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Die Kleinbürger aus der Borstadt gaben, als sie die Polizei erblidten, fogleich den Weg frei und schwiegen erwartungsvoll. Der Revierauffeher, ein hageres Männchen mit einem Geficht und spiß­gedrehtem roten Schnurrbart, ging gerade auf uns au und fuhr uns mit zischender Stimme an:

Da seid Ihr ja, Ihr Satansterle!..."

Ossip warf sich mit dem Rücken auf den Boden und begann fo­gleich eilfertig:

ch, bu lieber Gott  !" fenfate Offis und ftrich leise über| Pioniere der Wirklichkeit, die Entdeder, die Beobachter, die Jäger; dort die Träumenden, die Phantasten, die Sehnsüchtigen, die nach fein Rute. dem fernen Griechenland   ausschauen und durch das Ideal die rohe Tatsächlichfeit überwinden möchten. Solche Scheidung hat viel­leicht etwas Mechanisches; sie ist aber doch mehr als ein Hilfe­mittel, Ordnung zu schaffen. So tat Justi gang recht daran, sie möglichst deutlich werden zu lassen; er gab den Wirklichkeitsmalern einen neutralen, teegelben Hintergrund, der dem Farbencharakter der einzelnen Bilder( so zum Beispiel der Trübners) nicht immer günstig ist, der aber doch die Sachlichkeit, die Erdennähe und die nüchterne Gesundheit dieser Kunst unterstreicht, während der rote Hintergrund, den Jufti den Romantikern bestimmte, mit nicht ge­ringerer Energie das Temperament und das Pathos dieser Jen­seitigen hervorhebt. Von solcher Methodik der Wandfärbung wurde nur Menzel ausgelassen; die fünf Kabinette, in denen die kostbare Sammlung, die die Nationalgalerie von diesem Meister besitzt, untergebracht ist, zeigen eine grüne Wandbespannung und reichen ( wie wir schon neulich sagten), überreichen Goldschmuck. Solche Sonderstellung soll anzeigen, daß Menzel innerhalb der deutschen Kunst( wie die Nationalgalerie fie begreift) eine ausgesuchte Bes deutung hat.

" Ich bin der Schuldige, Euer Wohlgeboren, ich habe die Sache eingerührt! Berzeihen mir Euer Wohlgeboren, um des heiligen Festes willen

,, Wie konntest Du Dich erfrechen, Hundesohn..." schrie der Revierauffeher ihn an, seine Schimpfworte verhallten jedoch in dem Redestrom, der rasch über Offips Lippen fam:

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Wir haben doch unser Quartier in der Stadt," versetzte er freundlich und einschmeichelnd, dort am anderen Ilfer aber haben wir nichts zu suchen, haben fein Geld, um uns Brot zu kaufen, und übermorgen ist doch, wie Euer Wohlgeboren bekannt ist, der große Tag unseres Herrn. Ins Bad mußten wir doch gehen, und auch in die Kirche zieht's uns zum Gottesdienst, da wir doch Christen sind... Nun, und da sagte ich:" Vorwärts, Kinder, Gott  mit uns, nichts Böses ist's, was wir vorhaben!... Und für meine Nedheit bin ich auch gestraft worden, das Beinchen hier hab ich mir ganz und gar gebrochen

So!" schrie der Revierauffeher streng. Und wenn ihr nun er­trunken wäret- was wäre dann gewesen?"

Disip schöpfte tief, wie mit Anstrengung, Atem und sagte: " Was dann gewesen wäre, Euer Wohlgeboren? Nichts wäre ge­wesen. glaub' ich, mit werter Erlaubnis

Der Polizeibeamte begann laut zu fluchen, und die umstehenden hörten ihm mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit zu, als ob er nicht die schmutzigsten und widerlichsten Worte gebrauchte, sondern etwas sehr Wichtiges fagte, das zu wiffen und zu begreifen alle für notwendig hielten. Dann schrieb er unfere Namen auf und entfernte sich. Wir aber machten uns, durch einen Schluck Branntwein erwärmt und aufgemuntert, nach unferem Quartier auf den Weg. Offip sah lächelnd der abmarschierenden Polizei nach, sprang dann plöglich behend vom Boden auf und bekreuzte sich andächtig.

