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schivinden und der Bergesjajatten eine angenehme Kühle über den Abhang ergießen. Also war ich rasch entschlossen, hier Raft zu machen, obwohl es für heute nicht sehr ruhig herzugehen versprach. Es war eben Kirchweih und das einzige Wirtshaus gestopft voll von trinkenden, Tegelnden und juhschreienden Bauern. Neberdies waren ein paar Kauf- und Schaubuden dicht neben dem Wirtsgarten aufgeschlagen, zwischen denen sich ein Euntes Gedränge hin und her trieb, besonders vor der Bude eines Italieners, der ein ausgestopftes Kalb mit zwei Köpfen und fünf Füßen für ein paar Kreuzer sehen ließ. Ich versparte mir diesen Genuß für den Abend, da ich vor allem nach einem fühlen Trunk lechate, schlug mich auch endlich durch Flur und Treppe durch bis auf die obere Laube, wo ich hinter dem Geländer des Altans ganz in der Ecke einen Siz auf der Bank und ein Seitel roten Tiroler eroberte. Den Wein stellte ich vor mich auf die Hölzerne Brustwehr, streckte mich nach Herzenslust aus und fah, während ich langsam mich verkühlte, über das Bauerngewühl unten um die Tische über den Gartenzaun und die nächsten Hütten hinweg in die prachtvolle Gebirgslandschaft hinaus.
Kaum eine halbe Stunde mochte ich so geruht haben, da sah ich auf dem breiten Feldwege, der zu dem nächsten, höher gelegenen Dörfchen führte, einen ganz seltsamen Schwarm sich heranbewegen. Ich glaubte im ersten Augenblicke, der Wein, den ich etwas hastig getrunken, werfe so wunderliche Blasen in meiner Phantasie, daß ich am hellen Tage einen fabelhaften Traum träumte. Auch war die wunderliche Gruppe noch so ferne, wohl drei Lüchsenschüsse von meinem Luginsland, daß ich meinen Augen wohl mißtrauen durfte. Aber obwohl ich's in ruhigem Schritt fortbewegte, tam es doch unaufhaltsam näher, und nun konnte ich endlich nicht mehr alveifeln, daß ich in Wirklichkeit„ sah, was ich sah, und hörte, was ich hörte."
Stellt euch vor, in der goldigsten Herbstsonne tam auf der meißen staubigen Bergstraße ein riesenhafter Zentaur dahergetrabt, in einem würdevollen beschaulichen Viervierteltakt, wie der alte Schimmel, der im Wilhelm Tell mitspielt und den Landvogt in die hohle Gaffe tragen muß. Hinter ihm drein, aber in scheuer Entfernung, etwa um einige Pferdelängen, zottelie und trottelte ein lautloser Haufen alter Mütterchen, lahmer und preßhafter Männlein und ganz junger Kinder, alles nämlich, was von jenem ab= gelegenen Torfe entweder zu alt oder zu jung gewesen war, um die nachbarliche Kirchweih mitzufeiern. Der riesige fremde Gast mochte sich mit Gutem cder Bösem so in Respekt gesezt haben, daß man ihm ohne jede Anfechtung, weder durch Geschrei noch tätliche Nedereien, das Geleit gab. Aber je näher der abenteuerliche Zug dem Kirchweihdorfe kam, desto deutlicher sah ich besonders die Weiblein bemüht, die Aufmerksamkeit der noch ahnungslosen Nachbarn schon von weitem zu erregen, durch Winke mit dürren Armen, Krückstöden und Kopftüchern, auf die freilich über der Tanzmusik und dem Festtreiben rings um mich her keine Menschenseele aufmerksam wurde.
