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Die Fleischertraktindustrie, die auch noch andere Gesellschaften aufnahmen, zählt mit zu den ertragreichsten und wichtigsten aller Nahrungsmittelindustrien.
Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu tun." Diefe überlegten: wenn es gelänge, den Fleischertraft in eine noch handlichere Form zu bringen, als sie der kleinste Topf bietet, etwa in die Form einer Bille, gerade groß genug, um aus einer solchen einen Teller Suppe herstellen zu können? Kaufmännisch und hauswirtschaftlich gedacht, müßte ein solcher Kleinverschleiß den Absatz steigern, die Verwendung erleichtern.
Dem Italiener Julius Quaglio glückte der Gedanke; er schuf, etwa um das Jahr 1888, den Vorläufer des Suppenwürfels, die Bouillonkapsel.
Quaglios Idee war nichts anderes als die Uebertragung eines im Arzneimittelwesen verwendeten Gedankens, sie stand auf den Echultern des Engländers James Murdoch. Dieser hatte im Mai 1848 ein Patent auf die Erfindung genommen, Arzneimittel in festem, flüssigem oder gepulvertem Zustande gegen Einwirkung von Luft geschützt, in einer aus Gelatine gefertigten Kapsel auf bewahren zu können. Die Erfindung des Engländers ermöglichte ein leichteres Einnehmen unangenehm schmeckender Arzneimittel in Form der nun allbekannten Gelatinetapjel.
Die mit Fleischertraft gefüllte Kapsel hat die Hoffnungen, die ihr Erfinder auf sie sekte, nicht erfüllt; sie ermöglichte wohl eine portionsweise Verwendung des Fleischertraktes. Die aus bester Speisegallerte hergestellte Gelatinetapfel löfte sich leicht in heißem Wasser und ergab eine gewisse Didflüssigkeit, eine Sämigkeit der so hergestellten Suppe. Aber auch ihr fehlte immer noch der einer Fleischbrühe eigentümliche Wohlgefchmad. Waren es wirklich die Geruchsstoffe der Suppenfräuter, die aromatischen Bestandteile des Wurzelwerkes, die fehlten?
Von der Parfümfabrikation hatte man mittlerweile gelernt, den wohlriechenden Pflanzen ihre Duftstoffe zu entziehen. Die Fabrikanten der Gemüse- und Gewürzertrakte wandten das dort übliche Verfahren auf ihr Material an, sie betteten Wurzeln, Ninden und Früchte von Wohlgeschmad in lösenden Alkohol; man war einen fleinen Schritt näher am Ziel.
Die Chemie ist die Wissenschaft der unbegrenzten Möglichkeiten; sie kann alles, man muß ihr nur Zeit laffen. Fast schien diese Zeit gekommen, als eines Tages die Welt durch die absonderlich klingende Mitteilung überrascht wurde, man könne Bierhefe in Bratensauce verwandeln! Ganz Eingeweihte wußten sogar noch Genaueres zu sagen: die Sauce sei echte und rechte Schweinebratensauce. Sanguiniter prophezeiten die nabe, wenn auch unvollständige Erfüllung des Traumes vom Schlaraffenland.
Als Kern der aufsehenerregenden Nachricht erwies sich die Beobachtung, daß in den Zellen der Bierhefe Eiweißstoffe enthalten seien, die dem Geschmack nach große Aehnlichkeit mit jenen Eiweißstoffen befizen, die im Fleischsafte vorhanden sind und die beim Eindampfen ihrer Lösung einen an Fleischertrakt erinnernden Geruch befißen. Leider also keine Bratensauce, aber vielleicht doch so etwas Aehnliches wie Fleischbrühe?
Kleines Feuilleton.
Erziehung und Unterricht.
