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die Stadt zu besehen. Es lohnt sich aber nicht, denn Neapel ist häßlich und schmutzig, sobald man es aus der Nähe betrachtet. Freilich, von der See aus gesehen, bietet es einen malerischen Anblick. Für die Reisenden bietet sich ant Hafen manche Unterhaltung. Oftmals habe ich hier früher gestanden und mir das Leben mit angesehen. Die Italiener find ein harmloses Völfchen, zutraulich und neugierig wie fleine Kinder. In ihren malerisch, faft fönnte man sagen fofett um den Körper geschlagenen Lumpen, stehen sie lachend und schwaßend umher. Männer, Frauen, halbwüchfige Burschen und Mädchen. Hauptsächlich jedoch durcheinander fugeinde und tollende Kinder. Dort tummelt sich ein achtjähriger Knirps und pafft ungeniert an einer Zigarette. Rock und Hose find ihm viel zu lang, haben dafür aber selbst für das italienische Klima genügend Luftlöcher. An einer anderen Stelle hat sich ein drolliges Trio eingefunden. Zwei Jungen und ein quecksilbriges Ding von Mädel mit samtschwarzen Glutaugen und wirrem Zottelbaar. Alle freuafidel. Mit hellen Stimmen und viel Grazie und schalkhaftem Ernst bringen sie das bekannte Santa- Lucia Lied zu Gehör, wofür fie eine Meine Münze ernten. Selbstverständlich fatbalgen sich die fleinen Sänger erst ein Weilchen um die Beute, bis es einem gelingt, sie in den Mund zu stecken, womit die Einigkeit wieder hergestellt ist.
Zahlreiche Passagiere sind in Neapel an Bord gekommen. Alle auf der Flucht vor dem rauhen nordischen Winter. Im sonnigen Lande der Pyramiden wollen sie diese Zeit auf möglichst angenehme Art verbringen. Wir haben also volles Haus"; fa geht es heiß her in der Küche. Sind doch die deutschen Schiffe bei allen Nationen beliebt wegen der reichen und guten Verpflegung, die die Reijenden auf ihnen genießen.
Nun endlich ist es doch Feierabend geworden; wir können die übermäßig heiße Temperatur unferer. Arbeitsstätte verlassen. Ge mütlich plaudernd siben wir in unserem Logis unter der rötlich leuchtenden fleinen Glühbirne. Auf dem Tische steht eine alte Konservenbüchse. Jetzt dient sie als Aschbecher und erfüllt somit eine für die Reinlichkeit unserer Stube sehr segensreiche Mission. Vorher flogen nämlich die Stummel und Streichhölzchen in alle Ecken. Irgendwem gehört ein Päckchen Tabak. Es ist eine schwarze billige Sorte, die von Mann zu Mann geht. Jeder stopft sich nach Belieben eine furze Pfeife oder dreht sich eine Zigarette von dem Kraut. Wie fleine Fabrikschlote qualmen sie alle. Bald wogt es unter den niederen Decksbalken wie ein undurchdringliches Nebelmeer, aus dem unsere betrübte Lichtspenderin hindurchscheint wie eine matte Wintersonne. Das ist so die rechte Stimmung, in der die Geister erwachen und die Zungen lebendig werden. Aufmerksam lauschen alle den mit trockenem Humor gewürzten Schnurren, die da zum Vorschein kommen. Selbstverständlich sind sie alle ansnahmslos weniger oder mehr selbst erlebt".
