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mente morich und faul find. Und der Tag wird nicht mehr fern unbewußter Art getan. Er fühlte sich in eine überirdische Welf fein, an dem fie in sich selbst zusammenbricht. bersetzt. Seine Berurteilung war für ihn ein geheimnisvolles
Goldig- rot strahlt die Sonne am abendlichen Westhimmel. Wunder. Einige Lerchen steigen noch einmal empor und fingen mit filberbeller Stimme dem scheidenden Tag den Abschied; aber angesichts der sinkenden Sonne segeln fie bald aur Erde hinab. Mecklenburgs fruchtbare Felder dehnen sich, so weit der Blid sehen kann. Grünende Saatfelder, überall ein Reimen und Wachien, daß man die Mutter Erde ob diefer Herrlich feit anbeten möchte. Alles deutet ouf Fruchtbarkeit, die allen Menschen Wohlstand und Freiheit geben tönnte. Und doch ist die Masse derer, die der Natur diefe Schäze abringen, zu Not und Elend, Knechtschaft und Ausbeutung verdammt. Wann werden die Proletarier, die mit storten Armen dieien Güterreichtum täglich erarbeiten, sich dazu eimannen, ibre Macht gegen die barbarische Gewaltherrschaft von oben zu wenden? Wann? 1 Franz Petrich .
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Warum waren Sie nicht der Stärkere, Crainquebille? Wenn Sie, nachdem Sie verfluchter Polyp" gerufen hatten, sich zum Kaiser erklären ließen, zum Diktator, zum Präsidenten der Re publik oder auch nur zum Stadtrat, so versichere ich Sie, daß ich Sie weder zu vierzehn Tagen Gefängnis noch zu einer Geldstrafe von fünfzig Frant verurteilt hätte.
Sie wären jeder Strafe entgangen, das dürfen Sie mir glauben."
So hätte der Präsident Bourriche ohne Zweifel gesprochen, denn er hat einen juristischen Sinn und weiß, was das Tribunal der Gesellschaft schuldig ist, deren Prinzipien er mit Ordnung und Regelmäßigkeit verteidigt.
Die Justiz ist sozial, und nur böse Geister wollen daß sie auch menschlich und gefühlvoll sei.
Man verwaltet sie nach feststehenden Regeln, aber doch nicht mit Gefühlsdufeleien oder Klarheit und Intelligenz.
Man verlangt vor allen Dingen nicht, daß fie gerecht sei. Das hat sie nicht nötig, denn sie ist die Justiz, und der Gedante einer gerechten Justiz fann wirklich nur in dem Kopfe eines Anarchisten entstanden sein.
Der Präsident Magnaud*) fällt allerdings Billigkeitsurteile, aber sie werden tassiert, und das ist die wahre Justiz.
Der wirfliche Richter wiegt die Zeugenaussagen nach dem Gewicht der Waffen. Das hat man in Crainquebilles Sache gesehen und in manchen anderen, viel berühmteren Fällen."
So sprach Jean Lermite, indem er mit langen Schritten den Borsaal durchmaß.
Josef Aubaret, der das Gerichtswesen fannte, fragte sich die Nase und sagte:
Wenn Sie meine Meinung hören wollen, so bezweifle ich, daß der Präsident Bourriche sich zu einer so hohen Metaphysik aufgeschwungen hat.
Wenn er die Aussage von dem Schuhmann Nr. 64 gelten ließ, so tat er das lediglich, weil das nun mal alter Brauch ist. In der Nachahmung müffen wir die Beweggründe der meisten menschlichen Hondlungen suchen. Wer den althergebrachten Gewohnheiten und Sabungen folgt, wird immer für einen ehrlichen Menschen gelten. Unter brave Leute" versteht man solche, die es machen wie die anderen."
Als Crainquebille ins Gefängnis zurückgeführt worden war, setzte er sich auf den angeschmiedeten Stuhl und verharrte in Stummem Staunen und stiller Bewunderung. Er wußte selbst nicht recht, daß die Richter sich getäuscht hatten.
Das Gericht hatte ihm seine inneren Schwächen unter der Majestät der Formen verborgen. Er konnte nicht glauben, daß er recht hatte gegenüber dem Tribunal, dessen Gründe er nicht verstanden hatte. Er vermochte nicht zu fassen, daß etwas bei dieser schönen Zeremonie hinkte. Denn da er weder in die Messe noch ins Theater ging, hatte er in seinem Leben nie etwas so pompöses gesehen als diese Verhandlung im Gerichtssaal.
Er wußte wohl, daß er nicht verfluchter Polyp" gerufen hatte und daß man ihn zu vierzehn Tagen Gefängnis und fünfzig Frank Geldstrafe verurteilt hatte, weil er es gerufen haben sollte, aber allmählich wurde diese Idee zu einem erhabenen Mysterium für ihn, zu einem dieser Glaubensartikel, dem die Frommen anhängen, ohne sie zu verstehen.
Es war wie eine dunkle, plöbliche Offenbarung herrlich und schredlich zugleich.
Der alte Mann erkannte fich als schuldig, den Schuhmann Nr. 64 in mystischer Weise beleidigt zu haben, wie ein fleiner Junge in der Katechismusstunde Evas Sünde auf sich nimmt. Durch seine Verhaftung wurde er belehrt, daß er„ berfluchter Bolyp" gerufen hatte also hatte er das in mysteriöser, ihm selbst
*) Der gute Richter", dessen von sozialem Verständnis und wahrer Gerechtigkeit diftierte Urteile in ganz Frankreich Aufsehen
erregen.
