Im Sturm.
Nach dem Finnischen von W. P.
I.
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„ Reines", oder richtiger:„ unvermischtes" Brot war hoch oben im nördlichen Karelien - zwischen dem südöstlichen Kainu und Nußland- selbst auf dem Tisch der Reichen eine Seltenheit.") In Kuochatti besonders hätte es vor noch gar nicht langer Zeit als eine wahre Sünde gegolten, wenn jemand sich erlaubt hätte, das ganze Jahr hindurch reines Brot zu essen. Nun, das tat ja allerdings auch niemand, am wenigsten Nileise Perttu und seine Familie.
Dieser Perttu hatte in seinen jungen Jahren die Dummheit be gangen, sich am unfruchtbarsten Teil des Sammal- Lampis( Sees) hart am Rande der Wüste, anzusiedeln. Dort rang er nun mit Sumpf und Sand um das Brot für sich und sein Weib und brachte alljährlich pünktlich einen neuen Sprößling zur Taufe. So umgab ihn denn bald eine zahlreiche Kinderschar, und die Anni, fein Beib, flagte ja auch oft, Gottes reicher Segen drücke sie ganz nieder"; das Brot allerdings, das blieb in gleicher Fülle aus, obwohl der Probst nie milde ward, zit versichern, die Ansiedelung Sammal- Lampi werde sich mit der Zeit dank des zahlreichen Nachwuchses von Arbeitsfräften zu einer wahren Idealkolonie entwickeln. Zumeist fügte er dann noch hinzu:„ Der Herr, der die Kinder gibt, der wird auch für sie forgen."
Bis auf weiteres mußte Anni ja allerdings noch selbst für sich forgen und sich täglich den Kopf zerbrechen, um auch nur das Notwendigste herbeizuschaffen. Inzwischen machte Berttu draußen das Land urbar; sein Leben war ein ständiger hartnäckiger Kampf mit fumpfigen Aeckern, Moräften und den Tieren des Waldes.... Da die Not trop allem und allem jedoch nicht weichen wollte, beschloß Perttu eines Tages die Grenze des Waldes vor seiner Hütte ein wenig hinauszuschieben, um auf diese Weise neues Ackerland zu getvinnen. Mitten in der Arbeit überraschte ihn der Waldbiter, jedoch der fragte und facelte nicht lange: im Handumdrehen hatte Perttu für einige Zeit freie Stoft und Logis im Gefängnis zu Kuopio . Während er dort bei Waffer und Brot die Strafe verbüßte, wurde es wieder Sommer.
Die Sonne schien hell und lustig, als Perttu das fleine Kuopio hinter sich ließ. Dann und wann gluckite ein Stuckuck auf den Abhängen des Zeppiwaara und hier und da schrien die Droffeln, als er sich gegen Abend der Heimat näherte.
Ein heißes Frendegefühl überfam ihn, als er in der Ferne die blaue Fläche des Sammal- Lampi erblickte und hoch an dessen Ufern sein wogendes Roggenmeer...
Dann aber dachte er an sein furzgeschorenes Haar, an diefen Schandstempel, den sie ihm in der Stadt für all und jeden fichtbar aufgedrückt, und dieser Gedante quälte ihn sehr.
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Wie soll ich mich nur so den Menschen zeigen, ja selbst Anni und den Kindern?!..."
Er gab sich Mühe, diesen Gedanken zu verscheuchen, aber seine Schritte wurden doch immer unschlüssiger und langsamer, je näher er dem Hause fam.
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Wenn doch wenigstens Anni nicht daheim wäre! Und richtig sie ist nicht da: sie ist mit Silti draußen und wirft die Neze aus, nicht mal das Boot ist zu sehen; auf dem Hofe aber herrscht ein wahrer Heidenlärm.
Beritu lauscht.
Das ist das dinne Stimmchen des fleinen Antti und das ist Thomas der weint, ja, Thomas weint, obgleich er doch um fast drei Jahre älter ist.
