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Das Schlimmste war, daß Madame Laure nicht die einzige war, die ihn wie einen Ausfäßigen behandelte.
Ale taten, als tennten fie ihn nicht mehr.
Die Schusterfrau, die Schlächtermeisterin, alle wandten sich verächtlich von ihm ab. Die ganze Gesellschaft in dem Biertel wollte nichts mehr von ihm wiffen.
Also bloß, weil er vierzehn Tage gesessen hatte, war er nunt nicht mehr gut genug, Gemüse zu verkaufen! War das wohl ge= recht? Hatte es Sinn und Verstand, einen alten braven Mann Hungers sterben zu laffen, einzig und allein, weil er mit einem Puz" in Konflikt geraten war?
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Wenn er sein Gemüse nicht mehr los wurde, so konnte er sich nur hinlegen und trepieren.
Das erbitterte den Alten.
Nach seinem Streit mit Madame Laure hatte er Händel , über Händel . Um die geringste Kleinigkeit stritt er. Mit den Kunden war er grob und schimpfte ungeduldig, wenn mal einer ein bißchen lange zwischen seinen Waren suchte.
In der Wirtsstube gantte er mit allen, so daß sein Freund, der Kastanienhändler, ihn nur noch altes Stachelschwein" nannte. und wirklich wurde Grainquebille von Tag zu Tag unleidlicher. Er schlief schlecht, war übel gelaunt und hatte immer ein böses
Das Unglüd machte ihn ungerecht. Er rächte sich an denen, die nichts Böses gegen ihn im Sinn hatten und oft auch an Schwächeren. So gab er eines Tages dem fleinen Alphons, dem Sohn eines Weinhändlers, eine Ohrfeige, als das Kind ihn fragte, ob es im Gefängnis schön fei.
- 807 Impreffionen, die Mufit als Malerei, rabitale Umwälzungen der Tontunst, die ungeahnte Entwickelungsmöglichkeiten anbahnen" usw. Die andern, die noch nicht Rhythmus, Form, Melodie, Tonalität, musikalischen Gefang in einer Over nur zugunsten von Drchefterfarbe, Klangexperimenten, nifflichen Tonmalereien, chaotischen Geräuschen, Symbolismus überwunden hatten, anerkannten willig das starke Talent des österreichischen Dichterkomponisten( wie Julius Bittner schreibt sich auch Franz Schrefer seine Texte selbst), feinen fünft lerischen Ernst im Wandeln neuer Wege, wenn sie auch Jrrwege sind, lehnten aber beide Opern als musikalische Kunstwerke ab. Schrefer ist jedenfalls der Mann, den unsere dem unentwegten Mo dernismus und Rationalismus in jeder Kunstform huldigende Zeit braucht. Er quirlt mit genialer Gebärde als Dichter und Musiter die fremdartigsten Elemente auſammen: Maeterlinc, Leo Fall , Buccini, Mahler, Charpentier , Stienal, Debussy , H. H. Etvers, E. T. A. Hoffmann und braut daraus die radital natura listische Zeit und Gegenwartsoper mit Klubfesseln, Bogenlampen, Setitörben, elektrischen Straßenbahnen, Automobilen, Schuylenten, Dirnen, Kellnerinnen und Monoclekavalieren. Im Fernen Klang" kommt dazu als poetische Grundlage alles Ge schehens ein Quentchen Romantik aus Dichtersland. Es ist die Illusion des fernen Klangs", das tönende Symbol des deals, nach dem der junge Dichter, der einfam Maul. schaffende Künstler jagt, und. das ihn als lockender, geheimnisvoll überirdischer Ton und Klang auf dem Meere, im wilden Zimbelschlag der Zigeuner, im Klang der Gloden, im Sang der Vögel, im matten Pulsschlag schließlich des Sterbenden, an Enttäuschungen gebrochenen Herzen, durchs, Leben narrt und äfft. Wie so viele fleine und große Literaten und Musiker vor ihm wollte