Wie er schon von seinem Vergelen feine rechte Borstellung hatte, jo machte er sich von der Strafe erst recht teinen flaren Begriff. Seine Aburteilung war ihm als eine sehr feierliche, rituelle und vornehme Sache erschienen, als etivas Erhabenes, was man nicht begreifen kann, worüber sich nicht streiten läßt, als etwas, dessen man sich weder zu rühmen noch zu beklagen hat. Wenn der Präfident Bourriche in diesem Augenblicke durch die Dede herabgeftiegen wäre mit einem Heiligenschein um das Haupt und Flügeln an den Schultern, so wäre Grainquebille von dieser neuen Manifestation der richterlichen Glorie nicht weiter überrascht gewesen. Er hätte sich einfach gesagt:
Ach jo, meine Angelegenheit nimmt ihren Verlauf." Am folgenden Tage besuchte ihn sein Advokat.
Nun, mein Lieber," fragte Maître Lemerle, geht es ziemlich gut? Nur Mut, zwei Wochen sind ja schnell vorüber. Wir dürfen uns übrigens nicht allzu sehr beklagen."
„ Das ist wahr," gab Grainquebille zu, die Herren sind sehr freundlich und höflich gewesen. Nicht ein grobes Wort haben sie mir gefagt. Hätt' ich gar nicht gedacht. Und haben Sie wohl ge sehen, der Soldat hatte weiße Handschuhe angezogen."
..leberlegt man sich's," bemerkte der Advokat, fo war es das beste, daß Sie geftanden."
Mag wohl sein," erwiderte Grainquebille.
" Ich habe eine gute Nachricht für Sie, Grainquebille. Eine mildtätige Person, die ich für Ihre Lage interessiert habe, hat mir fünfzig Frank für Sie übergeben, also gerade die Summe, zu der Sie verurteilt sind."
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,, Und wann werde ich das Geld bekommen," fragte der Alte. ,, Das wird direkt der Kanzlei übergeben, darum brauchen Sie fich nicht zu fümmern."
„ Na, einerlei; sagen Sie der Berson meinen besten Dank.": Dann wurde Crainquebille nachdenklich. Nach einer Weile meinte er: Sonderbar, höchst sonderbar ist das, was mir paffiert ist." Glauben Sie das nicht, Crainquebille, Ihr Fall ist durchaus nicht selten." „ So? und können Sie mir vielleicht auch sagen, was aus meinem Wagen geworden ift?"
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Trainquebille war aus dem Gefängnis entlassen und schob wieder seinen Wagen durch die Rue Montmartre vor sich her und rief: Rohl, Rüben, Wurzeln!
teuers.
Er empfand weder Stola noch Scham wegen feines Aben Es war feine peinliche Erinnerung für ihn, sondern wie ein Schauspiel, eine Reife, ein Traum.
Nun aber war er froh, wieder im Schmuß herumzugehen über das Pflaster der Straßen und über sich den Himmel zu sehen, grau in grau im strömenden Regen den lieben Himmel seiner geliebten Stadt.
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An allen Straßeneden hielt er an, um ein Glas zu trinken, dann fühlte er sich frei und feelenvergnügt, spudte in die schwieligen Hände, damit sie geschmeidiger wurden, und faßte von neuem die Griffe feines Handwagens.
Die Sperlinge, die wie er arme Frühaufsteher waren und ihr Futter am Wege fuchten, flatterten auf bei feinem Rufe Kohl, Rüben, Wurzeln und flogen vor ihm her.
Eine alte Haushälterin fam heran und prüfte das Gemüse. Ja, was war denn mit Ihnen los, Vater Crainquebille," fragte fie, man hat Sie ja so lange nicht gesehen. Sind Sie krank gewesen? Sie fehen etwas blaß aus.
" Tje," erwiderte Crainquebille, ich will Ihnen was sagen, Frau Mailloche, ich hab'' n bißchen privatifiert."
Nichts in seinem Leben ist verändert, höchstens daß er häufiger als sonst ein Gläschen trinkt. Er hat das Gefühl, als sei immer Feiertag, und dann hat er ja auch die Bekanntschaft von mildtätigen Leuten gemacht.
Ein bißchen angeheitert gelangt er abends in seinen Berschlag. Dann streckt er sich zufrieden aus, deckt sich mit den Säcken zu, die ihm sein Freund, der Kastanienverkäufer von der Ecke, geliehen hat, und brummt vor sich hin:
Jm Gefängnis ist es gar nicht so übel, man hat da alles, was man braucht, aber einerlei, zu Hause ist es doch beffer." Seine Zufriedenheit sollte nicht lange dauern. Er bemerkte bald, daß die Stunden ihn schnitten.
" Ich habe heute recht schönen Sellerie, Madame Cointreau," fagte er freundlich.
Brauche nichts," erwiderte die Frau barsch. Was, Sie brauchen nichts? Sie leben doch jetzt wohl nicht bloß von der Luft?" fragte Grainquebille erstaunt.
Aber Madame Cointreau würdigte ihn feines Blides und ging stolz in ihren Schlächterladen. Sonst jatten sich Meisterinnen und Mädchen um seinen Wagen gedrängt, der stets mit reichlicher Auswahl versehen war, jebt drehten sie ihm alle den Rüden, sobald sie ihn fahen.
Als Trainquebille zu dem Schufterladen fam, wo sein geridit. liches Abenteuer angefangen hatte, rief er: