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Aber ohne sie anzusehen, noch dem Anschein nach fie auf Der Wald! So viel heimliche Wege und Pläke, fo biele ab­hören, gingen die drei mit ruhigen, steifen Schritten von gestohlene Minuten dort mit dem Peter so viel Schmerz und dannen. Da sie hinaus waren, siehe da hielten Bierbrauer Summer, daß sie ihn nicht vor den Menschen gern haben durfte, mit ihrem Karren an der Tür und kamen in die Schmiede weil er nur ein armes Knechtlein war, und doch so viel bitter­und trugen zu zweit ein großes, volles Faß Braunbier herein. füßes Glüd dabei! Dann der Abschied an dem nebligen Frühmorgen, wo sie ihm Smetse," sagte die Frau, dies ist zu viel! Ihr Herren das schwarze Haar aus der Stirn strich! Sie hat ihn nie wieder Brauer, wir wollen es nicht; wir mögen fein Bier, wir gesehen! Ach, was hat sie geweint und hat die Arme nicht mehr trinken Wasser. Bringt dem Nachbarn dies Faß, uns geht es von seinem Hals wegtun, hat ihn halten wollen! nichts an, das versichere ich Euch."

Dessen ohngeachtet trugen die Brauer das Faß Braun­bier in den Keller, stiegen wieder hinauf, holten andere und stellten solchergestalt bis zu zwanzig auf. Die Frau, welche sie zurüdhalten wollte, stießen sie um, dieweil Smetse vor lauter Lachen nicht sprechen fonnte und sich begnügen mußte, fie an sich zu ziehen. Also bewahrte er sie davor, sich an den Jäffern wehe zu tun, welche die Brauer mit wunderbarer Eile und Geschwindigkeit von der Straße in den Keller trugen.

Und was dann fam, war noch viel schlimmer.

Großmutter friegt starre Augen, und ihre Hände bewegen sich unruhig auf der Bettdecke hin und her: Das Kind, in der fremden großen Stadt bei fremden Leuten geboren, immer den Kummer, den Schmerz und die Sehnsucht im Herzen haben und die Angst vor den Eltern, die auch wirklich nichts von ihr wissen wollten und sie um des schwachen elenden Kindes halber verstießen!

Still und blaß ist es geblieben, das fleine Mädel, und hat immer mit ernsten Augen nach ihr geschaut, wenn sie es aufsuchte. Selten genug war es ja, denn sie war im Dienst, und niemand durfte wiffen, daß sie ihr Kind besuche, sie hätte sich ja zu Tode geschämt! Aber immer war's ihr, als machten ihr die großen, ftillen Augen des Kindes Vorwürfe, als flagten fie, und jeden Sonntag, an dem sie es gesehen, saß sie abends in ihrer Küche und weinte und hätte doch nicht sagen können, warum. Denn das Kind war gut aufgehoben, die Leute hatten es gern.

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,, Ach," jammerte sie, laß mich! Dies ist zu viel, Smetse! Wehe, nun sind wir ärger denn Bettler, wir sind Schulden­macher. Smetse, Mann, ich will mich allsogleich ins Wasser stürzen. Schulden machen, um einen ausgehungerten Bauch zu füllen, das ist schier große Schande. Aber es aus gieriger Gefräßigfeit zu tun, das ist unerträgliche Gemeinheit. Kannst Als sie dann später das Verhältnis mit dem Metzgerburschen Du Dir nicht an dem Wasser und Brot genügen lassen, welches hatte, der sie auch heiratete, wie schwer fiel es ihr, ihm etwas von Du mit Deinen zehn Fingern rühmlich hättest verdienen dem Kinde zu sagen! Mit Zittern und Bangen redete sie davon fönnen? Bist Du denn ein solcher Schlemmer geworden, daß er lachte sie aus und zanfte sogar, daß sie so albern sein, aber Du gegenwärtig der Kuchen, feinen Käse und vollen Fässer das Nannele durfte doch nicht lange bei ihnen bleiben, als erst bedarfst? Emetse, Smetse, so tut kein guter Genter, sondern seine eigenen Kinder famen. ein hispanischer Räuber. Ha! Ich will mich ins Wasser stürzen, Mann!" Weib," sagte Smetse, betrübt, fie so kläglich zu sehen, ,, weine nicht; alles ist unser, mein Liebchen, von Rechts wegen." Ach," ächzte sie, es ist schlecht von Dir, also in Deinen alten Tagen der Rechtschaffenheit untreu zu werden, so Dein einziger Ehrenschmuck war." ( Forts. folgt.)