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Gott   sei Dant," rief er, nun ist alles vorbei!"

" Wie denn?" näfelte Nojew höchst erstaunt und, wie es schien, enttäuscht," Dein Bein scheint ja ganz heil zu sen? Du hast Dir's wohl gar nicht gebrochen?"

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Wär's Dir vielleicht lieber, daß ich's gebrochen hätte?". ,, Ach, dieser Komödiant! Nein, Du alter Schalt

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Vorwärts nun, Kinder!" kommandierte Ossip, seine naffe Müge

lief über den Kopf ziehend.

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Ich ging hinter den anderen neben ihm her; er hinkte noch ein wenig. Mit leifer, freundlicher Stimme fagte er zu mir: Was Du auch treibst, und wie Du Dich auch drebst ohne List und Betrug fommst Du nicht durch die Welt! So ist nun mal das Leben, mein lieber Makar so ist es, hol's der Henker!.. Du willst bergauf, und immer wieder pact's Dich am Bein und zicht Dich herunter

Er sprach das in einem Tone, als ob er mir ein nur ihm allein bekanntes Geheimnis mitteilte.

Dunkel war es ringsum, da und dort aber flammten rote und gelbe Lichter auf, die uns zuzurufen schienen: Kommt hier­her! Wir schreiten bergan, dem Geläut entgegen; Bäche rinnen unter unferen Füßen murmelnd dahin, und Dssips freundliche Stimme ist in ihrem Rauschen kaum zu vernehmen..

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" Hab' ich die Herren von der Polizei nicht ganz geschickt an­geführt? So muß man's machen, Makar daß man keinen Schaden leide und auch den andern bei seinem Glauben laffe, er fei die Hauptperson, und von ihm allein hänge alles ab!..

Jch stüße seinen Arm und höre mir seine Reden an, ohne sie recht zu verstehen.

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Ich will sie auch gar nicht verstehen und unterbreche ihn nicht: mir ist so leicht und froh ums Herz und das ist mir genug. Ich weiß nicht, ob ich an Disip Gefallen finde oder nicht das aber weiß ich, daß ich bereit bin, mit ihm zusammen überall hinzugehen, sei es auch zurück über den Fluß, auf dem treibenden Eise, das meinen Füßen entgleitet...

Die Gloden läuten und fingen, und in freudiger Aufwallung denke ich:

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Wie oft werde ich wohl noch den Frühling erleben? Ossip aber, der an meiner Seite hinschreitet, sagt plöglich mit einem Seufzer:

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Weißt Du auch, daß die Seele des Menschen Flügel hat und im Traume umberfliegt?. Die Seele des Menschen soll Flügel haben? Sonderbare Borstellung....

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Die neugeordnete Nationalgalerie.

Die Realisten und die Romantifer. Die Neuordnung der Nationalgalerie geschah nach dem Schema, das wir gewohnter Weise dem deutschen Geiste auferlegen: hier die

Wir beginnen unsere Wanderung und wenden uns aus dem schmalen, breitgestreckten Vorraum des Untergeschosses nach rechts. Der erste Saal, den wir betreten, faßt die jüngsten Nachfolger der großen Realisten. Die Auswahl ist nicht immer gang glücklich; es fehlen Künstler, die notwendig da sein müßten, andere könnten getrost fortgeblieben sein. So etwa Loofchen, Dettmann, Engel und selbst Kallmorgen, obgleich gerade Kallmorgens Hamburger Hafenbild mit seiner grauen Nebelstimmung viel Ueberzeugendes hat; man spürt den Rußtreis, das Geschrei und Gestöhn solch eines industrialisierten Wasserbeckens. Sehr beachtenswert ist ein ganz kleines Bildnis, das Bankok   gemalt hat; die trockene, herbe Manier erinnert an Holbein. Dagegen ist Hugo Vogels Mutter und Kind" leicht zit entbehren; die Tintigkeit dieser Farben wirft unbehaglich. Kampfs Roter Junge" überrascht stets; man möchte von einem impressionistisch beflügelten Velasquez   sprechen, besinnt sich freilich rasch und lobt nur die geschmackvolle Anständigkeit dieser zivilen Kunst. Durchaus typisch ist das Bild, das hier von Gotthard Mühl hängt, eine Szene aus dem Lübecker   Altmännerhaus; das Gelb ist echt". Nicht recht hierher gehörig scheint die Renaissancemaskerade des Friedrich Stahl zu sein, die Püppchen, die er da grünspanig und fupfrig im Kostüm der Beatrice aufgaukeln läßt, find mehr eine verblaßte Romantit als eine Wirklichkeit. Sehr fultiviert ist die Malerei einer Landschaft von Clarenbach; das milde Grün schwingt in zarten Melodien.