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Er wäre ja gern auf die Kinder zugegangen, gewiß, aber nein, das konnte er nicht, das konnte er nun doch nicht die eigenen Kinder so mit dem kahlen Schädel erschrecken... leberdies fühlte er plöglich eine tiefe Mattigkeit, so daß er sich unter die Birke am Wege setzen mußte, um zu ruhen und die furze Pfeife zu stopfen. Während er da saß, ging ibm so mancherlei durch den Kopf. vor allem, ob es nicht doch besser sei, das Land hier fallen zu lassen und in die Stadt zu ziehen; in der Stadt, hieß es, da lebte ein tüchtiger Arbeiter so schlecht nicht, jedenfalls brauchte er da nicht zu Hungern... Andererseits aber war es doch so leicht nicht, sich von dem Land zu trennen, von diesem Land, mit dem er sein Leben hingebracht und dem er sich doch so verwandt fühlte im Grunde jeines Herzens.
Ueber diese Erwägungen verstrich der Abend. Erst in tiefer Nacht stahl sich Perttu wie ein Dieb ins Hans; am nächsten Morgen aber gab sich Anni den Anschein, als gewahre sie die Veränderung an ihm nicht. Ach, sie hatte sie gesehen, gewiß, fie mußte sogar den Kindern etwas gesagt haben; ja, sie hatte ihnen sicherlich verboten, irgendwelche Fragen an ihn zu stellen, denn sie sagten fein Sterbenswörtchen und sahen nur schen zu ihm auf.
II.
Als der Herbst fam, waren die Haare schon wieder soweit gewachsen, daß man sie richtig kämmen fonute; draußen auf dem Ader stand nun auch schon der Roggen schnittreif.
Perttu sah dem Winter diesmal getrost entgegen. Aber es fam alles anders, als er gedacht hatte, denn war noch lange vor Beginn des Winters die Lage verzweifelt, so wurde sie, je weiter der Winter
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Im hohen Norden, wo das Korn sehr teuer ist, wird das Mehl mit gemahlener Birkenrinde vermischt.
fortschritt, schlimmer und schlimmer! Nach Neujahr kam auch noch der Nachbar mit der Mitteilung, die Armenkasse stelle die Unter stigung ein, feinen Heller gebe es von nun an mehr. Gestern erst habe der Armenborsteher vor der Kirche gesprochen: Der Staat, habe er gesagt, fönne fein Geld nicht weiterhin einfach zum Fenster hinauswerfen; der Boden in Kuochatti sei schließlich nicht schlechter als anderswo, und die Ansiedler von Kuochatti fönnten arbeiten, wie andere auch.
Bertius Familie, an alle möglichen Schicksalsschläge gewöhnt, überwand auch diesen, ja es dauerte nicht einmal sonderlich lange, da waren schon fast alle wieder auf den Beinen. Die, deren Kleider noch einigermaßen standhielten, durchstreiften die umliegenden Dörfer, bettelten und haufierten mit selbstgefertigten Schnißereien, die anderen die Mehrzahl saßen hungernd und frierend
daheim.
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Um diese Zeit langten die Zwillinge an.
Perttu feufzte still und fuhr sie selbst in des Nachbars Wagen zur Taufe. Als er heimkehrte, erwartete ihn der Dorffrämer, der hatte eine Forderung an ihn und konnte num, wie er sagte, beim besten Willen nicht umhin, die Hütte zu versteigern. Ach. er stand ja selbst vor dem Bankrott. Perttu bettelte und bat, aber es half alles nichts, der Krämer brauchte Geld zum Ersten hatte er einen Wechsel einzulösen, der raubte ihm seit Wochen den Schlaf, und von allen Seiten mahnte und bedrängte man ihn, ja, da blieb ihm eben nichts übrig, als selbst hart zu sein.
und so hatte denn Perttu nur noch acht Kinder, als er von Knochatii Das Jüngste der Zwillinge starb noch vor der Versteigerung, auszog. Wohin er nun sollte, wußte er eigentlich selbst nicht; er meinte ja allerdings, das beste sei in die Stadt, aber da traf er beim Dorf Markkula eine Wanderichar, die auf der Suche nach Brot und Arbeit gen Rußland zog, und da sie noch immerhin einigen Proviant hatten und ihn aufforderten mitzuziehen, bedachte er sich nicht lange und schloß sich ihnen an.
