D. gl.

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Eine Karnevalsgeschichte von Leo Kolisch. Dös glaabft! Das war halt einmal ein Abenteuer! Ich verdante es der chauvinistischen leberheblichkeit einiger Kreolen jünglinge. Da faß ich einmal, fura vor Karnevalsschluß war's, in einem fleinen Ort der argentinischen Provinz San Luis  . Dort arbeitete ich seit kurzem in der Eisenbahnwerkstätte, die etwa vierzig Leute beschäftigte. Außer dem rheinländischen Ingenieur war ich der einzige Europäer und fühlte mich sehr wohl in der indianischen und kreolischen Gesellschaft; hatte mir doch erst furs vorher eine unangenehme Geschichte die Lebensregel" Nur keine Napolitaner oder Spanier" eindringlich und überzeugend ein­getrichtert.

Also ich bin schon bei der Sache.

Gines Abends hatten wir über argentinische Sitten und Ge­bräuche debattiert, und ich hatte dabei die Ansicht vertreten, daß ein Europäer überall Vertrauen und Eingang finde, wenn er anständig auftrete. Einige Kreolen widerstritten heftig: Ja, die argentinische Gastfreundschaft sei auf der ganzen Welt berühmt; aber über die höfliche Bewirtung hinaus gingen die Hijos del pais", die Kreolen, nie! Woraus sich dann eine Wette ergab. sch behauptete, in vierundzwanzig Stunden in einer feinen Kreolenfamilie vollständig heimisch werden zu können und setzte swanzig Besos ein. Hohngelächter der jungen Gauchos; sie fetten vierzig Pesos dagegen, so daß ich also noch ganz hübsch bei dem Vergnügen verdienen würde.

Am nächsten Tage erzählte ich dem Rheinländer, Don Gustavo Adolfo Schulze( die Kreolen fagten Eschuleße) von der Wette, und der war sofort mit bei dem Spaß. War überhaupt ein feiner Kerl. Dienstlich etwas zugeknöpft, aber ein wohlmeinen der Freund und ein lustiger Gesellschafter. Oft saßen wir zwei, er, der Betriebsleiter und ich, der Eisendreher, im einzigen Hotel des Pueblos und kneipten. Gründlich.

Der Karnevalssonntag tam heran. Ich zog meinen schwarzen Anzug ans Tageslicht, flopfte den schwarzen Pfeffer heraus, borgte mir von meiner derzeitigen Pflegemama, der etwa dreißig jährigen Witwe Mercedes   Anila Gonzalez Herrera ein vorfint­Flutliches Bügeleisen, Nadeln, Zwirn, besorgte mir als Flecken vaffer eine Flasche extra starten Maisbranntwein und renovierte. Leinenwäsche konnte ich in dem Prärienest nicht auftreiben. Da­für aber gab es ganz brauchbare Papiertragen. Die Krawatten­frage machte mir noch weniger Sorgen. Ein schönes blau und rot fariertes Seidentuch feinster Sorte( mein Gott, die vierzig Besos waren doch schon so gut wie mein!) fnüpfte ich in zier fiche kunstvolle Maschen und der obere Gentleman war fertig. Na, und auf die Stiefel tam es wahrhaftig nicht so an. Die Campesinos find an die abenteuerlichsten Fußbekleidungen ge­wöhnt. Ich hatte übrigens da ein Paar große schwere Juchten Stiefel, die mich daheim bare vierundzwanzig Kronen gekostet hatten. Die mußten sich, fein gewichst, überwältigend ausnehmen. Was sie auch taten.

So ausgerüstet ritt ich am Karnevalssonntag los nach der Estanzia Los tres Leones"(" Die drei Löwen"), in der Tasche einen Brief meiner Wirtin an den Estanziero Don Manuel Carlos Jturbalde Gonzalez. Auf dem Wege überholten mich eine Menge Pampastußer, die gar grazil auf den im Tranco" traben­den, silbergeschmüdten Gäulen jaßen. Sie musterten den Gringo im schwarzen Anzug und bunten Poncho sehr mißtrauisch, fanden es aber unter ihrer Würde, außer dem üblichen Gruß ein Wort an mich zu verlieren.