Eine Volksschule für furafitige Kinder besteht feit etwa drei Jahren in Straßburg . Ueber die bisherigen Erfahrungen an dieser städtischen Anstalt hat ein Mitarbeiter der Münchener medizinischen Wochenschrift einen beachtenswerten Bericht veröffentlicht. Es lassen sich gewiß manche Bedenken gegen die Absonderung von Kindern aus dem gewöhnlichen Unterricht erheben, und in jedem einzelnen Fall muß eine besondere Prüfung vorgenommen werden. Vor allem läßt sich nicht ohne weiteres fagen, daß für andere und geringfügigere Gebrechen dasselbe gilt wie etwa bon der Einrichtung Einrichtung eigener Schulen für im allgemeinen schwächliche oder schwachsinnige Kinder, die sich überall bewährt haben. Die städtische Volksschule für schwachsichtige Kinder in Straßburg nimmt überhaupt nicht Kinder mit gewöhnlicher Kurzfichtigkeit auf, sondern nur solche, bei denen die Sehkraft durch Augenkrankheiten oder Mißbildungen schwer beeinträchtigt ist. Die Beschränkung, die man bei der Aufnahme beobachtet, geht schon daraus hervor, daß unter den 21 000 Voltsschulkindern in Straßburg nur zwanzig für diese Sonderklasse ausgeschieden worden find. Die Veranstaltung wird also eine Art von Bei der geringen Zahl der Schüler ist eine Einteilung in Klaffen Mittelglied zwischen Volksschule und Blindenanstalt bilden. richtet, obgleich ihr Altersunterschied zwischen dem 6. und 14. Jahr nicht angängig, und es werden daher alle Schüler gemeinsam unterliegt. Der Lehrer hat dabei die Aufgabe zu erfüllen, sich mehr an möglichst weitgehender Verzicht auf das Schreiben bedingt wird. bas Ohr als an das Auge zu wenden, wodurch insbesondere ein Soweit sich dies nicht vermeiden läßt, sind besondere Schreibhefte mit deutlicheren Linien und größeren Zwischenräumen eingeführt worden. Auch die Anstrengung beim Lesen wird verringert, indem der Inhalt vorher durchgesprochen wird. Zum Zeichnen dient Kohle auf weißem Papier. Am einfachsten ist der Rechenunterricht, wöhnen. Außerdem wird noch Wert darauf gelegt, das förperliche da sich normal begabte Kinder unschiver an das Kopfrechnen geWohlergehen ber Kinder dadurch zu fördern, daß ein naturgeschichtlicher Unterricht im Freien betrieben wird. Die Erfolge find insgesamt zufriedenstellend. In Deutschland befindet sich außerdem nur noch eine derartige Schule in Mülhausen .
Aus dem Tierleben.
Steinbodhege in den Alpen. Das Aussterben der Tierwelt der Alpen erfüllt den, Naturfreund, der in den Bergen der Schweiz Erholung sucht, immer wieder mit melancholischen Betrach tungen; die Gemsen sind nahezu völlig ausgerottet, faum anders ergeht es den wilden Bergziegen, den Berghirschen und den Murmeltieren. Der legte Steinbod in Graubünden wurde schon 1811 von einem Wilddiebe abgeschossen, und als 1860 eine Herde im Massiv des Monte Rosa gesichtet wurde, dauerte es nur wenige Monate, bis das letzte Tier auf der Schweizer Seite erlegt war. Allein die Behörden scheinen jegt entschloffen, frühere Bersäumnisse an WildEine geraume Zeit haben die aus Bierhefe gewonnenen Erschutz wieder gut zu machen: sie wollen der Alpenwelt ihre Tiere trakte , die man, nicht ohne durchsichtigen Hintergedanken, obwohl wiedergeben, Den Anfang macht der Steinbod. Jm April 1913 gab es einfach Hefeerzeugnisse waren, als Pflanzenfleischertrakte be- es in der ganzen Schweiz nur einen einzigen Steinbock; zivei zeichnete, sich auf dem Lebensmittelmarkt behauptet; sie verschwan- Monate später aber sah man eine fleine Herde von fünf ben aber, weil sie das nicht halten fonnten, was sie versprachen. Steinböcken an steilen Hängen einhertlettern. Was war ge= Sie schmedten zwar ähnlich wie Fleischertraft, aber es fehlte ihnen die den Appetit anregende Wirkung.
