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Es sah aus, als wollten fie hier vorbeikommen. Er stand auf und ging hinein; es lag ihm nichts daran, mit ihnen zu reden.

Aber drinnen feste er sich ans Fenster und blidte hinaus, um nach ihnen zu sehen, im Grunde voller Sehnsucht; er folgte ihnen direkt gespannten Auges.

Die Moorleute schlugen den Pfad zu seinem Hause ein. Sophie hatte es auch schon bemerkt. Aber du lieber Himmel, Ber, was wollen die Menschen hier?" " Ich weiß es nicht!" Er fuhr fort, hinauszustarren. Jett lag etwas Forschendes in seinem Blid. ,, Wollen sie etwas Böses, Per?"

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" Es ist schon besser, daß man nicht allzu Gutes erwartet. Aber laß sie nur herankommen, jeden einzelnen!" Per runzelt seine zusammengezogenen Augenbrauen.

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Sie sagten Guten Tag!" und Per antwortete ihnen. Dort standen sie nun innerhalb der Tür, und keiner fagte ein Wort weiter.

Ber stand stumm da. Sowohl Sophie als die Kinder standen in einer Reihe und gloßten beinahe die Fremden an. Es lag eine ungeheure Spannung in der Luft. Endlich bemerkte Jerit, daß sie davon gesprochen hätten, Per einen Besuch zu machen, um zu sehen, wie es ihm gehe. ( Forts. folgt.)

2]

Der letzte Zentaur.

Von Paul Heyse  .

Ich war eingetreten, und ein rascher Blick hatte mir gezeigt, daß ich unter lauter Bekannten war. Auf seinem gewöhnlichen Platz an der Wand mein alter Genelli, neben ihm, etwas magerer und blaffer und, wie es schien, in trübfeliger Laune, sein Dioskuren­zwilling, gegenüber die beiden schon Genannten, die auseinander­rüdten, um mir einen Platz in ihrer Mitte frei zu machen. Sie nidten mir alle zu, und Freund Roß murmelte etwas, das ich nicht verstand. Keiner aber bot mir die Hand, und auch sonst war ein Zug von Fremdheit, Ernst und Kummer in ihren Mienen, der mich nachdenklich machte. Vor einem jeden stand eine halbvolle Flasche und ein Glas mit rotem Wein, aus dem sie dann und wann in be­dächtiger Stille einen langen Zug tranfen. Dann glühten für einen Augenblick die bleichen Wangen und matten Augen, und es fuhr ein Zuden durch ihren Körper, als wollten sie eine Last ab­schütteln. Gleich darauf saßen sie wieder starr und stumm und senkten die Blide ins Glas.

Ich konnte, obwohl keine Gasflamme brannte, jede Miene in diesen vertrauten Gesichtern deutlich erkennen, denn der Mond schien mit blendender Klarheit durch ein Seitenfenster herein und er­Yeuchtete gerade unfern Tisch, während die Winkel des Gemachs dunkel blieben. Nun regte sich da hinten noch eine Gestalt und näherte sich mir, mich zu begrüßen. Ich erkannte den schwarzen, schon etwas mit Silber angesprengten Krauskopf unseres Wirts und wunderte mich über mich selbst, daß mich dieses Wiedersehen fast lebhafter erschütterte, als das der trefflichen Freunde.

Sie bemühen sich in Person, Herr Schimon, rief ich, als ich ihn Glas und Flasche vor mich hinstellen sah. Wahrhaftig, ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich noch einmal das Vergnügen haben würde Wieder brachte ich den Satz nicht zu Ende, denn ich sah plöblich alle Blide auf mich gerichtet, als fürchte man, daß ich etwas ungefchictes sagen möchte.

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Unser Herr Wirt darf doch nicht fehlen, wenn wir uns einmal wieder eine gute Stunde gönnen! fiel mir Genelli ins Wort. Setzen Sie sich zu uns, Herr Schimon. Ihr Wein will heute nicht recht wärmen. Und was haben Sie sich für eine sparsame Gas­beleuchtung angeschafft? Gleichviel! wo solche Leute beisammen fißen, fönnen sie ihr eigenes Licht leuchten lassen. Aber mit dem Rahl ist nichts anzufangen. Celesti dei!( Simmlische Götter!) wie fann man sich gewisse unvermeidliche Dinge dermaßen zu Herzen nehmen! Der Mensch lebt nicht von Fleisch allein, und der ganze pah! übrige Bettel

Er rümpfte, wie er es gern fat, wenn ihm wohl war von tropigem Selbstgefühl, die volle Unterlippe, und leerte sein Glas auf einen Bug. Niemand sprach ein Wort; der fleine Karl schlich mit einer vollen Flasdje heran und setzte sie vor den Meister hin. Ich sah jetzt, daß Genelli der einzige war, dessen Augen fein Hauch von Trübsinn und Müdigkeit verschleierte, und daß der mächtige Stopf auf dem Stiernaden noch so ungebeugt sich bewegte, wie je in seinen lebensfrohesten Tagen.

Nun sagen Sie, wandte er sich wieder zu mir, wie läuft die Welt? Was treiben Sie? Was macht das große Jerlicht? Nährt es sein windiges Flämmchen noch immer aus dem Sumpfboden der faulen Zeit und seiner eigenen Nichtsnußigfeit? Ich habe Ihnen einmal die Karikaturen gezeigt, die ich auf diesen großen impostor ( Schvindler) gemacht. habe; sie sind freilich noch nicht zeitgemäß, aber auch ihre Zeit wird kommen, wenn überhaupt noch ein Hahn nach

ihm fräht, sobald er das Zeitliche gesegnet hat. Bahl der wird sich wundern, wenn er an einen gewissen Fluß fommt und übergesetzt sein will und der alte Fährmann ihm erst den Paß revidiert. Aber vir wollen uns den Wein nicht verderben. Es lebe, wer's ehrlich meint.

Jeder erhob sein Glas, ich wollte mit Charles Roß   auklingen, merkte aber, daß es nicht angebracht war! Er trant stillschweigend, nickte mir schwermütig zu und setzte das Glas lautlos wieder hin. A proposito, wer's ehrlich meint!" fing Genelli wieder an, was mocht denn unser Kunstvogt, der Kritifus? Warum hoben Sie ihn heute nicht mitgebracht? Wiffen Sie, so recht fonnte ich eigent­lich nie ein Herz zu ihm fassen, aber ein ehrlicher Kerl ist er doch. Er streďte sich eben nach seiner Decke, die manchmal verdammt kurz war. Davon bekam er dann stelbst eine Ahnung, wenn ihm die Behen froren, und dann sah er sich nach etwas Besserem, Größerem und Breiterem um, und in solchen Stunden verstanden wir uns ganz gut. Hernach aber troch er wieder ins Enge zurück, da das nun einmal Mode ist in dieser bettelhaften, pauvren Zeit. Haben Sie ihn lange nicht gesehen?

Das letzte Mal, erwiederte ich, haben Sie uns wieder zu­sammengeführt. Ich traf ihn vor Ihrer Omphale( ein sagenhaftes Mannweib, in deffen Umgang Herakles   weibisch wurde) in der Schad­schen Gelerie. Er wußte nicht genug von den Bacchantenzug unten in der Predelle( Sockelteil zu loben. Solche Zentauren, sagt er, haben selbst die Alten nicht zustande gebracht, solch verwünscht leibhaftiges, liederliches Gesindel von Manngäulen und Roßmenschen, und nun erst die Weiberstuten, zumal die eine da oben, die an der Rose riecht, die sind so mit Händen zu greifen, daß keinem einfällt, zu fragen, ob man mit zwei Mägen, zwei Herzen und sechs Gliedmaßen auch vor der gestrengen Wissenschaft der Anatomie bestehen könne. Sie wiffen, setzte er hinzu, ich bin sonst ein Anhänger des entschiedensten Realismus und glaube, daß die Zeit der Götter, Helden und Zen­tauren vorbei ist. Aber vor diesen Genellischen Fabelwesen muß man den Hut abziehen, die haben Raffe; es fommt mir manchmal bor, als müsse er dabei gewesen sein, als fönne fein Mensch sich solch verteufeltes Heidenzeug aus den Fingern saugen. Er ist auch dabei gewesen! sagte der Meister nun, und sein fröhlicher Blick wurde fast feierlich. Und was insbesondere die Bentauren betrifft, warum soll ich es leugnen, daß ich wirklich diese merkwürdige Schichte der antiken Gesellschaft in einem Musterexemplar studiert habe, daß ich so glücklich gewesen bin, den letzten der Zentauren persönlich kennen zu lernen?

Alle Augen richteten sich jetzt auf ihn, der die seinigen aber durchaus nicht niederschlug, wie man sonst wohl zu tun pflegt, wenn man auf einer Münchhausiade nicht gleich ertappt zu werden wünscht.

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Ich will Ihnen die Geschichte erzählen, fuhr er fort, sich heiter im Kreise umblickend. Es scheint ohnehin heute kein rechter Diskurs zustande kommen zu wollen. Der Rahl, seitdem er vom Fleisch gefallen, ist unter die Trappisten gegangen; seine jezige Diät sie ist freilich miserabel genug schlägt ihm weder geistig noch leiblich an. Freund Roß, glaub ich, denkt an Weib und Kind, und der Schütz war nie ein großer Redner. Abgedankte Leute, wie wir, sollten allerdings stille liegen und den Mund nur auftun zu einem Kyrie oder Peccavi. Aber wie sagt Falstaff? Hol die Peft alle feigen Memmen! Karl, noch einen Spiß! Und nun will ich euch sagen, wie das mit dem Zentauren sich ereignet hat.

Es war im ersten Sommer, als ich mich in München   nieder­gelaffen hatte. das Jahr habe ich vergessen. Juni und Juli waren fühl gewesen, dafür brach im August eine solche Mordhite herein, daß man hier in der Stadt wie im Fegefeuer nach Luft schnappte und ich's wahrhaftig bei der Arbeit nicht aushielt, außer in dem paradisischen Kostüm, in dem Freund Rahl damals in Rom   in seinem Atelier herumging, zum Staunen der schönen Nachbarinnen gegenüber, die durchs offene Fenster hereinsahen, und zu großem Aergernis ihrer signori mariti, die endlich den Herrn Pfarrer des Viertels an ihn abschickten, um ihn zu christlich ehrbarer Zucht und Bekleidung zu ermahnen. Wie der Schalt da dem Biedermann um den Bart gegangen, ihm mit gutem Schinten aufgewartet und mit Orvieto   so lange eingeheizt hat, daß auch dem Pfarrer endlich die Glut zum Dach herausschlug und er sich zureden ließ, eines seiner Gewänder nach dem andern abzulegen, bis er in derselben einfachen Sommertracht, wie sein Wirt, auf den fühlen Fliesen herum­spazierte, das habt ihr, dent ich, noch in guter Erinnerung. Genug, ich hielt es zuletzt nicht länger aus und beschloß, mir im Gebirge einen besser gelüfteten Schattenwinkel zu suchen, als meine Dachlammer war. So fuhr ich mit dem Stellwagen eine Strede ins Land hinein gegen den Inn   zu und wanderte dann von der ersten Station, wo mir die Gegend gefiel, mit meinem leichten Ränzel bergan.

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Obwohl aber dort das Flußtal hinunter ein guter Luft" ging, wie die Tiroler sagen, merkte ich doch bald, daß ich des Steigens in der Mittagsonne ungewohnt war und war froh, nach zwei jauren Stunden ein großes Dorf aus dichtem Wallnußlaub mir zuwinken zu sehen, recht feti und bequem auf der sanft ansteigenden Halde hingelagert. Gegen Westen stieg der Berg jählings in die Höhe, bis endlich auch den Tannen und Föhren der Atem ausging und sie ihm nicht mehr nachtfettern fonnten. Da oben hinter den kahlen Gipfeln mußte die Sonne selbst im Hochsommer frühzeitig ver­