So kam ich, müde vom Ritt und der Spätsommerhiße des Februars und natürlich hungrig wie ein Wolf noch vor Mittag auf der Estanzia an, auf der ein Ballfest für die umliegenden Güter gefeiert werden sollte. Vor der Peonküche( Leutehaus) hielt ich, sprang so elegant als möglich aus dem Sattel, zog meine Brieftasche und entnahm ihr mit großartiger Geste den Brief und meine Karte. Meine Karte! Hatte nämlich beim Ingenieur welche fabriziert. Feiner Zeichenfarton, erstklassige Tusche; und erst die Schönschreibekunst! Und dann die Aufschrift: Leo Kolisch, Weltreisender. D. gl."

Dös glaabst! Ginen Beon bat ich, meine Starte im Herren­haus abzugeben und gleich darauf stand ich in einem Wirbel reich­gekleideter Kreolen, anmutiger Mädchengestalten und wohlbeleibter Frauen und mußte die ganze getragene Feierlichkeit eines ar­gentinischen Gastempfanges mitmachen. Den Don Manuel Carlos ( ich bin ja schon still) befriedigte der Brief seiner Base( alle Kreolen find irgendwie untereinander verwandt) augenscheinlich fehr. Das war kein Wunder, denn meine kleine Wirtin wußte ja nicht, auf welch bescheidener Sprosse der sozialen Stufenleiter heutzutage ein braver Eisendreher zu stehen kommt. Dagegen sah sie mich öfter mit dem Herrn Ingenieur promenieren, wußte, daß ich mit ihm kneipte; also mußte ich schon wer sein.

Der gute Eindrud war da. Zumal ich mich sorgfältig mit der Pflege meines Gesichts und der Hände befaßt hatte, che ich fortging. Während des Effens bemerkte ich, wie die Gesellschaft meine Tischmanieren fontrollierte. Da war aber nichts zu tadeln; denn richtig essen hatte ich gelernt. Höchstens, daß viele sich wunderten, wenn ich das Messeffr so ausschließlich zum Schneiden verwendete und daß ich nicht wie sie Wein und Suppe, Kaffee und Kompotte durcheinander verschlang. Auch meine Haltung

war anscheinend genügend gravitätisch, am meisten aber hatte ihnen wohl die Karte imponiert mit dem deutschen Titel und den geheimnisvollen Buchstaben imter ihm. Als einziger Euro päer bekam ich den Ehrenplatz zwischen der Hausfrau und der ältesten Tochter, einer jungen, zwanzigjährigen Frau. Witwe, pie ich später erfuhr. Die Mutter Donna Ana Tereza war schon in jenen Jahren, in denen die Distinguidodamen ausschließlich der Kirche zu leben anfangen. So drehte sich das Gespräch um Kirchen, Klöster und Geistliche. Ich erzählte ihr, in meiner ka­tholischen Heimat sei eine Kirche, deren Turm höher sei als ber Eiffelturm. Die Beichtstühle seien dort alle so groß wie fleine Bimmer und mit Warmluftheizung versehen. Das billigte die Gute zwar nicht; denn die Frömmigkeit sei doch nicht zum Ver­gnügen auf der Welt. Aber verschiedene andere Damen erklärten diese Einrichtung für sehr praktisch. Rozita, die Tochter, flüsterte mir au, sie ginge überhaupt nicht gern beichten: die Sympathic war da! Ein anwesender Kaplan belobte mich sehr, weil ich aus Desterreich sei. Das ist ein schönes, braves Land, ein gut fa tholisches Land. Die Behörden sind dem Papst untertan und die geistlichen Herren sind die wichtigsten Berater der Krone. Ich fonnte das mit gutem Gewissen bestätigen; sonst aber, sagte id höflich, lasse sich in Oesterreich   ganz gut leben. Der Wiß fiel zu meinem Glüd glatt unter den Tisch.