fchehen? Die Kommission für ländliche Parks, die sich um den Naturschutz in der Schweiz bemüht, hat am 9. Mai 1913 Inzwischen brodelten in den Universitätslaboratorien zu Berlin ihren ersten Versuch mit der Ausjegung von Steinböden gemacht. und Halle in dickbäuchigen Glaskolben braune und goldgelbe Flüssig- Schon vor einigen Jahren begann man in einem Bart von feiten; Wafferbäder dampften, Bunfenbrenner zischten, Berbren- St. Gallen mit einem fleinen Trupp in Italien getaufter Steinböde nungsöfen glühten. Am Bau des Eiweißmoleküles wurde mächtig Buchtversuche. Als im vergangenen Frühjahr die Zahl der gehegten von zielbewußten Händen gerüttelt. Eine Festung, die die Che- Tiere 19 erreichte, ließ man 5 von ihnen-3 Weibchen und 2 Böcke mifer seit Jahren belagert hatten, sollte gestürmt werden. Wohl in großen Holzlisten zu den Höhen der Grauen Hörner bei Ragazz war schon manche Bresche in die Mauern, hinter denen das Eiweiß- hinaufschaffen und feite hier die Tiere in Freiheit. Einen der Böcke, moletül sein innerstes Wesen verborgen hatte, geschossen worden; so berichtet Boutibonne in der" Nature", mußte man freilich einige aber eine völlige Erschließung, eine solche bis zum innersten Kern, fehlte.
In jenen Tagen wurde der Suppenwürfel geboren. Vielleicht wehrt sich der Führer der belagernden Truppen, Emil b. Fischer, gegen die Annahme der Vaterschaft, aber er war es, der bei der wissenschaftlichen Aufteilung des Eiweißmoleküls in seine einfachsten Bausteine auf eine Körpergruppe hinwies die Chemifer geben ihr die Bezeichnung Aminosäuren, die deutlich nach richtiger Fleischbrühe duftete.
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Wochen später nach St. Gallen zurückschaffen, weil der Steinbock an scheinend an der wiedererlangten Freiheit feinen Geschmad fand und immer wieder menschliche Gesellschaft aufsuchte. Man ersetzte ihn durch ein weniger zahmes Exemplar. Der Versuch ist anscheinend vortrefflich gelungen, und heute sieht man die fleine Herde um zwei bereits in der Freiheit geborene Bödlein bereichert an den Hängen und zwischen den Felsen sich tummeln. Der günstige Erfolg dieses ersten Versuches hat in der ganzen Schweiz lebhaftes Interesse erweckt und eine Reihe von Kantonen haben sich jezt an Die hellhörige Nährmittelindustrie verwendete die wissenschaft- die Kommission der ländlichen Parks mit der Bitte gewandt, sie bei liche Entdeckung rasch für ihre Zwecke. Eiweiß ist ein Stoff, der der Wiederbevölkerung der Alpenhöhen zu unterſtüßen. Graubünden leicht und billig zu haben ist. Die Buttermolkerei liefert den Käse- hat zur Aussetzung und Hege von Steinböden eine ansehnliche stoff, das Kajein, willig, Pflanzeneiweiß verschiedenster Herkunft Summe bereitgestellt und auch das Berner Oberland wird am ist leicht zu haben, die Aufspaltung bis zu den bouillonduftenden Hardermassiv Steinböcke aussehen. Die Tiere müssen teuer anAminosäuren macht technisch feine Schwierigkeiten. Vermengt man gekauft werden, der Preis beträgt durchschnittlich 1200 m. für jedes diese Bausteine des Eiweißes mit Fleischertraft, fügt nach Belieben einzelne Eremplar. Die größte Schwierigkeit ist die Unmöglichkeit, einmal den Saft der Tomaten, den des Champignons oder anderer die in Freiheit gefekten Steinböde in den ihnen zugewiesenen gePilze, den der Sellerie usw. hinzu, saizt ein wenig und preßt das die Nachbargebiete und sind hier der Gefahr ausgesetzt, durch skrupelschützten Gebieten zu erhalten, die Tiere wandern natürlich auch in Ganze in die Form des Würfels, dann entsteht in silverpapierner lose Jäger und Wilddiebe abgeschossen zu werden. Rüstung der Retter aus der sich täglich in tausend Haushaltungen immer wiederholenden, quälenden Frage: Welche Suppe focjen wir heute?
Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.
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