Großmutters Reife.

Von Anna Croissant- Rust  . Großmutter ist frant, seit ein paar Tagen schon liegt sie im Bett. Das fommt ihr recht seltsam vor, sowohl das Bettliegen, wie das Kranksein, denn sie ist ganz und gar nicht daran gewöhnt, weder an das eine, noch an das andere. Untertags im Bett liegen? Gerechter Gott, welche Faulenzerei!

Niemals, auch nicht an einem schwülen Sonntagnachmittag, wo sie gut Zeit gehabt hätte sich aut legen, ist es Großmutter ein­gefallen, zwischen die Kissen zu friechen. So was ist nur für die Reichen oder für die ganz faulen Leute! Um neun ins Bett, um vier heraus, so hat sie's allweg gehalten; aber jetzt muß sie doch cinmal daran glauben, daß man auch an einem Werktag im Bett bleiben kann, ohne eine Faulenzerin zu sein.

Sie kommt sich zwar nicht trank vor, sie fühlt sich nur müde und zerschlagen.

Aus dem Alleinsein macht sie sich nichts man hat nicht viel Zeit übrig für die alte Frau fie fann jetzt an alle Dinge denken, an die sie in ihrem arbeitsreichen Leben, in ihrem rastlosen Schaffen nie hat denken können. Zudem sieht Großmutter so viel um fich, was ihr zu denken gibt, was ihr Erinnerungen bringt, sie in eine Welt führt, die sie tastend und schüchtern fast betritt, eine zurückgedrängte Welt, die sich allmählich im sie entfaltet. Da sind die Bäume vor ihrem Fenster, die so groß geworden sind, seit sie ihr Sohn ans Haus gepflanzt, so groß, wie sie nie gedacht, daß sie je werden würden in dem mageren Boden und der schlechten Luft, die von der großen Stadt herüberfam.

Da sind die Blumen vor ihrem Fenster, rote Neffen und Geranien, Petunien und Kapuziner, die ihre jüngste Entelin ge= pflanzt hat, die Grete, die ihr Liebling war, weil sie dem Nannele, ihrer Tochter so gleich fah. Sie haben sie nun fort in ein Kloster getan, ganz wie das Nannele, und wenn sie nicht mehr da ist, pflegt niemand mehr die Blumen an den Fenstern.

Die dickföpfigen Neffen erinnern sie an ihr Dorf, an ihre Mutter, an das fleine Haus, um das die Tauben flogen, an lauter Dinge, an die fie niemals mehr gedacht und die nun jetzt in ihren dumpfen Halbschlaf fommen. Wundersam, wie das alles nach und nach aufsteht, zum Greifen deutlich, wie wenn sie's gestern erst erlebt hätte. Ein Lächeln liegt auf ihren roten Altfrauenbäckchen, als sie an die Spiele um das Haus, an die schönen langen Eis­bahnen zum Schleifen im Winter denkt, an die Beeren im Wald

Ja, der Wald! Großmutter schämt sich ein bißchen und schaut verstohlen im Zimmer herum, zu matt, den Kopf zu heben, verwirrt und mit einem stiffen, spitzbübischen Lächeln um den welfen Mund.