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Aber was, Pfaffen und ältere Damen! Ich wollte doch meine Wette auf die angenehmste Weise gewinnen. Da war meine Nachbarin zur linken, die Tochter. Oh Rozita, den Karneval vergesse ich dir nie!- Die Unterhaltung mit der blutjungen Frau war ganz eigenartig. Der Mund redete lange noch von Kloster­leben und kirchlichen Festen, und die Augen behandelten schon viel weltlichere Themen. Kaum eine Stunde waren wir bekannt, da fragte sie mich schon, ob ich unverheiratet sei. Ich konnte das ruhig behaupten und es schien mir, als ob die junge Frau sehr befriedigt sei von meiner Antwort. Ob ich denn nie ans Heiraten gebacht hatte? Nein, ich bin ja noch so jung. Und dann wissen Sie, ein Weltreisender.... Sie schüttelte den prachtvollen Kopf und meinte, man könne doch auch mit einer Frau reisen. Ich erklärte ihr, daß nur wenige Frauen zum Reisen Talent haben und daß die Reise zu Zweien das vierfache Geld foste. Und Geld sei rar. Das leuchtete ihr wieder nicht ein. Geld gäbe es genug auf der Welt. Und reisen müsse herr­lich sein! Sie ging aufs Ganze, die schöne Nozila!

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Doch jezt, welche Ehre! Der Hausherr widmete mir einen kannten Weltreisenden d. gl. Leon Kox. Trinkspruch. Er sprach von dem lieben jungen Gaste, dem be­den Namen gedeihliche Freundschaft zwischen dem großen Desterreich und Ar­brachte er nicht heraus und trant auf mein Wohl, auf eine gentinien( damals war die dumme Hebe gegen das argentinische Worten: Der große Kaiser unseres Gastes, Kaiser Frans Gefrierfleisch noch nicht aktuell) und schloß mit den denkwürdigen Wilhelm von Oesterreich  , er lebe hoch biva viva! Und wahrhaftig, ich machte das Kaiserhoch mit. Erstens hatte es eigentlich mir gegolten und dann den Monarchen, den Mein Dank war wohl etwas eigenartig, gefiel aber trotzdem sehr, des Hausherrn Politik da erfand, konnte ich schon hochleben laffen. da er sehr gefühlvoll herausfam. Weil nämlich die Rozita neben mir saß und ihre bräunlichen kleinen Finger dicht an meine Hand geschoben hatte.

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biva

Das Ballfest fand mich, wenn ein europäischer Tanz lam, als fleißigen Mann. Die argentinischen Tänze aber überließ ich wohlweislich den Kreolen. Von diesen Künsten hatte ich doch noch an spärliche Kenntnisse. Die Kreolen wieder empfanden meine Zurückhaltung als internationale Höflichkeit und waren sehr zu­frieden mit mir. Und auch der Umstand, daß die Rozita einige mal die Chilena" und den Fandango  " im Stich ließ, um bei mir siten zu bleiben, fonnte das Wohlwollen gegen mich nicht mindern. Angesichts all dieser Liebenswürdigkeit fielen mir die Wette und besonders die zwei Buchstaben auf meiner Karte schwee auf die Seele. D. gl.!

Aber dann dachte ich daran, daß doch heute Karneval sei. Und drückte der schönen Rozita das weiche Händchen. Sie seufzte und drückte wieder.... An die Stunden bis zum Abend er innere ich mich nur verworren. Ich weiß nur, daß ich weiter schwaßte, tanzte, verliebte Reden führte, zärtliche Händedrücke tauschte, roten Mendozinerwein trant und an einem prachtvollen Spießbraten teilnahm. Und dann war ich plötzlich in der Tiefe des Gartens, um mich brannten herrliche Blumen, ich atmete föst liche Düfte und ich hielt Rozita in den Armen Irgendwo in der Ferne rief jemand; sie machte sich los:" Nicht jetzt!" Nicht jetzt! Welch ein berauschendes Versprechen lag in dieser Abwehr. Ich schreibe auf, was weiter." und fort war fle.

Ich aber brauchte lange, um mich abzukühlen. Dann kam der Abschied. Ich dankte herzlich für den schönen Tag, der mir, dem landfremden Wanderer, wie vom Himmel gefallen, beschert worden war. Die Gattin des Estanzieros war beinahe gerührt und forderte mich bestimmt auf, recht bald wiederzukommen; meinen Handfuß erwiderte sie durch einen mütterlichen, mitten auf den Mund.( D gl., dachte ich mir.) Als ich nach all den zeremoniösen Floskeln endlich, ein wenig verwirrt, im Sattel faẞ  , trat Rozita nochmals an mich heran. Und während ich ihre Hand ein lehtes Mal füßte, fühlte ich, wie sie mir etwas in den Stiefel schaft schob. Rozita!