Von einem der vielen Fischerfahrzeuge haben etwas ältere Jungen eine Jolle losgemacht und freisen nun um den großen Dampfer. Frei spielt das Sonnenlicht um ihre ebenmäßigen Glieder; nur mit einer Badehose sind sie bekleidet. Sie bitten um Einer der Kohlenzieher ist vom Nachbarraume herüberein Geldstück, das die Reisenden ins Wasser werfen sollen. Lange gekommen. Er ist der einzige Deutsche unter seinen Kollegen; brauchen sie nicht zu rufen. Meist ist es die zarte Hand einer Dame, wenn er Freiwache hat, gesellt er sich gerne zu uns und spinnt ein die den Geldbehälter auftut, während die Männer etwas zugeknöpf- Garn mit. Die Hauptsache scheint aber der Tabat für ihn zu sein. ter erscheinen. Kaum hat die Münze ihren Weg ins Wasser ge- Als nun gar noch ein paar Gäste aus dem engen Gange zu uns nommen, so find auch schon die Taucher hinterher. Nur für einen hereinschlüpfen, wird die Unterhaltung immer anregender. Aber Augenblid noch sieht man eine Zahl zum Himmel gerichteter Beine auch die Bude ist fast zu klein geworden. So viele Sibgelegen paare, bis auch diese verschwunden sind, und im Nu hat einer der heiten sind natürlich gar nicht vorhanden, so daß die Kleiderkisten Burschen das Geldstück ergriffen. Lange bevor es den Grund er- ihre Flächen herhalten müssen. Wie im Fluge vergeht die Zeit. reichen konnte, hat er es mit sicherer Band erwischt und zeigt es Ghe man es sich versieht, ist es zehn Uhr vorbei. Für gewöhnlich nun mit Siegerfreude empor, um die Münze dann ebenfalls hinter ist dies die Stunde, wo ein jeder sein Lager aufsucht. Heute jedoch dem Schuß seiner Zähne verschwinden zu lassen. wird der Stromboli passiert. Ganz nahe vorbei sollen wir kommen an diesem eifrigsten der feuerfpeienden Berge Europas . Einige von der Mannschaft sehen, dieses Naturschauspiel immer wieder gern und bleiben darum munter. Ich freue mich auf den Augenblid, wo ich ihn in seiner Tätigkeit werde beobachten können. Endlich soll auch dieser seit Jahren gehegte Wunsch in Erfüllung gehen, nachdem ich meinen Fuß auf den Kraterivand des Vesuv schon gefezt hatte.
Und wie tauchen diese Jungen! Ein besonders wagemutiger fleiner Sydriot brachte es fertig, unter dem Kiel eines großen Schiffes hindurch zu schwimmen. Ein anderer fletterte auf dem Schiffe außenbords von Deck zu. Deck und ruhte nicht cher, als bis er auf einem der Rettungsboote stand. Von dieser fast zwei Stock hohen Warte saufte er in elegantem Sprunge hinunter nach dem ihm zugedachten Frankstück. Leider konnte er seinen Lohn nicht erhalten, denn fair sind seine Kameraden durchaus nicht. Wißmutig mußte er zusehen, wie ihm ein anderer von unten zuvor kam und mit der Beute schmunzelnd davonschwamm.
So bietet der Gafen von Neapel für den Reisenden fait immer etwas Intereffeantes, und meist sind es angenehme Erinnerungen,
die sie von hier mitnehmen.
Pünktlich um fünf Uhr heißt es:„ Anter auf!" Dreimal fährt einen der nervenerschütternde Ton der Dampfpfeife in die Glieder. E& flingt wie ein gewaltiges Brülfen aus einer Riefenlunge. Der fleine Schlepper gellt lärmend sein helles Tututut" dazwischen. Die Troffe spannt sich und steht flingend und steif zum Brechen. Langsam kommt das Ungetüm in Fahrt und wird bis zum Molen lopi hinausgezogen.
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Leicht und ledig kehrt der Schlepper zurüd. Unser Schiff Steuert hinaus auf den herrlichen Golf von Neapel. So schön wie ein Märchen ist die blißende blaue Fläche. Sie wird von leicht geschwungenen Berglinien umfäumt. Im Süden über dem reiz vollen Sorrent erheben sie sich bis zu 1300 Meter; aber nicht drohend wie die Reden der Alpen bohren sie sich in den Himmel: lieblich und dustzart steht der zadige Grat am Horizont. Ganz im Often der Bucht, wo das Ufer flach wird und sich die feinen Fischerbarten mit ihren bunten Lateinerfegeln im Winde wiegen, dort liegt Pom peji. Ueber alles erhaben, stolz und maffig, ragt der Vesuv im Sintergrunde empor. Breit und ausgedehnt ist er hingelagert, als wäre er die philosophische Ruhe in Person. Nur die weißlich graue Rauchwolke, die wie eine Wollmüße über seinem stumpfen Kegel schiebt wirft wie ein warnendes Meneteket. Aber die Italiener haben ein kurzes Gedächtnis und vertrauen sorglos auf die Fürsprache ihrer Heiligen.
