Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 52.
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Gyldholm.
Sonnabend, den 14. März.
Eine Landarbeitergeschichte von J. Skjoldborg . Per Holt öffnet nicht den Mund. Er klagt nicht. Er weint nicht. Nemand redet ihn an. Er steht und starrt auf Peter, der als Leiche auf dem Tisch liegt, und er ergreift die fleine, geballte Hand des Knaben, die noch warm ist, nimmt fie in seine große, rauhe Arbeitsfaust, wie er es schon so oft getan, und dann bewegt er sie, schiebt sie hin und her, als wollte er den Jungen wieder ins Leben zurückrufen.
Doch Peter und Paul liegen still nebeneinander auf dem Tisch mit schwarzen, geschwollenen Gesichtern.
Sie sind erstickt; aber sie sind noch nicht falt. Anna dagegen atmet ganz, ganz schwach. Der Arzt macht ihr Einspritzungen unter die Haut und bemüht sich um sie. Er zieht Per von den beiden Leichen fort und zeigt ihm, auf welche Weise die Wiederbelebungsversuche fortgesetzt werden müssen. Aber er spricht so wenig wie möglich. Und Per antwortet nicht, tut aber, wie der Arzt ihn geheißen.
Amalie erscheint mit einigen Zeuglappen, und Watte zum Verbinden hat sie auch. Es ist für Jens' Hand.
Er und das Kleinste, mit den er gestürzt ist, liegen drüben im Bett. Sie sind über und über voll Sod; aber sie leben. Sie liegen im Halbichlaf, schnarchen dann und wann. Wachen wieder auf und stöhnen. Wieder schlummern sie ein, und wieder erwachen sie und jammern.
Auf Jens linker Backe sind Blasen, und seine eine Sand ist so geschwollen, daß sie die Größe einer Manneshand hat. Die hohe, weißliche Brandblase sieht aus, als wäre sie gefocht.
Der Arzt schneidet die Blase auf und legt den Verband darauf. Es scheint nicht weh zu tun, denn der Knabe schläft halbwegs während des Vorganges.
Und alles vollzieht sich mit größter Nube. Rur Sophie jammert dann und wann. Per setzt die Wiederbelebungsversuche mit Anna fort.
Tammes ist nach Haus gekommen, jest, wo es nichts mehr zu löschen gibt. Er setzt sich still hin und sicht zu. Bald aber quillt es in ihm empor. Mitgefühl und Bewegung zeigen sich in seinem gutmütigen Gesicht; er steht auf und geht nach dem Ofenwinkel, wo er halb verborgen ist.
Nach und nach verbreitet sich im Zimmer ein durch dringender Geruch, von Kampfer, Aether, versengtem und verbranntem Zeug und versengtem Haar.
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Der Arzt wendet sich wieder Anna zu.
Aber bei ihrem Anblick jeufat er nur auf.
Sie atmet zwei, dreimal hastig und stoßweise. Tann liegt sie wieder wie leblos da mit unnatürlich großen Pupillen. Wieder kommen zwei, drei hastige Atemzüge. Und dann wieder eine Bause.
Endlich erlischt das Leben des kleinen Geschöpfes in einem schwachen, hingehauchten Seufzer.
Und fie legen sie auf den Tisch neben die beiden andern. Bevor er geht, läßt der Arzt seinen Blick hinüberschweifen zu den drei kleinen Kinderleichen und von da zit den Eltern. Und seine großen brauen Augen bekommen einen feuchten Schimmer.
Per und Sophie nehmen ihre Kinder wieder mit heim. Der Kammerherr hat sofort befohlen, daß man ihnen eine Bettstelle mit den dazu gehörigen Betten bringen soll, anstatt des verbrannten. Sie haben ja nichts, worauf sie zur Nacht liegen könnten.
In das Bett, das sofort aufgestellt worden ist, legen sie Jens und die Kleinste. Und die drei toten Kinder werden in das kleine Zimmer hineingebracht, das sonst leer gestanden hat. Sie betten fie auf eine Tür, die auf Stühlen ruht.
Ein durchlöchertes Tuch breiten sie über die drei kleinen Leichen.
Es ist reichlich Stroh vorhanden. Daraus bereiten sie sich selber ein Lager auf dem Fußboden und werfen sich in den Kleidern darauf hin.