auch Schreker die egoistische Tragödie des durch alle Himmel der Selbstzufriedenheit und alle Höllen der Verzweiflung gebetten Künstlermartyriums in Wort und Ton gestalten. Die Schöpferische Kraft hat nicht ausgereicht. Im 1. und 8. Aft ift der Komponist bon allen möglichen Vorbildern wie Charpentier, Mahler, Offenbach Hoffmann beeinflußt, verblüffend neu in feiner bizaren Kühnheit des chaotischen Musizierens" ist nur der Alveite Aft, der eine ausgelassene Gesellschaft von internationalem Amüsierpöbel in einem Venezianischen Bordell vorführt. Hier herrscht nun ein unglaubliches gleichzeitiges Neben, Durch und leber einander von allen denkbaren Tönen, Klängen, Rhythmen, Geräuschen, Arien, Ständchen, Chorfäzen, Profadialog, Melodram, Zigeunertschardas, Orchestermusit und Bühnenmusif. Die Farben mischung ist genial, die Klangwirkung dieses musikalischen Chaos verblüffend. Man wird vom ersten bis zum legten Augenblick gefesselt bor der Riesenleinwand eines modernen Farben- Impressionisten. Wenn auch die zischende Dampffirene an dem„ Spielwert der Prinzessin" fehlt, so ist doch in Beräusch- und Lärmentfaltung R. Strauß gehörig überstraußt. Wit der Bühnenmufit allein hätten Flotow und Donizetti eine ganze Oper bestritten, während es andererseits unmöglich ist, aus der ganzen ungeheuer exzentrischen und an Schwierigkeiten alles Da gewefene übertrumpfenden Schreler- Oper auch nur 82 Tafte wirt liche Melodie herauszuschälen. Denn so groß und revolutionär dieser zwischen Mahler und Schönberg stehende Futurist als Klangerfinder, Tonmaler, Dur- und Moll- Vermischer, Tonalitätsstürzer und Chaotifer ist, so klein und arm erweist er sich als musikalischer Erfinder. Und das ist das Typische für die ganze Richtung von Debussy und Ravel bis zu Elgar . Sie alle find Träger einer musikalischen Niedergangskultur, die in ihren nervösen, erschlaffenden, faft bysterischen Symptomen der treue Spiegel der Zeit ist.
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Vor einer Zukunft aber, die das musikalisch Schöne frampfhaft vermeidet, entweder weil sie es nicht mehr empfinden fann, oder weil es ihr zu simpel dünft, muß es jedem rechtschaffenen Freund der Mufit als Seelenkünderin wahrhaft bange werden.
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W. M.
Nach diesem Auftritt aber war Crainquebille in seinem Viertel erst recht unmöglich geworden.
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Und der alte Mann zog weiter und murmelte für sich hin: Ganz sicher, daß sie so eine ist,- ja, fie ist so eine Aber im Grunde seines Herzens machte er ihr feinen Vorwurf daraus. Und deswegen verachtete er sie auch nicht. Im Gegenteil. Er bewunderte Madame Laure, weil sie sparsam war und es verStanb, etwas für ihre alten Tage zurüdzulegen.
Früher hatten beide gern miteinander geschwaßt. Sie hatte ihm dann von ihren Eltern erzählt, die auf dem Lande wohnten; und beide hezten den großen Wunsch, einen kleinen Garten zu besitzen, um Gemüse darin zu ziehen und Geflügelzucht zu treiben. Madame Laure war eine gute Kundin gewesen, und als Crainquebille nun sehen mußte, daß sie ihren Kohl bei dem kleinen Martin faufte, bei diesem elenden Knirps, diesem Lausbuben, da war ihm der Schreck in alle Glieder gefahren, und wie sie ihn obendrein noch so verächtlich behandelt hatte, da war ihm die Galle übergelaufen.
