Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 28.
28]
Dienstag, den 10. Februar.
Das Menschlein Matthias.
Erzählung von Baul JIg.
Nun erzählen Sie mir einmal ausführlich von Ihren Vergnügungen... wo Sie zu Hause sind... wie Sie Ihre freie Zeit verbringen. Lesen Sie Romane, gehen Sie auch zuweilen ins Theater? Das interessiert mich sehr!" drang er weiter auf sie ein, indem er sich ihrer Nechten bemächtigte und das warme, zuckende Ding zwischen seinen Händen hätschelte.
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Schweiß, den Hunden, die kurz und stoßweise atmeten, zischten Flammen aus dem Nachen, die angespannten Pferde ließen träg, verquält die Köpfe hängen. Wie wenn die ganze weite Erde eine einzige Brunst wäre!" durchfuhr sie ein Gedanke ihres gereizten, braufenden Blutes. War sie nicht aus lauter Saltlosigkeit und Seelenschwäche besinnungslos geworden? Wenig fehlte wohl, so hätte sie neue Schmach und Schuld auf sich geladen. Das wär's, was sie jagte! Ja, auch vor sich selber mußte sie noch fliehen.
Und als sie ihre Heimstätte völlig außer Atem erreichte, warf sie sich aufgewühlt, schmerzdurchdrungen auf die Knie vor dem, den sie suchte... mit allen Fibern des Herzens suchte um sich selber zu vergessen...
Troß aller Pein wagte sie nicht, diese Klammern abzuschütteln. Sie erzählte einem Bild an der Wand, daß sie gottlob schon lang über die Jahre hinaus sei, wo eine nur Flausen Es gab nun feinen Zweifel mehr, sie hatte ihre Rolle als im Kopf habe. Sie müsse ja auch für ihren Kleinen forgen, Musterfräulein ausgespielt. Wenigstens durfte sie nicht mehr der nun bald zehne sei, so daß ihr gar keine Zeit und Lust daran denken, sich unaufgefordert in der Bleiche sehen zu zu übermütigen Dingen bleibe. Der aufmerksame Hörer lassen. Wenn sie noch eine Stunde mit dem Gedanken umschien über die Maßen erstaunt. ging, ihrem Beschützer, dem guten, teilnehmenden Herrn
Was... noch so jung und hübsch und schon einen zehn- Wankel, alles anzuvertrauen, seinen Rat und Beistand zu jährigen Buben? Das ist ja kaum zu fassen. Aber ich bitte erbitten, so fam sie bald auch davon ab. Sie hatte zuvor febr. fahren Sie fort!" unterbrach er sich, als er ihre noch eine andere Prüfung zu bestehen, die das Maß des schluckende Bewegung merfte. Gut, gut... wir werden Menschenmöglichen überstieg und sie für lange der Gabe verauch ihn im Auge behalten!" nünftiger Ueberlegung beraubte.
Der gunstreiche Herr ließ sich durch nichts von seinem Biel abbringen. Brigitte hingegen verschluckte sich rein wie ein Schulkind, und schließlich konnte sie sich doch nicht mehr bewahren vor seinen lauernden, gleißenden Blicken. Jede noch so schlimme Wendung wähnte sie eher ertragen zu können als dieses lähmende Schmeicheln und Streicheln.
Aber jest muß ich fort, entschuldigen Sie," stammelte fie und suchte ihm die Hand sanft zu entwinden. Sie konnte die Gefühle der Untergebenen nicht ausschalten, sich nicht sagen, daß sie nur einen lifternen Berführer, keinen Brinzipal mehr vor sich habe...
Und richtig... da geschah es... da zog er sie mit den Worten: Warum nicht gar! Man hat auch nicht jeden Tag so netten, guten Besuch!" recht gewaltsam auf seine nie, so daß sie keinen Arm mehr rühren fonnte, und füßte sie unter allerlei zärtlichen Fragen: Ist denn das so schlimm, wie? Das ist doch nicht weiter schlimm? Liebes, gutes Kind, wozu die Aufregung? Soll man nicht auch mal ein bißchen Freude an so... so süßen Sachen haben?"
,, Aber nein! Bitte, Herr Herzfeld, das nicht! Um Himmels willen, lassen Sie mich los!" wehrte sie sich schwach, völlig erschöpft von den ausgestandenen Nöten. Seine Augen waren feurige Kugeln, seine saugenden Lippen hauchten einen fiißlichen Geruch aus, fie wurde sinnverwirrt davon, einfach mid und matt. Ihr Körper fiel mit geschlossenen Lidern schwer, widerstandslos in seinen Arm, allein er fuhr in seinem Liebesdrange, immer kühner werdend, fort und merkte lange nicht, daß das liebe, gute Kind" nahezu ohnmächtig war. Endlich fam er doch zur Besinnung, und da er sich sodann redliche Mühe mit ihr gab, dauerte es auch bei ihr nicht lange. Aber der arglose Genießer weďte etwas auf, was er noch nicht kannte.