Schlafen können sie nicht.
Jens liegt so unruhig und stößt dann und wann klagende Laute aus. Vor Schmerzen, wenn er an seine Hand stößt.
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Dann schreit er beinahe. Und bisweilen klingt eine zitternde Todesangst, der tiefe Kummer eines Erwachsenen aus dem Träumen. hörbaren Stöhnen im Schlafe - völlig hilflos, wie in bösen
Wenn dieser Laut kommt, bringt er wie ein schneidender Schmerz durch den Körper der Eltern.
Sie stehen auf, streicheln den Kindern die Wangen und sprechen beruhigende Worte. Und behutsam bringen sie Jens' Hand in eine gute Lage.
Auch in das kleine Simmer gehen sie hinein und lüften den durchlöcherten Schal, bevor sie sich wieder auf ihr Strohlager legen.
Im Zimmer herrscht ein durchdringender Sodgeruch. Sie lassen die Petroleumlampe brennen. Denn schlafen können sie nicht.
Sie leuchtet mur spärlich, aber diese kleine Flamme verbreitet doch etwas wie Ruhe. Und die Nacht ist lang und dunkel. Sophie weint, bisweilen in heftigen Ausbrüchen. Pers Antlig dagegen ist unbewegt. Er sieht aus, als horche und lausche er auf etwas aus einer anderen Welt, aus unermeßlicher Ferne.
Nur einmal öffnet er die Lippen und flüstert, seiner selbst nicht bewußt: Was sind wir für arme Menschen!" Es ist, als hätte er nur laut gedacht; denn er liegt nnbeweglich da wie zuvor.
Es ist das erste Wort, das während der ganzen Nacht von seinen Lippen kommt. Und das einzige
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Per und Sophie sind einander behilflich, die Kinder auf Stroh zu betten. Sie übereilen sich nicht. Sie säubern sie von allem Sod und Schmuß und fämmen ihr Haar so sorgfältig, wie es wohl zuvor noch nie gefämmt worden ist.
Das trockene Roggenstroh wird genau zugeschnitten und Per seine Finger hindurchgleiten, wie man einen Ramm durch Haar zieht.
Sie bringen so viele weiße Leinenstückchen zusammen, daß das Stroh, auf dem die drei kleinen Kinderleichen liegen sollen, völlig damit bedeckt wird.
Dann werden die kleinen, falten Gliedmaßen zurechtgelegt. Und auf Annas Augen, die nicht recht schließen wollen, werden zwei Pfennigstücke angebracht.
Zum Schluß wird das durchlöcherte Tuch über alle gebreitet.
Und das alles verrichten sie schweigend.
Der Sodgeruch will noch immer nicht aus dem Zimmer weichen. Und es kommt noch ein anderer Geruch hinzu, der ganz entsetzlich ist. Alltäglich nämlich, wenn der Verband an Jens' Hand erneuert wird, verbreitet der Eiter der Brandwunde einen geradezu fürchterlichen Gestank.
Sophie geht mit schleppenden Schritten umher, ungewaschen; die Lumpen schlottern um ihren Körper und das Haar sitzt in einem Filz, als hätte sie keine Lust es zu kämmen. Sie trägt einen Gegenstand von einer Stelle zur andern, und nach einiger Zeit trägt sie ihn wieder zurück.
Oder sie ist und betastet einen Strumpf, der einem der Kinder gehört hat. Stundenlang tann sie so dasigen, und dabei jammert sie leise vor sich hin.
Es sieht aus, als hätte sie die Herrschaft über ihren Körper verloren. Als wäre sie willenlos. Ihre Lippen sind schlaff geöffnet, ihre Lider sind schwer, und der Kopf hängt, als wären die Halsmuskeln welf und vertrocknet.
Von Zeit zu Zeit greift sie sich an den Kopf, als schmerzten sie die Schläfen, und dann gähnt sie, wie jemand, der viel geweint hat.
So verstreicht ihr der Tag.
Per geht so eigentümlich umher. Seine Gemütlichkeif ist dahin. Die fixen und derben Redensarten erstarben ihm auf der Zunge. Er spricht überhaupt nicht. Der verwegene Zug, der über seiner Gestalt lag, ist wie weggeblasen. Und er sieht auch nicht gleichgültig aus, wie es eine Zeitlang der Fall war.
Er ist still.