Während allmählich die Dämmerung im Osten heraufsteigt paffieren wir die Insel Capri , die nur wenige Kilometer vom Feit unde entfernt liegt. Ein gutes Auge fann die fühn angelegte Straße am Südabhang der Feljeninsel erkennen, die sich der alte Krupp Dort hat bauen lassen. Wo früher faum ein Maultier festen Fuß fuffen fonnte, da ist jetzt eine raffinierte Automobilstraße dem Berge abgefrost. Biel Geld muß dieses Meisterwerf alpiner Straßenbaufunst verschlungen haben. Die einfame Villa hoch über dem Meere soll jest verlassen sein. Gar geheimnisvolle Geschichten wiffen die Bewohner der Insel von ihr zu berichten.
Der Golf von Salerno weitet sich vor dem aufmerksamen Ange. Wer einmal im Leben den Fuß an seine Gestade gefezt hat, wird die paradiesische Schönheit der Landschaft nie wieder aus der Erinnerung verlieren. Doch jest läßt sich nur wenig davon erkennen;
das Dunkel der Nacht und die weite offene See nehmen uns auf.
Während wir uns noch darüber unterhalten, hören wir auch schon, daß er in Sicht gekommen ist. Also hinauf zum Bootsded!
Der nächste Weg geht durch den Heizraum. Dort unten vor Chinesen. Wenn die Feuerungen aufgerissen werden, erfüllt eine den Steffeln arbeiten die halbnadten Gestalten, meist schmächtige Flutwelle von Rot den heißen Raum. Sie huscht über die Kohlenhaufen und wirft einen breiten Streifen von Licht über den Boden. Dann springt der Feuerschein weiter über allerlei Eisengestänge und erweckt glühende Refleye. Und wie das glühende Not die schwitzenden. Körper umloht! Scharf begrenzt stehen die dunklen Schattenpartien dagegen. Eine padende Sinfonie von ſamtenem Schwarz und feurigem Rot. Hier arbeiten die fnochigen, sehnigen Männer und hantieren mit Schaufel und langen Eisenstangen, als hätten sie selbst einen Vulkan zu heizen.
Umvillfürlich muß ich an Freiligrath denken:„ Wir sind die
Straft eine steile Wandeltreppe führt empor zum obersten Deck, wovon ein Teil für die Heizer reserviert ist. Jest ist es gar nicht so angenehm hier oben. Der Wind ist stärker geworden und die See fängt an hohl zu rollen. Mächtig arbeitet sich das Schilf mit scharfem Bordersteven durch die janwarze Flut, daß die riesige Bugwelle hoch aufspritzt. Rauschend zerfließt die Schaumkrone; der Streifen, der oben noch im schwachen Phosphorglanze auf der Woge tanzte, weicht wieder einem stumpfen Schwarz, um ein Stüd nach vorn wieder aufzuleuchten. Kein freundliches Sternchen weist mit hellem Blinken dem Schiffer feinen Weg durch die weite Wasserwüste. Nur leichte Wolfen in eiligem auf ziehen am Hummel.
In noch tieferem Dunkel, fast wie ein Schatten anzusehen, der Stromboli , dessen Fuß von allen Seiten die See bespült. Sonst liegt ein ziemlich hoher, spiber Kegel auf dem Wasser. Das ist ist nichts zu erkennen. Wir sind allein in finsterer Nacht auf dem
Meere.
Da plöblich fängt es geheimnisvoll au zu leuchten fait auf der Spize des Bergees glüt und funfelt, erst flein und winzig wie der Knauf des Götterschwertes Rothung" in der Nibelungenfage. Aber stetig nimmt die Glut zu. Dann schießt eine gewaltige Feuergarbe mit elementarer Wucht zum Himmel empor. Hellrot fommen inimmer neue Wassen aus dem Schlunde in die Finsternis geschleudert. Ein zauberhafter Anblick. Allmäh lich erschöpft sich die Kraft; langjan jinft die Glutsäule zusammen, und das Licht verschwindet. Pach furzer Zeit erscheint das Phänomen von neuem und verläuft in der gleichen Art. Von einer Viertelstunde zur anderen arbeitet der Wulfan, einmal etwas schwächer, dann wieder mit größerer Sewalt. Die Lavoftröme fließen nach der einen Seite hin ab und sollen manchmal bis dicht