böswilligen Schweigen auswichen. Und nun hatte der Hans Bastel es gewagt, heute Blauen zu machen! Es war bei ihm schon lange nimmer vorgekommen und bei uns Kollegen überhaupt nie, denn von uns wäre jeder sofort entlassen worden, wenn er einmal Blauen gemacht hätte.
Es war, wie gesagt, fein guter Tag. Der Meister wußte, daß wir nachts getrunken hatten, und sah uns scharf auf die Finger. Seine Wut über das Ausbleiben des Gesellen mußte nicht flein sein, denn es lag eilige und wichtige Arbeit da. Er sagte nichts war unruhig; auch blidte er öfter als nötig auf die Uhr. und ließ sich nichts anmerken, aber er war bleich und sein Schritt
" Das gibt' ne Sauerei, Du," flüsterte Karle mir zu, als er an meinem Platz zur Effe ging.
„ Glaub's auch, und feine fleine!" sagte ich.
" Zum Donner, was gibt's da zu schwätzen?" schrie da der Meister herüber, und man merkte seiner Stimme an, daß es in ihm trieb und würgte.
" Was gefragt hat er mich," rief er zurüd; man wird doch auch zwei Worte reden dürfen."
in
er.
Seid ruhig, Faulpelze, oder Ihr könnt' Euch wundern!" Ja, wir waren gern ruhig.
Kurz vor Mittag kam der Altmeister für eine Viertelstunde die Werkstatt.
" Fleißig?" rief er uns zu.
" Ein bißchen," antworteten wir.
" Ich glaub's schon, daß Ihr Euch nicht überschaffet," brummte Und plötzlich blieb er stehen.
Wo ist denn der Bastel?"
Es war gegen Anfang des Winters, an einem Montag, und wir hatten alle schwere Köpfe, denn am Sonntag hatte ein Kollege aus der Stecherschen Maschinenbauerei seinen Abschied gefeiert, und es war spät geworden und hoch hergegangen mit Bier und Wurst und Kuchen. Nun standen wir träg und schläfrig und verdroffen an unseren Schraubstöden, und ich weiß noch, wie ich den Hannefrit beneidete, der eine große Schraubenzange auf der englischen Trehbank hatte; ich sah oft zu ihm herüber, wie er an der Schiene lehnte und blingelte und so halb im Schlaf die bequeme Arbeit tat. Zu meinem Aerger hatte ich eine heifle Beschäftigung, das Nachfeilen von blanken Maschinenteilen, wobei ich fast jede Minute den Kaliber brauchte und beständig mit ganzer Aufmerks famkeit dabei sein mußte. Die Augen taten mir weh und meine Beine waren so unausgeschlafen und müde, daß ich fortwährend den Tritt wechselte und mich oft mit der Brust an den oberen Knopf des Schraubstochebels lehnte. Und den anderen ging es an; das tat er täglich, und es war nicht schlimm gemeint.
Es gab keiner Antwort.
Wo der Bastel ist, frag' ich!" rief er heftiger.
Ich zuckte die Achseln.
" Noch gar nicht gekommen heut'?"
,, Nein."
Er ging zu seinem Sohn hinüber und fing dort zu schimpfen
Eine nette Ordnung in der Werkstatt, seit Du meisterft,"
nicht besser. Der Senfjodel hieb schon eine halbe Stunde an einen hörten wir ihn sagen. Der Jungmeister gab, wie gewöhnlich, Eisensägblatt, und der Karle hatte soeben den Meißel, den er schärfeinerlei Antwort, und der Alte brummte weiter, fand da und fen sollte, in den Schleifsteintrog fallen lassen, und sich die Finger dort etwas zu tadeln und anderes zu wünschen, ohne daß der Sabei aufgerissen. Wir hatten ihn ausgelacht, aber nur schwächlich; Sohn darauf hörte. Dann ging er wieder, und unter der Tür wir alle waren zu müd' und verstimmt. Auch fonnten wir nicht faulenzen, denn nebenan im Modellierzimmer war der Meister sagte er noch:" Mit dem Bastel reb' ich aber noch." am Geschäft und sah alle Augenblicke durch die Tür zu uns heraus. mir aus. Mit dem Bastel red' ich selber." Er sah uns an, während Da kam der Junge ihm nach und sagte: Nein, das bitt' ich Aber der fleine Kazenjammer war das wenigste, das wußten er es fagte. Und so oft wir alle den Hans schon beneidet hatten, wir alle, wenn auch keiner davon reden mochte. Oft genug war in dieser Stunde hätte feiner von uns der Hans Bastel fein mögen. es gerade am Morgen nach einer Zecherei in der Werkstatt extra luftig zugegangen. Diesmal hörte man nicht einmal die üblichen der lange Nachmittag, freilich entsetzlich langsam, denn die ver Die Mittagsstunde war vorbei, und es verging auch allmählich Anspielungen auf gestrige Ereignisse und keinen von den gewohnten haltene Wut machte den Meister zu einem unerträglichen Arbeitsfemischen Bierflüchen. Alle hielten sich still und fühlten, daß etwas nachbar. Er gab sich, obwohl er stets nach unseren Arbeiten fah, Beinliches im Anzuge war. Und das alles galt unserem ältesten nicht mit uns ab, ja er schmiedete sogar ein größeres Stüd, Gefellen, dem Hans Baftel. Er hatte schon seit acht Tagen auf statt einen von uns an den Vorhammer zu kommandieren, allein, Schritt und Tritt Reibereien mit dem Meister gehabt, namentlich und dabei lief ihm der Schweiß übers Geficht und tropfte zischend mit den jungen, dem Meisterssohn, der neuerdings das Regiment auf den Ambos. Uns war ums Herz, wie im Theater vor einer fast allein führte. Und seit ein paar Tagen konnte man spüren, daß ein Unwetter drohte, die Stimmung in der Werkstatt war schwül Schreckensszene oder wie vor einem Erdbeben.
und bedrüdt, die Meister redcten nichts, und die Lehrlinge schlichen icheu und ängstlich herum, als schwebe immer eine ausgeftredie Hand ihnen über die Ohren.
( Schluß folgt.)
Wie lang ist der Tag?
Von Hans Riva.
Diefer Hans Bastel war einer der tüchtigsten Mechaniker, die ich kannte, und stand nun über ein Jahr bei uns in Arbeit. In dieser Zeit hatte er nicht nur meisterlich gearbeitet und andere alle in Schatten gestellt, sondern auch manche Neuerungen und Ver Wenn wir die Frage aufwerfen, wie lang der Tag sei, so befferungen im Betriebe eingeführt und sich beinahe unentbehrlich werden prompt gegebene Antworten nicht ausbleiben. Der eine, der gemacht. Anfangs hatte es mit dem jungen Meister, der ihm an den natürlichen Tag denkt, an dem die Sonne scheint, weist