Brigitte versette dem fetten Mann, der gerade dabei war, ihr Wein einzuflößen, ihre Schläfen einzureiben, einen zornmütigen Stoß vor die Brust, so daß er das Glas wider Willen fallen ließ... dann ergriff sie hastig ihren Hut, den ihr der Versucher abgenommen hatte, und floh, in eine Wolfe von Scham und Granen gehüllt, an dem blöd starrenden Diener vorbei, treppab und hinaus, o Simmel, hinaus! Sie sah sich nicht mehr um. Oh, jekt tot umzufallen!" war ihr erster Gedanke. Die Hölle kannte gewiß feine grausameren Qualen. Ihr war, als seien ihr die Kleider in Feben vom Leibe geriffen, als tasteten hundert gierige Hände nach ihren Blößen. Wie ein Brand, eine Kriegsfurie schoß sie durch die Gassen.
Gegen Abend erschien die Freundin Labhart, begleitet von der gehässigen Ersten", um Brigitte einen Besuch abzustatten. Daß er nicht von beiden Seiten gut gemeint sein konnte, sah diese auf den ersten Blick.
,, Erschreck mir nicht!" drang Fräulein Labhart gleich auf die verstörte Freundin ein. Ich bin gekommen, um Dir in einer schwierigen Sache beizustehen." Sie schlang schnell beide Arme um den Hals der Bedauernswerten. So traurig es ist, daß ich Dir so etwas überhaupt überbringen muß... ich tu es ja nur, damit Du fühlst, wie felsenfest ich an Dich glaube. Also heut, in der Mittagspause, sind aus der Ausrüsterei drei Gipürespiten gestohlen worden. Man hat sie am Vormittag noch den vier Visiten gezeigt, nachher jeden Winkel durchsucht, aber nichts gefunden. Und weil Du nach zwölfe noch oben warst, hingegen heut nachmittag nicht gekommen bist, ist der Berdacht eben auf Dich gefallen. Ich hab' mich umsonst für Deine Ehrlichkeit verbürgt. Mister Green ist außer sich und will Dir die Polizei auf den Hals schicken, wenn Du nicht sagst... nicht zugibst... daß wir in Deiner Gegenwart nachsehen. Sträub Dich um Himmels willen nicht, laß diese da machen, was sie will... ich weiß, sie wird hier nichts finden!"
Während dieser unter Tränen und vielfachen Beschwichtigungen erfolgten Aufklärung war Brigittes anders gesonnene Rivalin bereits an die Arbeit gegangen. Mit den harten Worten:„ Es tut mir leid, ich bin dazu hergeschickt," riß sie zuerst die Schubladen der Kommode auf, zog ein Stück Wäsche nach dem anderen heraus, durchstöberte den Kleiderschrank, schlug das Bett auseinander, griff hinter den Spiegel, blidte unters Stanapee und stellte sich zuletzt, nach den ergebnislosen Mühen, erbittert und zum Aeußersten entschlossen, vor die beiden anderen hin, die sich immer noch weinend umschlungen hielten.
" Ich bin leider noch nicht fertig. Mir scheint, ich hätte beffer an einem anderen Ort zu suchen angefangen!" erklärte die alte Jungfer, welche allerdings schon manche böse Erfahrung mit ihren Untergebenen gemacht hatte. Und da die zwei heulenden Weibsbilder sie nicht zu verstehen schienen, fuhr sie, deutlicher werdend, fort:„ Es ist Ihnen ja wohl noch bekannt, wo die im vergangenen Winter ertappte Schelmin die Spitzen verstedt hatte. Sie war damit auf den Abtritt hinaus verschwunden und hat sie sich ganz einfach um den Leib gewickelt... Wenn Sie also ein gutes Gewissen haben, Jungfer Böhi... ich denke, vor uns beiden brauchen Sie fich nicht zu genieren. Im Weigerungsfall müßt' ich eben die Polizei zu Hilfe nehmen. Sie begreifen ja, ich tu' halt meine Pflicht. Sie würden an meiner Stelle ebenso handeln!" Die Angeklagte löste sich langsam, mit geisterhaftem Blick Es war ein schwüler Spätsommertag, die Luft bedrückend, aus der Umflammerung ihrer Getreuen, die nun auch keinen ein niederer Wasserstand dazu, weshalb es am See entlang Zuspruch mehr wußte. Mit Müh' und Not fam sie noch aufwiderlich„ fischelte". Der lästige Geruch verfolgte Brigitte , recht zu stehen. als fäme er aus dem Hause, dem sie eben entfloh. Alle
Bin ich ein herrenloses Tier, das jeder hetzen und fangen darf?" fragte sie mit Siebenmeilenblicken, in einem Sturm, der alle Schiffe verschlang.
Stillhalten kann ich ja... suchen Sie nur!" schluchzte Menschen hatten liisterne, schmachtende Blicke und rochen nach fie auf. Dann brach sie aber gleich mit einem wilden Schrei,