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„ Unverschämter Bengel," schalt er, wenn es nach Recht und Gerechtigkeit ginge, so fäße Dein Vater im Loch, anstatt reich zu werden bei seinen Giftmischereien."
Wort und Handlung machten ihm keine Ehre, denn wie sein Freund, der Kastanienverkäufer, ihm gerechterweise vorwarf Stinder soll man nicht schlagen und ihnen ihre Eltern vorwerfen, die sie sich ja nicht selbst gewählt haben.
Er fing an zu trinken. Je weniger er verdiente, desto mehr trant er. Und da er früher sehr sparsam und mäßig gewesen war, wunderte er sich über sich selbst:
wird wohl immer unvernünftiger, je älter man wird," philo „ Ich bin doch sonst fein liederlicher Mensch gewesen. Man sophierte er.
Bump," schalt er sich, Du taught rein zu gar nichts mehr." Oft ärgerte er sich über seine Bummelei und Faulheit.„ Alter
Manchmal versuchte er sich selbst zu betrügen, dann redete er
fich ein:
müden Glieder. Da ist sicher etwas nicht in Ordnung in dem alten Muß doch von Zeit zu Zeit ein Glas trinken, das stärkt die wagen, und da hilft nichts als' n Glas Kirsch."
fuhr und den Großverkauf der Gemüse, dann mußte er alte, verOft verpaßte er nun in den Markthallen frühmorgens die Anborbene Ware nehmen, die man ihm auf Kredit gab.
Einmal fühlte er sich an Leib und Seele so matt und ge= brochen, daß er seinen Wagen in der Remise stehen ließ. Den ganzen Tag verbrachte er in den Wirtshäusern bei den Markthallen und abends saß er zusammengefauert und bedrückt auf einem umgeftülpten Korb und grämte sich über seine Berkommenheit.
Er dachte an feine frühere Kraft und Leistungsfähigkeit, an die schweren Mühen, die er ausgestanden hatte und den glücklichen Gewinn, den er heim trug, an all die zahllosen Tage, die einander so glichen, so ausgefüllt gewesen waren.
Er sah sich wieder, wie er in der Nacht in den Markthallen auf die Anfuhr der Gemilfe wartete. Dann wurde der Wagen forgfältig und funftgerecht beladen, stehenden Fußes noch ein Schluck schwarzer Kaffee hinunter getrunken bei Mutter Theodora, und dann wurde der Karren mit fefter Hand in Bewegung gesetzt.
Kräftig und hell wie ein Hahnenschrei flang sein Ruf durch den frühen Morgen, wenn er durch die Straßen fuhr.
Sein ganzes unschuldiges und hartes Leben, das er während eines halben Jahrhunderts geführt hatte, zog an seinem geistigen Auge vorüber. Wie er tagaus tagein wie ein Lafttier auf seiner rollenden Auslage den müden Städtern die frische Ernte der Gemüsegärten gebracht hatte.
Und seufzend schüttelte er den Kopf:
Ne, ne, ich kann nicht mehr, mit mir ist es aus. Der Krug geht so lange au Wasser, bis er bricht. Seit meiner Geschichte bei Gericht bin ich ganz verändert. Ich bin gar nicht mehr derselbe Mensch."
Kurz und gut, Crainquebille war moralisch vernichtet. Wenn einer mal erst soweit ist, so fommt er nicht mehr in die Höhe, und die Menschen verhöhnen ihn, statt ihm zu helfen.
Das Elend fam, das schwarze Elend. Der alte Mann, der früher aus der Vorstadt Montmartre die Taschen voll d- Frank Stücken zurückbrachte, hatte jetzt feinen Pfennig mehr.
Es war Winter. Aus seinem Verschlag war er ausgewiesen, nun schlief er in einer Remise.
Es regnete seit 24 Stunden, die Abzugskanäle waren verstopft, die Gossen liefen über und die Remise stand unter Wasser.
Crainquebille jaß zufammengefanert in seinem Wagen über