So konnte sich das heidnische Ungetüm unbeschieen der Dorfmart nähern, und erst, als es bei den letzten Hütten vorbeitrabte und nun gerade auf das Wirtshaus lossteuerte, wurden die Bauern inne, daß sich etwas ganz Unerhörtes begab. Nun war freilich der Effekt, den dies Intermezzo machte, um so gewaltiger. Im Nu stob alles auseinander, was unten im Wirtsgarten und um die Schaubuden sich zusammengedrängt hatte. Wie Ameisen durch einander wimmeln, wenn man mit dem Stock in ihren Bau stößt, so stürzten Männer und W.iber in wilder Flucht vom Wirtshaus weg, und jedes suchte eine Tür, einen Zaun oder einen Baum zu ere reichen, hinter denen man vor dem ungefügten vierbeinigen Mirakel auf den ersten Anlauf sicher wäre. Ebenso hastig aber fuhren alle, die in den Häusern und oberen Räumen der Schenke waren, an die Fenster und starrten entsegt nach dem Schenel und Gräuel hinaus. Auf den Lärm des ersten Aufruhrs folgte eine tiefe Stille; selbst die Hunde, die erst wütend losgebellt hatten, zogen sich, als sie die mächtigen Hufe des Ankömmlige gewahrten, vorsichtig mit bangem Winseln zurüd und nur die kleinen Bauernpferde, die an ihren Krippen schmausten, begrüßten ihn mit zutraulich gastfreundlichem Wiehern, da er jedenfalls, so weit er zu ihnen gehörte, ihrem Geschlecht alle Ehre machte.
Ich war vielleicht der Einzige, der nicht den Kopf verlor, zunächst als ein alter eingeteufelter Heide, der ich war, und in der ganzen Naturgeschichte wohlbewandert, dann aber auch, weil das Entzücken über die ungemeine Schönheit des Fremdlings keine Furcht aufkommen ließ.
Was ich selber hernach an solchen Zwiegeschöpfen gemalt, oder Freund Hähnel in seinem Dresdener Theaterfries gemeißelt hat, würde sich gegen diesen göttlichen Burschen in Fleisch und Bein ausgenommen haben, wie Halbblut gegen Vollblut.
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schimmern fah. Aus diesem mächtigen Gestell wuchs ein Menschen« leib hervor, der sich mit dem tierischen wohl messen konnte Arme, Brust, Schultern wie vom Farnesischen Herkules gestohlen, so recht in der Mitte zwischen fett und hager, die Haut sanft angebräut und ebenfalls hic und da stark behaart, wie denn auch von dem mächtigen dunklen Schopf, der ihm Stirn und Haupt umwallte, noch eine wehende Mähne bis tief auf den Rücken hinunterwucherte, übrigens, gleich dem lang nachschleppenden kohlschwarzen Roßschweif, dem Anschein nach wohlgepflegt. Es war überhaupt nicht zu verkennen: das Fabe: wesen hielt etwas auf sein Aeußeres. Keine Spur von tausendjährigem Staub und Unrat, der Bart am Kinn zierlich geftugt und gefräuselt, und wie ich mich erst getraute, ihm näher in das ernsthaft treuherzige Gesicht zu sehen, das nur etwa so wild war, wie ein Bube, der aus Verlegenheit troßig dreinschaut, bemerke ich, daß er einen leien Rosenzweig, eben frisch, wie es schien, vom Strauch gebrochen, in das dichte Haar hinters Ohr gesteckt hatte.
So kam das schöne Ungeheuer gemächlich in den Hof der Dorfschenke getrabt, aus dem sofort auch der letzte Gast, den Maßkrug an die Brust gedrückt, mit lautem Geschrei ins Haus oder in die Wirtschaftsgebäude flüchtete. Der Schwarm von alten Weibern und Bauernfindern, der ihm das Geleit gegeben, blieb draußen auf der Dorfstraße stehen, und über der Verwegenheit des hohen Reisenden, sich so leichtbekleidet mitten in die Kirchweih zu begeben, schien allen das Wort in der Kehle zu erstarren. Wenigstens hörte man ringsum nur ein verhaltenes Summen und Schwirren, aus dem nur dann und wann ein paar Naturlaute des Schreckens und der Angst hervorkreischten. Alle erwarteten das Entseßlichste, und wohl nur wenige mochten sem, die den Sput nicht gerade für den leibhaftigen Gottseibeiuns hielten, der gekommen sei, das sämtliche Halbbetrunkene Gefindel recht in seiner Sünden Kirchweihblüte in die Hölle abzuführen ( Forts. folgt.)
Schule und Haus.
Von Emil Sonnemann.