Ohne Widerrede ließ es sich in ein Kloster steden, und als es einmal da drinnen war, blieb es auch für immer dort. So ein gutes, stilles Stind, viel besser als die Kinder aus ihrer Ehe! Großmutter fährt sich mit der Hand über die Augen, weil Tropfen um Tropfen kommt.

Es war so feierlich, als das Nannele eingekleidet wurde, die Orgel und der Gefang der Nonnen, das fleine blasse Geficht mit den großen, dunklen Augen. Damals fiel es ihr zum erstenmal aufs Herz, daß sie nichts von dem Vater wußte und ihm nicht sagen fonnte: Sieh, dics feine, scheue Ding da ist deine Tochter! Großmutters Gedanken verwirren sich, sie wirft sich unruhig hin und her, es quält sie etwas. Was denn?

Sie besinnt sich umsonst

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doch, da ist es.

Einen Wunsch hatte das Nannele, als es ein kleines Mädel war, so zwölf Jahre etwa, sein ganzes Herz hing an einer roten Sette Strallelen", und dies Kettchen hatte sie dem Kinde ver weigert, weil sie sich nicht getraute, dem Manne etwas zu sagen, der des Kindes Vater nicht war. Tränen hatte das Nannele ge= weint, fchmerzliche Tränen, die ganz lauilos, ohne Schluchzen tamen, und fein Wort weiter gesprochen.

Wie sie das jetzt quälte! Nie mehr hatte sie daran gedacht, nein, nie mehr.

Jetzt kommen auf einmal die großen Bäume draußen, die ihr Sohn gepflanzt, der Garten, die Blumen in ihre wirren Träume. Hat denn das Nannele je einen solchen Garten gehabt wie den da unten? at es springen und spielen und jauchzen dürfen wir ihre Enkelinnen?

Ja, der Klostergarten! Still und ruhig ging es da herum, sie hat es wohl einmal gefehen.

Ach, das Nannele ist ein so braves, in sich gefehrtes Kind!" So sagte die Oberin. In sich gekehrt

Großmutters Hände fangen wieder an zu zucken und unruhig auf der Dede hin und her zu tasten. Was hat es denn bei sich gedacht, das Nannele? War es traurig? Konnte es auch luftig fein wie andere Kinder?

Ein in sich gefehrtes Kind." Hat man das Nannele auch gefragt, ob es gern im Kloster sei? Ob es bleiben wolle? Nein, man hat es nicht gefragt, fie felbst war ja froh, daß es nichts mehr verlangte, um nichts bat, seit es vergeblich um das Kettlein gebeten hatte. Gefragt? Sie ging ja immer so hastig wieder weg, gerade wie wenn das Kind noch einmal etwas begehren, sein Herz zeigen könnte.

Großmutter wirft sich herum und stöhnt.

Sie fann nicht ruhen, sie kann nicht schlafen, immer verfolgen sie die Gedanken an das blasse Mädchen, das sie so traurig anschauen konnte, und dem sie in Saft stets so viel vorschwäßte, ihm Suchen und Obst zusteckte und es stets auf das nächstemal vertröstete: Dann bleib' ich länger, dann wollen wir viel plaudern."

Dann dann Ja, dann kam die Einkleidung, und die junge Nonne in dem schwarzen Habit hatte etwas Fremdes für fie, etwas, das sie beengte und verlegen machte, fie ging feltener und feltener zu ihr, bis sie die Nachricht befam, das Nannele, Schwester Gölina mit ihrem Klosternamen, müsse weit, weit fort in ein ent­ferntes Kloster.

Großmutter setzt sich auf, und ihre Augen suchen etwas an der Wand und fönnen es nicht finden: ein fleines Bild ist's, eine verblaßte Photographie, die die Nonne ihrer Mutter schickte, und die ihren Play zuerst in der Kommode hatte, wo sie lange Zeit vergessen liegen blieb. ( Schluß folgt.)