III.
Es war ein stiller flarer Morgen, als die Schar im Gänsemarsch, einer hinter dem andern, aus Markkula über die Ebene der aufgehenden Sonne entgegenzog. Scharen gottiger verhungerter Hunde gaben ihr das Geleit, trotteten mit bis weit in die Ebene hinaus, machten zögernd Halt, reckten die Schnauzen gen Himmel und heulten ihr nach.
Die Wälder lagen feierlich schimmernd im Strahlenglanze des Reifes; hin und wieder tönte ein Strachen und klirren... ein Glucksen, da barst irgendwo das Eis oder ein bärtiger Zapfen stürzte iäh aus der Höbe herab. Die Schar pilgerte still hinter der Jammermähre her, die schnaufend den Schlitten mit den fleinsten Kindern und den Schwächlichsten zog; dies Schnaufen, das Knirschen der Kufen und dann und wann das klirren und Schluchzen waren die einzigen
Laute in der Stille.
Das Wetter war Ilar.
Ganz plötzlich aber jagt ein Wind daher. Schneefloden tanzen in wenigen Sefunden schwinden die Höhenzüge in der Ferne- die Tümpel die blauen Striche der Wälder, ein weißer wehender Mantel hüllt im Nu die Ebene ein. Der Wind erstarkt, er bricht sich laut pfeifend Bahn, schlägt blindlings um sich mit den eisigen Fittichen und peitscht ein wildes weißes Gestöber vor sich her.
Die Schar schreitet schneller aus. Schwere Wolfen hasten über den Himmel, ein Heulen und Zischen sett ein, spizzige Nadeln prallen ins Gesicht, blenden die Augen... der Wind wächst zum Sturm und hüllt Menschen und Wälder, Himmel und Ebene in weiße Wirbel ein.
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Da ein Stück Brot, Antti, damit du weiter fannst," ruft Thomas feinem Bruder zu, der feuchend neben ihm geht. Vorwärts, um Gotteswillen, verwärts!" schreit MachaisBaawo, der Führer.„ Es ist knapp eine Viertelmeile bis Tolffila!" Eine Frau neben ihm bricht zusammen und hebt freischend an, Bialmen zu fingen. Er richtet sie auf und sucht sie durch Zureden zu ermutigen. Schweigend führt Perttu sein Weib, das sich nur mit größter Anstrengung hält; den einen Arm bat er um ihren Leib gelegt, im andern trägt er das zweitjüngste Kind.
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er
Bisweilen strauchelt einer in der Reihe, wantt und bricht zu sammen. Die Mähre versinkt bis an die Brust im Schnee aber wer wollte jetzt an ein Pferd denken? Die Luft ist so angefüllt mit Schnee, daß niemand den anderen erkennen kann. Hier und da fällt das Auge auf einen am Wege hingefanerten Störver, aber die Gefahr ist am höchsten: helfe ein jeder sich selbst. Das kreischende Weib läßt die Hand Paawos fahren und sinkt in den Schnee, merft es nicht. Vorwärts", murmelt er unaufhörlich, vorwärts... Wir sind verloren..." Die Mehrzahl folgt noch. Thomas und Antti haben ein Weilchen geruht und irren nun weiter ohne eine Spur von den andern zu sehen. Einmal nur dicht am Wege- eine halbver schneite Frau Antti," schreit Thomas, Antti... das war doch nicht die Mutter...?" Antti aber zerrt ihn schweigend weiter.
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Da drüben sitzt Michais- Paawo mit weitaufgerissenen Augen, aber sie erscheinen Antti, als er an ihm vorbeistampst, seltsam leblos und starr. Der Brotkanten in seiner Faust muß schon sehr