treffen: die Gänserupferin", eins seiner frühesten Bilder, die Der zweite Saal wird von Liebermann   beherrscht. Wir Flachsspinnerinnen", die revolutionäre Schusterwerkstatt" und eine Landschaft aus der letzten Zeit. Man kann deutlich sehen, wie dieser Maler sich bewußt und konsequent aus einem schivarzen Ge­samtkolorit erlöste, um der farbigen Wirklichkeit immer näher zu kommen, wie er zugleich sich von allem gestellten Arrangement bea freite, um die Vielfältigkeit des Lebens in einem gewählten und notwendigen Augenblick zu erfassen. Schon die Schusteriverkstatt" ist eine Ueberraschung; in der Helligkeit des Raumes rieselt das Licht über die Figuren, den Arbeitstisch, die Werkzeuge, selbst über die Abfälle, die den Fußboden decken. Es ist, als wäre in dieser verstaubten Werklammer ein neuer Morgen der uralten deutschen Lichtsehnsucht erwacht; vor solch einem Bild begreift man die Re­Tativität des Schemas, das die Romantiker nur abseits der Realisten fennen möchte. Und erst recht: die Landschaft aus der letzten Zeit, fie ist erfüllt von einer Heftigkeit der Empfindung, der das Quellen der grünen Säfte, das Wehen   der Lüfte, das Pulsen des Lebens wohl vertraut ist. In solcher Realistik regt sich ein so gespanntes Empfinden und eine so ungewöhnliche Leidenschaft, daß jeder leber­sinnliche darob neidisch werden könnte. Zu Liebermann   gehört hde; mit Recht hängt hier eins der liebenswürdigsten, filbrig durchhauchten Bilder dieses menschlichen Malers. Den Dill mit feiner Verschwommenheit würden wir gern missen; Skarbina  , der eigentlich nie wesentlich mehr war als ein geschickter Illustrator, vermag sich mit seiner flachen, zerstäubenden Mondscheinstimmung gegen die mannhafte Weltanschauung Liebermanns nicht zu be­Haupten. Während Schönleber, der süddeutsche Landschafter, uns etwa so viel zu sagen hat wie ein Gedicht von Uhland, und das ist immerhin etwas. Auch Zügel, dessen feinspüriges Auge die Tiere auf der Weide beobachtete, gibt uns mit den Schafen im Grien­hain" ein Erlebnis, das man, ohne titschig zu werden, als eine Eine große Leinwand von sommerliche Erquidung lieben darf. Hagemeister, dem eigenbrödelnden Leiblfreund, der, lange ver­gessen, plößlich in Werder   bei Berlin   wieder entdeckt wurde, beweist, wie bedeutsam der Einfluß Courbets, des Vaters des französischen  Impressionismus, auf die deutsche Malerei gewesen ist.

Jm dritten Saal versammeln sich Thoma, der sein Herz an die deutsche Landschaft verlor, Haider, der mit minutiöser Hartnädigkeit die Blättchen der Bäume, die Poren der Felsen und die Bläschen der Luft in spizer Pinselei zu zählen suchte; Viktor Müller, der ( auch wieder eine romantische Infektion) die Landschaft, die er frei= lich hingebend belauschte, mit allerlei Märchengesindel bevölkerte. Charles Schuch, auch einer des. Veibl- Kreises, ist mit guten Bildern vertreten; wir haben ein sinnliches Vergnügen an der Virtuosität, mit der dieser Melancholiker die Welt in malerische Fläche auf­