In den folgenden Erörterungen sollen nicht die Beziehungen wischen Schule und Haus im allgemeinen, sondern zwischen Vollsunterzogen werden, aus dem einfachen Grunde, weil für die Kinder schule und Proletarierhaus im besonderen einer näheren Betrachtung des Proletariats mit verschwindenden Ausnahmen nur die mehr und mehr zur Armenfchule herabfintende Volksschule in Betracht kommt. Die Volksschule verdient kaum noch den Namen einer Schule des Boltes, wenn man als deren höchste und einzige Aufgabe be trachtet, die förperlichen und geistigen Fähigkeiten ihrer Böglinge harmonisch zu entwickeln"; sie wird dagegen immer mehr zu einem Werkzeuge der herrschenden Klassen, die Kinder des Volkes in geistige Abhängigkeit herabzudrücken.
Die Vollschule ist zunächst lebensfremd; fie fann und will nicht auf die Verhältnisse des Arbeiterhauses, das ihr seine Kinder an vertraut, die notwendige Rücksicht nehmen; sie lann es nicht. Denn wie wäre es einem Lehrer, der immer mehr zu einem Rädchen in der großen Staatsmaschinerie herabfintt, möglich, die Eigenart des einzelnen Schülers, den er gar nicht mehr genügend kennen lernt, und die Eigenart der häuslichen Verhältnisse seiner Arbeiterschüler, die er noch viel weniger fennen lernt, zu beachten und in Rechnung zu stellen bei seinen erziehlichen Maßnahmen? Ueberhaupt, und das ist das Charakteristische, tritt die erziehliche Aufgabe der Volksschule fehr zurüd; man begnügt sich damit, den Kindern ein abgemeffenes Quantum oberflächlichen Wissens einzubrillen und meint dann, damit fei das Ziel erreicht. Die Volksschule ist au einer lebensfremden Wissensschule herabgefunken; man fönnte fie, wäre der Vergleich gegenüber der nüchternen Wirt lichkeit nicht allzu poetisch, dem Dornröschen vergleichen, das in einen hundertjährigen tiefen Schlaf gesunken ist, um das Schloß ist eine undurchdringliche Dornenhede gewachsen, die drinnen sind, fönnen nicht heraus und die draußen sind, fönnen nicht hinein. Zwischen Volksschule und Arbeiterhaus ist eine tiefe Kluft befestigt. und Versammlungen, Schule und Haus müßten Hand in Hand Bwar verkündigt man auch heute noch in pädagogischen Zeitschriften arbeiten, denn fie dienten derselben erziehlichen Aufgabe. Das find freilich schöne Worte, aber leider auch nicht mehr. In Wirklichkeit sieht die Sache ganz anders aus. In Wirklichkeit ziehen Schule und Haus nicht nur nicht an einem Strange, sondern arbeiten sich sehr häufig einander direkt entgegen. Es fann doch dem Arbeiterhause ver nünftigerweise nicht zugemutet werden, rubig mit anzusehen, daß die Volksschule alles das, was wir in unfern Kindern aufbauen wollen, wieder herunterreißt und herabwürdigt.
Obgleich freilich an das, was man heutzutage Vollblut nennt, Viel schlimmer als der gewissermaßen intellektuelle Mangel der nicht gedacht werden darf, wenn man sich einen Begriff machen will Wolfsschule ist der andere, daß sie herabgewürdigt ist zu einem von der Gaulhälfte des wundersamen Kirchweihgastes. Denkt an Werkzeug für die wirtschaftlichen und politischen Zwede der den Bucephalus, oder das trojanische Pferd, oder meinethalben herrschenden Klassen. Ein Arbeiter, der sein Teil gelernt hat, wird an den prachtvollen Streithengit, der den Großen Kurfürsten auf Mittel und Wege finden, sich gegen wi; tschaftliche Ausbeutung zu der langen Brüde trägt, und nun stellt euch vor, daß der ganze wehren; das wissen unsere Herrschenden natürlich auch und deshalb heroische Gliederbau von der glattesten jilbergrauen Dede übertragen sie Sorge, daß ihre ausführenden Organe, die Unterrichtszogen war, unter der man jede Muskel spielen und bei jedem behörden, das Ziel der Volksschule niemals über eine gewisse Höbe Fältchen, das sie warf, die Sonne wie auf geschorenem Samt( oder Tiefe) hinauskommen lassen.